Freitag, 11. Januar 2008

Der Kreislauf der Natur



Die Goa-Scheinwelt ist Himmel und Hölle zugleich, ein Schlaraffenland der Absturzgefährdeten. Und einige jener, die sich ins Land of no return aufgemacht haben, trifft Felix denn auch an den Stränden und in den Palmhainen von Goa: nackte, ausgemergelte Datura-Opfer auf dem ewigen Trip mit verfilzten Haaren und irren Augen, abgebrannte Junkies, Speed-Leichen.
Felix ist also noch immer in Goa. Er ist in Goa gestrandet, obwohl es ihm da inzwischen nicht mehr so gefällt. Thomas, der Taxifahrer aus Hamburg, ist abgereist, er musste zurück nach Deutschland, dafür sind die Hofheimer wieder aufgetaucht, aber die wohnen in einer anderen Hütte an einem anderen Strand.
Felix bleibt auch deshalb in Goa hängen, weil er sehr krank ist. Er hat hohes Fieber, und vor allem sein Verdauungssystem ist buchstäblich total im Arsch: tagelang scheisst er nur noch Blut und Eiter, und von Nahrungsaufnahme kann nun schon gar nicht mehr die Rede sein.
Jetzt geht es Felix wieder etwas besser, nach einem ziemlich frustrierenden, um nicht zu sagen: zutiefst beängstigenden Spitalbesuch in Mapusa, in dessen Verlauf ihm sehr klar geworden ist, dass ihm hier niemand weiterhelfen kann, hat er sich, nachdem er für eine Weile am Rand einer Strasse im Staub lag und Rotz und Wasser heulte, einfach beschlossen, die Sache, im übertragenen Sinn, selbst in die Hand zu nehmen und weiter zu leben. Inzwischen fühlt er sich zwar immer noch schwach, aber doch fast wie neu geboren. Ein gutes Gefühl – er wird sich nun zuerst einmal, vorab mit Bananen, denn den Dünnpfiff hat er natürlich immer noch, wieder hochfüttern.
Die Krankenzeit war für Felix übrigens nicht nur unangenehm: Er geniesst es, mit nur schwachem innerem Energiefeuer in diesem Zimmer zu liegen und durch die ebenerdigen glaslosen Fenster und die offene Tür in den Palmenwald zu schauen. Rings bloss Geräusche der Natur, die fantastischen Wasserbüffel, die flinken schwarzen Schweine, die einem die Scheisse praktisch vom Hintern weg fressen. Das ist der Kreislauf der Natur, und Natur gehört zu der paradiesischen Seite von Goa – die gibts nämlich auch: Wasserbüffel und Schweine, wie gesagt, freundliche Babas, die zufrieden auf ihren Ochsenkarren hocken, unbeeindruckt von den Massen verrückter zivilisationsgeschädigter junger Leute aus dem Westen, die offenbar ein schlechtes Karma abzubüssen haben...

Wenn es so etwas wie Gott gibt, denkt Felix, der mit schwachem Energiefeuer auf seinem Kranken- oder vielmehr Rekonvaleszentenlager liegt, dann ist er so gross, dass er sich jedem menschlichen Verständnis entzieht. Deshalb ist Felix ein überzeugter Agnostiker. Das menschliche Hirn, glaubt Felix zu wissen, ist einfach nicht dafür gemacht, Gott zu «begreifen». Natürlich gibt es Situationen, in denen es dem Menschen schwant, dass da irgend etwas im Busch ist, etwas, das weit über das menschliche Verständnisvermögen hinausgeht – zum Beispiel nach dem Konsum halluzinogener Drogen –, aber diese «Erkenntnis», die sich nicht in Worte fassen lässt und die aber auch gar nichts mit unserem üblichen Verständnis von «Wissen» zu tun hat, löst sich buchstäblich ins Nichts auf. Felix war in seinem Palmendorf so krank, dass er einige Male nahe daran war, den Löffel abzugeben. Aber er hat deswegen seltsamerweise keine grosse Angst gehabt. Grosse Angst hat Felix eigentlich nur dann, wenn er nicht weiss, was es ist, wovor er sich fürchtet.

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