Dienstag, 6. Januar 2009

Im javanischen Dorf



Im javanischen Dorf wird Felix bestaunt. Ein Reigen von Besucherinnen und Besuchern aus der näheren und der weiteren Nachbarschaft defiliert an Felix vorbei. Felix sitzt auf dem Sofa und lächelt die Besuchenden an, diese lächeln zurück, und nach einer Weile ziehen sie weiter. Plötzlich Aufregung: ein Schwager von Aluk, erfährt Felix, wurde an einer berüchtigten Wegbiegung von einem Geist angefallen und ist jetzt von diesem besessen. Er kann nicht mehr sprechen, er kann nicht mehr essen oder rauchen, er liegt mit verdrehten Augen in einem verdunkelten Zimmer und gibt seltsame Laute von sich. Ein Exorzist wird aufgeboten, es erscheint eine eindrucksvolle charismatische Figur, ein älterer Mann mit intensiven Augen. Aber der Geist teilt mit, es sei noch nicht die Zeit gekommen, ihn auszutreiben, der Geistheiler solle doch morgen noch einmal vorbeikommen, um sechzehn Uhr. So geschieht es denn auch, und
um sechzehn Uhr dreissig sitzt der Patient zwar mit noch etwas wirrem Haar, aber bereits wieder quicklebendig und die erste Zigarette nach der Inbesitznahme seines Körpers durch den Geist rauchend auf dem Sofa – der Geist, Hantu genannt, war offenbar Nichtraucher. Ein Nachbar von Aluk, ein sehr frommer Herr so um die achtzig, spricht die ganze Zeit Arabisch mit Felix, wahrscheinlich, weil das die einzige Fremdsprache ist, die er kann, vielleicht aber eher, weil er so fromm und Arabisch die Sprache Allahs oder zumindest die seines Propheten ist – und es stört ihn eigentlich nicht, dass Felix auf Englisch oder auch auf Schweizerdeutsch – es kommt auf das Gleiche heraus – oder auch bloss mit einem Lächeln antwortet. Tagsüber machen Felix, Aluk, Anto, Yono und noch ein paar andere Jungs Ausflüge im Pickup von Anto ins nach wie vor archaisch anmutenden Land, sie fahren an menschenleere, verlassene Strände, vorbei an Kaffee- und Kakaoplantagen, durch Dörfer und zum Kalibaru Cottage,
einer zwischen Banyuwangi und Jimber gelegenen komfortablen Hotelanlage mit Swimmingpool, wo man auch Bintang-Bier bekommt.
Sonst ist Ostjava sozusagen knochentrocken. Es gibt zwar einzelne spezielle Shops, meist solche, die ungläubigen Chinesen gehören, in denen man einen Whisky-Verschnitt namens Manson oder indonesischen Arrak bekommen kann, aber solche Shops sind gut getarnt und nur von Insidern zu finden; dieses Gesöff trinken sie abends heimlich in der Cola vor dem Fernseher. Die Programme der indonesischen Nationalsender erscheinen Felix ziemlich seltsam, fast immer spielen in ihnen Geister eine tragende Rolle, zum
Beispiel Geister in der Gestalt von Pferden oder Schweinen oder auch bloss von Pferde- oder Schweineköpfen oder auch kindergrosse, Tujul genannte Geister, die diebisch wie die Elstern sind. Felix erkennt, wie wenig er sich im Lebensgefühl und den Denkgewohnheiten seiner indonesischen Freunde immer noch auskennt. Diese Fremdheit ängstigt Felix aber nicht, im Gegenteil: sie stachelt seine Neugier an.

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