Dienstag, 16. Juni 2009

Traurige Jäger. Die neuen Abenteuer der Don Quichotte und Sancho Pansa. Ein Fortsetzungsroman



Prolog

Die Nacht ist dick und schwarz und samtig warm. Ich habe die Ränder der Stadt hinter mir gelassen, bin den Sicherheitskräften der Gesundheitsbehörden noch einmal entkommen. Ich befinde mich jetzt auf einer Wiese oder in einem Park, ab und zu lassen sich die Umrisse von Büschen und Sträuchern erahnen. Vielleicht fünfzig Meter vor mir duckt sich eine Hütte, ein Schuppen oder ein Stall in eine Senke hinein. Mein Hirn ist ganz leer: Ich fühle keine Angst mehr und keine Wut. Nur diese lähmende Müdigkeit, die mich an allen Gliedern in die Erde hineinzuziehen versucht. Ich muss ein wenig schlafen, eine Stunde nur. Da kommt mir die Hütte wie gerufen. Steht da wie ein Geschenk Gottes und hat die ganze Zeit auf mich gewartet, fünfzig Jahre oder hundert Jahre, seit sie erbaut worden ist. Wie tröstlich. Jemanden oder etwas zu haben, das auf einen wartet, ist bei aller Reisegewandtheit, Weltbürgerlichkeit, Ungebundenheit doch etwas Schönes. Es müssen ja nicht immer die knastähnlichen Spitäler, die zellenähnlichen Krankenzimmer der Gesundheitsbehörden von Misericordia sein. Der Gott dieser Wiese wird es nicht zulassen, dass mein Schlaf vom Licht der extrapotenten behördlichen Taschenlampen brutal entzweigerissen wird. Der Schlaf sei ewig, das Erwachen gewiss. Die Nebelfetzen wachsen in meinen Kopf hinein. Ich taste mich an den Wänden der Hütte entlang, um die Tür zu finden.

Ich lasse mein Feuerzeug anschnappen. Das Innere der Hütte ist im Schein der flackernden Flamme leer bis auf ein undefinierbares Bündel, das in der Mitte des Raumes auf dem Boden liegt. Eine halbvolle Flasche, gefüllt mit einer irgendwie gearteten Flüssigkeit, rotem Wein zum Beispiel, wie das rubinrote Aufblinken im Flammenschein nahe legt. Einen Kerzenstumpf. Ein paar Zeitungsblätter, die verstreut herumliegen. Das wird nun also mein Bett sein in dieser Nacht, mein Prokrustesbett. Ich setze die Flamme an den Kerzendocht. Mache mich daran, Bündel und Flasche einer Prüfung zu unterziehen, denn im sonst leeren Raum sind liegendes Bündel und stehende, mit einer rot blinkenden Flüssigkeit gefüllte Flasche natürlich eine Sensation. Ich berühre das Bündel und rieche an der Flasche. Ich rieche am Bündel und berühre die Flasche. Ich lege an beides, Bündel und Flasche, mein Ohr. Das Bündel ist warm und bewegt sich jetzt. Ausserdem beginnt es zu sprechen, das heisst zu murmeln und undeutlich zu fluchen. Ich erstarre vor Schreck.
«Was willst du hier?» höre ich fragen. «Warum lässt du mich nicht schlafen?»
«Verzeihung», antworte ich, «aber der Zufall, ich schwöre es, hat mich zu dieser Hütte geführt. Oder die Versuchung. Es schien mir nämlich so, als würde die Hütte mich erwarten. Wunschvorstellung auf der Flucht, was solls.» Ich seufze.
Im Kerzenschein zeigt sich jetzt das ausgemergelte Gesicht eines jungen Mannes, der mich mit grossen Augen betrachtet.
«So, hinter dir sind sie also auch her», sagt er befriedigt.
««Ach, bin ich kaputt», antworte ich.
«Da, nimm einen Schluck, das wird dir gut tun.»
Ich trinke gehorsam. Die rubinrote Flüssigkeit schmeckt tatsächlich wie roter Wein. Billiger roter Wein.
«Die Welt», sagte der junge Mann, der dem Bündel entstiegen ist, «ist komisch – komisch im Sinn von seltsam und komisch im Sinn von lustig oder zum Lachen reizend. Und wir hocken auf ihr wie die Flöhe im Fell eines Affen. Oder vielmehr einer Äffin. Die Flöhe können der Äffin nichts anhaben: höchstens sind sie manchmal ein wenig lästig. Allerdings geben sie auch Anlass zu dem köstlichen Vergnügen, sich vom Lieblingsaffen lausen und flohen zu lassen. Oder selber den Lieblingsaffen zu lausen und zu flohe, wobei man als Dessert dann erst noch die Opfer der Jagd genussvoll verspeisen kann. Wobei ich natpürlich nicht behaupten will, dass Läuse und Flöhe besonders gut schmecken.»
«Und wir», will ich wissen, «sollen die Läuse und Flöhe im Fell der Äffin sein? Aber ich bitte dich, das ist doch lächerlich! Haben wir nicht die Naturgewalten gebändigt, das Atom gespalten, sind wir nicht in die Weiten des Alls gereist? Waren wir nicht wahrhaft biblisch und haben uns die Pflanzen und Tiere untertan gemacht, auf dass sie sich in – amerikanisch – saftige Steaks oder – französisch – ein Baron d’agneau de lait oder – indonesisch – ein Ayam campur verwandelten? Das ist Kultur, Mann! Dass am Schluss dann alles wieder zu Scheisse wird, liegt in der Natur der Sache. Das Fäkalische ist nun mal die Kehrseite des Kulinarischen.»
«Das hast du schön gesagt. Wir bleiben aber trotzdem die Flöhe und die Läuse im Pelz der Äffin, das lässt sich mit aller Kultur nicht ändern. Ist ja auch nicht weiter schlimm. Wir haben das Glück unserer Hormone. Und das Glück unserer Vergesslichkeit. Manchmal ist uns im Fell der Äffin auch ganz einfach warm. So richtig gemütlich. Dass uns dereinst der Lieblingsaffe lustvoll runterschmatzt – was solls? Das dient schliesslich auch dem Nahrungskreislauf.»

