Dienstag, 6. November 2007

Begegnung mit Jesus, muslimisch





In Marrakech trennt Felix sich von seinen Freunden zu Beginn des Schaffestes; Tom und Allan wollen weiter in den Süden, nach Mirleft, einem kleinen Fischerdorf am Atlantik, und dann womöglich bis zur spanischen Sahara. Felix ist froh, wieder einmal ein bisschen allein zu reisen.
Als er im Bahnhof von Neu-Meknes ankommt, ist es bereits dunkel. Ein Marokkaner zeigt ihm den Weg zur Medina, wo er jetzt im Hotel Regina logiert. Den Abend verbringt er mit vier oder fünf Marokkaner-Boys; der älteste von ihnen, der Leader, lädt sie alle zu sich ein, einen Happen Lamm zu essen, Tee zu trinken und zu rauchen. Sie gehen also durch dunkle Gassen, es ist ruhig, zu ruhig für den Geschmack von Felix, und er fürchtet sich ein wenig. «Ich bin Student», erklärt ihm der Wortführer mit seinem Vollbart, ist gerade gross in Mode hier, sich einen Bart wachsen zu lassen, ausserdem erfährt Felix, dass der Bärtige zwanzig sei und im Moment – wegen des Fests – gerade Ferien habe. Und dann kommt er auf das grosse Ereignis zu sprechen, das ganz Meknes in Atem hält, nämlich: Es wird gefilmt in der Stadt, ein Team aus Europa und den USA ist hier, und der grosse italienische Regisseur heisst Franco Zefirelli, und der Film soll die Christuslegende zum Thema haben. Er mache da auch mit, bei diesem Film, erklärt der Bärtige Felix stolz, übertreibt aber seine Funktion in diesem Unternehmen wohl ein wenig, wenn er behauptet, er sei der Stuntman des Hauptdarstellers, also von Jesus, was dann allerdings den Bart erklären würde. Nun, später treffen sie auf zwei bärtige Amerikaner, die tatsächlich in dem erwähnten Film eine Nebenrolle spielen, und der Begleiter von Felix ist wirklich ein Bekannter von ihnen. (Der Film «Jesus von Nazareth» mit Robert Powell als Jesus, Ann Banncroft als Maria Magdalena und Peter Ustinoff als Herodes wird erst 1977 in die Kinos kommen. Der erstklassig besetzte Film – es spielen auch noch Claudia Cardinale, Rod Steiger, Lawrence Olivier und Anthony Quinn mit – ist mit einer Dauer von 370 Minuten eine der längsten Bibelverfilmungen der Filmgeschichte. Achten Sie während der nächsten Ostertage auf Ihr Fernsehprogramm, Sie werden diesem Film bestimmt auf einem Kanal begegnen, und wenn Sie dann nach langem Ausharren vor dem Bildschirm Jesus in einer brenzligen Filmszene sehen, dann ist das wahrscheinlich der muslimische bärtige Bekannte von Felix aus Meknes.)

Vorerst das Essen im Haus der Familie des Ersatz-Jesus. Im Wohnraum, wo sie schmackhafte Fleischstücke zu sich nehmen, schlafen die Mutter und einige kleine Kinder bereits auf Matratzen und Bergen von Wäsche. Nach dem Mahl trinken die Jungs Tee, rauchen Kif und «diskutieren». Felix freut sich über die jungen, noch bartlosen Kerle, die neben ihm sitzen, und möchte gern ein wenig mit ihnen flirten. Aber sein Gastgeber lässt so etwas nicht zu, er nimmt Felix völlig in Beschlag und betrachtet den Gast quasi als Trophäe oder als Eigentum auf Zeit. Irgendwann stösst ein Franzose – der «Professeur» – zu ihrer Runde, ein schon etwas älterer, lässig-sympathischer Herr, der mit seinem Motorrad vorgefahren ist und eine gewisse Ähnlichkeit mit Jack Nickolson in «Easy-Rider» hat.
Dann, es ist inzwischen ziemlich spät, Felix ist müde und auch ein bisschen vernebelt im Kopf, wollen seine neuen Freunde ihm noch etwas ganz Besonderes bieten. Jemand hat eine Flasche Wein aufgetan, und die will nun in aller Heimlichkeit geleert sein. Sie installieren sich in einer menschenleeren Gasse fernab von zu Hause, damit dieses sündige Tun, das dem Propheten ein Gräuel ist, ja niemand von der Nachbarschaft mitbekommt.

Dann will Felix aber wirklich schlafen gehen. Sein Gastgeber, der es bedauert, dass Felix schon ein Hotelzimmer hat, da Felix ja wirklich bei ihm übernachten könne, nimmt sich das Recht heraus, ihn «heim» zu begleiten. Die anderen Jungs schickt er weg. Auf dem Weg merkt Felix, dass der Ersatzjesus auf ihn steht. Zuerst fragt er Felix scheinheilig, ob er verheiratet sei, und als Felix das lachend verneint, ganz eifrig: Ob er es denn schon einmal mit Männern versucht habe? Felix muss mal kurz überlegen, was er jetzt sagen soll. Ein Nein ist besser, denn er steht nicht wirklich auf den bärtigen Ersatzjesus. Der macht dann noch einige dunkle Andeutungen, aus denen hervorgeht, dass er jederzeit bereit sei, Felix zu einer neuen Erfahrung zu verhelfen, aber dieser stellt sich taub, bedankt sich vor dem Hotel für die Gastfreundschaft und wünscht seinem Gastgeber eine gute Nacht.

Keine Kommentare: