Sonntag, 8. Mai 2011

Politik für Milliardäre

Parteipolitik hat sich in den letzten Jahren immer mehr von der Sachpolitik entfernt und ist zum reinen Marketing verkommen. Das heisst, dass nicht mehr die politische Lösung von Sachproblemen im Vordergrund steht, sondern die Frage, wie zusätzliche Wählerstimmen geholt werden können. Natürlich gehört Politikmarketing – die wählerorientierte Entwicklung und Vermarktung der Politik oder einer politischen Partei – zur Politik. Politikmarketing als notwendiges Übel ja, als Selbstzweck nein.

Von dieser Tendenz zum Überhandnehmen des Politikmarketings zuungunsten der lösungs- und konsensorientierten Sachpolitik ist keine der Parteien ausgenommen. Die einen machen es geschickter, die anderen weniger geschickt; die einen mit weniger Mitteln, die anderen mit dem ganz dicken Portemonnaie. Das macht die weniger geschickten – und damit weniger erfolgreichen – zwar eher sympathisch, verhilft ihnen aber natürlich nicht zu grösserem politischem Gewicht.

Es gibt in der Schweiz eine Partei, die das Spiel des politischen Marketings perfekt beherrscht. Es ist die Partei, die zuerst erkannt hat, wie wichtig dieses Marketing für den politischen Erfolg ist. Es ist auch die Partei, die die meisten Mittel dafür aufwendet – und die meisten Mittel dafür aufwenden kann. Klar – schliesslich ist es die Partei der Milliardäre; jene Partei, die Politik für Milliardäre macht.

Was heisst das nun – Politik für Milliardäre (zu denen ich hier auch diejenigen mit den vielen Millionen rechne, die es – noch? – nicht ganz in den Club der Milliardäre geschafft haben). Es bedeutet Steuersenkungen auch – und gerade – für die ganz Reichen, es bedeutet die Senkung der Staatsausgaben. Die Partei, von der ich spreche, ist die einzige Partei mit einer konsequent neoliberalen Politik in der Schweiz, einer Politik, die sich für einen schrankenlosen, von allen Fesseln befreiten Kapitalismus stark macht – und damit für einen möglichst schwachen Staat. Ein starker Staat wird von ihr nur in Sicherheitsfragen toleriert – wenn es darum geht, einen (imaginären oder realen) äusseren oder inneren Feind zu bekämpfen. Und allenfalls noch dann, wenn es darum geht, die Bauern – ursprüngliche Kernwählerschaft – vor ausländischer Konkurrenz zu schützen (und damit, nebenbei gesagt, auch wieder gegen die eigenen neoliberalen Prinzipien zu verstossen).

Wie machen die das?
Wir schafft es die Partei für Milliardäre, die eine Politik für Milliardäre macht, zu der wählerstärksten Volkspartei zu werden? Schliesslich sind Milliardäre auch in einem reichen Land wie der Schweiz nicht gerade in der Mehrheit. Das erfordert doch eine wahrhaft herkulische Leistung von den PR-Fachleuten der Partei. Wie machen die das?

Zunächst geht es natürlich darum zu verschleiern, dass die Partei Politik für Milliardäre macht – oder vielmehr zu suggerieren, dass diese Politik auch anderen Wählerschichten zugute komme: zum Beispiel dem Mittelstand, aber auch ganz generell allen «guten», «richtigen» Schweizern. Ein starkes, durch keine gesetzlichen Schranken behindertes Unternehmertum schaffe Arbeitsplätze; die Bedrohung von Sicherheit und Wohlstand erfolge ausschliesslich durch einen zu bekämpfenden inneren und äusseren Feind (EU, Ausländer generell, Scheininvalide, Sozialschmarotzer, Linke und Nette, Classe politique).

Das führt uns zum entscheidenden Hebel, an dem das Politikmarketing der Partei ansetzt: der Schaffung von Feindbildern. Dass Politikmarketing mit Feindbildern operiert, ist zwar auch bei anderen Parteien nicht gerade der Ausnahmefall, wird aber von keiner anderen Partei so permanent und konsequent umgesetzt und durchgezogen.

C.G. Jung hat das Konzept des Schattens entworfen, wobei der Schatten sozusagen die dunkle, im Schatten liegende Seite der Persönlichkeit ist. Er setzt sich aus all jenen mit den bewussten Identifikationen des Ich unvereinbaren Aspekten, Neigungen und Eigenschaften eines Menschen zusammen, die wir nicht in unsere bewusste Persönlichkeit integriert haben. Solange keine bewusste Auseinandersetzung des Ich mit diesem unbewussten Schatten stattgefunden hat, kann dieser nur ausserhalb des Ich wahrgenommen werden und wird deshalb häufig auf andere Personen und Personengruppen projiziert.