Es bleibt eine Weile still. Dann greifen wir beide gleichzeitig nach dem Hals der inzwischen nur noch zu einem Viertel vollen Flasche. Der anerzogene Höflichkeitsreflex ist stärker als die Gier, beide ziehen wir die Hand zurück. Ein peinliches Spiel. Ich bemerke, wie ungewollt ein verlegenes Lächeln auf meinem Gesicht erscheint. Er lächelt gepeinigt zurück. Unsere Hände nähern sich in regelmässigem Rhythmus der Flasche, zucken vor ihrem Hals, als wäre der elektrisch geladen, zurück. Schliesslich geben wir es auf, die Flasche bleibt, noch einmal unbetrunken davongekommen, gewissermassen, stehen, wo sie ist.

Der Film zerfliesst, die Gegenwart ist kein Gefängnis mehr, dem man nicht entrinnen kann. Die Mauern der Vergangenheit und der Zukunft öffnen sich, von meinem Bauch aus macht sich siedendheiss eine überwältigend allgemeine, grund-lose Trauer in mir breit, greift wie eine Welle wie über mich hinaus. Ich weiss, dass diese Hütte ein Kastell ist; so muss es auf jeden Fall sein, wenn alles seine Ordnung haben soll. Dass ich Don Quichotte bin, obwohl ich keinen Bart und keine Rüstung und keine Bartschüssel als Helm trage, steht ausser Zweifel. Und jener dort ist Sancho Pansa, mein guter schlauer verfressener Sancho. Wunderbar. Jeder weiss, wo er in dieser Geschichte hingehört. Das nenn ich Heimat, das nenn ich Glück.

Der Film beginnt wieder zu laufen, der andere Film, der mit den farbigen Bildern und mit Geräuschen, die jemand erzeugt, der hastig eine Flasche leer trinkt. Der junge, grossäugige Mann wirft die Flasche mit überraschender Kraft in eine dunkle Ecke der Hütte, die Tonspur gibt im passenden Moment ein ziemlich lautes, klirrendes Geräusch von sich. Der junge Mann streckt aggressiv seinen Zeigefinger in meine Richtung.

«Es geschieht dir übrigens recht, dass du in dieser elenden Hütte gelandet bist, ein Verfolgter der misericordianischen Behörde bei einem Verfolgten der misericordianischen Gesundheitsbehörde. Du bist an allem, was dir passiert, selber schuld.»

Ich mag darauf nicht antworten. Ich bin müde.

«Denn vielleicht», fährt er rücksichtslos weiter, «warst du ja in der so genannten Vergangenheit ein Monster: die Verkörperung der Boshafftigkeit. Eine Drecksau. Ein Scharfrichter. Ein Folterer, ein Massenmörder, ein Schlächter, ein Nazi, ein Diktator, ein Verräter, ein Tyrann. Oder aber einfach nur ein mieser kleiner Ganove und Verbrecher, ein Hlefershelfer und Scharfrichter, ein Befehlsempfänger und lakai, ein Feigling, ein Denunziant, ein Opportunist und Profiteur. Und die stecken alle noch in dir wie die Puppen in der russischen Puppe. Ja, so wird es sein.»

Die grossen Augen des jungen Mannes glänzen befriedigt. «Und an all dem bist ja vermutlich nicht einmal selber schuld. Es ist das Regiment deiner Instinkte, deiner Gene, das aus dir spricht.» Hätte ich ihn doch nur in seinem Bündel gelassen, denke ich ärgerlich. Ich bemerke, dass ich friere.

«Du denkst wohl, er werde einmal abgetragen sein, der Berg aus Schicksal, den du mit dir herumschleppst? Weit gefehlt! Es gibt nämlich auch ein Karma, das aus der zukunft in die Vergangenheit wirkt. Du leidest jetzt für Untaten, die du erst noch begehen wirst. Ziemlich gemein, oder? Zeit und Raum und wir, die wir in Zeit und Raum geworfen sind, und Ursache und Wirkung, das alles bildet einen Klumpen, eine komplexe Einheit. Wir meinen zu fliehen. Wir meinen, dem entgegenzurennen, was wir als scheinbaren Streifchen Horizont am Himmel interpretieren, weil wir es so ersehnen, erhoffen oder weil wir vielmehr die Hoffungslosigkeit nicht ertragen. Aber die Hoffnungslosigkeit ist genau so irreal wir die Hoffnung, ein reines Hirngespinst wie fast alles, was der Mensch als bare Münze zu nehmen sich herausnimmt.»

Ich bin müde, so müde. Die Reden des Irren erschrecken mich nicht, sie langweilen mich bloss und schläfern mich ein. Wie lange ist es jetzt schon her, seit ich die Grenzen Misericordias passiert habe und seither ganz ohne Schlaf auskommen musste? Natürlich, ich bin selbst schuld, an allem selbst schuld, von mir aus. Ist mir doch scheissegal. Ich schliesse die Augen.

Vielleicht bin ich tatsächlich nur Gedanke im Hirn eines Gottes, oder Traumfetzen, aber was heisst da schon Gott, Hirn, Gedanke, Traum; und vielleicht ist dieser «Gott» auch wieder nur ein Gedanke oder Traumfetzen im Hirn eines anderen Gottes, oder vice versa. Und vielleicht werden auch aus meinen Traumfetzen und Gedanken Welten geboren, vielleicht sind auch sie wieder Götter, die neue Kinder gebären, ganz aus sich selbst heraus. Sie fallen aus dem weichen Mutterschoss ins leere All, ein Klümpchen Kraft in einer immensen Leere.

Ich lege mich nieder, flach auf den Boden, fröstelnd. Meine Gedanken verselbstständigen sich, werden zu einer Musik, absichtslos, aber unendlich tröstlich, der Moment des Einschlafens ist wie Heimkommen, eine kleine Erlösung. Bevor das Licht der Kerze erlöscht, sehe ich, wie der junge Mann wieder zu einem Bündel auf einem Boden wird. Ich wollte es erkunden mit meinen Sinnen, ertasten mit meinen Händen, erlauschen mit meinem Ohr. Doch jetzt ist es nur ein leeres Bündel auf dem Boden, ein schwarzes Ding in einem schwarzen Ding…

Donnerstag, 11. Juni 2009

Die Rückkehr

Es war an einem gewöhnlichen Samstag Ende April, die Sonne schien und das Laub an den Bäumen war von einem frischen Grün und sah fast gesund aus. Felix war zusammen mit seinem Freund, einem Studenten der Pharmazie, unterwegs: per Fahrrad. Man schrieb das Jahr 2017. Zu jener Zeit war es ein fast schon extravagantes Unternehmen, sich mit dem Velo auf die Strassen zu wagen. Sie sassen und strampelten auf alten rostigen Rädern aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die waren der letzte Schrei und nicht ganz billig. Modemässig hingegen war man mit der Reminiszenz bereits zehn Jahre weiter und trug wieder synthetische Hemden mit grossen Kragen und Hosen mit ausgestellten Beinen. Sonst aber war nichts mehr wie damals. Die Zentren waren immer mächtiger geworden und hatten schliesslich fast das ganze Hinterland verschluckt, so dass die ehemalige Nation sich als einzige Agglomeration der grossen Stadt präsentierte, die aber noch immer nicht über ihr eigentlich provinzielles Niveau hinausgekommen war. Die Luft war giftig, denn noch immer hatte man es nicht geschafft, die Autos abzuschaffen. Doch die beiden Freunde waren guten Muts, der Apotheker hatte ein paar Tabletten Dexedrine besorgt, zudem waren sie frisch ineinander verliebt. Zwischen den Strassen und Schnellbahnlinien gab es Inseln mit Wäldern und Wiesen mit richtigen Kühen, Reste von Dörfern, regelrecht ausgestorben, leergefegt und langweilig, vereinzelt fanden sich Pubs und Take-Aways, Leute sassen unter Schirmen an Plastiktischchen und tranken Kaffee, Coca Cola oder Bier, schenkten sich mit trägen Augen Blicke oder auch nicht oder schauten bloss der Katze zu, die elegant über irgendein Geländer schritt. Eine ältere Dame mit Hut las in einer solchen Gastwirtschaft ein Buch über Astrologie. UIn einem Dorf sassen Jugendliche auf ihren Mofas und warteten in der Sonne, bis die Diskothek ihre Türen öffnete, die sich im Keller eines Pubs befand. Dann führte die Strasse durch eine Ebene, die weniger dicht besiedelt war, aber umso intensiver landwirtschaftlich genutzt wurde; diese Gegend war berühmt für ihre Gefängnisse. Der Freund, den sie besuchen wollten, war ein nicht mehr ganz junger Student, der Blumen aus Südamerika ausfuhr und alten Damen viel Freude bereitete.

