Mittwoch, 16. Dezember 2009

Der Engel vom Hauptbahnhof



Letzthin unterhielt ich mich mit Fendi, meinem indonesischen Lebenspartner, über die alte Frau, die immer im Rollstuhl in der Hauptbahnhofshalle sitzt. Er hatte mit seinen Freunden gerätselt, was diese Frau wohl den ganzen Tag mache und warum sie da sei. Es gebe ihm jedes mal einen Stich ins Herz, wenn er sie so dasitzen sehe, weil sie ihn an seine Mutter erinnere. Zuerst hatten sie gedacht, sie sitze da, weil sie kein Geld habe, aber dann beobachteten sie, dass die Frau Geld energisch zurückwies und höchstens eine Blume oder einen Apfel als Geschenk akzeptierte. Einer kam dann auf die folgende Idee: Die Frau sitze da, weil sie als junge Frau ihren Geliebten verloren habe. Er habe sie verlassen und sei mit dem Zug weggefahren. Und nun sitze sie da und erwarte seine Rückkehr. Ist das nicht eine schöne, traurige Geschichte? Ich erklärte ihm dann, dass sie meines Wissens da sitze, weil sie sich von Gott höchst persönlich beauftragt fühle, die Ankommenden und die Abfahrenden zu beschützen und zu segnen, als Schutzengel gewissermassen – eine Interpretation, die ihm ebenfalls unmittelbar einleuchtete.

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