Mittwoch, 29. Juli 2009

Traurige Jäger (6)

Sancho war inzwischen wirklich ein wenig in seiner Gartenwirtschaft hängen geblieben. Es gab ja auch einiges zu tun, diesen gewaltigen Durst zu löschen. Die beiden jungen Burschen waren schon längst weg und die neuen Tischnachbarn ganz nett. Zwei alte Säufer, Pensionierte aus dem Nachbardorf, die es sich hoch anrechneten, einer Dame ein paar Biere zu offerieren. Man redete über Gott und die Welt, hechelte die nationale Politik und die Cervelatprominenz durch und Sancha musste von ihrer Heimat erzählen. Spanien! Sangria und Flamenco und Stierkampf und heissblütige Senoritas und Olé! Da tut sich manchem alten Säufer die Vorstellungskraft weit auf. Doch plötzlich erinnerte sich Sancho seiner Mission. «Ach Gott, ich habe ja meinen Herrn ganz vergessen! Ich muss sofort gehen. Ahora mismo.» – «Was! Einen Herrn hast du! Das ist aber schade!» meinte einer der pensionierten Säufer, der sich in wenig in die stark gebaute spanische Dame mit dem wohlklingenden Bariton verguckt hatte – man könnte sagen, er hatte sie sich schöngesoffen –, aber Sancho liess sich jetzt nicht mehr aufhalten. «Hijcho de puta!» meinte er, wenig damenhaft, nur, und machte sich mit einem leichten Seemanns- oder Seefrausgang auf und davon und aus dem Staub.

Aber es gab da eine Schwierigkeit. Sancho hatte nämlich ganz vergessen, wo er seinen Herrn zurückgelassen hatte. Das Luftross oder den Lufthund hatte er auch vergessen und schwankte zu Fuss. «Don Quichoooote!» rief er, alle Sicherheitsmassnahmen in den Wind schlagend, «Don Quichooote!» Ihm war plötzlich weinerlich zu Mut, ganz einsam fühlte er sich, so allein in dieser fremden, kalten Welt. Er wollte nur noch eins: zurück unter die Fittiche seines Herrn, der immer wusste, was zu tun und in welche Richtung das Lebensschiffchen zu steuern war. Derart vom Instinkt geleitet kam er in die Nähe des Maschinenparks der Armee, wo inzwischen der Brand am Jeep gelöscht worden war. Mit dem Mut oder der Verzweiflung der Betrunkenen machte er sich bemerkbar. «Halt, stehen bleiben!» rief darauf die Wache reglementsgemäss und befehlskonforn unserem armen Sancho zu. «Mein Herr Soldat», erwiderte dieser mit eindeutig fremdländischem Akzent, «verzeihen Sie bitte die späte Störung, und seien Sie versichert, dass ich ein ganz harmloser Mann oder in Gottes Namen auch eine ganz harmlose Frau bin, die nur eine kleine Auskunft von Ihnen erbittet. Ich suche nämlich Don Quichotte, meinen Herrn und Gebieter. Könnte es sein, dass er ganz zufälligerweise hier vorbei gekommen ist? Er ist lang und hager, sowohl sein Körper als auch sein Kopf sind eigenartig in die Länge gezogen; unter der Nase spriesst ihm ein Schnurrbart, der traurig über seine Mundwinkel fällt; sein Blick ist fest und bestimmt; er hält sich aufrecht und würdig, obgleich er kurze Hosen trägt wie ein Pfadfinder; seine Beine sind aber nicht die glatten Beine eines Knaben, sondern dürr und knorpelig und mit grauen Haaren überwachsen…» Sancho hätte, zunehmend ins Feuer geratend, wohl seine Beschriebung mit noch vielen weiteren Details ausschmücken können, aber der Soldat wusste längst Bescheid. «Und ob wir diesen feinen Herrn kennen!» meinte er barsch. «Wenn Sie seine Bekannte sind, dann kommen Sie am besten gleich mit!» Davor fürchtete sich unser Sancho verständlicherweise zwar sehr (und es kam ihm so vor, las sei er David kurz vor dem Gang in die Löwengrube), aber die Hoffnung, das der Löwe schliesslich die Gestalt seines Herrn haben würde, war grösser aös die Furcht.

