Mittwoch, 14. April 2010

Letzte-Runde-Trübseligkeit

«Vor nicht allzu langer Zeit sass ich in meinem Büro an meinem Schreibtisch, hatte meine bestrumpften Füsse hochgelegt und las im landesweiten Makler-Bulletin einen öden Artikel aus der Forschungsredaktion darüber, dass Cap-Floaters (variabel verzinsliche Anleihen mit einer Höchstmarke für die Verzinsung, C.U.) der Trend der Zukunft seien - als mein Blick nach unten zu einer Glosse glitt, in der stand: "Danach gefragt, welchen praktischen Nutzen das Wissen hätte, ob Neutrinos eine Masse besitzen, gestand Dr. Dieter von Reichstag vom Mains-Institut in Heidelberg, er hätte nicht die leiseste Ahnung, doch was ihn wirklich erstaune, sei die Tatsache, dass sich auf einem kleineren Planeten (der Erde), der einen durchschnittlich grossen Stern umkreise, eine Spezies entwickelt habe, die in der Lage sei, diese Frage überhaupt zu stellen."
Bestimmt gab es da irgendwelche interessante Verbindungen zu den Cap-Floaters und dazu, welch erstaunliche Produktankurbler sie auf dem Markt der Wohnhypotheken darstellen (ich habe nicht zu Ende gelesen). Aber das Erstaunen, das Dr. von Reichstag eingestand, entspricht mehr oder weniger dem Gefühl, das ich zurzeit häufiger empfinde, auch wenn es weniger gewichtige Dinge betrifft. Dr. von Reichstag kennt vielleicht wie ich die Letzte-Runde-Trübseligkeit, denn alle neuen Empfindungen tragen in ihrer DNS eine Ahnung von ihrem eigenen Ende mit sich. Wenn ich das Neue in dieser Weise betrachte, steht das ziemlich sicher in Verbindung mit meinem Krebs und dazu, dass ich selber ein älterer, schnell verlöschender Stern bin.»

Richard Ford: Die Lage des Landes. Frank Bascombe ist fünfundfünfzig Jahre alt und freut sich mit schöner Strandvilla und zweiter Ehefrau auf ein ruhiges Leben. Völlig unvorbereitet bringen eine Ehekrise und eine Krebsdiagnose alles ins Wanken. Nachfolgeroman von «Der Sportreporter» und «Unabhängigkeitstag». «Pflichtlektüre» für alle Fünfundfünfzigjährigen (dieses Doppelte-Schnapszahl-Jahr - 2010 - haben alle Fünfundfünfzigjährigen den Jahrgang 55), aber evtl. auch für andere Jahrgänger interessant.

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