Mittwoch, 31. Dezember 2008

Everbody is a strange person



Der Flug nach Bali dauert drei unaufgeregte Stunden, der Anflug auf die Götterinsel ist spektakulär und gewährt Einblicke in grossartige, bewaldete Vulkanberge und andere Erhebungen, die im Wolkenmeer schwimmen. Die Insel ist von einem üppigen, satten Grün, umgeben vom Smaragd des indischen Ozeans. Am Flughafen wird Felix von Aluk und seinen beiden Kumpels Yono und Anto erwartet. Anto hat von einem Liebhaber einen Pickup geschenkt bekommen und chauffiert sie zum «Bali Coconut Hotel». Das ist ein gemütliches kleines Hotel im traditionellen balinesischen Stil mit Swimmingpool und Garten ganz in der Nähe des Strandes, den sie allerdings nur selten besuchen (und wenn, dann meistens abends zum Sonnenuntergang). Das Hotel ist nur etwa zu zehn oder fünfzehn Prozent belegt, und auch sonst wirken Kuta und ganz Bali ziemlich ausgestorben, da kurz vorher, im Oktober, erneut Bombenanschläge stattgefunden haben (einer in einem Restaurant, ein anderer am Strand). So genannten Rucksackbomber waren am Werk, und im indonesischen Fernsehen ist praktisch dauernd vom Terrorismus und von der Jagd auf Terroristen die Rede, wobei Felix natürlich nur der Spur nach versteht, worum es im Einzelnen geht. Felix hat zwei Zimmer gemietet, im einen nächtigen Yono und manchmal auch Anto, nicht selten auch Aluk, weil Felix wieder einmal zu sehr schnarcht. Die Zimmer sind okay, nicht ganz so luxuriös wie diejenigen im Le Meridien zwar, aber recht geräumig, mit bequemen Betten und allem, was es braucht (und was es für Felix vor allem braucht, ist eine Klimaanlage). Auch kann man sich zu jeder Tages- oder Nachtzeit Speis und Trank ins Zimmer ordern, mit einer Mischung aus Eleganz und Gelassenheit jonglieren Balinesinnen volle Tablette zu ihren Zimmern. Die erste und die letzte Woche verbringt Felix mit seinem Partner und dessen Freunden in Bali, während sie sich zu Beginn der mittleren Woche in Antos Pick-up die Küste entlang Richtung Westen aufmachen, um dann bei Gilimanuk mit der Fähre nach Banyuwangi überzusetzen. Die Hafenstadt Gilimanuk ist etwa 135 Kilometer von Denpasar entfernt und verbindet mit einem Fährbetrieb über die Bali-Strasse, deren Überquerung etwa eine Stunde dauert, die Insel mit Ost-Java. Die Küstenfahrt von Denpasar nach Gilimanuk führt durch ein landschaftlich ausserordentlich reizvolles Gebiet mit zum Meer hin abfallenden Reisterassen und saftigen Plamenwäldern, die sich die Hügel hinauf ziehen. Die Strassen in Bali sind zwar relativ gut, aber auch schmal, und die Fahrweise der Einheimischen ist ziemlich rasant und manchmal auch etwas risikoreich. Für den Geschmack von Felix zu risikoreich – zum Beispiel, wenn eine Gruppe von drei oder vier einen Hügel hinaufkeuchenden Lastwagen bei völlig unzureichenden Sichtverhältnissen überholt werden soll. Am schlimmsten sind die Busfahrer, die wie die Räuber über die Strassen brettern. Anto fährt aber relativ vorsichtig. Die Überfahrt auf der Fähre ist dann das reinste Vergnügen, der Blick auf das immer näher kommende Java grossartig. In Banyuwangi kaufen Felix und seine Begleiter zunächst in einem Warenhaus Geschenke für Aluks Familie: einen Sarung für die Mutter, ein grosses Spielzeugauto für den Neffen und sonst ein paar Kleinigkeiten zum Verteilen. Ins Landesinnere bis zur Kleinstadt Genteng und bis zum Heimatdorf Aluks, das aus im Palmenwald locker verstreuten Häusern besteht, dauert es dann noch etwa eine Stunde. Aluk hat sich ein steinernes Haus gebaut, oder gleich zwei, eins für sich und eins für seine alte, kranke Mutter, aufgewachsen aber ist er in einer Bambushütte, in ärmlichsten Verhältnissen. Die Mutter hat ihre Kinder – vier Söhne, zwei Töchter – allein aufgezogen; nachdem ihr Mann sie hat sitzen lassen, um mit einem Ladyboy durchzubrennen, hatte sie kein Interesse mehr an Männern, war ihr partnerschaftlicher Bedarf gedeckt und sie lehnte entsprechende Angebote dankend, aber bestimmt, ab. Die Mutter, mit der sich Aluk eng verbunden fühlt, die er mehr als alles andere liebt und verehrt, hat sich abgerackert und dabei ihre Gesundheit ruiniert, um die Kinder durchzufüttern; jetzt leidet sie unter schwerem Asthma und unter