Samstag, 3. Januar 2009

Der Fluss und die Brücke


Leider ist mein Hirn nicht imstande, die Summe der Erfahrung in Text umzusetzen. Ich versuche es trotzdem. Die erste Erkenntnis besteht darin, dass der Unterschied der Kulturen unwesentlich ist. Die zweite Erkenntnis, dass dieser Unterschied entscheidend ist für jede Erkenntnis. Das klingt absurd, und genau das ist damit gemeint. Wir sind alle gleich, und wir sind alle verschieden. Wir sind Individuen, und wir sind gewöhnliche Tiere. Wir sind Staub, Dreck, Scheisse, und wir sind Gott. Nicht im Sinn einer Macht, Gott ist in diesem Sinn nicht mächtig. Gott sind wir, um es sehr vorsichtig auszudrücken, und wir sollten uns nichts darauf einbilden, in dem Sinn, in dem auch eine Maus, ein Insekt oder ein Stein Gott sind - und ganz sicher das Meer, die Wolken, der Nebel, die Sterne. Ein Beweis für die Existenz Gottes ist die Liebe - die Liebe, die wir erfahren können als das wunderbarste und unverdienteste Geschenk des Lebens - die Liebe, die wir geben, und die Liebe, die wir empfangen. Diese Liebe macht keinen Sinn, sie ist Sinn. Wie eine Sternschnuppe, die über der Himmel zieht.
Aber damit habe ich mich, getreu des Gesetzes der Assoziation, weit von meinen ursprünglichen Gedanken entfernt. Der Sinn eines Textes sollte es sein, eine Geschichte zu erzählen, aber die Gedanken haben ihren eigenen Verlauf. Jedenfalls, wenn man ein so undisziplinierter Mensch ist, wie ich es bin.
Begeben wir uns zurück zur Liebe, und begeben wir uns zurück zum Unterschied der Kulturen. Die Liebe ist eine Brücke, und die Unterschiede der Kulturen sind der Fluss, den die Brücke der Liebe überspannen kann. Eine Geschichte habe ich damit noch nicht erzählt.
Gibt es die Geschichte, wenn sie nicht erzählt wird? Gibt es eine Identität, wenn sie nicht definiert wird? Ist es so schlimm, radikal ehrlich zu sein?
Radikal ehrlich zu sein, kann zum Beispiel heissen, zuzugeben, dass man ganz und gar nicht normal ist.
Es ist zum Beispiel nicht normal, als Mann eine Mutter zu sein.
Es ist zum Beispiel nicht normal, nicht erfolgreich sein zu wollen - nicht erfolgreich in dem Sinn, dass man von mir sagt: Der hat es dem aber gegeben!
Nein, ich will, auch mit 53, eigentlich nicht funktionstüchtig sein.
Und es interessieren mich Menschen nicht besonders, die ganz funktionstüchtig sind.
Funktionstüchtig ist furchtbar. Ganz naiv gesprochen.
Ich bin doch keine Maschine.
Ich liebe F., weil es zwischen F. und mir keine Wand gibt. Trotz der Kulturen, der Jahrhunderte, die zwischen uns liegen, der unendlichen Distanz, verbindet uns eine nahtlose Unmittelbarkeit, die näher ist als jede familiäre Bindung.
Wer hätte das gedacht?

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