Freitag, 30. November 2007

Felix in Nöten








Die Nacht von Sonntag auf Montag verbringen Felix, Peter und Raymond zu dritt im Bett. Sie stehen erst am späten Nachmittag auf, und Raymond will nach Zürich, um Heroin einzukaufen. Felix ist der Gedanke daran zuwider, die Zürcher Szene, die er nicht kennt, ist ihm unheimlich, er versteht nicht, warum sie Raymond, der doch gesagt hat, er wolle mit dem Fixen aufhören, zu einem Gelegenheitskauf verhelfen sollen. Schliesslich drehen es Raymond und Peter so, dass sie ja bloss ins Zürcher Schwulenmilieu gehen wollten, um sich ein wenig zu amüsieren, und da willigt Felix ein. Dabei ist klar, dass es Raymond nur um den Schuss geht, und auch Peter ist offenbar ganz scharf auf einen Kick, obwohl Felix weiss, dass Peter kein Junkie ist.
Als sie aufbrechen, ist Raymonds «Onkel» wütend, denn er weiss genau, in welchem Pfeffer welcher Hase sitzt. Dieser «Onkel», nennen wir ihn Erich, ist ein etwa fünfzigjähriger, verbittert und höchst nervös wirkender Schwuler, der aus lauter Vernarrtheit den Fehler begangen hat, Raymond in seine Wohnung aufzunehmen. Jetzt hat Raymond sich in dieser Wohnung breitgemacht und Erich in ein kleines Kämmerchen verdrängt. Raymond nimmt in keinster Weise Rücksicht auf Erich, lässt ganze Nächte lang die Rolling Stones, Genesis, Yes, King Crimson, Mike Oldfield oder Gentle Giant auf Höchststufe laufen, nützt ihn aus, reisst ihn ab. Und Erich lässt sich das gefallen; gewiss, manchmal brüllt er herum, aber dieses Herumschreien ist reinste Hilflosigkeit. Erich lässt sich brutal ausnutzen, obwohl er Raymond, wie dieser stolz betont, schon seit zwei Jahren nicht mehr an die Wäsche darf. Das alles irritiert Felix schon ein bisschen, aber er verdrängt es, schliesslich ist Raymond ein Freund von Peter und Freunde von Peter kritisiert man nicht, wenn man Felix heisst.
Sie fahren also nach Zürich, doch bei ihrer Ankunft in der Stadt bemerken sie, dass sie nur wenig Geld bei sich haben – ausser Raymond, der im Besitz von etwa 150 Franken ist, die er natürlich von Erich bekommen hat. Erich, der beim Bund angestellt ist und nicht schlecht verdient, zahlt ja alles: Raymonds Drogen, die Gerichtskosten für Raymonds Freund, der im Knast sitzt etc. Raymond verschwindet in Zürich wie der geölte Blitz im «Shorts», einer hektischen Drogenbeiz, etwas perplex gefolgt von Peter und Felix. Raymond ist nicht zu bremsen. Schon ein paar Minuten später, nachdem sie ihn in der Menge verloren haben, taucht er wieder auf und verschwindet sofort auf dem WC, um den Stoff auszuprobieren und dann zu behaupten, er sei gelinkt worden – der Stoff sei schlecht. Jetzt stehen sie da: ohne Geld und ohne Benzin für die Rückfahrt und natürlich ohne sich im Geringsten amüsiert zu haben. Felix ist fürchterlich deprimiert. Sie setzen sich ins Kontiki im Niederdorf und halten Kriegsrat. Raymond hat eine «Glanzidee»: er kennt von früher her, als er noch in Zürich auf den Strich ging, als siebzehnjähriges Bürschchen, einen reichen oder doch zumindest einigermassen gutbetuchten Freier. Den ruft er jetzt an, und zu dritt machen sie sich auf, diesen zu besuchen. Sie nehmen Bus und Tram, um Benzin zu sparen; der Typ wohnt in Zürich-Seebach, also nicht gerade im Zentrum. Etwa fünfundvierzig Minuten später sind sie da. Der Herr hat bereits Besuch, auch einen professionellen Jungen, der jedoch gerade entlassen wird, als unser Trio eintrifft. Mit allerlei Kniffen und Tricks presst Raymond dem Mann, der vom Typ her ein Buchalter sein könnte und in den mittleren Jahren ist, 150 Franken ab. Der Herr, dessen Appetit offenbar noch nicht ganz befriedigt ist, will als Gegenleistung Sex mit oder von Felix, was dieser einigermassen empört von sich weist. Auch Raymond und Peter reden ihm gut zu, aber Felix bleibt stur. Er ist nun doch einigermassen empört darüber, dass man ihm zumutet, auf diese Weise fremde Suppen auszulöffeln. Es ist ihm in diesem Moment auch ziemlich egal, für eine Zicke, eine Mimose oder ein doofes Rührmichnichtan gehalten zu werden. Trotzdem muss er beissenden Spott ertragen, besonders von dem Buchhalter-Typen, der die «Unschuld vom Land», als die Felix noch immer durchgeht, andererseits auch süss findet, was ihn umso mehr reizt. Schliesslich gibt der Herr aber doch auf und bietet seinen uneingeladenen Gästen sogar etwas zu essen an (Bohnen, Rippli, Kartoffeln und Salat); dann wird er jedoch noch einmal ernst und ruft wegen dem Darlehen – denn um ein solches handelt es sich bei der Geldtransaktion nach der Verweigerung einer Gegenleistung durch Felix nun ja – den Erich in Bern an, der für seinen «Schützling» wieder mal den Buckel krumm machen muss. Endlich fährt der Typ sie in die Stadt zurück.
Damit aber noch nicht genug der Unbill. Erneut steuert Raymond nämlich unaufhaltbar das «Shorts» an, um dieses Mal bessere Ware zu kaufen. Und zehn Minuten später stehen sie wieder mit nur noch vier oder fünf Franken in der Tasche da. Und dafür hätte er nun seinen Arsch hinhalten sollen, denkt Felix. Seine Laune wird immer besser. Wie war das noch mal mit dem Ausgehen und sich Amüsieren? Sie fahren auf der Autobahn Richtung Bern und tanken bei einer Raststätte für die letzten fünf Franken Benzin, in der verwegenen Hoffnung, dass diese Menge bis Bern reichen wird. Sie haben aber ausnahmsweise einmal Glück und stossen bei dieser Raststätte zufällig auf einen schwulen jungen Bekannten von Raymond, der am Ausgang der Raststätte Autostopp macht und nach Bern will und noch etwas Geld für etwas Benzin in der Tasche hat, so dass der Treibstoff jetzt reichen sollte. Im Auto rauchen sie wieder Haschisch, worauf es dem Jungen ziemlich schlecht wird. Sie fahren erst Raymond nach Hause, der schon wieder quengelig ist und auf den ein jetzt doch recht genervter Erich wartet. Peter verlangt von Raymond den versprochenen Kick, doch der behauptet mit der Gier der Süchtigen, den Rest des Heroins «verloren» zu haben. Es kommt zu einem kleinen, aber unschönen Wortgefecht zwischen den beiden. Gegen zwei in der früh fahren Peter und Felix nach diesem verpfuschten Ausflug endlich zu Peter an den Melchenbühlweg, wo dieser am Stadtrand in einem Bauernhaus ein Zimmer hat. Den Jungen müssen sie mitnehmen; er ist erst 18, und in dem Zustand, in dem er sich befindet, können sie ihn nicht zu Hause bei Muttern abliefern. Sie legen sich alle drei nieder, der Junge liegt in der Mitte, und obwohl sie müde sind und der Junge verladen ist, hebt Felix, der grausam eifersüchtig sein kann, doch immer wieder verstohlen das Augenlid, um zu sehen, ob Wolf mit dem Jüngling was anstellt. Tut er aber, soviel Felix mitbekommt, nicht. Sie schlafen bis acht, dann muss der Junge schleunigst ins Büro.

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Ein Geständnis und mehrere Begegnungen
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Nachdem Peter und Felix den Jungen mit dem Auto in die Stadt gebracht haben, legen sie sich nochmals ins Bett und schlafen bis am frühen Nachmittag, worauf Peter, der arbeitslos ist, seine Stempelangelegenheiten bereinigt. Dann sitzen sie im «Pyrénées», einer «Piri» genannten Szenekneipe am Kornhausplatz, Peter ist ruhig und etwas verstimmt über Felix, der in sein Büchlein schreibt, worauf ein Besoffener neben ihm lebhaftes Interesse für sein Geschreibsel bekundet und lesen will, was Felix da von sich gegeben hat. Und Felix, dieser Blödmann, zeigts ihm auch noch, worauf der Alki, über diesen «Vertrauensbeweis» entzückt, einen Redeschwall über Felix ergiesst, eine Suada über sein verpfuschtes Leben, als deren Kernpunkt sich nicht ganz überraschend der Umstand herausschält, dass ihn seine Frau verlassen hat, wobei man sich fragen kann, was hier wohl die Ursache und was die Folge war, das Verlassen die Ursache des Alkoholismus oder der Alkoholismus die Ursache des Verlassens. Felix hat sich jedenfalls Folgendes in sein Heft notiert, was jetzt von den geröteten Augen des Betrunkenen entziffert und von diesem vielleicht verstanden wird, vielleicht auch nicht: «Ich weiss nicht, warum, aber ich weiss, dass ich Peter sehr stark spüre, auch wenn er mich manchmal äusserst hart anfasst. Aber vielleicht ist gerade das ein Teil der Faszination, die er auf mich ausübt. Manchmal habe ich das Bedürfnis, mich ganz zu seinem Werkzeug zu machen, zugleich Peitsche in seiner Hand zu sein und der, der sich wollüstig unter den Peitschenhieben seines Peinigers windet. Ich muss von Peter hart angefasst und gedemütigt werden, nur schon deshalb, weil ich ein Idiot bin, dann aber auch, damit er mich anschliessend in seine Arme nimmt und mich streichelt und mir vergibt. Ich gerate vor ihm immer wieder in eine hilflose Passivität. Er löst etwas in mir aus, aber ich weiss nicht, was genau es ist, ich weiss nur, dass er mich leiden macht, machen muss, aber dass er mich dadurch endlich zu einem gewissen Fühlen bringen kann, zu einem Mich-Fallenlassen. Ich habe so viele Hemmungen in mir, so viele Barrieren, Winkelzüge, so viel Schmerz und Spannung in der Brust, dass es manchmal kaum zum Aushalten ist und ich nahe daran bin, mich umzubringen.
Die letzten Tage? Gut, ich war fast nie ‹klar›. Und da habe ich Gefühle und Sachverhalte in mir verspürt, die ich sonst verdrängen kann, die aber natürlich auch wieder gedämpft werden durch den Rausch. Ich konnte nicht kotzen, der Kloss blieb mir im Hals stecken. Ich konnte auch nicht den Ursprung dieser Gefühle erkennen. Ich spürte nur aus gewissen Anlässen heraus diese Schmerzen in mir aufsteigen: Eifersucht, Neid, Verlorensein, Verletztheit, Unsicherheit. Auch Angst, eine Angst, die nicht zu beschreiben ist, eben deshalb, weil ich ihren Grund nicht fassen kann.
Raymond hat mir zugleich Möglichkeiten und Konsequenzen gezeigt. Ich spürte, dass ich auch so ausflippen könnte und manchmal möchte wie er, dass ich manchmal ganz nah dran bin, dass dann ein wildes Freiheitsgefühl in mir hochlodert, das alle Normen niederzubrennen droht, das völlig rücksichtslos ist, hemmungslos egoistisch. Aber auch die Konsequenzen: aus der Welt herauszufallen und im kalten Nichts zu landen. Zu diesem Herausfallen habe ich den Mut nicht, die Unvernunft nicht. Ich zucke zurück vor dieser Gefahr.»
Da Felix seinen eigenartigen Text dem Besoffenen gezeigt hat, muss er ihn nun wohl oder übel auch Peter zeigen. Und wahrscheinlich will er ihn Peter ja auch zeigen, obwohl er sich bewusst ist, dass der Inhalt zugegebenermassen etwas starken Tobak enthält und Peter wenig Freude daran haben wird. Der reagiert denn auch ziemlich lakonisch. So etwas habe er sich gedacht, brummt er nur, und diese Aussage hat vom Ton her etwas von einem vernichtenden Urteil. Sie kaufen bei Mutter Migros ein und fahren dann in den Vorort von Bern, wo Felix wohnt. Unterwegs meint Peter, es gehe ihm wirklich auf den Keks, wenn Felix so pseudointellektuell daherschwafle, das sei ja nicht zum Aushalten, er solle sich doch bitte einigermassen normal verhalten. Er, Peter, wisse gar nicht, wie Felix auf seine verqueren Ideen komme. Das seien doch alles Flausen, die Felix da in seinem Kopf habe. Ob er so was an der Uni lerne? Sie reden dann ein bisschen und kommen zu einer gewissen Verständigung, jedenfalls zu einem Dialog. Sie kochen in der Wohnung in Ostermundigen Spaghetti und trinken dazu eine Falsche Wein, schauen sich dann ein langweiliges Fernsehprogramm an und sind beide etwas müde und erschöpft. Dann fahren sie zu Peter und schlafen da im Bauernhaus am Stadtrand, und anderntags ist Peter wieder in Sachen Arbeitslosenversicherung beschäftigt. Felix begleitet ihn als dessen getreues Hündchen. Dann gehen sie zusammen in die schwule Gesprächsgruppe, zu der inzwischen auch Peter gestossen ist. Peter fühlt sich in dieser Gruppe aber natürlich ebenfalls als Aussenseiter und benimmt sich auch so, was sich manchmal in gewissen Unflätigkeiten äussert, die ihm von den anderen Gruppenmitgliedern aber verziehen werden, da er unzweifelhaft sehr sexy ist mit seinen sinnlichen Lippen und dem ruppigen Charme, der manchmal auch in Treuherzigkeit umschlagen kann. Heute allerdings fühlt Peter sich ausnahmsweise ganz wohl und benimmt sich recht manierlich.