Bluthochdruck. Sie ist eine zerbrechlich wirkende, aber bestimmte Person, die fast nur aus Haut und Knochen zu bestehen scheint. Die Erfahrung der Armut, die er als Kind erlebt hat, hat sich tief in die Seele von Aluk eingebrannt. Diese Erfahrung hat ihn sein Selbstvertrauen gekostet; er findet sich seltsam und hässlich, bezeichnet sich nicht nur im Scherz als Monster. «I’m such a strange person», ruft Aluk manchmal verzweifelt aus. Felix wird dann fast ein wenig wütend: «You’re a strange person – so what? I am also a strange person, everybody is a strange person, where is the problem? You can be ashamed of it, you can be afraid of it, you can be proud of it, you can make the best out of it, you can enjoy it: the choice is yours!» Aluk schaut Felix jeweils nur ganz verwundert an, wenn der einen solchen Ausbruch hat. Aluk weiss das alles, aber er ist sich auch bewusst, dass es leichter gesagt als getan ist, aus seiner Besonderheit das Beste zu machen. Schliesslich handelt es sich dabei um eine veritable Lebensaufgabe. Als Kind, sagt Aluk, hatte ich nie die Möglichkeit, zu spielen, ich musste arbeiten, zum Beispiel Kaugummi oder Eis verkaufen. Alles, was er an Bildung mitbekommen hat, ist ein bisschen Schule und dann noch ein bisschen Koranschule; das meiste hat er vom Leben gelernt. Aluk hält sich deshalb selbst für dumm. Er ist aber alles andere als dumm; er hat eine schnelle Auffassungsgabe, er spricht mindestens vier Sprachen (Bahasa Indonesia, Javanisch, Balinesisch, Englisch, etwas Deutsch), er hat einen kreativen Geist und – untrüglichstes Zeichen für Intelligenz – er hat Humor. Das Leben, von dem er das meiste lernte, wie wir alle übrigens, führte Aluk zunächst nach Bali, wo er erst auf dem Bau («in the project») und dann in einem Warung (einem kleinen Strassenrestaurant) arbeitete, und zwar von morgens fünf Uhr bis abends neun Uhr, sieben Tage die Woche. Da lernte er kochen. Dann hatte Aluk Glück: Er wurde von Lorna, einer amerikanischen Ärztin, die in Bali unter anderem Aids-Prävention betrieb, als Hausbursche engagiert. Hier lernte er Englisch, wurde nicht nur anständig, sondern wahrhaft freundschaftlich behandelt, bekam mit, wie so genannte Bule (wie Poulet ausgesprochen, aber mit weichem B), also Westler, so ticken, und was es heisst, schwul zu sein. Vorher hatte er zwar auch schon sexuelle Beziehungen mit Männern (vor allem mit einem seiner Lehrer an der Koranschule), aber damals, sagt Aluk, wusste ich noch nicht, «was Blasen, Ficken und Küssen bedeutet». Wenig später lernt Aluk an Balis Stränden seine ersten schwulen Sponsoren aus dem Westen kennen. Irgendwann wird er von einem dieser Sponsoren nach Deutschland eingeladen; allerdings hält diese Geschichte nicht, da der Deutsche bald zu seinem indonesischen Exfreund zurückkehrt. Das ist für Aluk die grosse Enttäuschung Nummer eins. Aus Liebeskummer trinkt er ein ganzes Fläschchen Poppers leer - ein Wunder, dass der das überlebt.
Felix lernt Aluk in der Bar kennen. Da ist Aluk noch keinen Tag in Zürich. Er hat Holland Hals über Kopf verlassen, wegen grosser Enttäuschung Nummer zwei, die sich in der Person eines holländischer Zahnarzt inkarniert hat, stinkreich und Besitzer von mindestens zwei Porsches, aber geizig, ein Arschloch und immer noch ungeoutet, obwohl schon fünfzig oder gar darüber. Also versteckt er Aluk regelrecht in seiner Wohnung über der Praxis in Amersfoort oder schliesst ihn sogar in seinem Zimmer ein, auch auf der Strasse darf Aluk sich nicht in der Nähe des schnauzbärtigen Dentisten zeigen, sondern hat auf der anderen Strassenseite zu gehen. Dafür darf er sich dann vom Doktor, der offenbar sexuell auf diese Marke konditioniert ist, also eine Adidas-Macke hat, in Adidas-Klamotten stecken lassen... Irgendwann hält Aluk das nicht mehr aus – das Eingesperrtsein, das Verleugnetwerden, mit der Adidas-Macke könnte er notfalls leben – und er flüchtet zu indonesischen Freunden in der Schweiz. Dort lernt er Felix kennen oder Felix lernt Aluk kennen und verliebt sich in ihn (er ist zwar damals noch mit Sonny liiert, aber diese Beziehung bröckelt bedenklich). Es braucht aber lange, bis Felix das Vertrauen von Aluk gewonnen hat – Aluk ist ein gebranntes Kind.