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Felix musste mal. Man hatte viel geplaudert, gar philosophiert, einiges an Wein getrunken. Felix war müde, und die Deckel fielen ihm fast über die Augäpfel, während er schiss. Er fühlte sich wohl, entspannt, fast glücklich, er wollte nichts hinzu und nichts weg, kein Plus und kein Minus, er baumelte mit den Beinen, die wie junge Bäume waren, spürte, wie sich eine weitere Wurst in harmonischem Gleiten aus seinem Hintern löste. Er pfiff eine leise Kindermelodie vor sich hin. Er patschte mit den Händchen auf die Oberschenkel, deren Haut wie Pfirsich war.

Als er auf die Füsse sprang, fiel ihm etwas auf: Das fühlte sich nach Erinnerung an, war aber nicht zu benennen. Das fühlte sich an wie ein gewaltiger Schrecken, hatte Ähnlichkeit mit dem Moment des Erwachens: im Schlaf ist alles so mild und weich, kein Traum ist unausweichlich... Er tastete. Er griff zur Türfalle hoch. Er schaute zurück ins Badezimmer. Die Dimensionen der Objekte hatten sich verschoben. Das dachte er nicht, das war die unbarmherzige Meldung seiner Nervenenden, die direkt an die Zentrale weitergleitet wurde, um von dort ihren Rückstoss in alle Organe zu erfahren. Der Spiegel über dem Waschbecken hing weit oben. Die Kloschüssel war unnatürlich gross, der Raum war weit und hoch. Dies wollte er nicht wahrhaben: Er kniff die Augen zusammen, bis das Bild, das er sah, mit dem Bild seiner gewohnheitsmässigen Wahrnehmung verschwamm.

Er fühlte sich alleingelassen. Er wollte zurück in die vertrauten Koordinaten. Er hörte Stimmen: Er hörte die Stimme seiner Mutter, seines Vaters. Bilder sah er und Töne hörte er und Gerüche überfielen ihn, wie sie sich einem Blinden, einem Tauben: wie sie sich einem Menschen ereignen, der seiner Sinne beraubt ist und halluzioniert – fern, so fern… Er öffnete mit Anstrengung die Tür, blieb stehen und roch. Der Geruch! Dieser Geruch war unanständig, ein Totengeruch. Er wollte seine Freunde sehen, er wollte sich ein grosses Glas Wein die Kehle runterjagen, ein riesengrosses Glas Schnaps, er wollte diesen Geruch mit dem Abendgeruch seines Geliebten vertauschen.

Es riecht nach alten Frauen und Biskuits, die schon lange in verschlossenen Blechbüchsen leiden. Er taumelt, er greift sich mit einer komisch erwachsenen Geste an die Stirn, er sieht eine Hand, die nicht die seine ist, es ist eine Kinderhand, die aus einer Risswunde blutet. Eine alte Frau kommt auf ihn zu und sagt auf französisch: Oh mein Gott! Mon Dieu, was hast du wieder gemacht, du dummer, ungeschickter Junge, du machst alles schmutzig!

Er beginnt zu schreien, als die fremde Frau auf ihn zukommt, drohend, gross, mit bösem Blick. Hände packen ihn und es nützt nichts, dass er strampelt, um sich beisst. Die Stimme der fremden Frau sagt auf französisch, auf englisch, auf russisch, auf polnisch, auf deutsch: Wart nur, bis Papa kommt! Dann wird er in ein schwarzes Zimmer gesperrt, in ein schwarzes Bett gepackt, in ein schwarzes Loch gesteckt.


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Da reisst eine der alten Frauen die Tür auf und mit ihr stürzt unbarmherzig die Morgensonne in den Raum. Sie reisst die Decke von seiner geschwellten kleinen Grösse und zerrt ihn gutgelaunt ins Bad, das Bad mit der grossen Kloschüssel und dem Spiegel, der so weit oben über dem grossen Waschbecken hängt, wo sie kalte Waschungen an ihm vornimmt. Selbst in diesem Bad riecht es jetzt sehr angenehm und gegenwärtig nach frischem Kaffee. Ob Kinder in seinem Alter wohl schon Kaffee bekommen? Ihm fällt ein, dass er nicht weiss, welches Jahr man schreibt. Es ist Zeit, in die Schule zu gehen, sagt die Frau.


