Montag, 14. Juli 2008

Wir sind alle schwul

Unter dem Titel «Wir sind alle schwul. Die unaufhaltsame Homosexualisierung unserer Gesellschaft» hat Das Magazin ein bemerkenswertes Heft auf den Markt geschmissen. Der Titel - der Untertitel vor allem - hat wohl sämtlichen EDUlern, EVPlern und anderen Freikirchlern die Haare zu Berg stehen lassen, verheisst er doch Unheilschwangeres im Stil des Untergangs des Abendlandes oder des Kriegs der Kulturen. Das Heft, vonehmlich von Heteros gemacht, ist aber ganz positiv gemeint. Dass Schwule (im Heft ging es vornehmlich um Männer) häufig eine Vorreiter- und Trendsetterrolle spielen (vor allem im Lifestyle-Bereich, aber auch in Kunst und Kultur), ist schliesslich sattsam bekannt, und von der inzwischen nicht mehr ganz so neuen Metrosexualität vieler (urbaner) Männer wird inzwischen auch schon von Kreti und Pleti geschwafelt. Das Heft enthält also, zumindest für Schwule, wenig Neues, ist aber dennoch ganz gut gemacht und manchmal auch lustig. Am besten gefallen hat mir das Interview mit Gore Vidal, der 53 Jahre lang mit seinem Lebensgefährten Howard zusammen verbrachte, ohne dass die beiden ein einziges Mal Sex gehabt hätten (behauptet Vidal zumindest). Hier ein Auszug (der geneigte Leser, die geneigte Leserin dieses Blogs merkt: Ich liebe Interviews. Nirgendwo sonst wird amüsanter gelogen):

Mich hat fasziniert, was Sie in Ihren Memoiren über Ihre Beziehung zu Howard schreiben. Eine sehr zärtliche, sehr innige Liebe – und trotzdem nie intim…
Das gehört zu dem Persönlichsten, was ich je geschrieben habe. Wie wir 53 Jahre zusammengelebt haben und kein einziges Mal Sex hatten.

Das ist aussergewöhnlich.
Um Himmels willen, nein! Die Leute glauben immer, man geht eine Paarbeziehung ein, weil man Sex will. Was mich betrifft, ich will keinen Sex in meiner Beziehung. Wenn du Sex willst, geh raus und kauf ihn!

Viele Leute wollen Sex in der Beziehung.
Ja, und deshalb haben sie so ein grässliches Leben. Die Hälfte aller Ehen in den Vereinigten Staaten endet mit Scheidung. Jetzt rede ich von Heterosexuellen. Wenn es bei uns die Schwulenehe gäbe, dann wäre die Rate noch höher. Also, was solls?

Hatten Sie das Gefühl, in Howard Ihren idealen Lebenspartner gefunden zu haben?
Ich habe nie nach Idealen Ausschau gehalten. Ich halte es mit Montaigne, der mal gesagt hat: «Da ich mich in andere nicht hineinversetzen kann, versetze ich mich lieber in mich selbst.» Das ist mein generelles Motto.

Was mich am meisten verwundert hat: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie Howard noch nicht mal auf den Mund geküsst haben…
…und deshalb hat unsere Beziehung funktioniert. Ich habe es bewiesen. Aber niemand nimmt sich ein Beispiel.

Das erinnert fast ein bisschen an die Art und Weise, wie Monarchen früher die Ehe gelebt haben. Es geht nicht um Lust, es geht um verlässliche Partnerschaft.
Ja, der Aspekt hat was. Wissen Sie, die unteren Schichten gehen ganz anders an die Sache ran. Jungs und Mädels machen miteinander rum, und am Ende sind Babys unterwegs. Warum sollten sich zwei Männer so verhalten? Babys können dabei ohnehin nicht rauskommen. Man kann eine intensive Beziehung miteinander haben, ohne Babys zu machen. Wie Howard und ich. Es gab so viele Dinge, die habe ich nicht gekonnt, aber er konnte es. Und umgekehrt. Wir haben uns gegenseitig ins Gleichgewicht gebracht.

Was konnte er so gut?
Business. Oder Sprachen. Er hat Italienisch in fünf Minuten gelernt, während ich nach vierzig Jahren noch immer einen schrecklichen Akzent habe.

Sie schreiben nie etwas über Ihre sexuellen Affären ausser halb der Beziehung zu Howard.
Stimmt, ich glaube nicht, dass das berichtenswert ist. Mich interessiert ja auch nicht, welche Beziehungen andere Leute zu anderen Leuten haben. Es sei denn, es ist komisch. Ich stamme aus einer Welt, in der es sich nicht gehört, über sich selber zu plappern. Das hat sich geändert. Über sich selber plappern, ist eine sehr amerikanische Beschäftigung geworden. Alles ein einziges Geplapper und Klatsch.

Sie mögen keinen Klatsch? Interessiert Sie nicht, warum Britney Spears sich die Haare abrasiert hat oder…
Das war kein hübscher Glatzkopf, nein. Natürlich interessiert sich jeder ein bisschen für Klatsch, solange er nicht völlig belanglos ist. Deshalb mag ich History. Geschichtsschreibung ist nichts anderes als Klatsch über die Vergangenheit, in der Hoffnung, dass da was Wahres dran ist. Ich sitze gerade an meinem Buch über den mexikanischen Krieg.

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