Dienstag, 23. Dezember 2008

Kultur und Tradition



"...Die Tradition ist ein wesentlicher Bestandteil der Kultur. Selbst der avantgardistischste Künstler geht dauernd mit Tradition um, mit der Tradition der Kultur. Er stellt sie zum Beispiel in Frage, aber seine Frage wird nur erkennbar, wenn wir die Tradition kennen und erkennen.
Eine Geschichte erkennen wir dann als Geschichte, wenn sie einer Geschichte gleicht. Ein Gedicht ist dann ein Gedicht, wenn es einem Gedicht gleicht, an Gedichte erinnert.
So könnte ich mir ohne weiteres vorstellen, dass es um 1800 herum Autoren gegeben hat, die gut und gern solche Gedichte hätten schreiben können wie heute Ernst Jandl - Goethe zum Beispiel oder Jean Paul. Nicht die Zeiten waren ganz anders oder schöner oder gar kultureller - nur die Reihe der Tradition war noch nicht so weit, dass man damals solche Gedichte hätte erkennen können. Sie glichen damals noch nicht Gedichten.
Tradition ist nicht einfach das alte Schöne. Die Tradition ist kein Antiquariat, sondern eine lebendige Reihe, die auf uns zukommt und hinter uns weitergeht, wie ein Asiat sagen würde, für den die Vergangenheit vor ihm liegt - er sieht sie - und die Zukunft hinter ihm, er sieht sie noch nicht.
Die Vergangenheit sehen, die vor uns liegt, dazu brauchen wir einen Beziehungspunkt. Die zeitgenössische, die avantgardistische Kunst ist immer wieder dieser Beziehungspunkt.
Wer glaubt, sogenannte alte Kunst ohne diesen aktuellen Bezug geniessen oder würdigen zu können, dem entgeht ein wesentliches Erlebnis, das Erlebnis, selbst als Konsument oder Produzent in dieser Traditionsreihe zu stehen, sich selbst als Teil dieser Tradition zu empfinden - hier zu stehen und die Vergangenheit vor sich zu sehen, im Wissen, dass hinter uns eine Zukunft sein wird. (...)
Kultur ist entweder etwas Vergangenes oder etwas Gegenwärtiges - eine Kultur der Zukunft wird schnell gefährlich. Die Aufgabe der Kulturschaffenden - aller, also der Politiker, der Museumsdirektoren, der Leser, Schauer und Hörer, der Schreibenden und Musizierenden - ist, erst einmal die Tradition fortzusetzen.
Er gibt - zum Beispiel - keinen Grund, heute noch Geschichten zu schreiben. Mit den Geschichten der vergangenen Jahrhunderte könnten wir unser Leben bestehen. Die Geschichten sind alle schon geschrieben, die Geschichten der menschlichen Leidenschaften, von Liebe und Tod, Neid, Hass und Intrige - dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen, als: Wir wollen die Tradition des Erzählens und die Tradition des Zuhörens fortführen - und zwar jetzt, heute, in diesem Jahr, Kultur hat keine Zukunft, sie hat nur ein Jetzt."
Peter Bichsel (1996) aus: Aber ich glaube dem Herrn Kamber. Eine Rede. Zitiert aus: Peter Bichsel: Die Totaldemokraten. edition suhrkamp, 1998.