Am Freitag ist Felix erstmals bei Peters Eltern. Den Vater, der offenbar überaus seltsam ist, bekommt Felix gar nicht zu Gesicht; er verstecke sich geradezu vor Besuch, erzählt Peter Felix, und sei überhaupt ein weicher, schlaffer, verbitterter alter Mann, der sich dreissig Jahre lang durch einen langweiligen Buchhalterjob gequält habe, obwohl er sich im Herzen eigentlich zum Dichter berufen fühle. Er sei ein Schwächling – also das pure Gegenteil von Peter und all das verkörpernd, was dieser verabscheut und verachtet. Felix spürt bei Peter hinter all dieser zur Schau gestellten Ablehnung des Vaters allerdings die Ambivalenz seiner Gefühle, die neben Verletztheit und Enttäuschung auch auf Bindung und Zuneigung schliessen lässt. Die Mutter dagegen, eine Deutsche, ist eine lebhafte, sportliche Frau, eine ehemalige Schauspielerin, die sicher einmal hübsch war und heute eine schöne reife Dame ist. Sie fasst Vertrauen zu Felix und bekundet ihm, während Peter laut singend unter der Dusche steht, ihre Sorge um den ungebärdigen Sohn. Dann will Peter, dass Felix geht, denn er muss Bewerbungen schreiben und braucht offensichtlich seine Ruhe.
Am späten Nachmittag ist Felix im «Piri», wo er mit einem Jungen namens Raeto ein mystisches Gespräch führt. Raeto ist ein sehr feiner, hübscher, sensibler Junge, der Felix gut gefällt, ein wenig seltsam und versponnen zwar, aber das zieht Felix ja gerade an. Der Junge behauptet, übersinnliche Fähigkeiten zu haben. Er sei siebzigprozentiger Bluter und habe, wegen Drogenkonsums, auch schon einige Zeit in der psychiatrischen Klinik verbracht. Jetzt glaubt er sich zum Schriftsteller berufen und schreibt Tag und Nacht, wenn er nicht im «Piri» sitzt und davon erzählt oder daheim auf dem Sofa beim Joint davon träumt. Daneben ist er auch ein Wahrsager. Behauptet er jedenfalls, und Felix kann es nicht nachprüfen, jedenfalls nicht sofort, weil die Prophezeiungen von Raeto weit in die Zukunft gehen und eher andeutungsweise formuliert sind. Es sitzt auch ein fideler Deutscher im «Piri», der gebrauchte Platten verkauft und das so gewonnene Geld dann umgehend in Bier umsetzt. Raeto kauft ihm eine Doppel-LP der «Nice» ab und lädt Felix dazu ein, sich dem Genuss dieser LP bei Raeto gemeinsam hinzugeben. Peter kommt vorbei, verschwindet aber gleich wieder, um sich im Kino zusammen mit Hansruedi den Film «Ziggy Sturdust» über David Bowie als Marsianer anzusehen. Felix begleitet Raeto in die WG, in der dieser mit seiner Freundin zusammen zwei Zimmer bewohnt. Felix hat trotzdem das Gefühl, dass Raeto ein bisschen schwul ist, durch die Art, wie er ihn ansieht und wie Felix ihn spürt. Seine Freundin ist zwar da, bleibt aber ganz im Hintergrund.
Und dann rauchen sie starken schwarzen Shit, gleich zwei oder drei Pfeifen in kurzer Zeit, und Felix wird high wie noch nie. Einen Moment lang glaubt Felix zu erblinden, aber nicht in die Schwärze der Nacht hinein, sondern in ein gleissendes weisses Licht. Nach einer Weile, die lang gewesen sein mag oder kurz, will Felix aufstehen und gehen, um Peter zu treffen, aber das geht nicht. Also bleibt er halt sitzen. Es ist egal, sie hören Musik, Raeto sitzt bloss da und stöhnt manchmal leise, während seine Freundin am Tisch ein Bild malt. Raeto schaut Felix rätselhaft an, und dieser gibt sich dem Blick des Jungen ganz hin, diesem sphinxhaften braunen Blick, der von einem halben kleinen Lächeln in den Mundwinkeln begleitet wird. Erst etwa vier Stunden später ist Felix wieder so weit, dass er sich der so genannten Realität da draussen stellen kann, ohne allzu grosse Verwirrung und ohne allzu heftiges Erstaunen. Er macht also den langen, langen Marsch vom Eigerplatz zum «Piri» zurück. Dort trifft er doch tatsächlich Peter und Hansruedi an, beide noch immer in die androgyne Welt von David Bowie eingesponnen – die Welt in diesem Bern ist zwar manchmal gigantisch im Rausch, aber dann doch wieder klein wie eine Wohnstube. Peter und Felix fahren heim ins Bauerhaus am Stadtrand mit den bimmelnden Kühen und Schafen auf der Weide vor dem Fenster, Felix könnte diesem Bimmeln und Grasen stundenlang zuhören, wenn er gekifft hat, ohne etwas anderes zu tun, was gibt es Schöneres als grasende Kühe und Schafe und den sommerlichen Geruch einer nächtlichen Wiese, aber Peter und Felix schmusen und küssen sich überdies und schlafen dabei ein. Einmal erwacht Felix, es ist etwa sieben Uhr am Morgen, und er ist noch immer stoned. Bimmelnde Kühe und Schafe, denkt er, die in der Nacht duftende Wiese, das kann doch jetzt, mitten im Winter, nicht gewesen sein!

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The sexiest Man alive
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Am Samstag macht Peter den Vorschlag, die Nacht in Genf zu verbringen. Raymond wird eingeladen, sie rauchen wieder, dann fahren sie los. Es ist kalt im Auto, die Strassen sind vereist, manchmal trübt stockdicker Nebel die Sicht. Wolf hat Augen wie die Nordsee im Novembersturm und ist vollkommen stoned, das Fahren bereitet ihm sichtbar Mühe. Felix macht sich fast in die Hosen vor Angst. Das Auto wird ausrutschen und sich überschlagen, denkt er, wir knallen gegen einen Baum oder eine Wand und werden zu Brei vermanscht, wir stürzen, uns überschlagend, einen steilen Abhang hinunter, wir überleben diese Fahrt nie. Er hat die Stimme seiner Mutter im Ohr, die ihn ein ganzes Leben zur Vorsicht gemahnt hat. Wider alle Wahrscheinlichkeit kommen sie etwa um 23 Uhr aber heil in Genf an. Zuerst steuern sie das «Hippocampe» an, ein Seepferdchen, das einen Teil der Genfer Schwulenszene schaukelt. Peter kennt sich aus, er hat ein Jahr lang in Genf gearbeitet, Peter kennt Leute hier. Raymond ist schlechter Laune, es kommt zu Spannungen zwischen ihm und Peter. Raymond wäre lieber nach Zürich gefahren, in Genf kennt er sich nicht aus und weiss nicht, wo es da Heroin zu kaufen gibt. Dann fahren sie über die Grenze nach Frankreich, in einen Schwulenclub namens «Galèche» oder so ähnlich. Der Club ist gross, teuer für jemanden wie Felix, sehr gut besucht, schliesslich ist Wochenende. Raymond, der Peter eins auswischen möchte, flirtet intensiv mit Felix. Das macht Peter aber gar nichts aus, im Gegenteil; er verschwindet, und zehn Minuten später sieht ihn Felix, wie er mit einem sehr hübschen, sehr jungen Kerl zusammensitzt, Händchen haltend, sich küssend. Das Adrenalin im Blut von Felix beginnt zu kochen. Felix hat einen metallenen Geschmack im Mund und ein flaues Gefühl im Magen. Was bildet sich dieser Kerl bloss ein? Erst reisst er sie fast in den Unfalltod auf der vereisten Autostrasse, dann glaubt er auch noch, vor seinen Augen einen Typen aufreissen zu müssen! Felix wendet sich Raymond zu und tut so, als würde er mit diesem herumknutschen und Peter auch nicht einmal mit dem Arsch anschauen – was etwa so glaubwürdig ist wie ein fluchendes Kaninchen. Raymond wittert nun seinerseits eine Chance, an Felix heranzukommen oder vielmehr Felix und Peter auseinanderzubringen. Er beginnt über Peter zu fluchen und ihn schlecht zu machen. Er, Raymond, sei doch viel besser für Felix als dieser brutale Machosack. Felix ist eifersüchtig wegen Peter respektive auf dieses Schnuckelchen, das Peter sich geangelt hat, und Raymond merkt das und ist eifersüchtig auf diese Eifersucht. (So sieht es jedenfalls bei oberflächlicher Betrachtung aus. Wahrscheinlicher ist, dass Raymond auf Felix eifersüchtig ist, weil Felix der Freund von Peter ist und er, Raymond, ja schliesslich auch einmal etwas mit Peter hatte und immer noch auf Peter steht. Alle stehen auf Peter, the sexiest man alive: Boys, Girls, Männer, Frauen. Gott hat Peter die Gabe der Bisexualität gegeben, so dass dieser mit seinem ihm ebenfalls von Gott geschenkten grossen, herrlich geformten Schwanz alle beglücken kann.) Felix, der nicht ganz so weit denkt, er ist ja noch jung und immer noch etwas naiv, vermutet Berechnung: Aha, denkt Felix, Peter weiss, dass Raymond auf mich steht, und jetzt denkt er, die zwei sollen nur machen, dann bin ich frei und kann tun, was ich will. Raymond und Felix ziehen sich in einen anderen Raum zurück und trinken frustriert heftig Gin, Raymond stets beschäftigt, Felix auf seine Seite zu ziehen. Das ekelt Felix aber mit der Zeit immer mehr an. Raymond sagt: Komm, wir gehen, ohne Peter, wir können ja ein Taxi und dann den Zug nehmen. Er sagt: Wenn Peter dich nicht suchen kommt, dann liebt er dich nicht. Felix sagt: Ja, ich glaube auch, dass Peter mich nicht mehr liebt, aber ich liebe eben ihn. Das hört Raymond natürlich gar nicht gern und wird immer saurer. Peter sucht sie schliesslich nach objektiv gar nicht so langer Zeit dann doch und ist seinerseits verstimmt. Was seid ihr denn für Huschen, versteckt euch, um zu schmollen! Der Typ, mit dem sie ihn gesehen hätten, sei eine Affäre von früher, als er in Genf gearbeitet habe, der sei heute mit seinem Freund da und sie hätten sich nur mal eben wiedergesehen, so what? Der Typ sei bloss ein Betthäschen und nicht weiter interessant. Ja, natürlich, er habe mal mit dem süssen Kleinen zusammengewohnt und dieser habe ihn sogar heiraten wollen, aber ihn, Peter, habe das nur gelangweilt und er habe ihn rausgeschmissen. Er sehe zwar gut aus, zugegeben, sei aber etwas hohl in der Birne, wie Felix, dessen Eifersucht ja krankhaft sei. Peter spuckt fast aus vor Ekel. Warum sie sich überhaupt zurückgezogen hätten? Er habe sie bekannt machen wollen. Der Kleine habe gesagt, Felix und Raymond seien ein ganz reizender Anblick (Peter ist ein bisschen ein Voyeur und hat Felix auch schon aufgefordert, mit Raymond Sex zu machen, er wolle zuschauen und sich dabei einen runterholen. Hat aber nicht geklappt, Felix war zu nervös). Raymond quengelt, er will nach Hause, und Peter nennt ihn einen Egoisten. So pflegen halt alle ihre eigene Ichbesessenheit und werfen sie sich gegenseitig vor. Raymond und Peter, die Diva und der Macker, sind jetzt wirklich sauer aufeinander, während Felix Gott sei dank etwas aus der Schusslinie geraten ist, die Spannung aber dennoch nicht gerade als wohltuend empfindet. Es wird halt wieder kein sonderlich gelungener Abend. Schliesslich fahren sie nach Genf zurück, es ist jetzt vier Uhr in der Früh. Sie essen im «Bagdad», das schon oder immer noch geöffnet hat, Spaghetti. Dann fahren sie schweigend los, die Strassen sind natürlich immer noch vereist, aber Felix ist inzwischen zu müde, um ängstlich zu sein, zurück nach Bern, wo sie ungefähr um sieben Uhr ankommen. Das heisst, sie fahren zu Raymond oder vielmehr zu Erich. Dort schlafen Peter und Felix auf einer Matratze im Wohnzimmer, während Raymond sich schmollend in sein Kämmerchen zurückzieht, um zwei Zehner-Valium zu spicken.
Sie erwachen erst am Sonntagabend. Raymond will Pizza backen, aber Peter ist dafür, zu gehen, er findet die Stimmung ungemütlich. Raymond will, dass wenigstens Felix bleibt, aber Felix hat endgültig genug von diesen Dreiecksspielchen. Also essen Peter und Felix ihre Pizza im «Aarbergerhof». Und es kommt zu einer langen Diskussion. Felix versucht, Peter zu erklären, warum er eifersüchtig war und wieso ihn die Nacht in Genf so gestresst hat. Peter sagt, er gebe ja zu, dass das Ganze unglücklich gelaufen sei, aber er sei nun mal nicht der Typ, der sich seine Lust bei nur einer Person holen könne. Nein, Monogamie sei nicht sein Ding. Aber Felix sei seine Liebe und alles andere sei nicht ernst gemeint. Er wolle, dass sie ihre Seitensprünge nicht im Versteckten machen müssten. Ja gut, sagt Felix, für den sich diese Frage eher theoretisch stellt, da er viel zu sehr auf Peter fixiert ist, um an Seitensprünge zu denken, dafür sei er ja auch nicht, nur schon aus grundsätzlichen Überlegungen und aus politischen Gründen, aber er wolle wenigstens nicht unbedingt dabei sein, wenn Peter mit anderen flirte oder gar schlafe, weil Felix, wenn er mit Peter zusammen sei, sich ganz von ihm ausgefüllt fühle. Peter hört das einerseits gern, andererseits ungern. So wogt die Argumentiererei hin und her, bis sie genug von dem Gerede haben und ins Kino gehen, um sich den neusten «Star Wars»- Streifen reinzuziehen (es ist der erste der sechs Star-Wars-Filme mit dem Titel «A New Hope», aber, und jetzt wird es kompliziert, der vierte der ganzen Reihe, weil die Folgen 1 bis 3 erst in den späten Neunzigerjahren resp. den Jahren 2002 und 2005 in die Kinos kommen werden). Sie verbringen die Nacht bei Peter, und Felix darf ein bisschen mit dem Peter von Gott geschenkten, so herrlich grossen und herrlich geformten Ding spielen, so dass er eigentlich ganz glücklich ist, als ihn am nächsten Morgen, einem Montag, der Alltag wieder hat.

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Im nächsten Sommer wohnt Felix nicht mehr in Ostermundigen in der müffelnden Wohnung mit seinem Bruder zusammen, sondern für kurze Zeit in einem Zimmer im achten Stock des Studentenwohnheims in Bümpliz am Westrand von Bern. Da hat er zwar eine herrliche Aussicht ins Grüne, aber auch ziemlich neurotische Mitbewohner, die des Nachts vor dem Kühlschrank Wache schieben oder vielmehr sitzen, damit ihnen niemand ihre Cervelats klaut. Peter hat sich mal wieder aus dem Staub gemacht, wahrscheinlich überführt er einen Mercedes in den Nahen Osten oder so was und ist im Moment kein aktuelles Thema. Felix wird von Ernst, einem Mitglied der Schwulen-Gesprächsgruppe, dazu eingeladen, ihn auf eine Reise nach und durch Griechenland zu begleiten.

1978




US-Präsident Jimmy Carter, der vormalige Erdnussfarmer, trifft sich in Bonn mit den Vertretern der sieben wichtigsten Industrieländer (USA, Japan, Grossbritannien, Frankreich, Kanada, Italien), Kernthema des Treffens der so genannten G 7 ist die Belebung der Weltwirtschaft. Im US-amerikanischen Camp David verhandeln die Aussenminister Vance (USA), Dajan (Israel) und Kaamel (Ägypten) über eine Friedenslösung in Nahost. Ägypten wird daraufhin von den übrigen arabischen Staaten isoliert. In Nicaragua beginnt der Bürgerkrieg gegen das Regime Somoza; in Rhodesien einigen sich Ministerpräsident Jan Smith (der kürzlich, jetzt vom 30. November 2007 aus gesehen, gestorben ist) und die gemässigte schwarze Opposition auf die Übergabe der Regierung an die schwarze Bevölkerungsmehrheit bis zum Jahresende. In Italien wird der christdemokratische Politiker Aldo Moro entführt und später ermordet. Nordindien wird von der grössten Flutkatastrophe seit Menschengedenken heimgesucht.
Am 16. Oktober wird der Pole Karol Wojtyla als Johannes Paul II. zum neuen Papst gewählt, nachdem sein Vorgänger Johannes Paul I. nur 34 Tage im Amt war. Er ist seit 456 Jahren (der vermeintlich deutsche, tatsächlich jedoch niederländische Papst Hadrian VI. kam 1522 ans Pontifikat) der erste Nichtitaliener auf dem Heiligen Stuhl. In den USA werden Chlorfluorkohlenwasserstoffe als Treibgas wegen der die Ozonschicht zerstörenden Wirkung verboten. Das erste Retortenbaby wird geboren. Die USA starten zwei Pioneer-Sonden in Richtung Venus. Mit Muhammed Ali wird erstmals ein Boxer zum dritten Mal Weltmeister aller Klassen (gegen Leon Spinks).
1978 ist das Jahr folgender Bands, Sängerinnen und Sänger: Wings, ABBA, Kate Bush, Bee Gees, Boney M., The Commodores, John Travolta & Olivia Newton-John, 10CC, Boomtown Rats, Rod Stewart, Village People (Y.M.C.A., Kultsong der Schwulenszene bis heute), Umberto Tozzi, Bino und Plastic Bertrand.
1978 sterben neben den Päpsten Paul VI. und Johannes Paul I. der Maler Giorgio de Chirico, der mit seiner «metaphysischen Schule» den Stil der Surrealisten vorweggenommen hatte, der Schauspieler Charles Boyer, der seine vermutlich berühmteste Rolle 1943 als Gregory Anton in dem Film «Das Haus der Lady Alquist» hatte, in dem er versucht, seine Frau Paula – gespielt von Ingrid Bergman – davon zu überzeugen, dass sie wahnsinnig sei, die Anthropologin und Ethnologin Margaret Mead sowie die ehemalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir. Margaret Mead wurde durch ihre Forschungsreisen von 1931 nach Neuguinea weltberühmt, wo sie die Stämme der Arapesh, Tchambuli und Mundugumor erforschte und aus ihrem Material folgerte, dass die uns bekannten Geschlechterrollen kulturell bedingt seien und nicht genetisch vorgegeben. Sie war die erste Person, die diese These empirisch zu belegen schien und gab damit den gesamten Sozialwissenschaften neue Impulse.

