Donnerstag, 27. November 2008

Und auch heute wieder gilt...



nur heute ist heute heute

Angenommen,



man würde den Begriff «Gott» durch den Begriff «Bewusstsein» ersetzen, ergäbe sich ein ganz neuer religiöser Sinn. Das Bewusstsein erschafft die Welt und hält die Wirklichkeit am Leben. Wir alle sind Teil dieses Bewusstseins und in diesem Sinn «Kinder Gottes»; allerdings ist unsere Individualität eine Illusion, die zwar ihren Sinn haben mag, uns aber doch gründlich in die Irre führt. Dies zu erkennen – dass wir der Tropfen sind, der in den Ozean zurückfällt, Teil eines reissenden Stroms, den wir als «Zeit» wahrnehmen, war schon immer Kern aller Mystik und Spiritualität.

Dienstag, 18. November 2008

Du kommst wieder!


Der Hanfdieb wird als Frosch wiedergeboren

Die Verbrechen, auf die eine Wiedergeburt als Tier oder Pflanze erfolgt, sind im Hinduismus (Gesetzbücher des Manu) genau geregelt:
Ein Brahmanenmörder fährt in den Leib von Hund, Schwein, Esel, Kamel, Rind, Ziege, Schaf, Hirsch oder Vorgel;
ein Brahmane, der das Geld eines Brahmanen stiehlt, wird tausendmal zu Spinne, Schlange, Echse oder Wassertier;
wer das Bett eines Edlen beschmutzt, wird hundertmal zu Gras, Busch, Ranke oder zu einem fleischfressenden Tier;
der Korndieb wird zur Ratte;
der Honigdieb zur Schmeissfliege;
der Milchdieb zum Vogel;
der Gewürzdieb zum Hund;
der Fleischdieb zur Grille:
der Seidendieb zum Rebhuhn;
der Hanfdieb zum Frosch;
der Baunmwolldieb zum Kranich
der Rinderdieb zur Riesenechse;
der Weihrauchdieb zur Bisamratte;
der Gemüsedieb zum Pfau;
der Feuerdieb zum Reiher;
der Möbeldieb zur Hornisse;
der Pferdedieb zum Tiger;
der Frauendieb zum Bären;
der Wasserdieb zum Kuckuck;
der Obstdieb zum Affen.

Frage: In welcher Tiergestalt wird ein hiesiger Politiker wiedergeboren?
Tipps bitte hier!

Freitag, 14. November 2008

Erste und letzte

Mögliche erste Sätze

«Der Anfang ist immer das entscheidende, hat man's darin gut getroffen, so muß der Rest mit einer Art von innerer Notwendigkeit gelingen, wie ein richtig behandeltes Tannenreis von selbst zu einer graden und untadeligen Tanne aufwächst.»

Der Himmel lag schwer über der Stadt.
Er erkannte seinen Irrtum zu spät.
Es war an einem ungewöhnlich heissen Frühsommertag Ende Mai, als F. in einem Taxi sass, dass ihn vom Wiener Westbahnhof zu seiner Pension in der Josefstädter Strasse bringen sollte.
Er hörte mit Wohlbehagen das vertraute Geräusch, als sich der Korken mit einem leisen Plopp aus dem Flaschenhals löste.
Ich bin mir bewusst, dass das nicht immer einfach ist.
Ilsebill salzte nach. (Bei Grass gestohlen, der mir ja sonst gestohlen bleiben kann.).
Entweder mache ich mir Sorgen oder etwas zu essen. (Bei Ildiko von Kürthy abgekupfert.)
Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. (Bei wem geklaut? Natürlich. Bei Kafka.)
Also, es fängt damit an, daß ich bei Fisch-Gosch in List auf Sylt stehe und ein Jever aus der Flasche trinke. (Christian Kracht)
Ein Leben beginnt gewöhnlich mit der Geburt – meins nicht. (Walter Moers)
Während die meisten jungen Schotten seines Alters Röcke lüpften, Furchen pflügten und die Saat aussäten, stellte Mungo Park dem Emir von Ludamar, Al-Hadsch' Ali Ibn Fatoudi, seine bloßen Hinterbacken zur Schau. (T. C. Boyle)
Es geht auch Englisch:
It was the summer that men first walked on the moon. (Paul Auster)
The sky above the port was the color of television, tuned to a dead channel. (William Gibson)
The studio was filled with the rich odor of roses, and when the light summer wind stirred amidst the trees of the garden there came through the open door the heavy scent of the lilac, or the more delicate perfume of the pink-flowering thorn. (Oscar Wilde)
Viele Jahre später sollte der Oberst Aureliano Buendía sich vor dem Erschießungskommando an jenen fernen Nachmittag erinnern, an dem sein Vater in mitnahm, um das Eis kennenzulernen. (Gabriel Garcia Marquez)




Mögliche letzte Sätze

«Je schlechter das Buch, umso besser sein Ende. Und umgekehrt.»