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In der Schule sitzt er in der dritten Reihe, neben Wolfgang. Immer wieder schaut er verstohlen nach links zu seinem Kameraden. Felix kommt sich nackt vor und schämt sich, weil er schon wieder einen Steifen hat. Es ist ihm, als würden Käfer auf der Haut seines Körpers spazieren gehen. Es sind kleine schwarz leuchtende Käfer, er sieht sie auf den Händen herumkrabbeln, die vor ihm auf dem Pult liegen. Die Materie, sagt der Lehrer vorn, besteht zur Hauptsache aus nichts. Der Lehrer, dessen Körper gross, schlank, kräftig und schwarz behaart ist, trägt nichts als einen knappen goldfarbenen Slip, unter dem sich eine halbe Erektion abzeichnet. Wolfgang steht jetzt neben dem Lehrer und streichelt ihm die Oberschenkel. Wolfgangs Augen leuchten und sein Mund ist sehr rot. Felix friert. Da dringt ein feuchtheisser Dampf durch die geöffneten Fenster ins Schulzimmer. Ob etwas gross oder klein zu nennen ist, doziert der Lehrer, während Wolfgangs eine Hand im Slip des Lehrers verschwindet, hängt immer davon ab, womit man es vergleicht. Felix bemerkt, dass er sich allein in dem Schulzimmer befindet, allein mit Wolfgang, dem Lehrer und dem Dampf. Zum Beispiel die Welt, fährt der Lehrer fort, während sich Wolfgangs blutroter Mund über den Schwanz des Lehrers stülpt, die Welt ist klein, unendlich klein, wenn man sie mit dem Universum vergleicht, aber sie ist zugleich auch unendlich gross, wenn man sie neben ein Atom stellt: so hängt alles zusammen. Felix fühlt sich schwer. Er würde gerne etwas sagen, fragen, tun, aber es ist zu schwer, die Beine sind zu schwer, die Zunge ist zu schwer. Er würde gerne die Käfer von seinem Körper wegwischen, aber auch seine Hand ist zu schwer. Wolfgang sitzt wieder neben ihm, der Lehrer steht vorn, angekleidet, der Dampf ist weg. Der Lehrer sagt: Felix, komm an die Tafel. An die Tafel ist ein Auge in ein Dreieck gezeichnet. Felix denkt: Ich kann doch nicht. Die Käfer. Und ich bin nackt. Und ich habe einen Steifen. Drohend sagt der Lehrer: Felix. Und dann noch einmal, ganz langsam: F e l i x. Hilfesuchend ergreift Felix Wolfgangs Hand, doch dieser entzieht sie ihm unwillig. Das Auge starrt Felix an.

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Die feuchte Kälte dringt durch seine Kleider. Es riecht nach verfaultem Gras. Der Himmel ist grau, aber dennoch zu hell für seine an die Dunkelheit gewohnten Augen. Ich muss in die Stadt, denkt Felix: Die Stadt bei Nacht, das ist mein Revier. Er steht auf, der Rücken tut weh, der Kopf tut weh, der Atem brennt in den Lungen, er hat sich bestimmt erkältet; aber das macht nichts, denn in der Stadt gibt es Medikamente gegen alles. Vor sich sieht er sinnlos eine morsche Brücke zwischen zwei kahlen Bäumen hängen.

Felix prügelt sich vorwärts wie einen müden Esel. Auf seinem Rücken hocken gleich drei: nämlich die Angst vor dem Tod, die Angst vor dem Leben und die Angst vor der Angst. Er kann sie nicht sehen, aber er hört sie singen zu dritt: Grüss mir Neapel, grüss mir Mumbai und grüss mir New York! Und jetzt hüscht und hott!

Endlich liegt die Stadt vor ihm und hat die Form eines riesigen menschlichen Hirns. In dieses Hirn führt ein Gewirr von Strassen, Schnellbahnlinien, Flugschneisen, Tunnels. Aus dem Hirn heraus quillt unsichtbar ein Brei aus Lärm, heulen Sirenen, gellen Schreie, bellen Schüsse. Irgendwie muss er jetzt durch dieses Durcheinander hindurch, mit geschlossenen Augen, verstopften Ohren und blindem Vertrauen, denn irgendwo tief innen, im Herzen des Hirns, wohnt der Geliebte und wartet, er hat den Löffel mit der Medizin in der Hand, er ist da: für eine Nacht, eine Stunde, einen Atemzug.

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Mein Herr, sagte der Herr zu Felix, sie liegen falsch. Wir sind hier ein Amt der Stadtverwaltung und zuständig für Zivilstandsänderungen, Todesfälle, Hallenbäder, Kehrrichtverbrennung, die Polizei, den Tierpark und das offizielle Verkehrsbüro. Wenn sie etwas verloren haben, dann müssen sie schon aufs Fundbüro. Das Fundbüro finden sie auf dem Fundbüro. Was suchen Sie? Das, was vorher die Löcher im Mantel Ihrer Existenz ausmachte? Ihren Herzallerliebsten? Einen Traum, eine Insel? Eine Morphiuminjektion? Aber ich bitte Sie! Sie kennen sich nicht mehr aus in den Möglichkeiten und den Wirklichkeiten? Die Gegenwart ist ihnen abhanden gekommen, der ewige Moment? Das Amt für Zeitfragen, mein Herr, ist in den Ferien, jämmerlich ersoffen in einem südlichen Meer. Sie sind ein Hund? Und suchen nach dem Knochen unterm Eis? Der Knochen schmilzt, der Hunger bleibt.

