Freitag, 9. Oktober 2009

Traurige Jäger (11)

Sancho Pansa, seines Zeichens Welt-Diktator, charismatische Identifikationsfigur, grosser Kommunikator und Lebemann, verbrachte seine Zeit inzwischen wie die Made im Speck. Zu regieren hatte er nicht viel und von dem nicht vielen immer weniger. Es ist zu vermuten, dass es ihn selbst nicht mehr brauchte – hatten sich doch die Medien seines Bildes bemächtigt. Es ist zu vermuten, dass sein Phantom ein Eigenleben zu führen begonnen hatte. Möglicherweise verfassten andere für ihn die Reden, die er nicht einmal mehr selbst zu halten brauchte. Möglicherweise fasste man in seinem Namen Beschlüsse, von denen er keine Ahnung hatte und deren Bedeutung er wahrscheinlich gar nicht verstanden hättte. Mit seinem Wort, das andere sprachen, bestimmte er über Bürger, mit denen er keinen Kontakt hatte, war überall präsent und doch ganz allein (im Glashaus seiner Lüste, umgeben von Lustdienerinnen und anderen Bediensteten, die ihm den Becher reichten, vielleicht auch die Füsse küsste, sicher ihm den Becher reichte, immer wieder, und ihm Schmeichelworte ins Ohr flüsteren).

Sancho ass mit immer geringerem Appetit, trank mit immer weniger Durst, triebs mit den dicken Frauen mit immer weniger Lust. Er fing an, sich vor Impotenz zu fürchten – eine Sache, die jeden Mann beunruhigen würde, erst recht aber einen spanischen Macho. Er wurde übellaunig und tyrannisch. Wenn er Nero – oder vielmehr Peter Ustinoff in der Rolle von Nero – gewesen wäre, hätte er sich ein Rom angezündet vor lauter Langeweile und ein Gedicht dazu verfasst oder eine Kantate. Aber es gab kein Rom mehr, das man hätte anzünden können, es gab überhaupt nichts mehr anzuzünden, wozu man hätte Tränen vergiessen und diese in einer Kanüle auffangen können. Ausserdem war Sancho (wie übrigens auch Nero anno dazumal) im Verseschmieden nur mässig begabt. Die Welt ist zu den Zeiten, in denen unsere Geschichte handelt, absolut sicher vor unbeherrschten oder hysterischen Tyrannen. Dafür sorgen Leute wie unser lieber Herr von und zu Klumpfuss schon.

Überhaupt fand von Klumpfuss, dass man auf Sancho eigentlich so langsam verzichten könnte. Dieser Sancho verschlang nur viel Geld. Es kostet Geld, sich einen Weltdiktator wie Sancho zu halten. Geld, das man besser in die Verbesserung der menschlichen Gensubstanz investieren würde. Auch war die Art des Sancho Pansa dem Herrn von Klumpfuss ganz persönlich sehr unsympathisch. Sancho war in den klumpfussschen Augen total vertiert. Und alles Tierische am Menschen war Klumpfuss zutiefst suspekt. Auf Tiere konnte Klumpfuss als Vegetarier generell verzichten. Das einzig Gute an der Natur, diesem Ungeheuer, war, dass sie einst den Menschen hervorgebracht hatte. Und der Mensch wiederum hatte einzig und allein die Pflicht, den vollkommenen Menschen zu zeugen, den Übermenschen. Und damit basta.

Der Klumpfuss dachte also daran, Sancho, unseren Sancho, den er nun nicht mehr brauchte, der seine Pflicht und Schuldigkeit getan hatte, aus dem Weg zu räumen. Davon ahnte unser Sancho natürlich nichts. Und Don Quichotte, was ist mit dem? Der wurde immer magerer, schweigsamer, melancholischer. Wen wunderts.

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