Inzwischen war im Wachlokal der Korporal von seiner Meinung, der Delinquent sei ein Spion, wieder abgekommen. Im Radio war nämlich eben die Meldung durchgegeben worden, dass aus der hiesigen psychiatrischen Klinik zwei Patienten entwichen seien, und die Beschreibung des einen Patienten passte so genau auf seinen Gefangenen, dass kein Zweifel an der Identität des vermeintlichen Spions oder Terroristen übrig blieb. Der Korporal hatte sich lautstark darüber empört, das in der Radiomeldung die beiden Ausreisser als zwar skurril, aber durch und durch harmlos beschrieben wurden, was es ohne Gefahr erlaube, die beiden um schonenedes Anhalten zu beten. Der Korporal hatte wiederum einen seiner Soldaten ins Restaurant Sonne geschickt, obwohl er wusste, dass ihm das bei seinem vorgesetzten Offizier keine Punkte einbrachte. Er war zwar der Meinung, dass man unverzüglich mit der Irrenanstalt telefonieren müsse, wagte aber doch nicht, das selber zu entscheiden, insbesondere, da die Irrenanstalt eine zivile Institution war und sich der Verkehr zwischen der militärischen und zivilen Sphäre vor allem in Manöverzeiten nicht so ohne weiteres bewerkstelligen liess.

Als nun der Wachabende den zweiten Verrückten hereinführte, löste das bei unserem wackeren Korporal beinahe eine Nervenkrise aus. Schon leicht hysterisch liess er Sancho, der wieder mit seinen Erklärungen anfangen wollte, gar nicht zu Wort kommen, sondern schrie: «Weg mit ihm, aus den Augen mit ihm! Werft ihn zum anderen hinein oder macht mit ihm, was ihr wollt! Ja ist denn das ein Irrenhaus hier?» Die Soldaten, die nicht nur das Verhalten ihres Korporals, sondern vor allem das Aussehen Sanchos im geblümten Rovck und mit schief auf dem Kopf sitzendem Sonnenhut, eines Sancho, der stark aus dem Mund nach Bier roch und Reden hielt, ddie beinahe noch geblümter waren als sein Rock. Ziemlich witzig fanden, gerieten mit dem Korporal beinahe in eine handfeste, zu einer Schlägerei ausartende Auseinanderstezung. Der Korporal fand nämlich das aufkeimende Gelächter gar nicht lustig und wurde noch rabiater.

Doch da erschien zum zweiten Mal an diesem Abend der diensthabende Offizier auf der Bildfläche, nun noch viel röter von der Hitze, dem gekühlten Rosé und dem nie abbrechenden Ärger dieses Tages.

Als er die Neuigkeit vernahm, nämlich dass Don Quichotte, der Delinquent, mit dessen Gefangennahme er sich vor seinen Kameraden schon gebrüstet hatte, gar kein Spion und Terrorist, sondern ein ganz gewöhnlicher Verrückter sei, begann er seinerseits herumzuschreien und herumzutoben, bezeichnete den Korporal als Hornochsen und Rindvieh, auch das Wort Arschloch fiel. Ihn, den Deinsthabenden, wegen einer solchen Lappalie zweimal aus einer wichtigen Lagebesprechung zu sprengen, grenze an Insubordination. «Den Irrenarzt hätten Sie holen müssen, aber das fällt einem Kamel und Esel wie Ihnen ja nicht ein. Ein Kamel und Esel sind Sie, Korporal, und ein Spatzenhirn haben Sie, Korporal, verstanden?» Worauf der Korporal mit vor Wut gespresster Stimme zwischen den Zähnen hervorstiess: «Jawohl, Herr Major, ich bin ein Hornochs und ein Rindvieh, ferner ein Esel und Hornochse, ferner ein Arschloch mit Spatzenhirn, habe verstanden, Herr General!» Worauf sich der Oberleutnant zackig um 180 Grad drehte und ohne zu salutieren mit wütenden Schritten im Dunkel verschwand, der «Sonne entgegen, wo der Rosé wartete, der leider inzwischen warm geworden war.

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