Mittwoch, 28. November 2007

Das Letzte

«Ein aufdringlicher Geruch störte die Frau. Nicht der, der noch lange nicht. Aber sie sah im Bad, dass das letzte, was der Mann getan hatte, noch da war – wie er selbst. Er hatte es nicht mehr beseitigen können. Das tat jetzt die Frau für ihn, so wie sie ihn selbst auch beseitigen würde, wenn die Zeit dafür gekommen ist.»
Eva Demski, in «Scheintod».

Sonntag, 25. November 2007

Samstag, 24. November 2007

Freitag, 23. November 2007

Freedom



freiheit
liberté
freedom
libertad
libertà
libertade
vrijheid
Свобода
Ελευθερία
kebebasan

Donnerstag, 22. November 2007

Musik Music Musica

Wir alle sind gleichzeitig Schauspieler und Zuschauer auf der Bühne des Lebens.
Doch die Zeit fliesst.
Musik ist Leidenschaft, Musik ist Intelligenz, Musik ist Humor, Musik ist Intensität, Musik ist Leben.

We all are actors and audience at the same time on the stage of life.
But the times goes by.
Music is passion, music is intelligence, music is humour, music is intensity, music is life.

Nous tous sommes des acteurs et des assistances en même temps sur l'étape de la vie. Mais les temps s'écoule.
La musique est passion, musique est intelligence, musique est humeur, musique est intensité, musique est la vie.

Tutti siamo attori e pubblici allo stesso tempo sulla fase di vita. Ma i tempi va vicino.
La musica è passione, musica è intelligenza, musica è umore, musica è intensità, musica è vita.

Todos somos agentes y audiencias en el mismo tiempo en la etapa de la vida. Pero los tiempos van por música son pasión, música son inteligencia, música son humor, música son intensidad, música son vida.

Nós todos somos atores e audiências ao mesmo tempo no estágio da vida. Mas os tempos vão pela música são paixão, música são inteligência, música são humour, música são intensidade, música são vida.

We DE are actors and zitten at the same time men the stage of LIFE. Doel the times goes by. Music is hartstocht, music is intelligentie, music is humor, music is intensity, music is LIFE.

Mittwoch, 21. November 2007





Ulrike Meinhoff, Lufthansamaschine Landshut in Mogadischu, Aiguemorte

1977




Bob Marley, Donna Summer


Die erste Ausgabe der Zeitschrift «Emma» von Alice Schwarzer erscheint, die unter anderem einen Artikel über die Schriftstellerin Virginia Woolf enthält, eine Schriftstellerin, die Frauen liebte. Auf dem Flughafen von Teneriffa/Spanien stossen ein amerikanischer und ein niederländischer Jumbo-Jet zusammen; dabei kommen 575 Passagiere ums Leben, nur 70 können gerettet werden. Generalbundesanwalt Siegfried Buback wird zusammen mit seinem Fahrer in Karlsruhe auf offener Straße von RAF-Terroristen erschossen. Die Täter bezeichnen in einem Bekennerschreiben Buback als «Akteur des Systems», der unter anderem die «Ermordung» Ulrike Meinhofs «inszeniert und geleitet» habe, und daher «hingerichtet» worden sei. Das Stuttgarter Oberlandesgericht verurteilt die Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe zu lebenslangen Haftstrafen. Der Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, wird in seiner Villa im Taunus bei einem Entführungsversuch von den Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt erschossen. Der inhaftierte Schwarzenführer Stephen Biko erliegt in Südafrika den Folgen von Folterungen und Misshandlungen von Seiten der Polizei. Palästinensische Terroristen entführen die Lufthansa-Maschine «Landshut» nach Mogadischu/Somalia und wollen damit die Forderung der Schleyer-Entführer nach der Entlassung inhaftierter RAF-Häftlinge unterstützen. Der 1973 aufgestellten Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes, GSG 9 (Grenzschutzgruppe 9), gelingt es, das entführte Flugzeug in Mogadischu zu stürmen und die Geiseln zu befreien. Am selben Tag begehen die Terroristen Baader, Ensslin und Raspe in Stuttgart-Stammheim Selbstmord (es kursieren aber wie immer in solchen Fällen auch bald schon Verschwörungstheorien, die davon ausgehen, dass die drei RAF-Terroristen ermordet worden seien).
Der am 5. September entführte Hanns Martin Schleyer wird im Kofferraum eines Autos in Mülhausen/Elsass tot aufgefunden. In der Bundesrepublik beginnt eine Grossfahndung nach 16 namentlich bekannten Terroristen, denen die Morde an Buback, Ponto und Schleyer vorgeworfen werden.
In der grössten Polizeiaktion der Geschichte Südafrikas werden mehrere oppositionelle Organisationen verboten und zahlreiche Schwarzenführer verhaftet. Der UNO-Sicherheitsrat beschliesst einstimmig ein unbefristetes Waffenembargo gegen Südafrika. Dadurch soll die Regierung in Pretoria zur Aufgabe ihrer Politik der Apartheid gezwungen werden. Die Schweiz, damals noch nicht Mitglied der UNO, umgeht dieses Embargo, indem vor allem in den Bereichen Rüstungsgüter und Nachrichtendienste Wirtschaftsunternehmen (Bührle, Autophon, Eidg. Pulverfabrik etc.), Behörden und Militärs das Aphartheidsregime in Südafrika in grossem Umfang tatkräftig unterstützen.
Im Radio hört man «Knowing Me, Knowing You» von den Abba, «Ma Baker» von Boney M. «Love is In the Air» von John Paul Young. Iggy Pop schafft den Durchbruch mit zwei von David Bowie produzierten Alben, von England aus gewinnt der Punk mit Sex Pistols, Rasierklingen, Sicherheitsnadeln und No Future auch auf dem Kontinent immer mehr an Boden, Giorgio Moroder produziert mit «I Feel Love» von Donna Summer, die zur Ikone der Schwulenszene wird, einen Megahit. Peter Tosh bringt das Reggae-Album «Legalize It» und Bob Marley die LP «Exodus» auf den Markt. Von den Pink Floyd, einer Lieblingsband von Felix, erscheint das Album «Animals».
1977 sterben neben den schon Erwähnten und weltweit vielleicht 50 Millionen anderen sozusagen namenlosen Menschen der Philosoph Ernst Bloch, der deutsche Ex-Bundeskanzler Ludwig Erhard, Charlie Chaplin und «the King» Elvis Presley. 1977 ist aber auch das Geburtsjahr der kolumbianischen Popsängerin Shakira, des Schweizer Fussballspielers Hakan Yakin und von Victoria, der Kronprinzessin des Königreichs Schweden. Und von über 100 Millionen weiteren Erdenbürgern, von denen allerdings niemals irgendeine Öffentlichkeit irgendetwas erfahren wird. Die Weltbevölkerung beträgt 1977 etwas mehr als vier Milliarden Nasen (breite, spitze, adlerartige, griechische, römische, asiatische, operierte, rote, schwarze, gelbe, blaue...).

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Felix sitzt in Genf auf einem Mäuerchen und findet, das Leben sei schlechthin kaum zu ertragen – Felix fühlt sich einsam, weil er mit Leuten zusammen ist, die er nicht liebt, und mit Leuten nicht, die er liebt. Ausserdem schmollt er ein bisschen, weil er bei den Menschen, mit denen er momentan zusammen ist, nicht im Mittelpunkt stehen kann, weil nämlich die seine besondere Art der Originalität nicht zu schätzen wissen, jawoll.
Felix findet jetzt, dass es ein Fehler war, dieses Wochenende mit Max in die Camarque zu fahren: Er kann kaum mehr mit Max zusammen sein, ohne sich permanent über ihn zu nerven. Dabei ist Felix ja selbst schuld, dass er sich auf jemanden eingelassen hat, mit dem er überhaupt nicht zusammenpasst.
Da sitzt er also in der Sonne an einem Genferseequai und könnte losheulen vor Wut, Enttäuschung, Frustration. Max ist mit Philippe, seinem Spezi, einem Schnösel, einer schwulen Föhnfrisur, mit Huch! Und Hach! auf Promenade; Felix hielt es einfach nicht mehr aus mit diesen affektierten Tunten – und hielt es nicht mehr aus, ganz am Rand eine Statistenrolle zu spielen. Ausserdem hat er Kopfschmerzen und ganz generell schlechte Laune.
Aber wir wollen der Reihe nach erzählen. Donnerstagabend ist Felix an einer Sitzung der Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern, kurz HAB, er hat sich in diesem Verein einer Gesprächsgruppe angeschlossen, die sich einmal wöchentlich über Beziehungsprobleme, sexuelle Vorlieben und ganz allgemein über die persönlichen schwulen Befindlichkeiten austauscht, aber es läuft ziemlich schlecht für ihn. Schlecht heisst, dass Felix versucht, für einmal aus seinem Schneckenhaus aus Nettigkeit und Harmlosigkeit herauszukommen und nicht immer nur «lieb» zu sein, dass er versucht, über seine wahren Gefühle zu sprechen, aber das kommt dann prompt schief heraus, er stösst auf Unverständnis bei Hans, auf lüsterne Neugierde bei Patrick, auf Ablehnung bei Fritz und Franz, einem Paar, das man immer nur im Doppelpack wahrnehmen kann, und einzig Ernst oder Aschi scheint das, was Felix zu sagen haben glaubt, nachvollziehen zu können. Felix findet es gut, dass die Harmonie ihrer Gruppe einmal ein bisschen aufgebrochen wird, das sich gegenseitig verständnisvolle Auf-die-Schultern-Klopfen, aber dass dies auf seine Kosten geschieht, kommt ihm dann doch nicht gelegen, er findet es im Gegenteil total ungerecht, wie das Leben überhaupt und ganz generell.
Und nun, in diesen vier letzten Tagen, die über tausend Kilometer Autofahrt, was haben sie für einen Sinn gehabt? Felix will eigentlich nicht klagen, er ist, wie wir wissen, ja ganz geil aufs Reisen. Aber was für einen Sinn hat die Reiserei so, mit Max? Dieser Max ist ein derart mit allen Wassern gewaschenes, ja gestriegeltes Gesellschaftstier, um nicht zu sagen Waschweib, obwohl damit nichts gegen diese fleissigen und tapferen Frauen gesagt sein soll, die sich in der Hitze des Sommers und in der eisigen Kälte des Winters über ihr Wäsche beugen oder vielmehr früher einmal gebeugt haben werden – Felix findet diesen Max nur noch oberflächlich, feige, dabei langweilig, aber hysterisch und über alle Massen tuntig und unendlich affektiert. Felix hält diesen Max in diesem Moment überdies für den grössten Egoisten des Universums – nicht in materieller Hinsicht, da schlägt der maxsche Egoismus eher ins Gegenteil um, das hängt mit dem reichen Elternhaus von Max zusammen und mit der Tatsache, dass Max alles kaufen zu können glaubt, sein Egoismus geht eher in Richtung Eitelkeit, Gefallsucht und Dominanzstreben, ist also eher ein Egozentrismus, sozusagen ein Maxismus, und das klingt sprachlich wirklich nur rein zufällig wie Marxismus. Ja, Max will bestimmen, wohin der Karren zu laufen hat, und Max will im Mittelpunkt stehen – und es ist einfach nur lächerlich, wenn ein solcher Idiot wie Max im Mittelpunkt steht. Felix will, auf eine subtilere, introvertiertere Art, zwar auch im Mittelpunkt stehen. Das würde er aber niemals zugeben, nicht einmal vor sich selbst. Felix, der natürlich noch immer nicht über viel Geld verfügt, schwört sich, dass diese Reise, für die Max ihn schliesslich gebraucht und gewollt hat, wenigstens nicht auch noch in finanzieller Hinsicht zum Desaster für ihn werden soll. Dass Felix etwas an die Bezinkosten von Max zahlt, kann sich dieser ans Bein streichen, der Wichtigtuer. Das ist definitiv, darüber wird nicht mehr verhandelt.

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Unter den Bäumen des Südens
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Am Freitagnachmittag fahren sie also von Bern über Genf nach Lyon, wo sie bei Michèle und Jacqueline, die Max von einem Ferienjob in Frankreich her kennt, erstmals Station machen. Die Fahrt führt durch ein landschaftlich schönes Gebiet, aber sie kriechen hinter stinkenden Fünfachsern her, das schmälert das Reisevergnügen erheblich. Hinter Bellegarde trinken sie in einer Bar einen Kaffee – da fühlt sich Felix erst richtig auf Reisen. An den Tischen sitzen Algerier und Schwarze und spielen Domino mit den Franzosen.
Michèle teilt die Wohnung mit einem kleinen, starken, bärtigen Franzosen (natürlich mit einem Franzosen, wie sind hier ja schliesslich in Frankreich); bei ihrem Eintreffen hocken und liegen da eine ganze Menge Leute herum, dazwischen krabbelt ein Kind, eine kleine Katze namens Valentine reibt sich an ihren Beinen, französisches Geplauder wabert elegant und etwas hochnäsig durch den Raum und einer spielt Gitarre und fühlt sich wie Gilbert Bécaud und ein anderer wie Monsieur 100'000 Volt. Michèle hat fast weiss gefärbte, gelockte Haare, sie ist nicht hübsch, aber lebhaft und offenbar intelligent, intelligenter auf jeden Fall als Max, wie Felix boshaft feststellt (aber intelligenter als Max ist ja fast jeder). Sie hat lustige Augen. Ihre Kleider stammen nicht gerade aus einer Edelboutique, sie hat etwas Zigeunerhaftes und Natürliches an sich, das angenehm berührt in einer Welt von so viel maxscher Geschleckt- und Blasiertheit (was findet die denn bloss an Max, rätselt Felix. Na ja, vielleicht gar nichts, und sie versucht nur, nett zu sein).
Jacqueline, die zweite Bekannte von Max, ist sehr hübsch, mit langem blondem Haar und Model-Figur. In der Küche wird den beiden petits Suisses ein Imbiss serviert, Michèle und Jaqueline und Max palavern französisch über vergangene Zeiten, das heisst, vor allem das geölte Mundwerk von Max ist maschinengewehrartig am Schnattern, und Felix spricht in leichter Panik einem Cognac zu. Um etwa elf Uhr fahren sie zu sechst in die Innenstadt, schlendern durch die autofreie Zone und kehren in einem Jazzclub ein. Felix ist nun ganz zufrieden, weil die Musik spielt und er nicht dauernd das Geplapper von Max hören muss.
Felix versucht schon gar nicht mehr, charmant zu sein, Max stiehlt ihm die Show sowieso, Felix ist also, wie er ist, und pausenlos aufregen kann man sich schliesslich auch nicht. Sie fahren in die Wohnung zurück und Felix schlüpft in einen Schlafsack auf einer Matratze, die stinkt, weil wahrscheinlich die kleine Katze Valentine darauf gepinkelt hat, aber was solls, Felix ist müde, er schläft ein und träumt von Max, der ihm eine Standpauke hält, weil Felix sich mal wieder daneben benommen hat, weiss Gott wie und wann und warum.

Am anderen Tag fahren sie los, Richtung Süden, der Himmel ist wolkenlos, der Verkehr auf der Autobahn du Soleil schon etwas mehr als dicht, die beiden Französinnen unterhalten sich in perlenden Wortkaskaden auf den Rücksitzen, Max schwitzt am Steuer und Felix fährt mit seinen Augen über die Landschaft zu seiner Rechten und zu seiner Linken wie mit Pinseln und wird schläfrig durch die Hitze, im Radio läuft ein Stück aus dem neuen Album von Jean-Michel Jarre, Oxygène, es wird Nachmittag und sie sind in Aiguemorte, die Stadtmauer erinnert Felix an Tunesien oder Marokko, sie trinken gekühlten Rotwein unter den «Bäumen des Südens», die jungen französischen Kellner sind mehrheitlich hübsch. Dann montieren sie in Saint-Marie de la Mère auf dem Zeltplatz am Meer ihr Nylonhaus. Sie liegen ganz friedlich am Strand, bevor Felix von Max zu einem Gruppenausritt zu Pferd genötigt wird, womit es mit dem Frieden vorbei ist. Sie reiten durchs Wasser und übers Land, aber das Reiten ist nun mal gar nicht das Ding von Felix, während Max natürlich mit affektierter und eleganter Souveräniät auf seinem Rappen sitzt. Das Pferd von Felix ist zwar eine lahme, uralte Stute namens Claudine, aber wenn sie auf Trab kommt oder gar ein bisschen galoppieren will, schlägt der süsse Arsch von Felix eins zwei eins zwei im Sattel auf, und zwar gegen den Takt, so dass er abends einen blauen Hintern hat. Dann tut die alte Mähre wieder gar nichts und frisst Gras, die anderen Reiter sind schon längst ausser Sichtweite, und die Kommandos, die man Felix vor dem Ausritt beigebracht hat, prallen wirkungslos an Claudine ab. Gott sei Dank ist dann bald Abend und somit Zeit für die Aperitifs, denen sie in den Strassencafés gleich mehrfach und recht variantenreich zusprechen, mal sind die Getränke rot, dann wieder milchig weiss oder giftig grün, schmecken aber immer gut. Solches Tun ist schon mehr nach Felix Geschmack als das Reiten, und er wird richtig gut gelaunt und sogar ganz nachsichtig mit Max. Die untergehende Sonne färbt den Himmel purpurrot, jetzt ist eine Fischsuppe an der Reihe und die Stunde des Baguette und der Meerfrüchtchen angebrochen. Beim Verdauungsspaziergang kommen die fidelen Französinnen auf die Idee, die Disco zu besuchen. Eine solche befindet sich Gott sei Dank oder vielmehr üblerweise ganz in der Nähe des Zeltplatzes, also ist es vielleicht keine schlechte Idee, in diesem Etablissement tanzen zu gehen, weil man ja ohnehin nicht schlafen könnte bei dem Lärm. Gegen Morgen, als sie sich mit sturmen Birnen endlich schlafen legen, quaken dann nur noch die Frösche.

