Dienstag, 26. Januar 2010

Traurige Jäger (24)

Der Chefarzt war ein altmodischer Herr von leptosomer Gestalt mit einem in die Länge gezogenen Gesicht, in dem sich würdige Zuversicht mit einem abgeklärtem Fatalismus paarte. Wieder so einer, der dem guten Don Quichotte bis an die Nasenspitze glich. Der hohe Herr bot seinem Gast als erstes einen Cognac an.

«Wer auch immer Sie sind», eröffnete der Chefarzt das Gespräch, «und woher auch immer Sie kommen und was auch immer Sie wollen, ich begrüsse Sie als eine angenehme Auswechslung im misericordianischen Alltag. Man muss mit der Welt da draussen in Kontakt bleiben, schliesslich, als der oberste Chef aller Misericordianer. Prost!» – «Aber Ihren Untertanen scheinen Sie diesen Kontakt nicht zubilligen zu wollen, Herr Professor, wenn ich das richtig verstanden habe. Sie lassen – mit wenigen Ausnahmen – keine Fremden in dieses Land herein, und die Misericordianer dürfen nicht ins Ausland reisen.» – «Unsere Leute wissen mit den Fremden und dem Fremden nicht umzugehen. Noch nicht. Sie fürchten sich vor den Fremden – vor dem Fremden – und hassen sie deshalb. Besser, wir halten sie vor ihnen fern. Sie sind so unsicher, unsere Misericordianer. Sie brauchen einen Halt in ihrem Leben, eine Identität, eine Religion. Das alles bieten wir ihnen in unserem alles umfassenden Gesundheitsstaat.» – «Stichwort Gesundheit: dieser Begriff hat doch, Herr Doktor, in Misericordia wohl eine rein ideologische Funktion?» – «Natürlich kann man die Idee der Gesundheit als rein fiktional betrachten. Kann sagen, dass Gesundheit nur relativ zur Krankheit existiere. – Sehen Sie: Ich bin Platoniker. Genauso, wie das Schöne und das Gute, so es sich auf Erden manifestiert, nur ein schwacher Abklatsch des Schönen und Guten an sich, der Idee des Schönen und Guten ist, ist auch die Gesundheit (die bloss die Abwesenheit der Krankheit bedeuten mag) relativ, ein schwacher Abklatsch der Idee der Gesundheit oder der Gesundheit an sich.» – «Ich nehme an. dass wohl die wenigsten Ihrer Untertanen, Herr Professor, Ihrer philosophischen Argumentation zu folgen vermögen.» – «Früher habe ich darum gekämpft. Jetzt warte ich ab. Das Wachsen und Reifen der Menschen braucht Zeit. Es ist unabdingbar, dass die Menschen durch viele Irrtümer hindurchgehen, bevor sie das Licht der Wahrheit sehen können. Jetzt richten sich die Menschen noch an den äusseren Insignien des Gesundheits- und Krankenwesens auf. Sie haben eine kindliche Freude an weissen Kitteln, Stethoskopen und Pissnelken, eine Neigung, die der Fachmann in einzelnen extremen Fällen geradezu als fetischistische Pathologie diagnostizieren würde. Dies natürlich out of record. Meine lieben Misericordianer fürchten sich sehr vor Viren, Bakterien und unkontrollierbar sich vermehrenden Zellen. Sie fürchten sich, wie gesagt, vor dem Fremden, ohne zu merken, dass das, was sie als das Eigene, Vertraute zu erkennen glauben, der Volkskörper, dem sie sich zugehörig fühlen, die Heimat, die sie die ihre nennen, dass das alles letztlich auch Ideen und Fiktionen sind – sagen wir ruhig: Hirngespinste – wie ‹die Gesundheit›. Ideologien eben. Die Gesundheit im platonischen Sinn ist weit mehr als Gesundheit im herkömmlichen Sinn: sie ist Glück, Weisheit, Erfüllung, Erleuchtung. So, wie sich hinter Begriffen wie Freiheit oder Gerechtigkeit oder Frieden am Horizont eine Realität auftut, die Glück, Weisheit und das Ende allen Leidens umfasst. Ich weiss, ich erkläre unklare Begriffe mit unklaren Begriffen – aber es geht leider nicht anders. Dieses Pudels Kern lässt sich sprachlich nur umkreisen. Dieser Kern des Kerns, vor dem sich die meisten Menschen völlig zu Unrecht so sehr fürchten. Deshalb brauchen sie eine Ideologie, eine Theologie: eine Religion. Opium fürs Volk.» – «Kehren wir zurück zu Konkretem, Herr Doktor», versuchte Sancho den philosophischen Schwung des Obersten zu bremsen. «Können Sie uns, das heisst den Leserinnen und Lesern meiner Zeitung, sagen, welche Funktion das Gesundheitswesen in Misericordia hat?» – «Wir versuchen, uns auf das Wesentliche dessen, was das Führen und Regieren eines Volkes bedeutet, zu besinnen. Wir greifen dabei, nicht ganz überraschend, auf Ideen zurück, wie sie vom grossen Philosophen Platon in seinem Werk ‹Der Staat› entwickelt wurden, in welchem bekanntlich die Philosophen die Könige sind. In diesem Sinn sind wir nicht nur Ärzte, Helfer und Heiler in Sachen Körper, sondern auch Helfer und Heiler in Sachen der Seele, Geburtshelfer des Geistes.» – «Alle Verlautbarungen Ihrer Regierung sind von einem starken Glauben an die Erlösbarkeit des Menschengeschlechts geprägt. Versteht sich Misericordia als die letzte christlich geprägte Nation des Abendlandes?» – «Uns interessiert das Christentum nicht», entgegnete Don Quichotte im weissen Kittel mit knappem Lächeln, «wie gehen streng naturwissenschaftlich vor. Nein. Wir stehen eher in der Nachfolge des Hippokrates als in der nachfolge Christi. Die Menschheit muss zu ihrem Glück gezwungen werden. Dies ist auch in Misericordia so. Lassen Sie es mich überspitzt formulieren: Wir versklaven die Menschen, um ihnen die Freiheit schmackhaft zu machen. – Ich weiss, was Sie sagen wollen», der Chefarzt hob abwehrend die Hände. «aber nicht wir versklaven die Menschen, die Menschen versklaven sich selbst.» Der Chefarzt nippte am Cognac. Dann stand er auf, streckte Sancho die Hand entgegen. Er fürchtete sich offenbar nicht vor möglicher Krankheitsübertragung. In Misericordia begrüsste sonst nie jemand jemanden per Handschlag. Der Oberchefstabsarzt schon. Die Audienz war definitiv beendet.