Sonntag, 21. Dezember 2008

Hochzeiten und Scheidungen



Er legte sich aufs Bett, sank schon eher darauf.
"Woran denkst du, Jakob?"
"An Hochzeit", sagte er mit bebender Stimme, "an Verbindungen - zwischen Essen und Magen, Leib und Seele. Es ist schwieriger, Leib und Seele unter einen Hut zu bringen, als Mann und Frau. Von dieser Ehe kann man sich nicht mal scheiden lassen. Nur umbringen kann man sich, aber was nützt das? Leib und Seele müssen fähig sein, gemeinsam aufzuwachsen, gemeinsam zu altern, dann sind sie wie zwei arme alte Vögel im selben Käfig, die beide keine rechte Kraft mehr in den Flügeln habe. Der Körper ist schon schwach und hinfällig, die Seele reuig und vergesslich, und voneinander fliehen können sie auch nicht. Nu, was bleibt, ist nur verzeihen können. Das ist die Weisheit, die bestehen bleibt, nachdem all die anderen Weisheiten am Ende sind: verzeihen können. Wenn nicht einem anderen Menschen, dann wenigstens sich selbst verzeihen."

aus: Meir Shalev: Judiths Liebe. Diogenes 1998

Sonntag, 14. Dezember 2008

Montag, 8. Dezember 2008

Der Teufel im Schatten der Türme



Am 6. November fliegt Felix mit Malaysian Airlines zunächst nach Kuala Lumpur, und es ist das erste Mal, dass er Business-Class fliegt. Es ist das erste Mal, dass er sich das leisten kann, da er, nachdem anfangs 2004 auch seine Mutter gestorben ist, von seinen Eltern etwas Geld geerbt hat. Er schenkt sich diese besondere Reise selbst zum fünfzigsten Geburtstag. Felix könnte sich durchaus an ein wenig Luxus gewöhnen. Natürlich ist die Langestreckenfliegerei auch in der Business-Class nicht das reinste Vergnügen, aber viel angenehmer als in der «Holzklasse» ist es natürlich schon, und das nicht in erster Linie wegen des aufmerksameren Service, des Champagners und des besseren Essens, sondern vor allem wegen der viel komfortableren Platzverhältnisse und einem Schalensitz, der sich waagrecht stellen und schon fast zum Bett umfunktionieren lässt. Der Flug verläuft auf diese Weise für Felix also relativ angenehm, auch wenn es, wie immer, etwas irritierend ist, am Nachmittag loszufliegen und elf Stunden später, wenn man so richtig müde ist, am Morgen am südostasiatischen Zielort, in diesem Fall in der malaysischen Metropole, anzukommen. Geschlafen hat Felix im Flugzeug nämlich trotz Schalensitz, einigen Drinks und einer geringen Dosis Beruhigungsmittel praktisch nicht; er leidet immer noch unter Flugangst.
Felix hat zwei Tage in der malaysischen Hauptstadt eingeplant und gönnt sich drei Übernachtungen im «Le Meridien». Eigentlich ist im Stopover-Arrangement der Transport vom Flughafen zum Hotel mit inbegriffen, aber natürlich gibt es im Flughafen von Kuala Lumpur niemanden, der Felix erwarten würde. Wenn er sich vorher informiert hätte, dann wüsste Felix, dass vom Flughafen seit 2002 eine moderne und sehr bequeme Schnellbahn, der KLIA Ekspres, ins Stadtzentrum fährt, und zwar in den Sentral-Bahnhof, den Hauptbahnhof, über welchem als einer der beiden Türme neben dem Hilton das Le Meridien in den blauen Tropenhimmel ragt. Da sich Felix aber nicht informiert hat, nimmt er nicht die Bahn, sondern ein Taxi, das von einem Chinesen gefahren wird, und lässt sich die rund 50 Kilometer durch palmenbestandene Haine zur Stadt chauffieren. Der Chinese erzählt Felix, dass nur etwas mehr als die Hälfte der Malaysier Malaien seien und dass es vor allem viele Chinesen, aber auch eine grosse Gruppe Inder im Land und in der Stadt gebe, drei Volksgruppen, die nicht immer friedlich zusammengelebt hätten. Und er will Felix zudem gleich allerhand zeigen und vermitteln und mit ihm abmachen und überhaupt eine wichtige Rolle im Leben von Felix spielen. Er gibt Felix seine Visitenkarte und Felix verspricht hoch und heilig, den Taxifahrer heute oder morgen abzurufen.
Das Hotel ist der Hammer. Vom Hauptbahnhof führt ein Lift direkt in die pompöse Eingangshalle mit riesigem Kronleuchter und dezenter Piano-Bar. Der kleine Herr Felix staunt wieder einmal mit offenem Mund. Sein Zimmer befindet sich im 28. Stock und bietet durch die imposante Fensterfront, die die ganze Wand einnimmt, einen atemberaubenden Rundblick auf die Skyline der erstaunlich grünen Stadt auf dem gegenüber liegenden Hügelzug, da, wo auch die Petronas-Doppeltürme stehen. Tief unter sich sieht Felix das langgestreckte Gebäude des Nationalmuseums und ein Gewimmel von Autostrassen. In der Nacht verwandelt sich diese Szenerie in ein funkelndes Lichtermeer. Es ist fast schade, ein Hotelzimmer wie dieses überhaupt zu verlassen. Vorerst ist Felix sowieso so müde, dass er sich ein wenig hinlegen will. Nicht lange, bloss so ein Stündchen...