Als dieser Morgen dann mit voller Kraft angebrochen ist, werden sie, kaum dass ihr Ohr das Kissen berührt hat, von der Sonne, die brutal auf das Zelt knallt, geweckt, und Felix wankt unausgeschlafen zum Strand, um sich mit einem Morgenbad zu erfrischen. Ferien im Zelt sind eigentlich, wie das Reiten, nicht so die Sache von Felix, der zur Bequemlichkeit neigt und am liebsten in einem Kingsize-Bett mit Seidenbettwäsche in einem Fünfsterne-Hotel aufwachen würde. Da er aber leider nicht als Prinz, sondern eher als Bettelknabe geboren ist, müssen solche Träume zwangsläufig Schäume bleiben. Die noch ofenwarmen, herrlich schmeckenden Croissants versöhnen ihn aber mit dem Tag. Dann sind sie wieder on the road – pardon: en route – , schliesslich handelt es sich hierbei nur um einen kurzen Pfingsturlaub, sie fahren nach Aiguemorte zurück und dann noch einmal ans Meer, nach Grau-du-roi, einem an sich malerischen Fischerort für Touristen und mit einem Strand in der Nähe, der sich über Kilometer erstreckt. Es hat einzelne Nacktbader da, aber der Strand ist erst spärlich bevölkert. Nach einem kurzen Nickerchen im Sand – der hellhäutige Felix holt sich bei dieser Gelegenheit einen kleinen Sonnenbrand, aber zur Zeit sind UV-Strahlen, Hautkrebs und schwarze Melanome noch kein Medienthema – fahren sie nach Port Camargue, einer Grau-du-roi gegenüber liegenden Hotelbunkerwüste, wo Max seine Ferienarbeitgeber von letztem Jahr begrüssen will. Port Camargue ist ein hässlicher, aus dem Boden gestampfter Retortenort. Max findet seine Bekannten und schwatzt und schwatzt und schwatzt, das dauert, Felix langweilt sich und leidet unter der prallen Sonne zwischen all dem Beton und wird wieder ungnädig mit Max, auch die Mädchen machen allmählich lange Gesichter, man könnte ja zumindest irgendwo einkehren, aber nein. Endlich findet die Show von Max – ohne Schlussapplaus – ein Ende, und sie fahren nach Grau-du-roi zurück, wo sie eine Pizza essen. Es ist inzwischen später Nachmittag und damit höchste Zeit, Richtung Norden zu fahren.
Nach einigen beschwerlichen, weil unklimatisiert heissen Stunden auf der Autobahn treffen sie in Valence ein, von wo aus die beiden Mädchen den Zug zurück nach Lyon nehmen. Felix und Max bleiben für eine Nacht im Ort, suchen den Camping und gehen dann zurück zum Bahnhofplatz, an dessen Peripherie sich diverse Bars befinden. Sie essen erst mal Hähnchen und Pommes-frites im Bahnhofsrestaurant. Am Nebentisch sitzt ein komisches älteres Ehepaar mit zwei weissen, kunstvoll frisierten Pudeln, die eine auffällige Ähnlichkeit mit ihren Besitzern aufweisen, irgendwie, und die permanent deren ganze Aufmerksamkeit beanspruchen; die beiden (nein, nicht die Pudel) haben je eine Flasche Wein vor sich stehen und tafeln ausgiebig, nicht ohne die Hunde an ihrem Mahl teilhaben zu lassen (Wein bekommen die Vierbeiner allerdings keinen).
Dann sitzen Max und Felix vor einer der Bars und beobachten junge Burschen der internationalen oder multikulturellen Art, die ja bekanntlich besonders reizvoll sind. Felix treibt mit einem jungen Franzosen sein Augenspielchen, er kann das inzwischen ganz gut, und der junge Franzose macht erstaunlicherweise mit, setzt sich schliesslich an einen Tisch gegenüber und schaut Felix lange und vielsagend in die Augen. Felix hätte ihn ansprechen wollen, traut sich aber mal wieder nicht, und ausserdem ist da, wie wir wissen, auch noch Max. Schliesslich nehmen sie gemeinsam einen schlanken, dunklen Boy ins Visier. Als sie aufstehen und drei-, viermal an der Bar vorbeischlendern, vor der das fleischgewordene Versprechen von Sex und Erotik sitzt, steht dieses auf und steigt zu einem älteren Algerier ins Auto. Das Auto fährt in ihre Richtung und hält neben ihnen an. Der Traumboy schaut sie fragend an; Max und Felix schweigen verlegen, fühlen sich irgendwie ertappt – es ist fast schon komisch. Nach einer peinlichen Pause werden sie ins Auto gebeten und steigen auch willig ein, sich gewissermassen auf eine Carte blanche einlassend. Was sie wollten, werden sie gefragt, ob sie in eine Diskothek tanzen gehen wollten? Der Eintritt koste 50 Franc pro Person und sie als arme Einwanderer aus dem Maghreb hätten keinen Sous in der Tasche, weshalb sie bitte gerne eingeladen werden möchten. Nun haben Max und Felix leider auch nur noch wenig französisches Geld dabei, da sie Frankreich ja morgen gegen Mittag verlassen wollen. Nichtsdestotrotz fährt der Algerier jetzt los, und unser Paar sitzt gewissermassen in der Patsche. Sie fahren schweigend durch Vororte und durch ein Wäldchen und halten schliesslich vor einer ziemlich abgelegenen Diskothek, aber Felix und Max können es nicht ändern: ihr Geld reicht nicht für den Eintritt für alle, und die Zeit des Plastikgeldes ist, zumindest für das gemeine Volk, zu dem Max dann doch auch wieder ein bisschen gehört, noch nicht angebrochen. Es gibt ein kurzes Hin und Her, aber schliesslich werden sie trotz allgemeiner Verstimmung doch mit dem Auto zurück nach Valence gefahren. Es ist zwar nichts aus dem erhofften Sexabenteuer geworden, aber immerhin sind sie heil aus der Sache herausgekommen. Max ist für den Moment nicht mehr ganz so selbstbewusst wie sonst und die beiden schämen sich ein wenig voreinander, bevor sie ins Zelt kriechen, um vor der Rückreise noch einige Stunden zu schlafen. Diese führt sie über Grenoble, Aix-les-Bain (wo sich eines der schönsten Casinos Frankreichs befinden soll, das aber Max und Felix nicht mal von aussen sehen) und Annecy quer durch Savoyen nach Genf, wo Max den bereits erwähnten Kollegen Huchundhach! trifft und Felix sich schmollend auf ein Quaimäuerchen am See setzt.

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Dass die Beziehung zwischen Max und Felix nach dieser Pfingstreise nicht mehr lange hält, wird nach deren Schilderung niemanden allzu sehr überraschen. Wenig später verliebt sich Felix zudem in Peter, dem er an einem heissen Sommertag während eines Picknicks an den Ufern der Aare begegnet, und dieses Mal nimmt es ihm den Ärmel richtig herein. Felix arbeitet zurzeit als Buffetbursche im Restaurant Drei Eidgenossen, im Volksmund «Zu den sechs Arschbacken» geheissen. Das ist nicht gerade ein Nobellokal oder ein In-Place, dafür ein Biotop aus Huren, Zuhältern, Säufern, Schwätzern, Herumtreibern und scharfen jungen Rockern in schwarzen Lederhosen, für Felix wiederum eine Reise in eine andere Welt. Mit Peter ist Felix mehrere Jahre zusammen – allerdings mit Unterbrüchen – und gemeinsam unternehmen sie einige kleinere und grössere Reisen. Peter ist ein Halbwilder, ein Abenteurer, Draufgänger, Glücksritter und Herzensbrecher, er ist denkbar anders als Felix, aber das macht ihn wohl gerade so anziehend für ihn.

Dienstag, 20. November 2007

Algeciras, 21. Juni 1976




(Bildlegende: Cerbère; Algeciras)


Als Felix am Morgen erwacht, ist das erste, was er denkt: Algeciras, so eine Scheisse, und leichte Übelkeit, etwas wie Brechreiz, steigt in ihm hoch. Dazu der Latrinengeruch, der sich über Nacht im Zimmer breitgemacht hat. Er schleppt als Souvenir aus Marokko immer noch einen Dünnpfiff mit sich herum, dazu haben sich synchron Hämorrhoiden eingestellt. Sein Zug nach Madrid fährt erst um drei Uhr fünfzehn und nun muss er hier in diesem völlig uninteressanten Nest einen ganzen Tag totschlagen, dazu noch allein und fast völlig blank. Sein Freund Ingo, der es nicht für nötig gehalten hat, Felix etwas Geld zu geben, schöner Freund so einer, ist um elf Uhr dreissig mit dem Bus nach Malaga gefahren, da er von dort mit dem Flugzeug in die Schweiz zurückfliegt. Das kann Felix als armer Student sich natürlich nicht leisten. Nun, seine Laune ist im Moment ziemlich mies. Sein Kopf ist übervoll von Eindrücken und weigert sich, noch irgendetwas Neues aufzunehmen. Dazu auch etwas viel Haschisch die letzten zwei Wochen – Katerstimmung also, sowohl im psychischen wie im physischen Sinn.
Es ist inzwischen 15 Uhr, Felix sitzt, es tut ihm und auch uns leid und wir können es nicht ändern, unter einer Palme auf einer Bank, die mit Marmormosaiken – Szenen aus den Romanen von Cervantes – geschmückt ist, mitten auf dem Dorfplatz, der nach dem kürzlich verblichenen Generalissimo Franco, hol ihn der Teufel, benannt ist, und hat bis jetzt gelesen, aber nicht etwa den Don Quichotte, sondern ein Buch von Hemingway, «Wem die Stunde schlägt», ein Roman über den oder aus dem spanischen Bürgerkrieg, der Felix aber nicht sehr gefallen hat, dieses Kriegsheldentum geht ihm, vor allem jetzt, kurz nach absolvierter Rekrutenschule, gehörig auf den Geist, und auch der im Buch breitgetretenen Hetero-Männerromantik kann er nicht allzu viel abgewinnen.
In Algeciras werden im Moment irgendwelche folkloristischen Festtage zelebriert, mit Stierkämpfen hat es ebenfalls zu tun den Plakatanschlägen nach, jedenfalls promenieren die Frauen flamencomässig in faltenreichen und farbenfrohen Klamotten herum, und Männer in spanischer Tracht, die so aussehen, wie Felix sich mexikanische Cowboys vorstellt, gruppieren sich im Moment auf Pferden vor der Bar «Mercedes», die unmittelbar vor Felix einladend ihre Tore geöffnet hat, und erhalten Wein und Zigaretten.
Die Gegenwart sieht so aus: Felix besitzt noch 973 Peseten, davon gehen 17 weg für das Glas Milch, das er seines angegriffenen Gesundheitszustands wegen neben sich stehen hat (er sitzt inzwischen in einer kleinen Bar am Meer). Die Gegenwart: Durchfall plagt ihn. Felix hockt mit seinem hämorrhoidengeplagten Arsch an einem blauen runden Tisch mit schwarzrostenen Beinen auf einem roten Stuhl mit Kunststoffsitz und Metallbeinen und -armlehnen. Vor ihm eine vierspurige Strasse, zwischen Strasse und Café Platz für parkende Autos, unmittelbar vor ihm, drei Meter entfernt, steht ein blauer Mercedes mit der Kennnummer CE 0899 A, im Mittelgrund befindet sich das Gebäude der Transmediterranea, auf dem in roten Buchstaben steht: Ferry Ceuta – Tanger – Canarius – Barcelona/Liamadet – Ferry Tanger. Vor dem Gebäude Fahnen, rechts hinten ein Frachtschiff weiss/blau, links Palmen, im Hintergrund das Meer. Schilder: Ciudad de Algeciras, Poblacion 100000 h. «h» steht für hombres, nimmt Felix an; Frauen werden mitgemeint sein. Oder: Barrio San Isodoro. Plaza alta. Die Leute, die vorbeigehen: ein Alter mit Baskenmütze, eingefallenem runzligem Gesicht, Babynase, hängenden Schultern; er hat eine helle Jacke an und dunkle Hosen. Ein Grimmiger mit Sonnenbrille, Bauch, Fotoapparat und Frau. Eine Familie mit Söhnchen. Ein Marokkaner mit Zipfelmütze. Eine dicke, blau gepunktete Frau mit auftupiertem Haar und Doppelkinn. Zwei Schönheiten mit fliegenden Röcken. Und vor Felix liegt jetzt nicht mehr der Hemingway auf dem Tischchen, sondern ein Buch mit Detektivgeschichten wie «Die Morde in der Rue Morgue» und «Das Geheimnis um Marie Roget» von Edgar Allan Poe.

