Mittwoch, 12. Dezember 2007

Kleine Dienstreisen und andere Trips






2x Saignelegier; Marktplatz von Aalten; Gitarrist der holländischen Rockband Normaal 2007: still in the Dutch mountains

Kaum aus Wien zurückgekehrt, begegnet Felix Peter, der auch für einige Zeit auf Reisen war, und sie verlieben sich erneut ineinander. An einem sonnigen Tag gegen Ende Juni beschliessen sie, ein wenig weg, aufs Land, zu fahren, müssen aber zuerst noch auf den Zeltplatz, wo Peter momentan wohnt, und zu Peters Eltern. Dann stellen sie sich an den Strassenrand und es dauert eine Weile, bis jemand sie mitnimmt; aber schliesslich hält ein älterer Herr und erzählt unterwegs dauernd obszöne Witze und Weibergeschichten. In einer Landbeiz unterwegs lädt er sie zu Bier und später, in Murten, zu Wein, Kaffee, Cognac und wieder Wein ein, schliesslich sind sie alle besoffen und es stellt sich heraus, dass der ältere Herr schwul ist, worauf er von Peter und Felix erfährt, was er schon längst vermutet hat, nämlich dass sie so etwas wie ein Paar sind. Das ist für den älteren Herrn Anlass genug, sie zu sich nach Hause in Twann einzuladen, wo sie weiterfeiern, obwohl der Lebenspartner des älteren Herrn, eine hektische, hypochondrische Tunte, fast Schreikrämpfe bekommt. Dann steckt der ältere Herr, dieser Kuppler, Peter und Felix in ein Bett, sodass sie automatisch scharf aufeinander werden müssen.
Nachdem sie schon um sechs verkatert wieder aufgestanden sind, weil der ältere Herr zur Arbeit muss, fahren sie nach Murten zurück und Peter und Felix montieren auf dem Zeltplatz am See ihr Nylonhaus. Tagsüber tun sie nicht viel, herumliegen, sonnenbaden, mal einen Joint rauchen, picknicken – und sie reden über sich und über früher, beschliessen für die Zukunft das Experiment einer Dreiecks- oder Vierecksbeziehung, mit einem oder zwei Mädchen, davon träumt der bisexuelle Peter schon lang und Felix sagt mal so unverbindlich ja dazu, weil Peter das freut. Abends und nachts im Zelt ist es dann wieder sehr schön und Peter ist zärtlich und lieb.
Nach einem reichhaltigen Frühstück in einer Landbeiz trampen sie zuerst nach Ins, dann nach Neuenburg, wo sie im Bus beim Schwarzfahren erwischt werden – da hätten sie gleich mit dem Zug fahren können bei der Busse –, dann fahren sie über Chaux-de-Fonds in den Jura, nach Saignelegier, wo Peter sich auf dem Zeltplatz installiert, während Felix gehen muss, weil am Abend im Hotel «Pergola» ein weiterer Einsatz als Nachtportier auf ihn wartet. Es ist sehr unruhig im Hotel diese Nacht, um zwei Uhr dreissig trifft noch eine Gruppe mit sechzehn amerikanischen Touristen ein.