Sancho verliess fast auf Zehenspitzen den hohen weiten Raum, ging dann, begleitet von einem Diener in weisser Livree, durch endlos lange, blitzsaubere und nach Reinigungsmitteln duftende Gänge und treppauf treppab, das wollte kein Ende nehmen und erinnerte ihn irgendwie an leere, hellerleuchtete Strassen in der Nacht, und so wandte er sich an seinem Begleiter zu. Musterte ihn, während er ging, Fusstrittlaute in den leeren Gängen verursachend, aus den Augenwinkeln heraus. Der Diener war noch jung und hübsch und sah aus wie ein an der frischen Luft aufgewachsener Bauernbub.

Mittwoch, 20. Januar 2010

Die Eidechse



Tagsüber sah er im Zentrum der Stadt die Reichen auf den breiten Avenues aus ihren glänzenden Autos steigen und wieder wegfahren, weisse Männer, schwarze Männer, Inder. Von Cosmos hatte er erfahren, was diese Autos kosteten. Die Summe war so schwindelerregend, dass es warm als hätte Cosmos von der Entfernung zu einem Stern gesprochen und nicht vom Preis eines Autos. Wenn er diese Reichen betrachtete, konnte Nelio zugleich seine eigene Armut sehen. Zwischen den Reichen, die offenbar dauernd in eiligen Angelegenheiten unterwegs waren, und dem Rudel der Strassenkinder gab es einen Abgrund, den er sich täglich öffnen sah. Sie überquerten ihn, wenn sie rasch zur Stelle waren und baten, das Auto waschen oder bewachen zu dürfen, während der schwarze, weisse oder indische Mann, der mit seinem Aktenkoffer ausstieg, seine bedeutenden Aufträge erledigte. Nelio hatte Cosmos einmal gefragt, wer diese Männer seien, was sie in ihren Aktenkoffern hätten, und wieso sie immer so beschäftigt wirkten. Cosmos hatte keine Anzwort gehabt, aber zugegeben, dass es wertvoll sein könnte, es in Erfahrung zu bringen. Bei einer günstigen Gelegenheit hatte er Mendoza und Tristeza angewiesen, ein Auto aufzubrechen und den Aktenkoffer zu stehlen, der darin lag. Anschliessend hatten sie hinter der Tankstelle Schutz gesucht und den Koffer untersucht. Mandioca hatte phantasiert, er wäre voller Geld. Aber als sie die Schlösser öffneten und den Deckel aufklappten, hatten da nur die vertrockneten Reste einer Eidechse gelegen. Es war ein magischer Augenblick, den niemals hätten sie sich vorgstellt, eine tote Eidechse könnte das Geheimnis der grossen Reichtümer sein.
«Sie tragen Kästen mit toten Tieren herum, sagte Cosmos gedankenvoll. «Vielleicht sind es spezielle Eidechsen, die vor bösen Geistern schützen?»
«Es ist eine gewöhnliche Eidechse», sagte Mandioca, nachdem er sie genommen, gründlich studiert und schliesslich beschnüffelt hatte.
«Irgendwas muss es aber bedeuten», meinte Cosmos.
«Lasst uns jedenfalls deutlich machen, dass wir jetzt wissen, was in ihren Koffern los ist», sagte Nelio.
Woher ihm diese Idee gekommen war, wusste er nicht, genauso wenig wie bei vielem anderem, was in seinem Kopf vorging. Er stellte sich vor, es gäbe da einen heimlichen Raum, wo die überraschenden Gedanken auf einen günstigen Moment warteten, um in die Freiheit zu entschlüpfen.