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Wolfgang ist sehr elegant gekleidet. Mein Gott, ist der elegant gekleidet, denkt Felix. Es geht mir gut! sagt Wolfgang, ich habe alles, was man sich wünschen kann: einen Rolls, ein Schloss in Frankreich, ein Privatflugzeug, süsse Mädchen, geile Jungs, ich reise viel, jawohl, betätige mich auch sportlich, schnupfe Kokain. Schmerzen und unangenehme Gefühle gibt es bei mir nicht: Gegen jedes Übel habe ich ein Mittelchen bereit; ich bin Apotheker, du erinnerst dich.
Weisst du, sagt Felix, dass ich damals, als wir noch zusammen zur Schule gingen, in dich verliebt war?
Wolfgang lacht: ist das aber süss! Nein, du warst auch gar zu unansehnlich mit deinen Pickeln! Aber ich mochte dich, weil du so gutmütig warst.
Ich was nicht gutmütig! Ich war ein Teufel, ein reissender Wolf!
Ja,, lacht Wolfgang, das bist du ja wohl heute noch: Felix, der reissende Wolf! Haha! Das müssen wir begiessen: ich habe Medizin für dich. Du wirst dich grossartig fühlen, wenigstens für den Moment. Wenn du willst, kann oich auch einen Jungen für dich besorgen –
Oh ja, sagt Felix, dem der Gedanke an den Drink schon in den Kopf gestiegen ist, besorge mir einen Jungen!

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Es war an einem gewöhnlichen Samstag Ende April oder Anfang Mai, die Sonne schien jedenfalls und hatte einen Grünstich. Felix ist zusammen mit seinem Traumprinzen, den ihm Wolfgang besorgt hat, unterwegs: im allermodernsten Traummobil. Dies in einem Jahr, kurz wie ein Tag oder kürzer, einem Jahr wie ein Schiff, wie ein verlotterter Kahn, der am Auseinanderbrechen ist und den Namen “Vergessen” trägt. Zu jener Zeit ist es durchaus in Mode, im Traummobil unterwegs zu sein. Es besteht keine Gefahr, jemandem zu begegnen, dem man nicht begegnen will. Die Milchstrasse ist ein Quartier. Nichts verspricht anstrengend zu werden. Man braucht nicht zu reden. Man braucht nicht einmal zu atmen. Und schon gar nicht braucht man sich zu berühren. Es gibt keine Terrassen und keine alten Damen und keine Astrologie mehr: der Tierkreis ist zu einem Punkt geschrumpft.

Die Ebenen haben sich quer gestellt und die Dörfer sind weggeruscht, ich weiss nicht wohin. Die Diskotheken aber tanzen in den Diskotheken mit den Gefängnissen langsam den letzten Tango von Paris.

Freitag, 5. Juni 2009

Jugend, das ferne, fremde Land




Es war einmal ein alter Mann, der lebte in einem grossen dunklen Haus, das in einem grossen, verwilderten Garten am Rande der Stadt stand. Da lebte er und wartete – und wusste eigentlich nicht, worauf er wartete. Auf den Tod? Nein, auf den Tod braucht man nicht zu warten, der kommt von allein. Auf die Königin? Wohl möglich, aber die Königin war aus einem Märchen und er ein alter Mann, kein Prinz. Obwohl er also nicht wusste, worauf er wartete, waren seine Sinne doch innerlich stets gespannt auf ein noch unbekanntes Ereignis, das, wie er wusste, ohne Zweifel irgendwann eintreten musste.

Er vertrieb sich die Zeit des Wartens damit, dass er Zeitungsbilder sammelte und sorgfältig in grosse schwere Alben einklebte, Bilder von ineinander verkeilten Autowracks, sich küssenden Staatsoberhäuptern, zerbombten Häuserzeilen, strahlenden Schönheitsköniginnen, Feuerwehrleuten am Unfallort beim Abtransport beschädigter Fässer mit chemischen Substanzen und so weiter.

Das war der einzige Kontakt des alten Mannes mit der ihn umgebenden Welt. Schon seit Jahren war er nicht mehr aus Haus und Garten herausgekommen. Ein Diener, der fast ebenso alt war wie er und zudem taub, sorgte für sein leibliches (und wohl auch ein bisschen für sein seelisches) Wohl. Die beiden, Diener und Herr, kannten sich so gut, dass sie in ihrem gegenseitigen Verkehr auf Worte verzichten konnten.

Wie der alte Mann in das grosse dunkle Haus überhaupt gekommen war und damit zu seiner abgeschiedenen Lebensweise, das wusste er selbst nicht mehr recht, das lag wie in einem Nebel weit hinter ihm zurück. Und jenes ständige untergründig lauernde Warten auf das nicht zu benennende Etwas, das er kommen fühlte, drängte das Vergangene oder die Erinnerung an das Vergangene wohl noch weiter in diesen Nebel hinein.