Als Felix wieder erwacht, ist es bereits später Nachmittag – Zeit für einen ersten Bummel durch die Stadt oder doch wenigstens durch die – meist indisch geprägten – Viertel, die nahe beim Hotel gelegen sind. Als es dunkel wird, kauft Felix in einem Wahrenhaus eine Flasche australischen Rotwein, mit der er später von seinem Hotelzimmer aus den Rundblick über die Stadt geniessen will und nimmt dann den gediegenen Service einer Freiluft-Swimmingpoolanlage mit Bars und tropischem Garten im zehnten Stock in Anspruch, der für die Gäste beider Hoteltürme, des Hilton und des Le Meridien, zugänglich ist und von ihnen benutzt werden kann. Felix schwimmt ein bisschen, trinkt an der Bar ein Bier und könnte sich für einmal so fühlen wie die Leute in den amerikanischen Filmen, die immer in solchen Hotels verkehren, aber Felix kommt sich vor allem ein bisschen komisch vor, in einem Zwischenzustand – nicht mehr zu Hause und noch nicht am Ziel angekommen –, der ihn diese Umgebung als ein bisschen irreal empfinden lässt.
Felix schläft dann, nach dem Genuss der Flasche Wein, trotz der Zeitverschiebung und obwohl er eben erst geschlafen hat, ziemlich rasch wieder ein und hat am anderen Tag, den er nicht allzu spät in Angriff nimmt, seinen Jetlag schon fast überwunden. Es gibt ein üppiges Frühstücksbuffet, an dem man es so oder so halten kann – deftig britisch oder nudelig-asiatisch –, mit überaus reizenden und zuvorkommenden Kellnern, die sogar Zeit für ein kleines Schwätzchen haben und alle Nase lang den Tee nachgiessen. Danach hat Felix sich für eine Stadtrundfahrt im Kleinbus angemeldet, an der neben ihm noch etwa fünf Personen aus anderen grossen Hotels der Stadt teilnehmen (ein Paar aus Syrien, mit dem Felix einige Worte wechselt, Japaner, ein paar britische Langnasen sind wohl auch dabei). Es ist bewölkt und ab und zu tröpfelt auch ein wenig Regen aus dem bleigrauen Himmel, dabei ist es drückend heiss, ein Klima wie in einer Waschküche, das einem um den Kopf geklatscht wird, wann immer man dem klimatisierten Kleinbus entsteigt. Sie besichtigen die Sehenswürdigkeiten KLs, wie die Stadt meist genannt wird: Die Petronas Towers, die auch bereits vor dem 11. September 2001 mit 452 Metern höchsten Zwillingstürme der Welt, ragen über einer der grössten Malls Malaysias, des Suria KLCC, in den Himmel. Der umgebende Stadtteil, «Goldenes Dreieck» genannt, bildet den kommerziellen Mittelpunkt der Stadt und ist darüber hinaus Zentrum eines reges Nachtleben – dies trotz streng islamischer Gesetzgebung in diesem Land. Auf dem Dataran Merdeka oder Merdeka Square, dem Platz der Unabhängigkeit, wurde am 31. August 1957, dem Unabhängigkeitstag, erstmals die malaiische Nationalflagge gehisst; zuvor war der grösste Teil Malaysias britische Kolonie gewesen. Der Kleinbus führt unsere kleine Touristengruppe zur Istana Negara, der Residenz des malayischen Königs, des repräsentativen Staatsoberhauptes, der alle fünf Jahre aus den Reihen der Herrscher der neun Sultanate nach dem Rotationsprinzip ausgewählt wird, und zu den Lake Gardens, einem 92 Hektar grossen Park in der Nähe des malaiischen Parlaments, der in früheren Zeiten einem britischen Kolonialvertreter gehörte. Innerhalb des Parks gibt