Mittwoch, 23. Juli 2008

Pubertät und Migration

Die Pubertät ist eine schwierige Zeit – für die Kinder, die bald keine Kinder mehr sein werden, aber auch für die Erwachsenen, die mit ihnen zu tun haben – vorab die Eltern. Kommt dann noch dazu, dass Pubertierende aus einem anderen kulturellen Umfeld stammen, wird es für sie nicht einfacher – im Gegenteil. Pubertierende und ihr Umfeld müssen Spannungen aushalten – Spannungen zwischen den Generationen, aber auch Spannungen zwischen ihren Geborgenheitsbedürfnissen und ihren Abnabelungstendenzen, zwischen dem Wunsch der Eltern, festzuhalten und deren Einsicht, dass Loslassen angesagt ist. Das ist für alle Beteiligten herausfordernd. Bei ausländischen Jugendlichen kommt die Spannung zwischen den Anforderungen der Ursprungskultur und denjenigen der Kultur des Einwanderungslandes hinzu. Eltern nehmen, wenn Sie mit der Pubertät ihrer Kinder konfrontiert werden, bewusst oder unbewusst immer Bezug darauf, wie sie selbst, als Vater und Mutter, als Mann und Frau, ihre eigene Pubertät erlebt haben. Das ist selbstverständlich von Person zu Person verschieden, es gibt aber Gemeinsamkeiten, die Generationen miteinander teilen. Gerade heutzutage unterscheidet sich die Art, wie die Elterngeneration die Pubertät erlebte, recht deutlich von der Art, wie die Jugendlichen sie erleben. Das hat etwas zu tun mit der Geschwindigkeit des gesellschaftlichen und technologischen Wandels, mit der Globalisierung, damit, dass es immer weniger Verbindlichkeiten gibt, die die Lebensentwürfe bestimmen. Jede und jeder muss sich heute seine Biographie selber zusammenbasteln, kaum mehr jemand kann sich auf vorgegebene Muster beziehen.

Dies hat in den westlichen Gesellschaften schon mit der Generation der so genannten Babyboomer begonnen, die inzwischen bereits im Grosselternalter sind. In anderen Kulturen hat eine vergleichbare Entwicklung erst sehr viel später eingesetzt. Gerade in traditionellen Auswanderungsgebieten wurden diese Modernisierungsschritte erst vor kurzem oder erst zum Teil oder noch gar nicht vollzogen. Reisen Eltern aus einem solchen Gebiet mit ihren Kindern in die Schweiz oder ein anderes westliches Land, dann liegt zwischen ihrer eigenen kulturellen Prägung und den kulturellen Gepflogenheiten des Gastlandes unter Umständen ein tiefer Graben. Kommen ihre Kinder nun in die Pubertät, haben sie oft einen heiklen Balanceakt zwischen diesen beiden Orientierungspunkten ihrer Identitätsfindung zu vollziehen. Wollen die Eltern mit den Kindern gar «irgendwann später einmal» ins Herkunftsland zurückkehren, wird der Druck der Eltern, die auf den Werten und Normen der Ursprungskultur beharren, noch grösser und der Spagat für die Jugendlichen noch schwieriger. Die Kinder sind hin- und hergerissen zwischen der Solidarität mit den Eltern und deren Vorstellungen und dem Wunsch, zu der Gruppe der Gleichaltrigen zu gehören und daraus irgendwie zu einer eigenen, einzigartigen persönlichen Identität zu finden. Oftmals schliessen sich diese Jugendlichen dann mit anderen Jugendlichen zusammen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, um dem Dilemma zwischen Ausgrenzung einerseits und Verstossung anderseits zu entgehen. Sie bilden eine labile Subkultur, die stets davon bedroht ist, ihrerseits ausgegrenzt zu werden.

Das grösste Hindernisse für Jugendliche, die ihre Pubertät zwischen zwei Kulturen erleben, ist es, diskriminiert, objektiv benachteiligt zu werden: erst in der Schule, dann bei der Lehrstellensuche und im Beruf. Keine Zukunftsperspektiven zu haben, unter dem Gefühl zu leiden, nicht gebraucht zu werden und nicht willkommen zu sein: das ist Gift für die Entwicklung von jungen Menschen. Glücklicherweise reagiert die Mehrheit darauf nicht mit Kriminalität, Gewalttätigkeit, Suchtproblemen oder mit Rückzug und Resignation. Vielen von ihnen glückt es trotzdem, sich ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen und den eigenen Weg zu finden.

Die Gesellschaft verbaut sich durch solche Formen der Diskriminierung aber den Zugang zu einem Potenzial. Denn zwischen zwei Kulturen oder inmitten von vielen Kulturen aufzuwachsen, könnte auch eine Chance sein und ein in die Zukunft weisendes Modell, das Zugang zu verschiedenen Denkweisen und Mentalitäten ermöglicht, zu einer Art globalisierten Bewusstseins, das für die Mensch-heit schon bald überlebenswichtig sein wird.

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