Wenn man ihn nach diesen Dingen gefragt hätte – nach dem Woher und Warum –, dann hätte er wohl geantwortet, dass das Schloss, wie er das grosse Haus für sich nannte, der Königin gehört habe, die Königin aber längst gestorben und mit ihr jeder Glanz der Welt verschwunden sei. Seither sei alles wie tot und leer. Er wolle nur noch in diesem Haus leben, weil hier das reich der Königin, in immer enger und enger werdenden Kreisen, ihre letzte und höchste Konzentration gefunden habe, bis die Königin ins Nichts verschwunden sei. Und dann, nach dieser ungewohnt langen Rede, hätte sich der alte Mann erneut mit der Lupe über die aufgeschlagenen Zeitungen und die grossen Alben gebeugt, ab und zu einen Schluck von dem Wein nehmend, den der alte Diener vorsorglich in einer Karaffe bereitgestellt hat.

Eines Tages, der Diener hatte ihm soeben einen neuen Stapel Zeitungen gebracht, sass er wieder an seinem Tisch und blätterte und schaute, aber nur ganz obenhin, denn er war heute noch tiefer als sonst in den alt bekannten Zustand des Wartens versunken. Er schaute wie aus einem tiefen Brunnen aus sich heraus. Im Hintergrund des Zimmers tickte die Standuhr lauter als sonst.

Der alte Mann hält mit Blättern inne. Einem ganzseitigen Inserat vor seinen Augen gelingt es, die in dem tiefen Brunnen des Innern hockende Aufmerksamkeit des alten Mannes hervorzulocken. Da heisst es in fetten Lettern: BESUCHEN SIE DAS LAND DER JUGEND; DAS FERNE FREMDE LAND. Darunter ist in fast fotografischer Genauigkeit das Bild eines nackten Kindes zu sehen, das vom Betrachter weg auf das Meer zu rennt, der riesigen rotgedunsenen Abendsonne entgegen. Nähere Auskünfte, stand da noch, erhalten Sie in einem unserer Büros der Firma «Abenteuerreisen für Jedermann».


Der alte Mann schüttelt den Kopf, schneidet dann aber doch mit seiner grossen Schere das Inserat aus der Zeitung heraus und hält es es eine Weile unschlüsssig in der Hand. Er weiss nicht, wo er es einkleben soll. Schliesslich legt er das Blatt einfach vor sich auf den Tisch und trinkt den letzten Rest Wein aus dem Glas.


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In dieser Nacht hat der alte Mann einen ungewöhnlichen Traum. Es beginnt wie immer mit den Bildern aus den Zeitungen, die sich aus ihrer Erstarrung lösen und mit Leben zu füllen beginnen und an seinem innern Auge vorbeiziehen wie ein Film. Und dann langt er im Traum bei dem Inserat mit dem nackten Kind an, das er zwar herausgeschnitten, dann aber nicht, wie es seine Gewohnheit ist, in eine Ordnung gebracht, sondern unerledigt hat liegen lassen.

Und nun sieht er sich im Traum seit langem zum ersten Mal wieder durch die Strassen der Stadt gehen und nach dem Reisebüro suchen. Aber niemand, den er fragt, kennt die Firma «Abenteuerreisen für Jedermann». Der Alte findet das Gehen durch die Strassen sehr anstrengend. Die Stadt hat sich, seit er sie das letzte Mal gesehen hat, ziemlich verändert, hat grössere und gröbere Dimensionen angenommen, ist bunter und lauter und schneller geworden und hat einen intensiven, wenig angenehmen Geruch angenommen.

Da steht er aber plötzlich in einem angenehm dämmrigen Raum und die Geräusche der Stadt ebben zurück. Der alte Mann steht still, fühlt, wie ein kühler Hauch den Schweiss von seiner fiebrigen Stirn trocknet. Vor ihm sitzt in einem grossen Sessel ein Mann mit langem weissem Bart, dessen Gestalt in ein weites, rotes Gewand gehüllt ist. Sankt Nikolaus oder der Liebe Gott. «Was willst du, mein Sohn?» hört er aus dem bärtigen Gesicht eine gütige Stimme sprechen. Aber der alte Mann weiss nun nicht mehr, was er gewollt hat, er steht nur da und fühlt sich endlich, endlich von diesem dumpf untergründigen Gefühl des Wartens befreit. Wie wenn man sich nach einer Wanderung der Last eines schweren Rucksacks entledigt und nur noch den Gegendruck, mit dem man sie bewältigte, wahrnimmt, spürt er die Abwesenheit dieses Gefühls, und die plötzliche Leichtigkeit des Seins ist schier unerträglich. Er fühlt sich von Wirbeln gepackt und in die Luft gehoben, jetzt sieht er die Stadt und auch das Schloss am Rande der Stadt von oben und von weit weg, als würde er durch ein verkehrt gehaltenes Fernrohr blicken. Und wird kleiner und kleiner, bis alles verschwunden und nichts mehr übrig geblieben ist.


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Als er erwacht, liegt er in einem grossen, weichen Bett, und seine kleine Hand liegt vor ihm auf dem rot karierten Kopfkissen. Sein Haar ist noch immer nass vor Angst, aber die Mutter, die Königin, sitzt bei ihm und sagt: «Es ist ja alles gut, mein kleiner Engel, du hattest Fieber und einen schlechten Traum. Hier, trink den Tee, ich habe ihn dir mit Honig gemacht, dann wirst du wieder bald gesund.» Und sanft streicht sie dem Knaben übers Haar.

