Dienstag, 12. Oktober 2010

Das gierige Hirn

Mein Hirn – nein, das kann man nicht so formulieren. Mein Hirn gehört mir nicht, es gehört höchstens sich selbst oder dem Bewusstsein, das es produziert. Wenn schon, müsste es vielleicht eher heissen: Ich, das Hirn. Aber auch diese Formulierung kann nicht recht überzeugen, schliesslich ist dieses „Ich“ ein jämmerliches Kerlchen, von dem man wenig weiss und nicht mal sicher, ob es überhaupt existiert. Also: Nicht mein Hirn, sondern: das Hirn. Das Hirn, es will und will. Es will beschäftigt, stimuliert werden. Es braucht Nahrung, es braucht Sinneseindrücke, es braucht Schlaf, es will Sex, es will vergessen, es will sich erinnern, es will immer mehr, dann will es gar nichts mehr, es ist überdrüssig, es ist überstimuliert, es ist überwach, es ist müde, es leidet an Hyperaktivität, es leidet an Überfluss, es leidet an Mangel, es leidet an sich selbst, es will leiden, es will Erkenntnis, es will Sinn, es will Erleuchtung, es will Drogen, es will bittere Bananen, es will kiffen und saufen, es will huren und fluchen, es will quälen und morden, es will aber auch bereuen und sich schuldig fühlen, es will Vergebung und Rache, es will alles und nichts, aber alles kann es nicht bekommen kann und nichts erst recht nicht.

Zivilisation ist die Trockenlegung der Feuchtgebiete des Gehirns, des Sumpfgebietes der Psyche, des Schlamms und des Moors der Psyche, dem wie Blasen der bewusste Gedanke entsteigt, das blubbert und köcherlt nur so vor sich hin in dieser Ursuppe, diesem riesigen Meer der Illusion und der Verschleierung der wahren Tatsachen, die das Hirn nicht erkennen kann, weil es sich im Grunde immer nur selber bespiegelt, um nicht zu sagen bespitzelt.

Das Hirn, denkt das Hirn, macht sich selber verrückt: es ist wie der Hund, der vergeblich seinen eigenen Schwanz jagt.

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