Das wars.
Aber das war erst der Anfang.
Neun Monate später kam sie mit einem Mädchen nieder, das sechsundneunzig Jahre später an einem simplen Grippevirus sterben würde.
Das nächste Jahrhundert gehört, verdammt noch mal, mir! (John Barnes)
Dann endlich öffneten sich zwei Türflügel vor ihnen, und sie traten hinaus in einen von geradezu überirdischem Licht erfüllten Raum. (Andreas Eschbach).
Er war scheusslich. (Philip K. Dick)
«Gott sei Dank», sagte Bilbo lachend und reichte ihm die Tabakdose. (J.R. Tolkien)
«Ja, ich bin zurück», sagte er. (J.R. Tolkien)
Der Schumacher lächelte traurig und nahm des Mannes Arm, der aus der Stille und seltsam schmerzlichen Gedankenfülle dieser Stunde zögernd und verlegen den Niederungen seines gewohnten Daseins entgegenschritt. (Hermann Hesse)
Es gibt kein Ende. Ken MacLoed)

Mittwoch, 12. November 2008

Dem Himmel einen schreienden Teppich entgegenhalten



«Als Honda am Nachmittag Benares erreichte, liess er, sobald er im Hotel seine Koffer ausgepackt und gebadet hatte, einen Führer kommen. Eine auch von der Anstrengung der langen Bahnfahrt nicht geminderte, merkwürdig jugendliche Ungeduld hatte ihn in den Zustand einer gewissermassen heiteren Unruhe versetzt. Vor den Hotelfenstern draussen war alles von einer beklemmenden Nachmittagssonne erfüllt. Wenn er sich, hatte er das Gefühl, in sie hineinwürfe, müsste es möglich sein, das Mysterium unmittelbar zu erfassen.
Indessen, Benares war eine Stadt sowohl von höchster Heiligkeit als auch von tiefstem Schmutz. Zu beiden Seiten der engen Gassen, in die über die Dachtraufen hinweg kaum ein Sonnenstrahl fiel, standen dicht beieinander die Geschäfte mit Obst, mit Gesottenem, beriet hier ein Astrologe, wurden einem dort Getreide und Mehl zugewogen; alles voller Gestank, Feuchtigkeit, Krankheit. Nachdem sie dies hinter sich hatten, traten Honda und sein Führer auf einen an den Fluss grenzenden Platz hinaus; auf ihm sassen in Reihen rechts und links die aus dem ganzen Land hierher gepilgerten Siechen, in sich zusammengesunken, bettelnd, während sie auf den Tod warteten. Dazu die vielen Tauben. Der glühende Himmel nachmittags um fünf. Vor sich in seiner Bettelschale, einer Blechbüchse, ein paar Kupferstücke, das eine Auge rot und erblindet, hatte ein Leprakranker die fingerlosen Handstummeln in den Abendhimmel aufgereckt wie ein Maulbeerbaum nach dem Beschnitt seine Äste.
Da gab es Verkrüppelte jeder Art, hüpften Zwergwüchsige umher. Körperlich ohne irgendein gemeinsames Merkmal, waren sie wie uralte, nicht zu entziffernde Schriftzeichen. Nicht weil Entartung oder Verfall sie so hatte werden lassen, sondern weil sie noch immer die Lebendigkeit und Wärme des Fleisches besassen, wehte aus den verzerrten, verbogenen Gestalten ein zugleich widerwärtiger und heiliger Sinn. Blut und Eiter wurden von unzähligen Fliegen weitergeschleppt wie Blütenpollen. All diese Fliegen waren dick und funkelten grüngolden.
Rechts, wo es zum Fluss hinab ging, war ein mit bunt leuchtenden heiligen Symbolen bemaltes Sonnensegel aufgespannt, und neben der Menge, die der Predigt eines Priesters lauschte, lag, in ein Tuch eingewickelt, ein Leichnam.
Alles befand sich in einem Zustand des Schwebens. Das heisst: die nacktesten, hässlichsten Wirklichkeiten menschlichen Fleisches, einschliesslich seiner Ausscheidungen und üblen Gerüche, Krankheitskeime und Verwesungsgifte, begannen, so der Sonne ausgesetzt, in der Luft dahinzutreiben wie in der normalen Realität Dampf. Benares. Ein Teppich von geradezu prachtvoller Hässlichkeit. Eintausendfünfhundert Heiligtümer. Tempel, an denen neben den roten Säulen in schwarzen Ebenholzreliefs die Liebe dargestellt war in allen nur denkbaren Formen des Geschlechtsverkehrs. Häuser, in denen Witwen von früh bis spät unter lauten Klagelitaneien inbrünstig den Tod herbeisehnten. Einheimische. Fremde Besucher. Sterbende. Gestorbene. Mit Pusteln übersäte Kinder. Kinder, die sich sterbend an die Brüste ihrer Mütter klammerten… Ein von ihnen allen, den Tempeln, den Menschen, Tag und Nacht dem himmlischen Firmament lustvoll entgegengehaltener, schreiender Teppich.»
Yukio Mishima, in: Der Tempel der Morgendämmerung.