Dienstag, 2. Juni 2009

Der goldene Adler



Ich träume.
Vor dem Hintergrund eines dunklen Waldes oder im Wald selbst auf einer Lichtung kommt es zu seltsamen Verwandlungen, deren Ergebnis schwer definierbaren Figuren sind; aber die Verwandlung scheint immer im Gang und nie vollendet zu sein, Vögel entwachsen den Zweigen, Raubkatzen dem Gebüsch, Hunde dem Erdboden, indes die Frauengestalt in Strauchwerk und Baum übergeht.
Ein Zustand ohne Leiden, ohne Freude, ohne Schmerz, ohne Ziel, ohne Warten.
Der Mutterboden der Existenz, gross und weit und warm und fraglos richtig.
Ich seh die Landschaft, Ufer des Flusses, Hügel und Ebenen, aus irgendeinem verlassenen Raum heraus, allein mit nichts als ein paar übrig gebliebenen Geräten ohne Funktion: Heimat meiner Kindheit. Stets wechselnde Landschaft unter einem wechsellos blauen Himmel, und sie erscheint mir immer wieder neu, als sähe ich sie zum ersten Mal, unbetretbar ist sie und voll tiefer Melancholie.
Ich wechselte ständig die Orte, immer alles zurücklassend, Bilder, Vergangenheit, Bruchstücke des Schicksals, Ballast, wie sollte ich das alles mitschleppen, die Bilder vergass ich in Ausstellungen abzuholen, oder die Conçièrge behielt sie zurück für ausstehende Miete, der Wirt für Schulden in der Kneipe. Ich wollte nirgendwo hin, nur fahren, in Bewegung sein, Bahnhöfe übten eine magische Anziehung auf mich aus. Ich mietete mich in jeder Stadt, wenn es ging, in der Nähe des Bahnhofs ein. Abends ging ich in meinem zerschlissenen schwarzen Anzug in die Bahnhöfe, um mir die Züge anzuschauen, und etwas Geld in der Tasche genügte oft, der Versuchung nicht zu widerstehen, weg zu fahren. Das, was ein Ausflug hatte werden sollen, wurde ein Jahr oder mehr irgendwo in der Fremde, und die Fremde ist überall.
Nachts ging ich durch Paris, durch die Strassen von Montparnasse, immer im selben schwarzen Anzug, meist ohne Geld, scheu, kaum ansprechbar, sass in dem oder jenem Café, Select, Café du Dome, La Coupôle, und trank ein einziges Glas Pernod – oder zwei -, um wieder zu verschwinden, zurück in mein billiges Zimmer, zurück zum Bett, zum Tisch, zum Stuhl, zum Ofen, zur Lampe, zur Staffelei.
Später lebte ich in einem Gartenhaus, drei mal drei Meter im Quadrat, mit dünnen Wänden, unheizbar, ich hätte auch gar keine Kohlen gehabt. Eis glitzerte an den Wänden. Ich malte mit fast erforenen Fingern, peinlich exakt, Strich für Strich, die Hand auf den Malstock gestützt, Bilder, die ich dann für ein Butterbrot oder eine Flasche Schnaps verkaufte, oder die ich wieder zerstörte.
Zurück beförderte in den anthropomorphen Mutterboden, aus dem sie aufgestiegen waren.
Nie war ich jemandem zu Diensten, nie habe ich eine andere Autorität anerkannt als meine eigene Erfahrung.
Die Wahrnehmungsfähigkeit meines goldenen Adlers.
Bisweilen bin ich so hoch in die Lüfte gestiegen, wie es nur möglich war. Es ist köstlich, mit anderen Sinnen wahrzunehmen. Die Wahrnehmung des Adlers ist Gelassenheit. Die Wahrnehmung des Adlers ist Tod. Die Wahrnehmung des Adlers ist Trance.
Ich wäre arm dran ohne meinen goldenen Adler.
Die Welt des Menschen ist anders. Wenn aus den versteinerten und unbetretbaren Wäldern, aus den erstarrten Wassern und Pflanzen Schädelstätten werden, wenn sich Geröll und Gewölk zu undefinierbaren Massen verdichtet, wenn in den Felswänden Taubenköpfe, Lammköpfe, Hundsköpfe mit erschreckten kreisrunden Tieraugen und abbröckelnde Habichtprofile erscheinen, so sieht uns aus ihnen eine aufgestörte und abgewiesene, zurück gestossene und unerlöste Gegenwart an, die nicht zur Ruhe gekommen ist und uns nicht zur Ruhe kommen lässt.
Die ganze Welt, so glaubt er manchmal, hat in einem kleinen Koffer Platz. Auf dem Koffer klebt zur Bezeichnung des Reiseziels eine Etikette mit der Aufschrift «Wirklichkeit». Dem Bild vor mir auf der Staffelei entsteigt etwas mit mächtigen Schwingen und beschattet für einen Moment mein Gesicht.