Der nächste Kurztrip, den man auch als «Dienstreise» bezeichnen könnte, steht etwa einen Monat später an. Felix hat sich mit Antibiotika von einer ziemlich schlimmen Sommer-Angina nur notdürftig erholt, als Peter und Felix schon um halb fünf in der Früh aufstehen und – dieses Mal mit einem Mietauto – wegfahren, «Gone To Earth» von Barcley James Harvest im Ohr: über Pruntrut nach Belfort, dann weiter über den Ballon d’Allsace, nach Nancy, Metz, Luxemburg, Trier und durchs Ruhrgebiet. In Krefeld machen sie einen Halt; sie haben Autostopper mitgenommen, von denen sie zu einer Pfeife eingeladen werden, worauf sie ziemlich hungrig werden oder spüren, dass sie hungrig sind. Dann stoned weiter bis Arnhem, wo sie todmüde in der Jugendherberge übernachten.
An die Nopperstraat, wo man in richtigen Shops Haschisch kaufen kann, kennt Peter Leute: da rauchen sie sich erst mal tüchtig einen an und kaufen ein wenig Gras. Anschliessend geht es nach Aalten, wo Peter einen Dealer kennt. Peter beschliesst, auch im Namen von Felix, für tausend Gulden Shit und Gras zu kaufen. Aber vorher rauchen sie den ganzen Abend und die halbe Nacht lang Hasch, Felix ist stoned wie noch nie, jede halbe Stunde kreist die Pfeife, Leute kommen und rauchen mit, andere haben geraucht und gehen, man verliert den Überblick. In der Nacht lieben sie sich, Peter und Felix, leidenschaftlich in einem Schlafsack am Boden und schwören sich ewige Freundschaft, und in diesem Augenblick meinen sie das vollkommen ernst.
Der nächste Tag beginnt wieder mit Haschischkonsum nach dem Frühstück, dann besuchen sie den Bassisten der holländischen Popgruppe Normaal, die offenbar ein wenig bekannt ist (1984 schafft sie es mit Songs wie «De hoofdman was knuppeldik» und «Mama woar is mien pils?» sogar auf Platz 24 der holländischen Top 40), in seiner WG, wo wieder geraucht wird zum Kaffee, während die Frauen mit dem Kind den Stoff besorgen. Dann gehen sie chinesisch essen, machen eine Fahrt ins Grüne, rauchen beim holländischen Dealer, verbringen eine weitere Nacht in Alten.
Am Nachmittag des nächsten Tages fahren sie los: erst zurück nach Arnhem, wo sie in der Jugendherberge duschen, dann Richtung Belgien. Auf der Autobahn an der belgisch-holländischen Grenze gibt es keine Passkontrolle, und die belgisch-französische Grenze überqueren sie nach Mitternacht auf einem «Guerillapfad» im Wald, Peter kennt sich da offenbar bestens aus. Unterwegs wird natürlich geraucht, um das Ganze noch spannender zu machen. Um vier Uhr am Morgen machen sie bei St. Dizier einen Halt und schlafen zusammengekrümmt ein paar Stunden auf den Sitzen. Peter hat beschlossen, dass Felix die Drogen (immerhin etwa ein halbes Kilo Gras und eine schöne Platte Hasch) über den Zoll in die Schweiz schmuggeln muss, und zwar mit dem Zug, während Peter im Auto über die Grenze fährt. Dies einerseits, weil Felix so unschuldig wirkt und deshalb der bessere Schmuggler ist als der verwegen aussehende Peter und auch weil Felix das kleinere Risiko eingeht, da Peter bereits wegen Drogenschmuggels vorbestraft ist, andererseits ist diese Aktion auch als Mut- und Bewährungsprobe für Felix gedacht. Peter, der manchmal einen wahren pädagogischen Eifer an den Tag legen kann, empfindet Felix, wie wir wissen, als zu passiv, zu brav und zu ängstlich, während Peter für Felix manchmal, wie wir ebenfalls zur Kenntnis genommen haben, zu intolerant, zu grob und zu einschüchternd ist. Es ist nicht ganz abzustreiten, wir wiesen bereits darauf hin, dass ihre Beziehung eine gewisse sadomasochistische Note hat.
In Becançon trennen sie sich. Felix nimmt nun den Zug um neunzehn Uhr nach Lausanne. Natürlich ist Felix sehr nervös und hat nicht nur weiche Knie vor Angst, sondern badet darüber hinaus im Angstschweiss und seine Eier geben sich alle Mühe, sich in die Bauchhöhle von Felix zu verkriechen. Mit dem Lokalzug bis Mouchard; dort eine halbe Stunde Aufenthalt. Dann, im Zug von Paris nach Lausanne, steckt Felix den Plastiksack mit dem Stoff in den Abfallkorb der Toilette; nach der Grenzkontrolle, während der Felix Blut schwitzt, die aber ganz harmlos und routinemässig verläuft, nimmt er den Sack wieder an sich. Er ist insgeheim sehr stolz darauf, dass er die Mutprobe geschafft hat, und fühlt sich ein wenig wie Bebel in «À bout de souffle».

Felix beschliesst – auch unter dem Einfluss von Peter, der alles Intellektuelle hasst und alle Intellektuellen verabscheut –, mit dem Studium aufzuhören und sich im nächsten Jahr an der Schule für soziale Arbeit einzuschreiben, wofür er allerdings vorgängig ein halbjähriges Praktikum im Sozialbereich absolvieren muss. Er findet eine Stelle als Hilfskrankenpfleger in der geriatrischen Abteilung eines städtischen Spitals, wo er fortan Greisenhintern putzt, und nicht nur das. Unter anderem sieht er zum ersten Mal, wie ein Mensch stirbt – ein Erlebnis, das ihm tiefen Eindruck macht.

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