Insofern passt das Marketing-Konzept der Partei recht gut zur Erklärung des Schattenprinzips von C.G. Jung. Die Feindbilder der Partei sind sozusagen der «Schatten» der Schweiz, aber auch jeder einzelnen Wählerin und jedes einzelnen Wählers. Das, was uns bedrohlich erscheint, wird auf einen äusseren und inneren Feind projiziert, den man nun nur noch bekämpfen muss – indem man die Partei wählt, die das stellvertretend für uns tut –, damit alles gut wird und wir uns vermeintlich sicher fühlen können. «Jedem SVPler steht die Schweiz näher als die eigene Partei. Dies ist wohl der wesentliche Unterschied zu allen anderen Parteien, welche vor allem für die eigene (Partei-)Befindlichkeit und die Pöstchen einstehen, anstatt für die Unabhängigkeit und Freiheit unseres Landes», schreibt beispielsweise SVP-Nationalrat Alfred Heer.

Insofern ist der Erfolg der Partei auch eine Folge der Globalisierung. Diese löst Ängste aus, die nun nach Jungs Schattenkonzept auf ein Feindbild projiziert werden und damit aushaltbar gemacht werden kann. Dieses Bedrohungsgefühl ist gleichzeitig sehr diffus und tief sitzend, es betrifft den Identitätsverlust und das Gefühl, dass die Anderen, Fremden uns etwas wegnehmen könnten.

Feindbild Nr. 1: Ausländerinnen und Ausländer, alles «Fremde», «Unschweizerische» generell. In diesen Komplex gehören natürlich die EU, aber auch andere intergouvernementale und vor allem supranationale Strukturen (UNO, NATO, Abkommen von Schengen und Dublin). Dazu gehören Asylsuchende und alle Arten von Einwanderern. In dieses Kapitel gehört natürlich auch die Minerettinitiative, gehören Plakate wie jenes von den dunklen Händen, die nach dem Schweizerpass greifen, die Schäfchenplakate, die Plakate, die Ausländer als Mörder und Vergewaltiger zeigen etc.

Feindbild Nr. 2: «Sozialschmarotzer» und «Scheininvalide». Jede und jeder ist für sich selbst verantwortlich. All jene, die es nicht schaffen, sind selber schuld. Sie verkörpern das «Schwache», das es auszumerzen gilt. «Sozialschmarotzer» ist ein seit etwa Ende der 1970er Jahren verwendetes pejoratives Schlagwort für einen Einzelnen oder eine Gruppe von Menschen, die eine andere soziale Gruppe (z. B. einen Sozialstaat oder eine Solidargemeinschaft) „ausbeuten“ würden. Gelegentlich wird die Bezeichnung polemisch in Medien und politischen Debatten allgemein auf Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Langzeitstudenten, Asylanten, Totalverweigerer, Kinderlose oder auch Kinderreiche erweitert. Seltener werden auch Leute als «Sozialschmarotzer» bezeichnet, die notwendigerweise, wie etwa aus gesundheitlichen Gründen, aufgrund hohen Lebensalters oder aus Verfolgung auf soziale Hilfe angewiesen sind. Oft werden Personen, die angeblich oder tatsächlich unberechtigt staatliche Transferleistungen erhalten (Leistungsmissbrauch bzw. Sozialhilfemissbrauch) oder die Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung begehen, so bezeichnet. Steuerhinterzieher sind allerdings eher nicht gemeint, wenn die SVP von Sozialschmarotzern spricht.

Feindbild Nr. 3: Die Linken und die Netten. Unter dem Stichwort «Folgen der Multikultur» sagte SVP-Nationalrat Yvan Perrin in einem Referat zur «Ausschaffungsinitiative» 2010: «Die grassierende Ausländerkriminalität hat eine ideologische Grundlage: sie heisst Multikultur. Und für die grassierende Ausländerkriminalität gibt es politisch Verantwortliche: Es sind die Linken und Netten. Sie heissen SP, Grüne, CVP und FDP. Sie schwärmen von einer neuen Schweiz; von einer offenen Schweiz, die ihres Traditionsfundamentes beraubt der vielfarbigen Benetton-Werbung gleicht. Als Allianz weltfremder Träumer haben Linke und Nette während Jahren im Bundesparlament und in den Kantonsparlamenten alle Vorstösse und Lösungsbemühungen der SVP abgelehnt und abgeblockt. Die Folge ist eine verantwortungslose Schleusen-Auf-Politik.»

Interessant an diesem Zitat ist der Begriff der «Schleusen-Auf-Politik», der sehr schön das Konzept des Schattens, der auf ein Feindbild projiziert wird, illustriert. Das «Böse» kommt von aussen, es bedroht, mit Hilfe von «Kollaborateuren mit dem Feind» im Innern, die «heile Welt der Schweiz», die es zwar nie gegeben hat, die aber zweifellos eine schöne Wunschprojektion der Parteianhängerinnen und -anhänger ist, eine heile Welt, in der der Parteipräsident mit einem Lämmchen auf dem Schoss vor seinem bäuerlichen Anwesen sitzt, in der es keine Drogen und keine Kriminalität und keine arbeitenden Mütter gibt. Yves Perrin schliesst seine Rede mit dem ebenfalls aufschlussreichen Zitat: «Es ist somit an der SVP, das Bedürfnis der Schweizerinnen und Schweizer nach mehr Sicherheit, mehr Grenzen und vor allem nach konsequentem Durchgreifen beim Überschreiten der Grenzen, aufzunehmen und umzusetzen.»