«Wie machen wir das, ohne dass sie uns erwischen? Fragte Cosmos.
Nelio überlegte. Plötzlich wusste er es.
Wir fangen eine lebende Eidechse und stecken sie in den Koffer», sagte er. Dann legen wie ihn zurück ins Auto. Mandioca und Tristeza knacken die Autotür so, dass man nichts merkt. Der Mann bekommt etwas, worüber er grübeln kann, solange er lebt. Wir haben jetzt die Macht über ihn. Wir wissen, wie es zugegangen ist. Er weiss es nicht.»
Cosmos nickte. Dann rief er Alfredo Bomba und erteilte ihm den Auftrag, sofort eine der Eidechsen zu fangen, die an den Baumstämmen auf und ab huschten oder sich in den Ritzen der Hausfassaden versteckten. Alfredo Bomba stellte sich regungslos neben einen Baum, legte seine Hand an der Stamm und wartete, bis eine Eidechse ganz in der Nähe war. Dann ruckte er mit dem Handgelenk, und die Eidechse steckte zwischen seinem Daumen und Zeigfinger fest.
Nelio wollte wissen, wie er diese Kunst gelernt hätte.
Alfredo Bomba hatte sich über die Frage gewundert.
«Ich habe den Eidechsen abgeschaut, wie sie die Insekten fangen», sagte er.
Da es Tristeza war, der das Auto bewachte, konnten Mandioca und Tristeza ungehindert die Autotür noch einmal öffnen und den Koffer zurückstellen. Als der Besitzer des Wagens zurückkam, gab er Tristeza einen Schein über ganze 5000, weil er das Auto so gut gehütet hatte.

(aus: Henning Mankell: Der Chronist der Winde. Zsolnay, 2000)

Dienstag, 19. Januar 2010

Traurige Jäger (23)

Sancho dachte darüber nach, was es bisher an zugleich Positivem, Wissenswertem und Unterhaltsamem über Misericordia zu berichten gab. Er würde gern auch etwas erfunden haben, aber da er nur in beschränktem Mass über Fantasie verfügte, fiel ihm das allzu schwer. Nicht ohne Grund pflegte er unter Kollegen zu behaupten, dass es im Leben nichts Fantastischeres gebe als die Realität. Und nichts Komplexeres. Sancho war müde und ratlos.

«Im Staate Miserciordia ist vorbildlicherweise alles, was gefährlich ist, verboten. Also ist alles verboten in Misericordia, denn unter bestimmten Umständen kann alles gefährlich sein. Das ganze Leben ist lebensgefährlich, haha. Misericordianer sind prophylaktisch denkende Leute. Vorsicht ist die Mutter ihrer Porzellankiste. Der gute Misericordianer übt es, sich klein zu machen, damit er von den gewaltigen Kräften, die letztlich auch sein Dasein bestimmen, möglichst übersehen werde. Es ist in Misericordia strengstens verboten, mit einem anderen Menschen in näheren Kontakt zu treten, denn solcher Kontakt beinhaltet Seuchengefahr. In Misericordias pharmazeutischen Laboren werden die verletzlichen, weichen Körper chemisch gepanzert, die fleischlichen Seelen wie in einer Esse stahlhart gemacht, hart wie Kruppstahl. Misericordia ist unser aller einziges grosses Spital. Alle Menschen hier sind versichert, rundum versichert, sie haben die Notfallstation in nächster Nähe, ihnen kann nichts geschehen, denn nicht nur sonntags beten sie in ihren weissen Betten zu ihren weissen Göttern.»