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Mit leerem Magen durch Spanien…
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In der Nacht ist Felix dann in eisenbahnspanisch-langsamem Tempo von Algeciras nach Madrid unterwegs, er kaut mit einem marokkanischen Weltenbummler die ganze Weltpolitik durch und flirtet aus lauter Langeweile mit einem dicken deutschen Mädchen, es will und will nicht werden und ist bereits Mittag, als sie im Madrider Bahnhof Atocha ankommen. Felix fährt sofort weiter zum Bahnhof Chamartin, wo er sich bei der Auskunft nach den nächsten Zügen Richtung Barcelona-Cerbère-Genf erkundigt. Die Dame hinter dem Schalter präsentiert ihm verschiedene Möglichkeiten. Er könne den Talgo, Abfahrt 13.55 Uhr, nehmen und komme etwa um 19 Uhr in Barcelona an, wo er genug Zeit habe, um 20.03 nach Genf weiterzureisen; oder er könne erst den Nachtzug nehmen, müsse dann aber auf den 20.03-Zug des nächsten Tages warten.
Da Felix wegen seines akuten Geldmangels so schnell wie möglich weiter will, entscheidet er sich für die erste Variante. Er löst am Schalter die Platzkarte und muss, grosser Schreck, man rechne, etwa 700 Peseten Zuschlag zahlen, da der Talgo so eine Art Superzug ist, mit einer Air Condition, die bewirkt, dass der Reisende fröstelnd im Polster sitzt und sich einen Schnupfen holt und die Dame gegenüber sich das Strickjäckchen über die Schultern legt. Felix sitzt in seinen ungewaschen Kleidern und selber auch seit längerer Zeit ungeduscht in diesem Luxuszug wie in einem Flugzeug, aber das ist alles nur Schein, denn der Zug bewegt sich in Tat und Wahrheit im Schneckentempo vorwärts. So schaukelt und schunkelt Felix missgelaunt durch die wildwestfilmreife Landschaft, die sich langsam an ihm vorbeibewegt, mit knurrendem Magen notabene, denn neben ihm verspeist ein beleibter Herr ein mehrgängiges Luxuszugmenu, von dem Felix sich bei seinem momentanen Kontostand höchstens das Brötchen leisten könnte und vielleicht noch zwei oder drei Blättchen des Salats. Ihm läuft das Wasser im Mund zusammen, und er kommt sich in seinen zerschlissenen Jeans vor wie der arme Lazarus, den es unverhofft und unpassenderweise an die Tafel der Reichen verschlagen hat, sieht er sich doch umgeben von personifizierter spanischer Bürgerlichkeit, die ihn mit scheelen Seitenblicken bedenkt.
Nach und nach realisiert Felix, dass die Ankunftszeit von 19 Uhr niemals zu halten ist, und er beginnt trotz penetranter Kühlung wieder einmal zu schwitzen, denn er hat jetzt definitiv nicht mehr genug Geld, um sich in Barcelona ein Hotel zu leisten, und sei es auch noch so eine heruntergekommene Bruchbude. Und Felix ist echt sauer, vor allem auf das Auskunftsfräulein in Madrid, diese ignorante, unfähige Schnepfe, aber auch ganz generell auf Spanien, das Felix in seinem inneren Monolog ziemlich unfein als «einen einzigen Scheisshaufen» bezeichnet.
Um 22 Uhr kommt Felix endlich in Barcelona an, müde, hungrig, verschwitzt, sehr schmutzig und stinkend, und kein Lager wartet auf ihn, wo er seine geschundenen Glieder und sein erschöpftes Haupt zur Ruhe betten könnte. Trotzdem muss er die Nacht in Barcelona verbringen, und sei es auf der Strasse – daran gibt es nichts zu rütteln. Vor allem aber zerrt der Hunger an seinen Eingeweiden. Felix hat noch nie gebettelt und muss sich deshalb sehr überwinden, bis er es schafft, einen Tramper aus Japan um ein Stück Brot zu bitten. Der schaut den abgerissenen Felix ziemlich verwundert an und macht sich so seine Gedanken zur sozialen Lage der Jugend in Europa. Felix lungert im Bahnhof herum und sucht auf dem Stadtplan einen Park, obwohl ihm davor graut, in einer fremden Stadt in einem dunklen fremden Park zu schlafen, wo man womöglich vergewaltigt oder gar ermordet wird. Da kommt ein alter, unrasierter Spanier, der ebenfalls nicht den feinsten Kreisen anzugehören scheint, herangeschlurft, und fragt Felix, ob er eine Unterkunft suche. Als dieser das verneint, gezwungenermassen, will der Fremde unserem Felix die Armbanduhr (ein Konfirmationsgeschenk, sie hat etwa 150 Franken gekostet), abkaufen, und zwar für 200 Peseten und einen einzelnen Dollar. Nun, es hat wahrscheinlich schon bessere Geschäfte gegeben, aber was ist schon eine Armbanduhr gegen ein Bett als Alternative zu einer Nacht im Park, in dem man womöglich vergewaltigt oder gar ermordet wird? Die billigste Pension am Platz hat, wie Felix bei der Hotelvermittlung erfährt, für 150 Peseten ein Bett frei. Es befindet sich in einem Abbruchhaus in der Nähe des Bahnhofs, aber dieses Zimmer ist für Felix in Anbetracht seiner Lage mehr wert als für andere eine Suite in einem Luxustempel.
Vor einer Bar, draussen auf den Gartenstühlen, hockt er sich still und klein und irgendwie dankbar hin, nippt an dem letzten Glas Bier, das er sich wieder einmal leisten kann, und schaut einem Fussballspiel zu, das sie im Farbfernsehen, das es damals immerhin schon seit etwa acht Jahren gibt, übertragen. «Deutschland gegen die ČSSR», informiert ihn der Mann hinter der Bar, «es steht zwei zu zwei» (es handelt sich um das Endspiel der Europameisterschaft, das Deutschland schlussendlich im Elfmeterschiessen mit 5 zu 7 Toren verliert). Dann schläft Felix ein, in seinem Königreich von einem Bett, und er schläft wie ein Stein, der in einen Burggraben oder einen Ziehbrunnen oder einen Baggersee oder weiss der Teufel sonst was sehr Tiefes fällt.


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…und mit vollem Magen durch Frankreich
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Und jetzt sitzt Felix also wieder im Zug (Salida: 10.50) und weiss einmal mehr nicht, ob er in Cerbère einen Anschlusszug nach Genf hat. Der Bahnbeamte, der ihm in Barcelona die Platzkarte ausgestellt hat, hat ihm das zwar versichert, aber Felix traut keiner Auskunft der spanischen Bahn mehr über den Weg. Er überblickt erneut seine momentane Barschaft, die jetzt aus 154 Peseten, 8 Franken 45 Rappen, einem US-Dollar und 40 Centime Maroc besteht. Soeben hat ihn der Talgo-Scheisszug nach Genf überholt. Sie befinden sich in Gerona, der Zug wartet schon seit zwanzig Minuten im Bahnhof, setzt sich nun aber wieder in Bewegung. In Cerbère erlebt er jedoch gleich die nächste Überraschung: Kein Zug nach Genf zwischen seiner Ankunftszeit um zwölf Uhr dreissig bis Mitternacht! Elf Stunden warten in so einem Scheisskaff! Und dann verliert er in der Schalterhalle, als er den Rucksack einstellt, auch noch das einzige nicht ausgelesene Buch, das er bei sich hat (ausgerechnet «On The Road» von Jack Kerouac, der auf seinen Trampfahrten kreuz und quer durch die Staaten ebenfalls oft an akutem Geldmangel litt), sein Schreibzeug und Papier. Plötzlich ist der Plastiksack, in dem sich die erwähnten Dinge befinden, einfach weg – unauffindbar. Cerbère, das sei hier schon mal gesagt und wird sich später bestätigen, ist definitiv ein Ort, der nicht ganz sauber ist, um es mal so auszudrücken.
Cerbère ist ein kleines Dorf an einer eindrücklichen, etwas unheimlich wirkenden Bucht, dessen Zentrum eindeutig der internationale Bahnhof ist; diesem ist auch zu verdanken, dass es in Cerbère etwas Durchgangstourismus gibt. Felix legt sich im Sand nieder und wartet darauf, dass die Zeit vergeht. Das Hungergefühl nagt an seinen Eingeweiden. Felix hat gehört, dass sich beim Fasten dieses Gefühl mit der Zeit verflüchtige, aber das entspricht ganz sicher nicht seinen Erfahrungen, eher ist das Gegenteil der Fall. Der Hunger in seinem Bauch beschwichtigt sich mit dem langsamen Verstreichen der Minuten bis Viertelstunden nicht, sondern wird wütender. Trotzdem macht Felix einen Spaziergang – etwas muss er ja tun – und gelangt etwas ausserhalb des Ortes gegen die spanische Grenze zu auf einen gegen das Meer hin steil abfallenden zerklüfteten Felsen. Die Schönheit und die nur von Grillengezirp untermalte Ruhe der Natur besänftigen ihn ein bisschen und helfen ihm, sich in den Moment zu fügen und das Trennende seiner Ungeduld, dieses Fixiertsein auf ein Ziel, das in der Zukunft liegt, für eine Weile zu vergessen. Nach ein paar Stunden marschiert er zurück ins Dorf, kauft sich in einem Laden trockene Biskuits für zwei Francs, eine Flasche Wasser und ein Päckchen Gauloises verts. Nun ist er völlig stier, einmal abgesehen von den 40 Centimes Marocs und ein paar Schweizer Rappen. Einige Leserinnen und Leser mögen jetzt denken, das Päckchen Gauloises verts sei die falsche Investition in einer solchen Lage. Dem müssen wir aber energisch widersprechen. Zigaretten beschwichtigen das Hungergefühl wirksamer als ein lächerliches bisschen Essen, auf das dann nichts folgt. Und Felix macht sich diesen Kaufentscheid wahrhaftig nicht leicht. Es ist inzwischen Abend, und er geht wieder zum Bahnhof, um seinen Rucksack auszulösen. Da trifft er vier junge Amerikaner aus San Diego, California, in der Schalterhalle, er kommt mit ihnen ins Gespräch und sie beschliessen, in der Dämmerung noch einmal zum Strand hinunter zu gehen, bis Felix dann Richtung Genf und die Amerikaner Richtung Mailand aufbrechen müssen. Sie hocken sich auf die Steinblöcke, die die Bucht gegen das Meer hin abschirmen, und einer der amerikanischen Jungs, ein Blonder mit zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen langen Haaren, singt mit schöner Stimme und begleitet sich dazu auf der Gitarre. Kleine Jungen krabbeln um sie herum und sind auf Krebsfang, die Dunkelheit wird dichter, es ist eine warme, samtige Dunkelheit, eine schöne und friedliche Stimmung, und wäre da nicht dieses nagende Hungergefühl, würde Felix sich beinahe glücklich fühlen.
Dann, im Zug, hat Felix eine echte Glücksträhne. Eine bildhübsche junge Spanierin setzt sich, obwohl der Zug halb leer ist, zu ihm ins Abteil und beginnt mit ihm zu flirten. Sie hat ihre Mutter in Zaragoza besucht und will nun wieder nach Lausanne zurück, wo sie arbeitet. Und was das Beste ist: In einem grossen geflochtenen Korb, der mit einem roten Tuch ausgeschlagen ist, präsentieren sich appetitlich arrangiert Wurst, Brot, Tomaten!, Früchte und eine Flasche Wein, eine grosszügige Wegzehrung der Mutter für die junge Frau. Felix beginnt zu sabbern, Speichelfäden rinnen ihm aus dem Mund. Um dieses unschön anzusehende Phänomen zu stoppen, bietet die Spanierin Felix von allem reichlich an, Felix isst und isst, bis der Korb leer ist und sein Magen voll bis zum Zerplatzen, er kaut und nickt, während die Spanierin plaudert und plappert, und ist geradezu euphorisch vom Essen und vom Wein.
Nie ist die Lust schöner als nach der Unlust, nie das Essen schmackhafter als nach dem Hunger, nie fühlt sich der gesunde Körper besser an als nach der Krankheit. Am Morgen, um sieben Uhr, kommen sie in Genf an, und die junge Spanierin bittet Felix, ihren schweren Koffer, indem sie wer weiss was transportiert, vielleicht Müllsteine, durch den Zoll zu schleppen. Das kann Felix der jungen Frau nach der grosszügigen Bewirtung nicht gut abschlagen, und er will auch gar nicht wissen, was zum Teufel in diesem Koffer drin ist. Auf jeden Fall wird er anstandslos ins Land Helvetien gelassen, und niemand interessiert sich im Geringsten für den Koffer. So hat sich aus Zufall für die beiden eine Situation ergeben, die man später auf Neudeutsch als klassische Win-Win-Situation bezeichnen wird, wobei dieser Schuss auch, wie wir redensartlich einräumen müssen, hätte hinten hinausgehen können. Aber das Glück ist (manchmal) auf der Seite der Kinder und der Narren. Hat Felix für eine ETA-Terroristin Waffen über die Grenze geschmuggelt, für eine Wurst, Brot, Tomaten!, Früchte und Wein, hat er für eine mafiaähnliche Organisation Goldbarren verschieben helfen, oder Elefantenzähne aus dem Kongo, oder brockengrosse Rohdiamanten aus Südafrika? Wir werden es nie wissen.

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Nach dieser Reise beginnt Felix an der Uni von Bern Germanistik, Geschichte und Philosophie zu studieren (wir wissen ja inzwischen, dass Felix ein Büchernarr ist und ganz gerne Tagebuch schreibt). Er bezieht zusammen mit seinem Bruder eine im Winter sehr schlecht heizbare und in der Küche müffelnde und nüechtelnde Wohnung an der Florastrasse in Ostermundigen, die dafür aber günstig ist. Die beiden jungen Männer nehmen es mit der Hausarbeit nicht so genau, und ihre resolute Mutter muss sie manchmal energisch zur Ordnung rufen. Das wollen wir hier aber nur am Rand vermerken. Auch, dass sich Felix mit einem jungen Mann namens Max verbandelt hat, den er aber nicht wirklich liebt, interessiert uns nur insofern, als sich Felix mit diesem auf sein nächstes Reislein begibt.

Montag, 19. November 2007

Im Reich von König Jelali









King Jelali, Felix und King Jelali, Musizierende Berberjungen in Sidi Harazem, Salhi mit der perfekt konstruierten Ziegennase; Bab el Manur in Meknes


Etwa 30 Kilometer vor Fez geht ihrem klapprigen Bus der Most aus, und nun steht der irgendwie ratlos mitten auf der Strasse. Die Passagiere steigen aus und haben sich schon mit dem Zwangsaufenthalt in der heissen, baumlosen Steppe abgefunden, als ein Tankwagen und mit ihm die Rettung naht: ihr Fahrzeug schluckt Benzin und fährt, frisch gestärkt, weiter.
Unterwegs in diesem Bus kommen sie mit einem Jungen ins Gespräch, den seine Kumpel Salhi nennen. Sein ovales Gesicht unter gekraustem Dunkelhaar ist bronzen, in diesem Gesicht sitzt eine grosszügige, spielerisch konstruierte Ziegennase, darunter erster Bartflaum über einem weichlippigen Mund, grazile Wangengrübchen beim Lächeln, breites Kinn – nichts Spitzes oder Scharfes findet sich in diesem von makelloser Haut überspannten Gesicht. Auch der Rest des Jungen ist nicht von schlechten Eltern. Kurz und gut, sowohl Ingo als auch Felix sind von diesem Salhi angetan, der ausserdem sehr intelligent und ausgesprochen kommunikativ ist, und beide buhlen sie um die Gunst des Jungen.
In Fez, an der Bushaltestelle vor Bab Boujloud, verabschiedet sich Salhi vorübergehend von ihnen, will sie aber glücklicherweise «revoir». Er übergibt sie für die Zwischenzeit den fürsorglichen Händen von «double-crazy» Jelali, eines kleinen, schlauen, liebeswürdigen, stolzen, janusköpfigen Jungen, Wulstlippen unter einem angedeuteten Schnäuzchen, negroide Gesichtszüge und spiralförmig vom Kopf abstehendes Haar, halb König und halb Dämon, mit dem biegsamsten Körper, den man sich vorstellen kann. Koboldhaftes Sprudellachen, das sich durch Teerrückstände vom vielen Rauchen in der Kehle kämpft. Jelali, treuer Führer auf verschlungenen Pfaden, liefert sie im Hotel Mauretania in der Medina beim Bab Boujloud ab. Dann zeigt er ihnen die Stadt, sie wandern durch die Souks und besichtigen eine Ledergerberei und eine Produktionsstätte für Tamtams. Später, in der Nacht, liegen Ingo und Felix auf einem zu schmalen Doppelbett im Hotel, hinter dem Fenster der rauschende Bach, der erfrischen soll, aber nur Lärm macht. Und dazu die schwüle Hitze, die bewirkt, dass unsere Freunde sich schweissgebadet der Schlaflosigkeit ergeben.
Am nächsten Tag nimmt sie Jelali wieder in Empfang; später stossen ein paar weitere Jungs dazu: ein Junge aus Marrakech, der in Fez Ferien macht, ein Kleiner mit eingeschientem Arm, der 21-jährige Mohammed, ein stolzer Familienvater, mit einem Mädchen, einem «Feuerteufel», der «mit jedem geht» und Ingo später seinen «moustache» zeigt, und auch Salhi taucht glücklicherweise wieder auf. Sie sitzen müssig in einem schattigen Park an einem künstlichen Weiher und beschliessen, am Nachmittag zur Mineralquelle Sidi Harazem hinauszufahren, einem modern ausgebauten Erholungsort für begüterte Marokkaner, der aber auch als Treffpunkt und Begegnungsort für die einheimischen Jugend dient, die abseits der modernen Bauten, dort, wo das Wasser warm aus dem Felsen sprudelt, unter schattigen Hartlaubbäumen ihre ofenrohrgrossen Joints raucht. Die neuen Freunde von Ingo und Felix kaufen Oliven, Melonen, Aprikosen, Kirschen, Brot und Hammelfleisch ein, ein Picknick, das später alle mit grossem Genuss verzehren. Sie hören Musik und ergeben sich der grossen Hitze der allmächtig grossen Sonne des nordafrikanischen Sommers, die bei allen den Hang zu einer eher vegetativen Befindlichkeit noch verstärkt. Ein paar dunkle Berberjungen mit fein geschnittenen, ernsten Gesichtern, farbige Bänder ums gekrauste Haar geschlungen, leben nun schon seit einem Monat in einem blau-weiss-gestreiften Stoffzelt; jetzt machen sie Musik, singen, schlagen den Rhythmus auf Tamtams und spielen auf arabische Art Gitarre. Ein kleiner Junge, dessen Stimme noch nicht gebrochen ist, hat mit Begeisterung die Rolle des Vorsängers übernommen. Überhaupt, die Intensität, mit der die jungen Künstler ihre Musik darbieten – einfach überwältigend.
Am Abend, bevor sie daran denken, zurück nach Fez zu fahren, spazieren sie durch den aufgeheizten Beton von «Neu-Sidi Harazem». Felix flirtet mit Salhi, sie spazieren Hand in Hand, was hier wirklich niemanden irritiert, vielleicht deshalb, weil es sich dabei um eine simple Geste purer Sympathie handelt, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Um neun Uhr nehmen sie ein Taxi und fahren zurück in die Stadt. Jelali lädt die ganze Gesellschaft ein, in seinem Wohnraum, seinem Königreich, weiterzufeiern. Jelalis «chambre bleu». Man geht in der Dunkelheit durch schmale Gassen und kommt in einen stillen Hof und steht dann unvermittelt vor Jelalis «rauyome du Hashish». Jelali hat rote Birnen eingeschraubt und die Wände mit Bildern von Rockstars und nackten Frauen verklebt. Jelali legt eine Kassette in den Rekorder, und Carlos Santanas südamerikanische Rhythmen strömen in den Raum. Alle hocken sich auf den Matratzen nieder, die den Wänden entlang am Boden liegen. Jelali holt einen gewaltigen Brocken Haschisch aus seiner Vorratskammer und schneidet ein tüchtiges Stück vom Kuchen ab. Jelali bastelt gewaltige Joints, und sie rauchen die ganze Nacht. Felix, fühlt sich dem Tag immer mehr entrückt und fällt immer tiefer in die Welt der Nacht hinein, bis er schliesslich in tiefem Schlaf versinkt, seine Beine unentwirrbar in die Beine der anderen Schläfer verknotet. Gegen Morgen entwirrt Mohammed, der Familienvater, den Knäuel und legt die Betäubten schön ordentlich hin.
Am nächsten Tag sind sie beim Familienvater, der aus einer nicht ganz armen Familie stammt, zum Essen eingeladen. Es gibt köstlichen Tomatensalat, Hackfleischbällchen, Oliven, Früchte, saure Milch, Tee. Mohammed erzählt aus seinem Leben. Seine Frau und sein Kind leben in den Bergen. Er sei nicht zur Schule gegangen und arbeite auch nicht, er habe bei seinen Eltern ja, was er brauche. Mohammeds Mutter, eine Algerierin, hat etwas von einer «grande dame» an sich, sie spricht ein sehr gutes Französisch und schätzt eine gepflegte Konversation.
Gegen Abend gehen sie ins Café beim Park, liegen in bequemen Stühlen herum, trinken Cola und rauchen Hasch. Felix fühlt sich jedoch körperlich etwas angegriffen und bekommt wieder einmal Durchfall (im Gegensatz zu Ingo, der einen Rossmagen hat, ist Felix in heissen fremden Ländern stets akut durchfallgefährdet). Felix erträgt auch grosse Hitze nicht wirklich gut, und die Hölle stellt er sich als einen schattenlosen Ort vor, an dem die Sonne sengend von einem Himmel ohne Horizont brennt. In der Nacht schläft er schlecht oder eigentlich gar nicht, es ist stickig heiss im Zimmer und lärmig im Hotel. Er muss immer wieder zur Latrine rennen, wo es gelb-wässrig aus ihm heraus explodiert. Dazwischen stellen sie sich mit dem Bettzeug unter die lauwarme Dusche und hüllen sich dann in die feuchten Laken, aber das bringt nur vorübergehende Linderung. Um fünf Uhr in der Früh können sie beide, Ingo und Felix, nicht mehr schlafen und stehen auf. Felix fühlt sich in der Morgenhitze aber bald so geschwächt, dass sie ein besseres, kühleres Hotel suchen, mit einem Zimmer, in dem zwei einzelne Betten stehen, und in dem Felix den Nachmittag verschläft. Ist aber auch eine Schnapsidee, mitten im Sommer nach Nordafrika zu fahren!

