Montag, 4. Mai 2009

So könnte eine Geschichte beginnen




Als er dreissig wurde, begann er ordentlich zu leben, legte sich ein Bankkonto zu, begann sich mit Nummern zu umstellen. Das Bankkonto hatte eine Nummer, zum Beispiel. Als Krankenkassenmitglied hatte er eine Nummer. Seine AHV-Karte trug eine zwölf- oder fünfzehnstellige Nummer, ebenso sein Sturmgewehr. Und so, wie er sagte: «Mein Land», «meine Bank», «mein Gewehr», so sagte er jetzt auch «meine Sturmgewehrnummer», «meine AHV-Nummer», «meine Bankkontonummer», meine «Krankenkassennummer». Das gab ihm das Gefühl, aufgehoben zu sein, ein heimatliches Gefühl der Geborgenheit. Zur Bankkontonummer gehörte übrigens auch eine Bankomatkarte und zu dieser wiederum eine Codenummer, sechsstellig. Auf der zehnstelligen Kontonummer lag sein ganzes Geld. Das war zwar nicht sehr viel, aber immerhin, alles hatte seine Ordnung, er war ein ordentliches Mitglied der menschlichen oder vielmehr der schweizerischen Gesellschaft.
Und als solches wollte er sich ab und zu etwas gönnen, ein gutes Essen etwa, zu dem er seine Freundin oder gar seine angetraute Ehegattin eingeladen hatte an diesem Freitagabend. Vorher, am Nachmittag zwischen zwei Terminen, musste noch etwas Geld, Kohle, Asche oder Zaster besorgt werden von den sechs- und zehnstelligen Nummern «seiner» Bank.
Er steckte also die Bankomatkarte in den Schlitz eines der Geldautomaten, die überall in der Stadt zu finden waren, und tippte seine sechs Nummern ein. Es begann im Innern der Apparatur ein wenig zu summen und zu schnurren, verheissungsvoll wie immer, aber dann passierte nichts mehr oder nur insofern, als die Computerschrift, die ihn eben noch mit einem freundlichen «Grüezi. Ihre Karte wird geprüft» begrüsst hatte, erlosch. Und das wars dann schon. Er mochte warten und sich ärgern, es nützte alles nichts. Die Leute hinter ihm, die auch ihre sechsstelligen Zahlen eintippen wollten, begannen eine Schlange zu bilden. Er spürte aufkommende Ungeduld in seinem Rücken. Mit roten Ohren verliess er schliessliche das verstummte Ding, denn Misserfolg am Geldautomaten ist suspekt, peinlich und rufschädigend.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zur Hauptfiliale «seiner» Bank zu fahren. Gott sei Dank war es noch vor Schalterschluss. In der Hauptfiliale waren die Bankbeamten freundlich. Wenigstens vorerst. Er nannte die zehnstellige Nummer seines Kontos und zeigte seinen Ausweis her, der unmissverständlich klar machte, dass er war, wer er war. Jetzt konnte eigentlich nichts mehr schief gehen.
Aber es dauerte und dauerte, bis der Angestellte mit dem Geld, der Kohle, der Asche und dem Zaster kam. Hinter einer Topfpflanze machte er an einem Computer rum. Als er sich unserem Freund wieder zuwandte, war sein Pokerface beinahe unverändert, eine Spur kühler vielleicht als vorher. «Tut mir leid, aber ich kann Ihnen kein Geld geben, mein Herr.- Wir haben kein Konto mit dieser Nummer bei uns, und wir haben kein Konto, das auf ihren Namen lautet. Sie müssen sich in der Bank geirrt haben.»
Er konnte nur «aber, aber…» stammeln. «Wir sind gern bereit, bei unserer Bank auf ihren Namen ein Konto zu eröffnen», meinte der Banker konziliant. Es gibt einen Übermut der Güte, sagt Nietzsche, welcher sich wie Bosheit ausnimmt.

Vielleicht bin ich verrückt geworden, denkt der solcherart Geprellte mit einem völlig unerklärlichen Gefühl der Erleichterung. Er schaut in seinem Portemonnaie nach und entdeckt da neben einigem Kleingeld, einer thailändischen 10-Baath-Note und einem amerikanischen Vierteldollar auch noch eine Zehner- und eine Zwanzigernote. Die werde ich jetzt versaufen, denkt er und grinst böse in sich hinein.

So könnte eine Geschichte beginnen.

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