es spezielle Areale für Schmetterlinge, Rotwild, Orchideen und Hibiscus sowie den grössten Vogelpark Südostasiens. Interessant ist auch der alte Bahnhof (Kuala Lumpur Railway Station) im viktorianischen Architekturstil, der 1911 fertig gestellt und im Jahr 2001 durch den neuen Hauptbahnhof (KL Sentral) abgelöst wurde, über den, wie erwähnt, das Meridien und das Hilton ragen. Aktuell dient der alte Bahnhof, ähnlich wie die Grand Central Station in New York, nur noch als Lokalbahnhof für den Nah- und Pendelverkehr. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist das hemmungslos pathetische Nationaldenkmal (Tugu Negara), das die Gefallenen des malaiischen Freiheitskampfes während der japanischen Besatzungszeit und des anschliessenden Notstands (von 1946 bis 1960) ehrt. Da in Kuala Lumpur, wie gesagt, viele Chinesen und Inder leben, gibt es in der Stadt eine grosse China Town mit einem Chinese Night Market, einen indischen Markt und einige interessante Hindutempel. Als koloniales Erbe findet sich in KL auch eine anglikanische Kathedrale, dominante Religion ist aber natürlich der Islam, weshalb Moscheen wie die Masjid Jamek oder die postmoderne Nationalmoschee (Masjid Negara) im Stadtbild von zentraler Bedeutung sind. Dem malayischen Nationalmuseum (Muzium Negara), das Felix von seinem Hotelzimmer aus tief unter sich winzig klein wie ein Merklin-Modellhaus sehen kann, statten sie ebenfalls einen Besuch ab.
Im Internet hat Felix recherchiert, dass Homosexualität in Malaysia eigentlich gesetzlich immer noch verboten ist. Es lassen sich im Netz aber trotzdem ein paar Lokale und Treffpunkte ausfindig machen, unter anderem ein Lokal mit «Massage-Boys». Felix fährt mit der Hochbahn ins Zentrum hinüber, aber irgendwie gelingt es ihm nicht, die Adresse mit diesem Laden zu finden. Als Felix dann so orientierungslos in der Gegend herumstoffelt, wird er von einem der unvermeidlichen Taxifahrer KLs angesprochen, dem Felix erklärt, was er sucht – aber offenbar nicht deutlich genug. Zwar bringt der Taxifahrer Felix an einen Ort, wo Mann sich massieren lassen kann, aber es sind ausschliesslich junge Mädchen zugegen, worauf Felix auf diesen Service dankend verzichtet und sich wieder dem Komfort seines Hotels hingibt.

Schliesslich soll Felix sich ja morgen auch mit seinem Liebsten, Aluk, treffen, mit dem er inzwischen seit über einem Jahr nach kantonalzürcherischem Recht verpartnert ist, wie das so schön heisst; Felix ist mit seinem Freund also quasi verheiratet, was einerseits damit zu tun hat, dass Aluk nun ganzjährig in der Schweiz leben darf, andererseits aber auch damit, dass Felix dies ganz altmodisch als partnerschaftliche Verpflichtung versteht.
Anderntags hat Felix noch einmal etwas Zeit für einen Stadtbummel, denn sein Weiterflug nach Bali ist erst auf 15 Uhr vorgesehen. Er treibt sich in gigantischen Konsumtempeln herum, deren eines den für ein Einkaufszentrum eigenartigen Namen Setan (Teufel) trägt, und möchte dann auf die Aussichtsplattform der Petronas-Türme, aber der Zugang zu ihr ist den ganzen Tag für Schulklassen reserviert. Dass das Einkaufszentrum quasi ein Konsumtempel ist, der dem Teufel gewidmet sein soll, hat seine fast biblische Folgerichtigkeit.