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Poster du Maroc
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Am nächsten Tag nehmen sie die kurze Strecke nach Meknes unter die Räder. Sie entsteigen dem Bus beim Bab-el-Mansur, dieser Perle marokkanischer Architektur. Sie stellen ihr Gepäck in den Gemächern des luxuriösen Fünf-Sterne-Hotels «Meknes» ab. Anschliessend bummeln sie durch das Labyrinth der Altstadt und treffen auf Bekannte von Felix des letzten Jahres: Umarmungen und lebhaftes gegenseitiges Befragen. Einer dieser Bekannten hat sich emporgearbeitet, er ist jetzt nicht mehr guide, sondern Verkäufer in einer Boutique und im Vergleich zum Vorjahr sehr gut angezogen.
Mit zwei neuen «Rucksäckchen», Mohammed einerseits, einem Saharakrieger, der nach eigenen Angaben den «grünen Marsch» mitgemacht hat, und Fouad, einem siebzehnjährigen Herzensbrecher (von Männer- und Frauenherzen), verbringen sie den Nachmittag im modernen Schwimmbad von Meknes. Felix schwimmt und flirtet gleichzeitig mit einem gut aussehenden und ernsthaften jungen Mann, der kurz vor dem Abi steht. Aber um 18 Uhr, als das Bad schliesst, muss Felix brav mit den beiden «Gastgebern» Mohammed und Fouad losziehen, denn die Höflichkeit gebietet es so: seinem «Führer» wird man nicht einfach so untreu (als Grüner Marsch wird übrigens ein 1975 vom Staat Marokko im Rahmen des Westsaharakonflikts organisierter Marsch von 350000 grösstenteils unbewaffneten Menschen bezeichnet. Der Marschweg führte vom südlichen Marokko in die zu Spanien gehörende Kolonie Spanische Sahara, die heutige Westsahara, und sollte Spanien zur Übergabe der Kolonie an Marokko bewegen. Grün ist die Farbe des Islam).
Sie kaufen Picknick und Kif und schlagen ihr Lager auf einem Hügel gegenüber der Altstadt auf, New Meknes im Rücken, und haben so ein herrliches Panorama vor Augen, «Poster du Maroc», wie Fouad grinsend meint, ein Gemälde in Schwarz unter Orange-Gelb-Grünlich-Bläulich-Blau-Dunkelblau und Violett. Sie rauchen und essen, Mohammed spielt auf einem marokkanischen Zupfinstrument, die Jungs erzählen, wie sie die Touris abzocken (Felix und Ingo, als «Freunde», sind selbstverständlich nicht mitgemeint). Sie diskutieren über die Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen mangelnden Zukunftsperspektiven für junge Menschen in Marokko und wie dadurch der Wunsch, zu einem Pass zu kommen und auszuwandern, fast zum einzigen Ziel wird, das von Jugendlichen und vor allem von jungen Männern zwar verfolgt, aber nur ganz selten erreicht wird.
In der Nacht ist der Magen von Felix wieder sehr unzufrieden und reklamiert mit brummenden Geräuschen und häufigen Druckgefühlen im Mastdarm. Am Morgen fühlt Felix sich erschlagen und denkt, dass er wohl nie wieder etwas essen kann, ohne dass das zu einer Katastrophe in seinem Verdauungstrakt führt.
Um halb vier fährt der Zug nach Tanger. Sie sind den ganzen Tag mit Fouad zusammen, aber Felix hängt nur erschöpft, matt und geschwächt herum und muss sich überallhin förmlich mitschleppen lassen.
Auch die Zugfahrt selbst ist ihm zuwider: die Hitze, die stinkenden, überfüllten Abteile, das arrogante Benehmen der Beamten, ihre Napoleonsallüren, und Felix sitzt mürrisch auf seinem treuen, etwas ramponierten Rucksack.

Freitag, 16. November 2007

Malaga, Chefchaouen


Vom Hunger der Sinne








Idi Amin, Pol Pot, Barcelona, Cannabis; Said aus Tetuan, 1976

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1976
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Nach dem Tod Mao Tse-tungs rächt sich der chinesische Parteiapparat an der «Viererbande», die von Maos Witwe Tschiang Tschin angeführt wurde, indem er sie verhaften lässt. Dieser Dame werden nicht wenige der Gräueltaten während der Kulturrevolution (1966-1969) angelastet und wohl nicht ganz zu Unrecht nachgesagt. In Kambodscha installiert sich derweil das Schreckensregime eines anderen Verrückten namens Pol-Pot. Der Tod seines ebenfalls nicht zur Sanftmut und stillen Weisheit wie etwa Lao Tse neigenden Kollegen Mao trifft Pol Pot schwer, und er wird noch paranoider; Paranoia ist die Währung, mit der Diktatoren ihren Seelenfrieden bezahlen. Als Folge dieses Prozesses beschuldigt er sogar engste Mitarbeiter und Mitglieder der Partei der Sabotage. Es werden Säuberungsaktionen – Säuberungsaktionen, was für ein Wort! – durchgeführt, und jedes Parteimitglied, welches seiner Meinung nach versagt hat oder mit den Vietnamesen sympathisierte, wird verhaftet und getötet. Terror und Massenmorde nehmen immer mehr zu. Pol Pot wird übrigens noch bis 1998 leben, in hohem Alter noch eine Tochter bekommen und den liebenden Familienvater spielen.
Nach 44-jähriger Regierungszeit verlieren die Sozialdemokraten in Schweden die Regierungsmacht. Europaweit gehen polizeiliche Untersuchungen dem Lockheed-Bestechungsskandal nach. 1976 kann dem ehemaligen japanischen Ministerpräsidenten Kakuei Tanaka nachgewiesen werden, dass er vom Flugzeughersteller Lockheed drei Millionen US-Dollar erhalten hat, um sich für den Kauf von Lockheed Tristar durch die japanische Fluggesellschaft All Nippon Airways einzusetzen. Das Strafverfahren gegen den einflussreichen LDP-Politiker zieht sich jahrelang hin. Tanaka verstirbt im Jahr 1994, noch bevor das Urteil der letzten Instanz verkündet wurde.
Ein israelisches Kommandounternehmen befreit 1976 im ugandischen Entebbe 103 Geiseln aus der Gewalt palästinensischer Terroristen. Kidnapper hielten mit Hilfe der ugandischen Regierung Idi Amins ein Flugzeug der Air France gefangen, um die Freiheit von mehreren inhaftierten PLO-Mitgliedern zu erzwingen. Entebbe ist die ehemalige Hauptstadt Ugandas. Die Stadt hat etwa 63000 Einwohner und liegt 35 km von der heutigen Hauptstadt Kampala entfernt auf einer Halbinsel im Viktoriasee. Idi Amin Dada (geboren am 17. Mai 1928 als Idi Awo-Ongo Angoo in Koboko, Uganda; gestorben am 16. August 2003 in Dschidda, Saudi Arabien) war von 1971 bis 1979 ugandischer Diktator. Sein Geburtsdatum wird in anderen Quellen auch mit 1. Januar 1928 sowie auch mit den Geburtsjahren 1923, 1924 und 1925 angegeben. Ebenfalls nach anderen Quellen lautet sein richtiger Name Idi Amin Dada Oumee. Am 25. Januar 1971 ergreift Idi Amin in einem unblutigen Putsch die Macht. Der damalige Ministerpräsident Milton Obote nimmt gerade an einer Konferenz der Commonwealth-Staaten in Singapur teil. Im Westen wird der Putsch zunächst begrüsst. Grossbritannien und Israel erkennen den Machtwechsel sofort an. Nach wenigen Tagen verschwinden jedoch Intellektuelle, hohe Offiziere und Richter, das heisst, die verschwinden nicht selbst, sondern werden verschwunden. Ganze Dörfer, die Obote unterstützt haben, werden dem Erdboden gleichgemacht und die Bewohner niedergemetzelt. Damit wird Idi zum Sinnbild des brutalen afrikanischen Gewaltherrschers. Zwischen 100000 und 500000 Menschen fallen nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen seiner achtjährigen Gewaltherrschaft zum Opfer. Es wird gesagt, dass Idi Amin einige seiner Opfer auch verspeist hat – dafür gibt es aber keine stichhaltigen Beweise, sondern dieses Gerücht ist vielleicht vielmehr ein Indiz dafür, welche Bilder in den Köpfen von westlichen Medienmenschen über Afrika herumgeistern. Auch wird kolportiert, dass Idi Amin Leichen den Krokodilen im Nil zum Frass vorwerfen lässt, weil nicht schnell genug Gräber geschaufelt werden können. Das mag sogar stimmen, denn ein Unschuldlamm ist der Diktator bestimmt nicht gewesen. Um seine Wirtschaftsbeziehungen zu den arabischen Staaten zu verbessern, bricht Amin mit Israel und wird dessen erbitterter Gegner. Er verherrlicht die Gräueltaten der Nationalsozialisten an den Juden und weist Israelis aus, um an Rüstungsgelder aus Libyen zu kommen.
1972 verweist er im Rahmen einer Afrikanisierungskampagne die Asiaten des Landes. Ausländische Unternehmen werden enteignet. Damit verliert Uganda, die «Perle Afrikas», seine Ober- und Mittelschicht und wird wirtschaftlich ruiniert. Idi Amin hält sich aber weiterhin an der Macht, da der Westen nach wie vor mit ihm Handel treibt und die Sowjetunion ihm Waffen liefert. 1975 wählt ihn die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) sogar zu ihrem Präsidenten (Idi Amin wird später übrigens zur Filmfigur, der Streifen kommt 2007 unter dem Titel «Der letzte König von Schottland» in die Kinos).
In Angola führt die im Norden bereits siegreiche kommunistische Befreiungsfront 1976 einen Vernichtungsfeldzug gegen ihre noch im Süden Widerstand leistenden Gegner; in Rhodesien und Südafrika erheben sich zur gleichen Zeit die Schwarzen gegen ihre weissen Unterdrücker. In Argentinien wird Isabel Perón entmachtet, und Jimmy Carter wird 39. Präsident der USA. Der 30-jährige König Carl XVI. Gustav von Schweden heiratet die 32jährige Deutsche Silvia Sommerlath, die er bei den Olympischen Spielen in München 1972 kennengelernt hat. Europa erlebt im Sommer eine Hitze- und Dürreperiode, weltweite Erdbebenkatastrophen töten Tausende, zum Beispiel im Februar in Guatemala, wo 23000 Menschen ums Leben kommen. In Montreal finden die Olympischen Sommerspiele mit 198 Disziplinen statt. Weil sich Neuseeland zu einer Rugby-Tournee im verfemten Südafrika aufhält, werden die Spiele von 22 Staaten Schwarzafrikas boykottiert. Eine Explosion in einer Chemiefabrik für Schädlingsbekämpfungsmittel beim italienischen Seveso setzt grosse Mengen giftiger Dioxingase frei, die nachhaltig die Orte Seveso und Manfredonia verseuchen. Bei San Francisco wird die kommerzielle Firma Genentech gegründet. In der Computertechnik wird der Nadeldrucker entwickelt. Steve Jobs, der den gleichen Jahrgang wie Felix – und übrigens auch Bill Gates – hat, gründet die Firma Apple. Die Concorde, die französisch-englische Gemeinschaftsentwicklung eines zivilen Überschallflugzeuges, nimmt den regelmässigen Linienverkehr auf den Transatlantikstrecken auf (deren Ende wird dann durch den Absturz einer Concorde am 25. Juli 2000 in Paris besiegelt). Elton John und Kiki Dee kommen mit «Don’t Go Breaking my Heart» in die Hitparade, Rod Stewart landet mit «Tonight’the Night» einen Hit und mit den Bay City Rollers, die mit «Saturday Night» einen Nummer-1-Hit landen, kommen die so genannten Boy Groups auf. Neben Mao Tse-tung sterben auch sein Rivale Tschou En-lai, der Physiker Werner Karl Heisenberg, der Philosoph Martin Heidegger, die Schriftstellerin Agatha Christie und der Komponist Benjamin Britten. 1976 erblicken neben ein paar Millionen anderen der portugiesische Fussballspieler Nuno Gomes, der spätere Premierminister der Republik Tschetschenien von Putins Gnaden, Ramsan Achmatowitsch Kadyrow, die russische Leichtathletin Tajana Romanowa Lebedewa und die österreichische Sporanistin Agnes Scheibelreiter das Licht der Welt.