Sancho seufzte tief. Dann zerriss er, was er geschrieben hatte, und legte sich in den Kleidern aufs Bett, um eine letzte Zigarette zu rauchen. Was natürlich strengstens verboten war. Aber das war Sancho jetzt egal.

Mittwoch, 13. Januar 2010

Glück, Zeit. Wasser. Fragen

Ein neues Jahr hat begonnen, sagt man, gar ein neues Jahrzehnt, was bedeutet, dass man sich mit der Zukunft konfrontiert zu werden bemüssigt fühlt, aber was heisst das? Es wäre einmal mehr nach dem Wesen der Zeit zu fragen, ein Unterfangen, das leicht ins Philosophischen hinabzugleiten oder auch hinaufzuflutschen droht, was einerseits daran liegt, dass diese Frage ein weites Feld ist und andererseits daran, dass man, wie beim Sprechen über die Liebe oder das Glück oder das Leben oder den Tod oder die Unermesslichkeit des Alls, beim Sprechen über all diese letzten Fragen also eigentlich nie so richtig weiss, worüber man spricht. Über Zeit zu spekulieren kommt mir ähnlich absurd vor wie es wohl dem Fisch vorkommen müsste, sich über das Wesen des Wassers den Kopf zu zerbrechen. Nun nehme ich nicht an, dass es einem Fisch in den Sinn kommen könnte, seinen nicht sehr zum Intellektuellen und Abstrakten tendierenden Fischkopf über das Wesen des Wassers zu zerbrechen, obwohl man auch das natürlich nicht sicher sagen kann, denn schliesslich gibt es ja offenbar auch viele sehr intelligente Fische wie Delphine und Wale, wobei ich mir da nicht sicher bin, ob das wirklich Fische sind. Mein an unzähligen Quizsendungen trainiertes Halbwissen sagt mir, dass Delphine und Wale Säugetiere sind, man spricht von Meerssäugern, nicht wahr, doch wäre das Bild, die Metapher von Meeressäugern, die sich über das Wesen des Wassers den Kopf zerbrechen, ja auch irgendwie überzeugend, resp. eben absurd, oder die Frage, ob absurd oder nicht, ebenso berechtigt. Dieser Schlenker von meinem eigentlichen Gegenstand, der Zeit, zu den Fischen resp. dem Wasser führt mich zum auch nicht das erste Mall gedachten Gedanken über die Unendlichkeit meines Nichtwissen, meiner fundamentalen Ungebildetheit. Je älter ich werde, desto mehr wird mir – wie Sokrates – bewusst, dass ich nichts weiss, und je älter ich werde, desto weniger Dinge erlebe ich rep. desto weniger Gedanken denke ich zum ersten Mal, das Leben neigt mit zunehmendem Alter zur Wiederholungsträchtigkeit, weshalb es auch nicht allzu sehr verwundern darf, dass mir immer öfter auffällt, wie wenig ich weiss. Eine Erkenntnis oder Einsicht, die einen deprimieren könnte, die mich aber seltsamerweise nicht deprimiert, sondern auf eine beinahe verzweifelte Weise beinahe fröhlich macht. Wobei es, kleine Klammerbemerkung, natürlich gar nicht stimmt, dass man in fortgeschrittenem Alter nichts mehr Neues erlebt, man erlebt sogar ganz dramatisch oder auch traumatisch Neues, zum Beispiel spätestens dann, wenn man stirbt. Vielleicht stirbt man sogar darum, weil man wieder einmal etwas Neues erleben möchte. Wobei man jetzt kleinkrämerisch und erbsenzählerisch und indiesuppespuckerisch resp. spielverderbend einwenden könnte, dass es in keinster Weise erwiesen sei, dass das Sterben etwas Einmaliges und damit Erstmaliges sei, man könnte mit den Millionen oder gar Milliarden, diesen Myriaden von Hindus und Buddhisten der Welt hinter dem Ofen oder dem Berg hervorkommen, die an die Wiedergeburt glauben, aber das wollen wir hier jetzt nicht tun, um die Sache nicht noch mehr zu verkomplizieren. Und obwohl wir in den letzten paar Minuten nicht schlecht auf den Assoziationen herumgesurft sind und unseren eigentlichen Gegenstand scheinbar oder anscheinend so ziemlich aus den Augen verloren haben, haben wir doch einiges zum Wesen der Zeit gedacht und nun auch ausgesprochen, wenn auch nicht sehr Präzises und schon gar nichts Naturwissenschaftliches, aber trotzdem, belassen wir es dabei.