Donnerstag, 6. November 2008

Wer ist wir?




Yes, we can – ein Slogan, den Felix, wie seine Kommentare in diesem Blog nahe legen, wohl eher skeptisch gegenübersteht. WE can – wer wir? Trotzdem – Felix mag Obama und hat seinen Wahlsieg sogar mit Tränen in den Augen begrüsst. Aber nicht aus realpolitischen Gründen oder weil er denkt, dass Obama die Welt in ein Paradies verwandeln kann, und von heute auf morgen schon gar nicht. Felix ist vom Sieg des ersten schwarzen Präsidenten aus gewissermassen psychologischen Gründen begeistert – weil dieser Sieg einen Paradigma-Wechsel bedeutet, der für längere Zeit nicht mehr rückgängig zu machen sein wird. Felix ist deshalb so begeistert, weil mit Obama gewissermassen ein Aussenseiter auf den Thron gehisst wurde, ein Mann, mit dessen Umständen und Lebensverhältnissen sich Felix identifizieren kann, Kind einer binationalen Beziehung, multikulturell aufgewachsen, ein Mann, der auf der einen Seite in der ganz normalen verrückten Schule des Lebens den Pragmatismus und Bescheidenheit gelernt und dem auf der andern Seite von Gott oder wem auch immer ein Charisma geschenkt wurde, das auch Skeptiker und Schwarzseher wie uns zu begeistern vermag. Nein, Felix ist überzeugt davon, dass Obama kein weiterer gewöhnlicher Präsident sein wird. Felix hat das Gefühl, an einer Zeitenwende zu stehen – was nicht heisst, dass sich nun alles zum Besseren wendet (das tut es nie), aber vielleicht, dass jetzt notwendige Korrekturen vollzogen werden, die zur Entwicklung der Menschheit beitragen, so, wie es Wendepunkte im individuellen Leben gibt, die mit (auch schmerzhaften) Veränderungen einhergehen, ohne die das Leben aber dumpf und langweilig würde, zu einer blossen Last.

Dienstag, 4. November 2008

No Happy Ending

Das Leben hat kein Happy End. Ein Happy End ist für uns nicht vorgesehen – für niemanden von uns. Aber spielt das eine Rolle? Würde ein Happy End denn Sinn machen? No Happy Ending – das ist eine anthropologische Grundvoraussetzung, verschleiert von ein wenig Hoffnung. Tausende von Jahren der Geschichte zeigen diese Offensichtlichkeit. Wir müssen lernen – und wir müssen leiden, damit wir lernen. Auch wenn wir scheitern – und wir werden letztlich scheitern, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche –, so müssen wir dennoch versuchen, das Richtige zu tun. Was aber ist das Richtige? Unmöglich, es zu wissen. Das Authentische vielleicht – oder, um ein altmodisches Wort zu gebrauchen, das Wahrhaftige. Es hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun (auch ein altmodisches Wort) – aber nicht mit Ehrlichkeit anderen gegenüber (das wäre Rücksichtslosigkeit), sondern mit Ehrlichkeit zu sich selbst. Mehr kann man im Leben wohl kaum erreichen, und es ist jämmerlich wenig. Aber mit dieser Einsicht fängt diese Art von Ehrlichkeit wohl an. Wenn ich nun noch die Eitelkeit, die selbst in dieser Ehrlichkeit steckt, ausräumen könnte, hätte ich wahrscheinlich einen ersten Schritt getan – einen bescheidenen ersten kleinen Schritt.

Samstag, 1. November 2008