Mittlerweile hat Felix seine siebzehnwöchige Rekrutenschule absolviert, als Telefonsoldat in Dübendorf und in der Innerschweiz. Das war zwar auch eine Reise in eine andere Welt – allerdings eine, deren Ende er herbeigesehnt hat. Man stelle sich den bewegungsgestörten Felix beim mobilen Telefonleitungsbau auf Bäumen und mit Steigeisen an Telfonstangen klebend vor. Sofort danach bricht er jedenfalls zu einer weiteren Marokko-Reise auf. Er reist im Liegewagen und von Genf an – im «Hispania-Express» – richtet er sein Abteil für die Nacht her (da zu diesem Zeitpunkt, weiss der Teufel warum, ganz offensichtlich nur wenige Reisende auf dieser Strecke unterwegs sind, hat Felix ein ganzes Abteil für sich allein). Nach unruhigem Schlaf zum Rattern der Räder auf dem Schienenstrang kommt er ziemlich früh am Morgen in Port Bou an. Sein Kopf dröhnt und er hat, wie nicht anders zu erwarten und wie es wohl jede und jeder ziemlich früh im Zug vor Port Bou hätte, eine unwiderstehliche Lust auf Kaffee. Er zündet sich eine Zigarette an und verbrennt sich dabei mit einem Streichholz den Finger. Er muss den Zug wechseln und den Zoll passieren. Dabei realisiert er, dass sein Portemonnaie mit etwa 250 Franken aus seiner Windjacke verschwunden ist – gestohlen oder ihm sonst wie abhanden gekommen. Nun, weg ist weg, und zwar endgültig. Folge: Für seine Reise bleiben ihm nur noch 300 Franken in Checks. Und wieder einmal ist ein weiterer Beweis für die Wahrheit der simplen Aussage, dass Reisen vor allem Ungemach mit sich bringt, erbracht. Der Bahnhof von Port Bou ist übrigens etwas unheimlich und überdies von Fledermäusen bevölkert.

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Schuhputzer, Krankenschwestern und andere Señioritas
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Während der Fahrt nach Barcelona hadert Felix noch etwas mit seinem Schicksal und ist entsprechend unfreundlich mit sich selbst, indem er sich brummend und grummelnd mit Schimpfwörtern bedenkt, von denen «Idiot» noch das netteste ist. Um halb zwölf kommt er in Barcelona an. Dort sitzt er lange Zeit in einem grossen Park und schaut den Leuten zu, wie sie die Tauben füttern. Hin und wieder liest er recht lustlos in einem Buch (Günter Grass, «Katz und Maus»). Darin geht es, wie immer bei Grass, um die deutsche Vergangenheit und einen Schüler, Joachim Mahlke genannt, der einen enormen Adamsapfel hat, Maus genannt, und eben diese «Maus» will Katz nun fangen, deshalb der Titel des Buchs. Felix findet die Geschichte, wenn er ehrlich ist, ziemlich langweilig, wenn nicht sogar bescheuert, und auch nicht sonderlich gut geschrieben, aber er hat damals noch einen ziemlichen Respekt vor so genannter ernster Literatur – und erst recht vor deutscher ernster und seriöser Literatur, schliesslich will er Germanistik studieren. In einem kleinen Strassenrestaurant isst er eine Pizza und ärgert sich über einen jungen Typen, der an seiner Vespa herumspielt und die Luft verpestet. Am Nachmittag erlebt er weiteres Ungemach, nämlich eine leidige Schuhputzergeschichte in der Nähe des Hafens. Ein schmieriger älterer Typ spricht ihn an und will ihm eine gefälschte Uhr verkaufen. Während er auf Felix einspricht, macht sich ein Schuhputzer an seinen Treten zu schaffen, was Felix ausgesprochen peinlich ist und gegen den Strich geht. Aber wie ein Schaf lässt er es mit sich geschehen und wehrt sich (aus Höflichkeit?) nicht, sondern bezahlt schliesslich den unverschämten Preis von 250 Peseten für den kosmetischen Liebesdienst an seinen Schuhen. Gegen Abend gerät er nach langen, zufälligen, willkürlichen Wanderungen durch das Weichbild der Stadt an einen kleinen Strand, der nur von Einheimischen genutzt wird, ruht sich aus, schläft auch ein bisschen und betrachtet junge Burschen in engen Badehosen. Von der Stadt selbst gewinnt er logischerweise nur ein sehr bruchstückhaftes Bild. Er sitzt dann auch schon im Nachtzug nach Madrid, wo er bereits letzten Dezember war, wie wir wissen, damals aber nicht viel mehr als den Prado und dort den «Garten der Lüste» gesehen und sogar besucht (um nicht zu sagen: kurzfristig bevölkert) hat. Dieses Mal bummelt er ein bisschen, ohne touristischen Ehrgeiz, sondern wieder ganz ziellos, der Calle Antocha entlang zur Plaza Majer und weiter zur Plaza España, wo er sich eine Flasche Wein, Sardinen und Brot kauft und im Park tafelt wie König Juan Carlos. Dort klagt ihm ein kanadischer Freak sein Leid: er ist für fünf Monate in Sevilla hängen geblieben, hat sein Rückflugticket verkauft und sitzt nun mittel- und auch ziemlich ratlos auf dem Trockenen. Wie gesagt: Reisen bringt – früher oder später – Ungemach. Einige Jugendliche machen Musik und singen zur Gitarre. Alles in allem fühlt Felix sich in der schon fast hochsommerlichen Hitze nach dem Rotwein etwas schläfrig und nicht mehr sehr unternehmungslustig, und der Geschmack der in Öl eingelegten Sardinen erzeugt in seinem Gaumen ein etwas unangenehmes Echo.
Am Bahnhof mit den Zügen, die Richtung Süden fahren, trifft er einen Amerikaner und eine Neuseeländerin, die ebenfalls unterwegs nach Malaga sind. Der Ami ist klein, blond und naiv, sie der Typ Krankenschwester. Sie erkämpfen sich zu dritt einen Platz im vollgestopften Costa del Sol-Express und fahren die ganze Nacht durch – an Schlaf ist natürlich wieder einmal nicht zu denken. Reisen ist anstrengend, mühsam und bringt Ungemach.
Der Morgen in Malaga ist schön und jetzt, im Sommer, überaus warm. Die Neuseeländerin fährt gleich weiter nach Torremolinos, der Ami und Felix suchen und finden eine Pension, billig und schmutzig, mit tropfendem Wasserhahn und unappetitlicher Bettwäsche, und verschlafen den ganzen Nachmittag: Reisen ist wunderbar.
Am Abend essen sie etwas in der Stadt, Meerfrüchtesalat und Fisch, und der Ami, mit schläfrigen Augen träge auf der Jagd nach Abenteuern, lässt sich von einem Schuhputzer-Zuhälter zu einer Señiorita ver-führen und zahlt für das Schäferstündchen, das man wohl besser als Schäferminütchen bezeichnen sollte, da es kaum länger als sieben Minuten gedauert haben kann, 300 Peseten, also nur unwesentlich mehr als Felix seinem Schuhputzer in Barcelona. Sehr befriedigt von dem Service, der ihm geboten wurde, wirkt allerdings auch der Ami nicht.

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On your left side you see Malaga in the dust
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Am Sonntag trifft Felix Ingo, genau um vier Uhr am Nachmittag in der Schalterhalle des Bahnhofs, wie abgemacht und ganz selbstverständlich. Ingo ist etwa zehn oder fünfzehn Jahre älter als Felix, kommt aus Basel und besitzt eine auf Verkaufsförderungsaktionen spezialisierte Werbeagentur, auf deren Konto zum Beispiel die Idee mit dem Schokoriegel als Heissluftballon geht. Ingo hat eine sonore tiefe Stimme und spricht, ein wenig das R rollend und Silben seltsam zusammenziehend, ein germanisch eingefärbtes Baseldeutsch. Kennen gelernt haben sich Felix und Ingo durch eine Kontaktanzeige. Sie sind zwar kein Paar geworden, aber doch einigermassen gute Freunde. Später, in den Achtzigerjahren, wenn Ingo für kurze Zeit der Chef von Felix sein wird, wird sich die Freundschaft allerdings rapide abkühlen, und dann werden sich die beiden ganz aus den Augen verlieren. Heute besitzt Ingo ein kleines Hotel bei Negombo in Sri Lanka. Vorher, am frühen Nachmittag, ist Felix mit der Lokalbahn in Torremolinos gewesen, einem Touristenort mit Riesenhotels und einer geballten Ladung an finnischen, bayrischen, englischen, französischen und amerikanischen Restaurants, Bars und Bierkellern. Bekannt wurde der Ort unter anderem durch das 1971 erschienene Buch «Die Kinder von Torremolinos» von James A. Michener, in dem das Leben junger Aussteiger beschrieben und die damalige Atmosphäre des jugendlichen hedonistischen Milieus eingefangen wird. Felix, der jugendlich-hedonistische Held dieses Buchs, der sich auch als alter Knacker noch als Hippie bezeichnen wird, allerdings als einer, der eher der hedonistisch-ekstatisch-anarchistisch-spirituellen als der ideologisch-asketisch-politischen Richtung angehört, hat am Strand gefaulenzt, sich von brechenden Wellen überschäumen lassen, einen Hamburger gegessen und vergeblich mit zwei frisch bekehrten kanadischen Jesus-Jüngern herumargumentiert. Und dann trifft er Ingo, sie trinken zusammen Kaffee und schwatzen, als hätten sie sich eben nur so getroffen. Sie schlendern zum Hafen hinunter, nehmen sich den äussersten Punkt eines Damms zum Ziel, lassen sich die Gischt ins Gesicht wehen, versuchen, mit einer Schnur, einem Stein und Kaugummi zu fischen und fangen auf diese Weise beinahe eine Krabbe. Später Dauerlauf um die imposante Stierkampfarena und durch das Gewirr der grossen Blocks und Hochhäuser neben dem Hafen am Meer, die alle immer wieder anders in Farbe und Form verschachtelt in der Gegend herumstehen. Sie steigen zur Burganlage hoch, zum Burglabyrinth über der Stadt, durch das alte, andalusische Quartier am Hügel. Oben haben sie einen atemberaubenden Ausblick auf Stadt und Meer und die untergehende Sonne, so was wirkt nur auf Postkarten und in Beschreibungen kitschig, in der Realität aber ist es ganz okay, oder eben viel mehr als okay. Rotviolett leuchtende Sträucher zwischen Ruinen, Kakteen, Fantasieblumen, die Felix nur deshalb so nennt, weil er sie nicht kennt, weder dem Namen noch dem Aussehen nach. Alles ist herrlich unrestauriert, ohne überflüssige Abschrankungen und Rasenbetretenverbotenschilder und historische Tafeln an dem historischen Gemäuer. Dafür hat es: Liebespaare, Kinder, streunende Hunde.

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Tetuan, mit schwärmerischem Blick gesehen
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Am nächsten Morgen fahren sie mit dem Zug nach Algeciras, und das dauert wieder einmal. Mit diesem Verkehrsmittel müssen sie den Umweg über Bobadilla nehmen; auf der Fahrt Gebirgslandschaften, blumengeschmückte kleine Bahnhöfe. Mit dem Bus wäre es viel schneller gegangen, aber bekanntlich zählt ja beim Reisen der Weg oftmals viel mehr als das Ziel, und Ingo, der ein angefressener Hobbyfotograf ist, lichtet all die schmucken Bahnhöfchen mit Begeisterung ab. Um 15 Uhr kommen sie in Algeciras an und fahren am Abend mit der Fähre weiter nach Ceuta, wo gerade ein Wolkenbruch niedergeht; auf den wenigen Metern vom Hafen zur Busstation werden sie tropfnass. Ceuta ist eine spanische Stadt auf afrikanischem Boden und voller Soldaten und Polizisten (im nächsten Jahrhundert wird Ceuta vor allem dafür bekannt sein, dass Migranten aus schwarzafrikanischen Ländern versuchen werden, über Algerien und Marokko nach Ceuta und Melilla, eine weitere spanische Enklave in Nordafrika, und von da nach Spanien oder in andere EU-Länder einzureisen. Die EU heisst 1976 allerdings noch Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft EWG und Spanien wird sich ihr erst 1986 anschliessen). An der Busstation die ersten Marokkaner: buntbetuchte Beberfrauen mit zerfurchten, tätowierten Gesichtern; Männer und Knaben mit Zipfelmützen. Der Bus fährt bis zur Grenze; dort müssen sie durch den Zoll, dann in den marokkanischen Bus umsteigen. Die Passkontrolle: improvisierte Zollstelle in einem ausrangierten Kleinlaster, schreiende Beamte, die wenig und langsam arbeiteten, ob bewusst oder aus Unfähigkeit, ist nicht zu entscheiden – jedenfalls scheinen sie ihre Macht zu geniessen. Die wartende Menge im Regen, die Autoschlange. Sie warten etwa eine Stunde, Felix wird etwas ungeduldig und fühlt sich unbehaglich in seinen klatschnassen Kleidern, die ihm am Leib kleben. Vor ihnen in der Reihe steht ein alter Spanier, er hat sich einen riesigen Strohhut aufgesetzt gegen die schlagenden Tropfen, und um sich selbst und die Mitreisenden etwas aufzumuntern, schmettert er ein schneidiges Lied in den grauen Tag hinaus. Und schliesslich haben sie es ja dann doch geschafft und sitzen im Bus nach Tetuan, der letzten Station der vergangenen und nun also der ersten Station der jetzigen Reise von Felix in den Maghreb. Wieder die noch halbvertrauten arabischen Kehllaute im Ohr, wieder die dunklen, manchmal verschlossenen Gesichter mit den schönen Augen. Die Uhr zeigt etwa zweiundzwanzig Uhr, wir befinden uns im Juni und es ist so um den längsten Tag herum, Dämmerung mit seltsamen Farben und eine Fahrt dem Meer entlang.
Etwa eine Stunde später kommen sie in Tetuan an und checken im Hotel Marrakech ein, das Felix vom Vorjahr her in süsser Erinnerung ist. Aber das Personal hat gewechselt, es ist jetzt im Gegenteil eher unfreundlich. Die Hotelgesetze sind strenger geworden und man darf keine Marokkaner mehr aufs Zimmer nehmen, selbstredend eine Massnahme zum Schutz der Touristen und nicht zum Schutz der Keuschheit marokkanischer Jünglinge. Ingo und Felix sind hungrig und essen in einem Restaurant Auberginen- und Orangensalat mit deutlichen geruchlichen und geschmacklichen Sensationen von Orangen- oder Pomeranzenblütenwasser sowie ein herrliches Lamm-Tajine mit Couscous, und Felix tätigt bereits sein erstes Geschäft in Form eines Einkaufs von Kif. Sie rauchen sich im Hotelzimmer in Schlaf, wobei sie auch so schon todmüde sind. (Felix ist übrigens immer noch ein wenig eine Landpomeranze, aber nicht mehr so sehr wie damals in Paris.)
Am andern Morgen werden sie von einem intensiv krähenden Hahn unsanft aus orientalischen oder was für Träumen auch immer geweckt: der erste Tag in Tetuan. Gerüche nach stark öligem Gebäck, frischer Minze, feuchtem Stein, schweissigem Leder, Eseldung. In sanfter Monotonie umschmeichelt Berbermusik das Ohr. Männer spazieren Hand in Hand durch die Strassen und sprechen vielleicht über ein Geschäft oder auch über Fussball. Zwei begrüssen sich, küssen sich auf die Wangen, geben sich die Hände und legen sich dann die rechte Hand aufs Herz. Ein langgewandetes Mädchen stolziert vorüber, wirft ihnen einen langen, dunklen Blick zu. Mit den Augen sprechen, lächeln, mit den Augen antworten. Mit schwärmerischem Blick gesehen – und den haben unsere Reisenden ja zweifellos –, ist dies das Land der Süsse und Zärtlichkeit.
Sie trinken einen Tee und essen etwas Brot und lassen für vielleicht zwei Stunden ein Kapitel «Alltag in Tetuan» vor ihren Augen abrollen. Menschen kommen, Menschen gehen. Alle sind beschäftigt. Der bärtige Kerl, der ihnen gegenüber seinen mit vielerlei Kram voll gestopften Laden hat und unter einem zerfetzten Sonnenschirm auf einem ausrangierten Autositz hockt und werkt, dieser Kerl, der einen schmutzigen Turban ums langhaarige Haupt geschlungen hat, ist ein Künstler darin, mit einer Art Lötkolben allerlei Gebrauchsgegenstände zu flicken und aus «Abfall» neue herzustellen: Ein Mückengiftzerstäuber wird wieder gebrauchsfähig, aus einer Büchse macht er eine Mehlschaufel, aus Metallresten bastelt er ein Spielzeug für Kinder. Sie bummeln weiter und in die Arme von zwei Jünglingen hinein, die als Mohammed und «der Puertoricaner» kurz in die Annalen dieser Geschichte eingehen sollen. Mohammed hat ein Lausejungegesicht und lebhafte, intelligente Augen, kurzes struppiges Haar und ist eher hellhäutig. Er ist nie um Antworten verlegen, die stets von lebendigem Gebärdenspiel begleitet werden. Der dunkelhäutige «Puertoricaner» ist vielleicht sechzehn oder siebzehn, mit dunkel verschleiertem Blick unter der hohen Stirn. Auf dem Kopf trägt er stolz eine Art Indianerschlapphut. Er will sie in die Berge bringen und ihnen, ganz Geschäftsmann, ein paar Kilo Haschisch verkaufen.
Abend. Sie sitzen mit dem Puertoricaner und dessen Freunden im oberen Stock eines Kaffeehauses am Hauptplatz vor der Medina, sie rauchen Kif und hören den Marokkanern zu, wie sie mit Hingabe stimmlich und rhythmisch die neuesten marokkanischen Schlager begleiten. Felix ist sehr stoned und geniesst jede Minute dieses Fests, als ob es die letzte wäre. Aber die letzte Minute wird für Felix noch lange nicht gekommen sein, wie dieses Buch beweist, und so begegnet Felix am nächsten Tag zum ersten Mal Said. Mohammed hat sie zu Abslams Boutique geführt, wo Said arbeitet: Ingo will einen Jellaba für seine Frau kaufen. Er macht Fotos mit seiner Sofortbildkamera, und damit ist der Kontakt schnell hergestellt: mit Abslam, dem etwa 35-jährigen Besitzer, mit Said, mit Mohammed dem zweiten oder auch fünftausendundsiebten, mit dem hübschen Schnabelschuhverkäufer von nebenan, mit noch anderen, deren Namen Felix sich nicht merken kann. Sie «diskutieren», sie blödeln herum, trinken den unvermeidlichen Münzentee und beschliessen dann, nach Capo Negro an den Strand zu fahren, um da Fussball zu spielen und sich einen Sonnenbrand zu holen. Said mit seiner sanften Stimme, den wunderbaren dunklen Augen und den schönen Händen zieht Felix sofort in seinen Bann, was Said natürlich bemerkt, denn auf dem Weg zur Busstation fragt er Felix: «You like me?». Das kann Felix nicht bestreiten, worauf Said ihm die Hand drückt und sie dann lange, wie es Felix scheinen will, nicht mehr loslässt. Später bittet er Felix inständig, ihn in die Schweiz einzuladen, er wird ihm sogar, als dieser wieder zu Hause ist, zwei-, dreimal einen Brief schreiben.