Etwas anderes. «Glück» soll zum Schulfach werden. Ein besonderes Wahlfach soll den Aargauern Berufs- und Oberstufenschülern künftig die positiven Seiten des Lebens näher bringen: das Wahlfach «Glück». Dies fordern drei Grossräte der Grünen in einem Vorstoss vom Regierungsrat. Es gehe nicht um «Zuckerguss-Pädagogik». Der Umgang mit dem Glück sei jedoch eine Lebenskompetenz, die jungen Menschen vermittelt werden müsse, begründen sie ihr Anliegen. Glück sei eine «anspruchsvolle Angelegenheit». Bei Schülern und Lehrpersonen habe die Schule «immer weniger das Image eines Glückbringers». Wer glücklich sei, bringe in der Schule und am Arbeitsplatz eine höhere Leistung.

Glück als leistungssteigernde Droge? Und stimmt das: ist Glück eine «anspruchsvolle Angelegenheit»? Ist Glück lernbar? Oder anders gefragt: Ist ein Glück, das man lernen kann, noch Glück? Wenn ja, warum? Und wenn nein, warum nicht? Anregungen zur Beantwortung dieser schwierigen Fragen sind jederzeit willkommen.

Freitag, 8. Januar 2010

Motto des Tages

Das Ende ist erst der Anfang.

(Gefunden in: NZZ Folio, Januar 2010: Der Tod. Geschichten aus dem Diesseits. Das Heft ist übrigens sehr zu empfehlen)

Dienstag, 5. Januar 2010

Traurige Jäger (22)

Sancho sass nun wieder in seinem Auto, dem geliebten Porsche, der ihm das Gefühl von Freiheit und Abenteuer gab. Ja, Freiheit! Sancho spürte sie im Sonnengeflecht. Es liess sich schnell fahren im Porsche, denn es gab wenig Verkehr aus Misericordias Strassen. Die Landschaft war flach und karg. Ein kahler Hügel war Abwechslung für die Augen. Der Highway ging schnurgerade. Die Sonne brannte erbarmungslos aus einem spanischen Himmel. Sancho lehnte sich zurück. Einmal donnerte auf der Gegenfahrbahn ein wie ein Weihnachtsbaum geschmückter Truck an ihm vorbei. Blitzschnell entschwindend und doch ganz deutlich konnte er für einen Moment den irischen Trucker, einen kleinen dicken Mann und einen Hund, der eigentlich schon aus dieser Geschichte verschwunden ist, ausmachen. «The Greatest Niagara» musste er allerdings übersehen haben. Mit Füssen, die ihm affenartig gekrümmt, nackt und stark behaart erschienen, hielt er sich am Steuerrad fest, die Hände lässig hinter dem Kopf verschränkt, Kaugummi kauend, während er mit sehr hoher Geschwindigkeit auf der schnurgerade Strasse an Hinweisschildern vorbeiraste, die die nahende Stadt, Miserciordia City, ankündigten.

Freitag, 1. Januar 2010

"Einmal...

...verliebte sich ein Mädchen in einen Weissen und betete zu Elegba, das auch sie weiss sein möge. Sie flehte derart inbrünstig und opferte so viele Hähne, dass die Göttin ihren Wunsch erfüllte. So konnte sie ihren Geliebten heiraten, und er nahm sie mit nach Frankreich, ohne von ihrer wirklichen Abstammung zu wissen. Aber nach einigen Jahren des Glücks gebar die junge Frau einen Jungen, der genau so aussah wie sein Grossvater: stark und schwarz. Im Glauben, dass sie ihn mit einem Sklaven betrogen habe, liess der Ehemann sie in der gleichen Nacht töten. Im Tod wurde sie wieder schwarz, aber dort in Frankreich schien niemand den Zauber und die Wunder Elegbas zu verstehen, und schnell wurde behauptet, dass sie die Pest gehabt habe, weshalb man ihren Leichnam verbrannte. Und ihren Sohn auch." Ratlos hob er die Schultern. "Vielleicht hast du ja mehr Glück!", sagte er schliesslich.
(aus: Alberto Vazquez-Figueroa, Der Leguan)