Dienstag, 15. Januar 2008

Intermezzo


Während seiner Zeit als Hilfselektriker auf dem Bau hat Felix die verlorenen Kilos bald wieder auf der Rippe. Er frisst wie ein Scheunendrescher, die körperliche Arbeit an der frischen Luft bewirkt, dass er sich seiner Umwelt, als der Sommer kommt, braungebrannt und muskelbepackt präsentiert und körperlich noch nie so attraktiv war und es auch nie mehr sein wird wie jetzt. Von Peter ist nicht mehr die Rede, Peter hat sich nach Amerika abgesetzt, der ist jetzt Taxidriver in San Francisco und Felix wird den ihm sehr fremd Gewordenen nur noch einmal kurz bei einem Besuch in der Schweiz treffen. Aber Felix hat Peter jetzt auch nicht mehr nötig, die Lektion, die er von Peter zu lernen hatte, ist abgehakt, Felix entdeckt sein eigenes kleines Machotum. Felix fühlt sich als Stadtindianer, als Anarchist, als Teil der «Bewegung», er beteiligt sich an unbewilligten Demos und hängt auf dem Gelände des autonomen Jugendzentrums herum. Er fühlt sich wohl auf dem Bau, wo er vor allem mit zwei Spaniern arbeitet und auf diese Weise zwar Spanisch lernt, aber kaum, wie man eine Steckdose korrekt anschliesst. Felix ist, wie schon mehrmals angedeutet, handwerklich eindeutig unbegabt, dazu sowohl grob- wie auch feinmotorisch etwas behindert, aber er ist fröhlich und für die gröberen Aufgaben, die weniger handwerkliches Geschick erfordern, ganz gut zu brauchen (Beton aufspitzen, Löcher bohren, Backsteinwände auffräsen). In der Männerwelt des Baus, in der es hart, aber herzlich zugeht, entdeckt Felix das kleine bisschen Heterosexualität, das sogar in ihm steckt. Während der Mittagspause in einem Restaurant neben einer Baustelle lernt er Andrée kennen, eine sensible, schöne, aussergewöhnliche Frau, der Felix auf einem Fest, in dessen Verlauf der Alkohol in Strömen fliesst, näher kommt, das heisst, sie landen stockbesoffen zusammen im Bett, woran sich Felix am nächsten Tag nur noch nebelhaft erinnert. Dass es dabei aber ziemlich wild zu und her gegangen sein muss, bestätigen ihm anderntags die beiden Spanier, Juan und Angel, die ebenfalls ziemlich alkoholisierte Gäste der Party und offenbar Zeugen des Beischlafs von Andrée und Felix gewesen sind. Felix ist der ganze Vorfall unendlich peinlich, aber Andrée scheint die Sache nicht negativ eingefahren zu sein, ist sie doch nun offensichtlich in Felix verliebt und gibt sogar ihrem damaligen Freund den Laufpass. Felix und Andrée verbringen einen grossen Teil ihrer Freizeit zusammen, gehen an Konzerte, schmeissen gemeinsam Trips, machen lange Spaziergänge dem Fluss entlang, haben eine gute Zeit. Trotzdem kann das auf die Dauer natürlich nicht gut gehen, selbst wenn Felix und Andrée sich auf einer seelischen Ebene sehr nahe sind. Sie besuchen zusammen die inzwischen ebenfalls zurückgekehrten Indienfreunde von Felix, die als Reisesouvenier beide eine Hepatitis mitgebracht haben. Sowohl Andrée wie Felix finden Hofheim – jetzt, im April – ein fürchterlich deprimierendes Kaff und die Freunde sind auch nicht mehr so gut drauf wie damals, also betrinken Felix und Andrée sich allein und setzen danach mit einer Zigarette die Matratze der Freunde in Brand, auf der sie eingeschlafen sind. Kurz darauf gesteht Felix Andrée endlich, dass er schwul ist. Andrée ist zwar nicht schockiert, aber natürlich enttäuscht. Sie erzählt, ihr Vater, ein Amerikaner, zu dem sie eigentlich nie Kontakt hatte, sei ebenfalls schwul. Diesen Vater wolle sie demnächst in den USA suchen, das sei zwar nicht leicht, aber ungeheuer wichtig für sie. Wenige Wochen später reist sie dann tatsächlich ab und verschwindet damit aus dem Leben von Felix. (Etwa drei Jahre später trifft Felix Andrée noch einmal. Sie bringt einen jungen blonden Freund, der kaum zwanzig ist und den Felix auch nicht von der Bettkante stossen würde, zum Treffen mit und ist inzwischen schwere Alkoholikerin). Nach der Geschichte mit Andrée har Felix eine etwa ein halbes Jahr dauernde Affäre mit Severin, einem siebzehnjährigen Gymnasiasten, der im Jahr 2007 zwar schon längst nicht mehr sein Geliebter, aber immer noch einer seiner besten Freunde sein wird. Mit dessen Clique – jungen Punks aus dem Emmental –, aber ohne Severin selber, besucht Felix im Winter 1981 die damals noch geteilte Mauerstadt Berlin.
Insgesamt etwa zwei Jahre arbeitet Felix bei der Elektrofirma auf dem Bau. In dieser Zeit verweigert er seinen Militärdienst und wird vom Militärgericht zu vier Monaten Gefängnis unbedingt verurteilt, eine Strafe, die er von September bis Dezember 1982 absitzt. Das ist natürlich ebenfalls eine interessante Reise in eine andere Welt, die wir aber an dieser Stelle nicht auch noch erzählen wollen.
Nach der Zeit im Knast arbeitet Felix zunächst für eine Firma, die mobile Messehallen montiert. Kein idealer Job für jemand wie Felix, der unter Höhenangst leidet und, wie gesagt, handwerklich unbegabt ist. Deshalb beginnt er im Frühjahr mit einer Lehre als Buchhändler in einer grossen Buchhandlung in Bern, da ihm der Umgang mit Büchern eindeutig besser liegt. Kurz vorher verliebt er sich in Etienne, einen Medizinstudenten, mit dem er als Honeymoon ziemlich sexlastige Kurzferien in den Cinqueterre verbringt. Im Sommer ist die Beziehung, die anfangs März begonnen hat, jedoch schon wieder vorbei.

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