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Vom Hunger der Sinne
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Von Tetuan reisen unsere Freunde, der eher kleine und zwar nicht gerade als kräftig, so doch als griffig zu bezeichnende Felix mit seinen blonden Haaren und der fast zwei Meter grosse, massige, schnauzbärtige Ingo mit der eindruckvollen Nase und dem energischen gekerbten Kinn, nach Chefchaouen, einer kleinen Stadt im Rifgebirge, die am Berg klebt. Die Gassen der Medina sind steil und verwinkelt. Die Häuser sind – oft nur stellenweise – mit einer kühlen blauen Farbe bemalt. Ihr Ankunftstag ist ein Freitag, der Feiertag der Moslem, und es herrscht dementsprechend eine Atmosphäre der Musse im Ort. Die meisten Läden sind geschlossen. Schon am Bahnhof nimmt sie ein von ihnen so genanntes Rucksäckchen, einer der unvermeidbaren Guides, in Beschlag. Er führt sie zu einer Pension, in der es angenehm kühl ist. Zu dritt – zusammen mit einem ausgeflippten Psychologiestudenten aus Frankreich – logieren sie in einem Raum. Danach streifen sie durch das Städtchen, beklopfen das Pflaster mit ihren Schuhen und saugen die Bilder ein. In einem Park ausserhalb des Ortes, nah am Berg und dort, wo eine Quelle klar und frisch aus dem Felsen springt, sitzen sie wespenumschwirrt, trinken Tee und rauchen Zigaretten. Gegen Abend essen sie in einem angenehmen Restaurant an einem Platz, den Felix als mexikanisch empfindet, der Duft von Fleischspiesschen liegt in der Luft. Wie im Film, woher die Assoziation wohl auch kommt, teilt der mexikanische Platz Licht und Schatten messerscharf zwischen sich auf. Man erwartet, dass jeden Moment ein gackerndes Huhn dramatisch auftauchen und, die Stille zerstörend, vorübereilen müsse. Eine Frau, weiss und verschleiert, sitzt in einem Türrahmen und spart mit Bewegungen – in welchen Traum mag sie wohl eingesponnen sein?
Nachher gehen sie ins Hotel und legen sich aufs Bett. Ingo schläft auf dem Rücken ein und beginnt zu schnarchen, während Felix ein paar Pfeifen Kif raucht; als die Wirkung einsetzt, steht er auf, begibt sich ins Freie oder gibt sich vielmehr ins Freie hinein, es treibt ihn, was man den durch das Cannabis beflügelten Hunger seiner Sinne bezeichnen könnte – wer auch schon bekifft war, weiss wahrscheinlich, wovon ich spreche. Bekifftsein ist eine köstliche Stimulation von Körper und Geist, ein Gefühl, gleichzeitig schwer und leicht zu sein und die Befähigung, bis zum innersten Kern des Geschmacks eines Apfels vorzudringen, ein innerliches Gekitzeltsein in den Ohren, unter der Netzhaut, im Gaumen und unter der Haut. Auf dem Dorfplatz trifft Felix auf den verrückten Franzosen, der vor einem Café sitzt. Sie versuchen ein Gespräch; der Franzose jammert Felix etwas davon vor, wie er doch so gern mit dem «Volk» in Kontakt kommen und es psychologisch oder auch ethnopsychoanalytisch verstehen möchte und wie es bis jetzt einfach nicht so recht geklappt habe. Die Sätze des Psychologiestudenten verschieben sich drollig im Kopf von Felix, er findet das unheimlich lustig und macht den Franzosen auf irgendwelche Petitessen aufmerksam, was diesen, vielleicht auch aus sprachlichen Gründen, da die Französischkenntnisse von Felix nicht über jeden Zweifel erhaben sind, masslos verwirrt. Dann gehen sie zurück ins Hotel und rauchen mehr: Der Franzose spendiert Hasch, Felix steuert Kif bei. Später suchen sie beraucht und somit berauscht erneut das Freie, es zieht sie in das kleine Kino, das es im Ort gibt. Dort wird ein unglaublich komischer Film gezeigt, ein spanischer Streifen – oder doch eher ein Bollywoodstreifen? –, eine dramatische Liebesgeschichte jedenfalls mit Gesangseinlagen. Felix sucht vergeblich nach einem roten Faden in der Handlung, und manchmal, mitten in einem Lachanfall, ist er verstimmt.
Noch bevor der Film zu Ende ist, gehen sie zurück ins Hotel und legen sich aufs Bett. Ingo ist verschwunden, ist noch nicht oder viel mehr nicht mehr da, was Felix plötzlich Anlass zur Beunruhigung ist. Nach einer Weile, die lang sein mag oder nicht, schlägt jemand mit einem grossen Eisenklopfer ans Tor der Pension, die um Mitternacht geschlossen wurde. Felix fühlt sich aus unerfindlichen Gründen plötzlich sehr alarmiert. Er springt aus dem Bett und läuft zur Tür, die er aber nicht zu öffnen imstande ist, was ihn noch mehr in Panik versetzt. Wie ein Verrückter saust er nun im ganzen Hotel herum, hastet durch Gänge und gerät in Zimmer, die Pension erscheint plötzlich unendlich verwinkelt und so gross wie Kafkas Schloss, Felix hat keine Ahnung mehr, wo sich sein Zimmer befindet, er hat das Gefühl, sich in einem Labyrinth zu verlieren. Irgendwie findet er dann aber doch in sein Zimmer zurück, Ingo ist inzwischen ebenfalls eingetrudelt, Felix legt sich beruhigt ins Bett und schläft augenblicklich ein, um in Träumen erneut dem Faden der Ariadne zu folgen und den Ausgang aus dem Labyrinth zu suchen und dann trotzdem Minotaurus zu begegnen, einem Wesen, halb beängstigend, halb erregend, wenn er sich aufbäumt wie ein scheu gewordenes Pferd und dabei seinen satyrhaft erigierten Penis zeigt.

(In Chefchaouen vollendete übrigens Paul Bowles, ein Lieblingsschriftsteller von Felix, seinen Tanger-Roman «So mag er fallen», der 1952 erschien. Bevor Marokko 1956 die Unabhängigkeit erlangte, hatte Tanger den Status einer internationalen Zone. Die Stadt war Eldorado für Schmuggler, Geldwechsler, Spione, Spekulanten, Rauschgift- und Mädchenhändler, für Lebenskünstler und Extravagante aller Couleurs, aber auch für Künstler und Literaten, die dort billig leben wollten; Paul Bowles, geboren 1910 in Jamaica, Long Island, gestorben 1999 in Tanger, verbrachte über ein halbes Jahrhundert als Schriftsteller und Komponist in der Stadt. Den nach einer mörderischen Zeile aus Shakespeares «Macbeth» betitelten Roman «Let It Come Down» begann er im Dezember 1949 auf einem polnischen Frachter, der von Antwerpen nach Colombo, Ceylon, dem späteren Sri Lanka, fuhr; die Idee kam ihm, als er die Strasse von Gibraltar passierte und die Lichter der Stadt seiner Sehnsucht vorübertreiben sah. In Indien arbeitete der Autor, der mit seinem Erstlingsroman «The Sheltering Sky» – 1949, deutsch «Himmel über der Wüste» – einen Welterfolg gelandet hatte, weiter am Manuskript, auch unterwegs dann in Marokko, Algerien und Spanien. Fertig wurde der Roman, wie gesagt, in Chefchaouen: «Hier, in der vollkommenen Stille der Bergnächte, vollendete ich, was ich gehofft hatte, schaffen zu können, als ich den entscheidenden Punkt des Buches erreichte. Ich liess mich treiben und das Kapitel ‹Eine andere Art der Stille› sich völlig von selbst entwickeln, ohne es mit dem Bewusstsein irgendwohin lenken zu wollen», schrieb Bowles im Nachwort. Vielleicht war es diese Fähigkeit zur Intuition, sein Vertrauen in die unbewussten Kräfte, das Bowles mitunter zu einem literarischen Meister der Grausamkeit werden liess, wie am Ende dieses Romans, der die Geschichte von Nelson Dyar erzählt, einem Antihelden und Nobody, wie unser Felix einer ist. Bowles hat ihn als «Mann ohne Eigenschaften» konzipiert, als «Persönlichkeit, die sich nur über die jeweilige Situation, in der sie sich befindet, definiert». Dyar verschlägt es nach Tanger, wo er der blutjungen Prostituierten Hadija verfällt, bei einem als Reisebüro getarnten dubiosen Unternehmen anheuert und sich in der bizarren Gesellschaft der Expatriierten verliert. Er stiehlt bei einem Wechselgeschäft einen grösseren Geldbetrag und setzt sich mit seinem arabischen Begleiter Thami in die spanische Zone Marokkos ab. Von der starken Haschischkonfitüre Majoun völlig depersonalisiert, tötet er den schlafenden Thami, indem er ihm mit einem Hammer einen Nagel ins Ohr schlägt. «Let It Come Down» war kein solcher Erfolg beschieden wie «The Sheltering Sky». Doch in den fünfziger Jahren war es vor allem dieses Buch, das die Beatniks nach Tanger lockte.)

Am nächsten Morgen nehmen sie den Bus nach Fez, der um halb zehn fährt. Unterwegs werden sie von grimmig wirkenden Polizisten angehalten. Es werden nur die Ausländer, die sich im Bus befinden, auseinander genommen. Diese müssen die Pässe zeigen und werden gefragt, ob sie Hasch dabeihaben, was natürlich niemand freiwillig zugeben würde. Felix kommt ins Schwitzen, denn er hat bestimmt noch etwa 10 Gramm Kif in seiner Hosentasche, was zwar nicht viel ist, aber sag das mal einem, der sich vor Angst fast in die Hosen macht. Der Beamte, der sich mit Felix beschäftigt, bemerkt natürlich sofort den Stress von Felix und tastet ihn sorgfältig ab. Doch nichts geschieht: Entweder hat der Polizist das bisschen Kiff in der felixschen Hosentasche nicht bemerkt, oder, wahrscheinlicher, es interessieren ihn nur grössere Mengen und dickere Fische. Der Polizist befiehlt Felix, auszusteigen, denn er spielt mit dem Gedanken, dessen Gepäck zu durchsuchen, das sich aber gut verschnürt auf dem Dach des Busses befindet. Nun, Felix könnte das eigentlich egal sein, weil im Rucksack keine Drogen sind. Andererseits, wenn der Bulle sich die Mühe schon gemacht hat und er unbedingt Hasch oder Kif im Gepäck von Felix finden will – wer könnte ihn daran hindern, zu behaupten, er habe da ein Kilo oder mehr von dem Stoff entdeckt? Um Felix dann in einen dieser grässlichen marokkanischen Knäste zu werfen und ein Lösegeld, genannt Bakschisch, für ihn zu verlangen? Felix schwitzt Blut und hat sehr, sehr weiche Knie. Nie, nie wieder werde ich etwas Verbotenes tun, denkt er, und schickt ein Stossgebet gen Himmel. Aber dann stinkt dem Bullen der ganze Aufwand doch und er lässt den Bus gnädigerweise weiterfahren. (Anbau und Genuss von Cannabis sind in Marokko nicht verboten, jedoch der Handel. Wer mit den Drogenbaronen im Zentrum des Hasch-Imperiums, dem Rif-Gebirge, Geschäfte machen will, muss allerdings schon mehr als ein paar Kilo bestellen. Die gesamte Region lebt vom Anbau der Droge, aber das grosse Geld verdienen nur wenige Landbesitzer. Die langjährige Duldung des Drogenanbaus im Rif-Gebirge durch den marokkanischen König ist in einer Besonderheit dieser Region begründet. Die dort lebenden Berberstämme halten traditionell wenig von der Zentralgewalt, und jedes gewaltsame Eingreifen könnte zu einem Bürgerkrieg führen. Ausserdem regiert kein kluger König gegen die Traditionen seines Volkes, und Kifrauchen gehört nun mal in Marokko zu den Traditionen des Volkes, und diese Traditionen sind älter als ein paar läppische, von den Amerikanern oder wem auch immer diktierte Gesetze.) (Eine weitereVolkstradition liegt dem oben erwähnten Begriff Bakschisch zugrunde, das zumindest sprachlich einige Gemeinsamkeiten mit dem Wort «Haschisch» aufweist. Wir zitieren wörtlich aus Wikipedia: «Das Wort Bakshish bzw. Bakschisch kommt aus dem Persischen und bedeutet so viel wie Gabe oder Geschenk. Es ist im islamischen Kulturkreis im ursprünglichen Sinn eine Art Almosen. Die Tradition, bei zahlreichen Anlässen ein Bakshish zu geben oder zu erwarten, hängt mit der islamischen Grundregel zusammen, Notleidenden zu helfen. Das schliesst finanzielle Unterstützung ein. Die Religion erwartet von reichen Gläubigen, dass sie einen Teil ihres Vermögens bzw. Einkommens an Ärmere weitergeben. Touristen geben ein Bakschisch in islamischen Ländern im Allgemeinen im Sinne von Trinkgeld für Dienstleistungen oder Gefälligkeiten. In den Augen der Einheimischen ist jeder Tourist wohlhabend. Der Begriff Bakshish ist in Indien übernommen worden, obwohl es sich um einen anderen Kulturkreis handelt. Sowohl hier als auch in arabischen Ländern ist es üblich, durch die Gabe von Bakshish Verwaltungsvorgänge zu beschleunigen oder einen besonderen Gefallen zu erhalten. Im deutschsprachigen Raum ist Bakschisch umgangssprachlich ein Ausdruck für Schmiergeld. Im Türkischen wird die Bezeichnung «Bahşiş» lediglich für Trinkgeld angewendet. Nützlich, dieses Internetlexikon, nicht?)