Mittwoch, 7. November 2007

Charlie Chaplin mit den abstehenden Ohren



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Im Viehwagen nach Norden
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Eine Nacht und einen Tag fährt Felix mit dem Zug von Meknes nach Tanger – und das ist wohl so ziemlich die schlimmste Zugsfahrt, die er je mitgemacht hat und auch später in seinem Leben je mitmachen wird.
Aus einer Laune heraus hat er wieder ein Ticket der 4. Klasse gekauft – schliesslich ist er ja bisher im Sinn des Wortes nicht schlecht damit gefahren –, was er später, alle Abenteuerlust in Ehren, bitter bereuen wird. Bis Sidi Kacem, wo er umsteigen muss, geht’s ja noch, auch wenn der Zug mit einer Stunde Verspätung von Meknes abfährt (Felix hat vorher mit seinem bärtigen Verehrer in der Bahnhofbar noch Bier getrunken), und die Leute im Zug, gastfreundlich wie immer, bieten ihm Tee und Zigaretten an. Um etwa drei Uhr treffen sie in Sidi Kacem ein, es regnet und ist schweinisch kalt geworden; Felix steigt in den bereitgestellten Zug nach Tanger um, aber dieser Zug will und will nicht abfahren und soll doch laut Fahrplan um neun Uhr in Tanger angekommen sein. Nun, das wäre ja weiter nicht schlimm, wenn Felix schlafen könnte, aber die Fenster des Wagons sind zum Teil herausgeschlagen, also zieht es, und das Dach ist auch nicht dicht, also tropft es auf die Sitze. Felix friert nun richtig, er ist hundemüde, zittert, obwohl er sich in seinen Schlafsack verkriecht, der allerdings ziemlich feucht geworden ist. Seine Mitreisenden, irgendwelche kleinen Händler und Leute ohne viel Geld, frieren ebenfalls, und so ist die Atmosphäre im Zug, der nun im Schneckentempo losfährt, alles andere als behaglich und gemütlich. Das ist eben auch die Romantik des Reisens. An Schlafen ist nicht zu denken, dazu windet es zu stark, also döst Felix so vor sich hin, fühlt sich beschissen und sehnt nur noch das Ende dieser Reiserei – und jeder Reiserei überhaupt, wieso tut man sich das an? – herbei. Es wird Tag, aber Tanger ist noch immer fern, den Auskünften der Mitreisenden nach; draussen karge Landschaft unter tief hangenden Wolken. Felix sitzt auf seiner harten Holzbank im Schlafsack und liest mit klammen Fingern und schmerzendem Steissbein in einem schmutzigen, halb zerfetzten Exemplar von Kafkas «Amerika»-Roman, das er in der Jugendherberge von Rabat gefunden hat. Einmal, vor einer leichten Steigung, versagt die Lokomotive dieses elendiglichen Zugs, und das bedeutet wieder ein paar Stunden warten, bis ein Ersatz angerollt kommt und sie dann endlich, es ist schon Nachmittag, im Hauptbahnhof von Tanger, einem netten, kleinen Gebäude, einfahren. Aber Felix bleibt nicht in Tanger; er will von Ceuta aus mit dem Schiff nach Spanien übersetzen und heute noch bis Tetuan fahren.

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Charlie Chaplin mit abstehenden Ohren
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Als er in Tetuan ankommt, ist es bereits dunkel, und er wird von ein paar Jünglingen zum Hotel Marrakech geschleust. Felix isst ein paar Fleischspiesschen, schlendert, im Hochgefühl der überstandenen Strapazen, durch die abendliche Medina und dann… Ja dann sitzt er mit ein paar neuen Marokkaner-Freunden in der Reçeption der Pension, sie rauchen wieder einmal Kif, «diskutieren» (discuter, das findet immer statt, wenn ein paar Leute zusammensitzen) und hören Musik ab Kassetten-Tonband, Jimmy Hendrix lässt seine Gitarre jaulen und Carlos Santana mexikanische Gefühle aufkommen, da erscheint plötzlich ein etwa siebzehn-, achtzehnjähriger Junge mit einem lustigen Gesicht und natürlich abstehenden Ohren in der Tür, er hat aufreizende Stiefel an und ein alter Regenschirm hängt an seinem Arm. Das ist ja ein Charlie Chaplin der ganz besonderen Art, denkt Felix, der abstehenden Ohren nicht widerstehen kann, solchen Lauscherchen ist er einfach hilflos ausgeliefert. Er schaut den Jungen an, vielleicht nicht gerade mit offenem Mund, aber doch ziemlich perplex. Dieser lächelt ihm zu, setzt sich, den Blick von Felix als Aufforderung verstehend, neben ihn und beginnt auf Englisch zu plaudern mit ihm. Die sprachliche Begabung der Marokkaner erstaunt Felix immer wieder. Der Junge schmiegt sich ganz nah an ihn. Felix ist jetzt überhaupt nicht mehr müde. Das Geplauder dauert etwa eine halbe Stunde, dann fragt der Junge ihn, ob er ihm nicht ein Souvenir schenken wolle. «Ja klar, das will ich ganz bestimmt», sagt Felix, «nur, dass sich das Souvenir in meinem Rucksack und sich dieser wiederum in meinem Zimmer oben befindet.» «Also, gehen wir», meint der Junge bestimmt, und schon hat Felix den Kerl vor sich auf der Treppe, sein niedlicher Arsch in den etwas abgeschabten Hosen befindet sich unmittelbar vor den Augen von Felix und in Reichwände seiner Hände, so dass er sich direkt zurückhalten muss. Endlich sind sie im Zimmer, Felix setzt sich aufs Bett und beginnt nervös an seinem Rucksack herumzunesteln, da meint der Junge, er wolle Felix auch ein Souvenir geben, öffnet seine Hosen und zeigt ihm seinen halb aufgerichteten Schwanz, den Felix ohne viel Federlesens zum Probieren in den Mund nimmt, wo der vollends zu stolzer Grösse erblüht. Es braucht nicht allzu viel, da wird der Atem des Jungen stossweise und geht in ein Stöhnen über, und dann ergiesst er sich kraftvoll in den Mund von Felix. Dieser zieht den Jungen aus, langsam und geniesserisch, sein Körper ist frisch und samtig und schmeckt nach Minze, Felix lässt seine Händen und seinen Mund durchs ganze Land wandern, auf dass ihm die Sinne schwinden… Und so weiter und so fort. Danach wählt der Junge aus dem Rucksack von Felix das beste Paar Jeans. Als Charlie Chaplin mit seinem Schirm gegangen ist, bleibt Felix in einer klirrenden, vibrierenden, helltönenden Stille zurück. Später fällt er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

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