Sonntag, 9. Dezember 2007
Schwarzbrot
W.H. Auden und Christopher Isherwood brechen in den Dreissigerjahren von London aus zu einer Reise nach China auf; Wien, vom Kahlenberg aus gesehen.
Den ganzen Tag über redet Felix sich Vernunft zu. Er will Tuj vergessen, aber wenn er an ihn denkt, tut’s immer noch unvermindert heftig weh. Felix hat für morgen Abend ein Billet und eine Platzkarte in die Schweiz gekauft. Als es lange genug dunkel geworden ist, landet er natürlich einmal mehr im «Hydepark». Da lernt er einen sympathischen jungen Bauingenieur-Studenten kennen und verbringt mit diesem eine problemlose Nacht, was heissen will, dass es um Sex geht und um nichts als um Sex und weder komplizierte Geschichten noch romantische Gefühle mit im Spiel sind. Der Zug fährt am nächsten Abend um zwanzig Uhr zehn. Während der Fahrt wird Felix von einem Altmanager zugetextet, der behauptet, junge Popgruppen (heute würde man solche wohl «Boygroups» nennen) zu betreuen, und der von den Pfadfindern schwärmt, bei denen er einst Fähnchenführer oder so was war, sich also sowohl hauptberuflich wie auch hobbymässig für junge Burschen interessiert, zu denen für ihn wohl auch Felix, der jünger aussieht als die vierundzwanzig Lenze, die er auf dem Buckel hat, gerade eben noch gehört. Als Felix am anderen Morgen in Bern ankommt, ist er ziemlich geschafft, braucht erst einmal Erholung und hängt in seiner Berner WG rum. Abends ruft Toni an, sie reden nur wenig, schlafen zusammen, lieben sich. Am anderen Morgen ist Toni komisch, seltsam verändert, und er verlangt von Felix ziemlich förmlich ein «Gespräch», für das er seine Mitbewohner, den Denkmalpfleger und dessen langhaarigen Partner, als Zeugen dabeihaben will. Er eröffnet Felix fast feierlich, dass er ihn nicht liebe, vielleicht gar nie geliebt habe, und dass er vielleicht nur deshalb mit Felix zusammengewesen sei, um sich nicht mit sich selbst beschäftigen zu müssen. Er vergleicht Felix mit Schwarzbrot, während er sich doch nach Nektar sehne. Felix ist wütend, bestürzt, traurig, ja sogar ein wenig beleidigt, obwohl es doch eigentlich, wenn man es genau bedenkt, gar nicht so schlecht ist, Schwarzbrot zu sein, denn Nektar (oder Kaviar oder was Exklusives sonst auch immer) kann niemand jeden Tag essen, Schwarzbrot hingegen schon. Doch dann tut Toni, der kein Schwarzbrot mehr essen will und der völlig fertig zu sein scheint, Felix auch wieder leid.
Felix schläft lange und besucht dann mit Hannah und Ernst (ja, mit dem Ernst, den wir von Griechenland her kennen, mit dem Altphilologen) den Tierpark «Dählhölzli». Abends ist Felix trotz Schwarzbrot-Vergleich bei Toni, der ihn mit ein paar Toquilone-Tabletten versorgt (die sollen verdammt gut einfahren, behauptet Toni) und wo er bekocht wird. Später besucht Felix, der es sich in einem anderen Lebensabschnitt gar nicht mehr vorstellen kann, einmal das Verlangen verspürt zu haben, so oft in den Ausgang zu gehen, mit Toni und dem langhaarigen Andy den Ursus-Club in einem Kellerraum zuunterst in der Junkerngasse, wo sich zwischen 1964 bis 1996 ein schwuler Club installiert hat. Toni will bald wieder heim, Felix jedoch bleibt bis zum Schluss, tanzt wild, trinkt etwas, hat eine Tablette von diesem Toquilone intus, das er von Toni bekommen hat, und kann sich ein wenig entspannen. Dann fährt er mit der Obertunte Daliah nach Hause, wo sie kiffen und auch etwas Sex haben, ohne dass das eine sehr aufregende Sache wäre. Toquilone enthält übrigens laut Wikipedia die beiden Wirkstoffe Methaqualon (ein Hypnotikum) und Diphehydramin (einen sedierenden Stoff) und ist oder war vor allem in der Junkieszene verbreitet und beliebt. Es wirkt beruhigend, vor allem in Kombination mit Alkohol, hat aber auch einen euphorisienden Anteil.
Soeben nach Wien zurück gekehrt, beobachtet Felix einmal mehr einen Streit zwischen Christine und Martin, aber dieses Mal tut ihm Martin fast leid, weil der überhaupt nicht fähig ist, sich auszudrücken und zu argumentieren, ohne sich in die absurdesten Widersprüche zu verstricken. Am nächsten Tag kommen die Eltern von Felix nach Wien, um den Sohn zu besuchen und um da ein paar Ferientage zu verbringen (das heisst, sie logieren natürlich nicht in der WG, sondern Felix hat ihnen ein Hotel besorgt). Sie kommen um acht Uhr vierzig in Wien an und Felix zeigt ihnen ein wenig die Stadt, sie sehen sich die Schauräume in der Hofburg an, den Stefansdom etc. Später in der Nacht ist Felix wieder einmal im Hydepark zu finden, wo er prompt auf Tuj trifft. Tuj will von zu Hause ausreissen, das heisst, er will das Haus von Schwester und Schwager verlassen, weil er sich da zu sehr eingeengt und zu wenig frei fühlt. Also fahren Tuj und Felix zuerst zum Haus von Tujs Schwager, um ein paar Sachen von Tuj zu holen, dann schläft Tuj bei Felix, ohne mit ihm zu schlafen, Felix gibt ihm 500 Schilling und Tuj deponiert sein Hab und Gut im Zimmer von Felix – viel mehr als ein Koffer ist es, neben einem ziemlich schweren vergoldeten Buddha, ja nicht. Tuj fährt am nächsten Tag nach München, um ein «neues» Leben zu beginnen – vielleicht ist das aber nicht viel mehr als ein Witz, weil er sich nur von einer Abhängigkeit in eine andere begibt. Natürlich ist Felix den ganzen Tag todmüde, weil er fast nicht geschlafen hat. Seine Eltern sollen nichts davon merken, deshalb spielt Felix ganz munter den Touristenführer, in Schönbrunn im Zoo, im Park, am Abend beim Essen im «Weissen Rauchfangkehrer». Und auch den nächsten Tag verbringt Felix wieder mit den Eltern, dieses Mal im Prater, aber abends trifft er an der Geibelgasse bei irgendeinem Wolfgang die sich neu konstituierende Schwulengruppe; es sind etwa fünfzehn Leute da und es geht ziemlich chaotisch zu und her (in Österreich sind Schwulengruppen bis Ende der Siebzigerjahre verboten, wenn wir uns recht erinnern, und ja, ein Blick ins Internet genügt, um festzustellen, dass die Homosexuelle Initiative HOSI Wien tatsächlich 1979 gegründet wird). Dann fährt Felix mit zwei Typen weg in eine Wohnung, sie gehört einer Bekannten von Joseph, der ein neuer Bekannter und bekennender Verehrer von Felix ist. Joseph, der ein gewisses Faible für Name-Dropping hat, behauptet, diese Bekannte sei Stella Mulani, die wiederum eine Freundin des schwulen Dichters W.H. Auden (1903 bis 1973) gewesen sei, der übrigens auch einmal eine Scheinehe mit Erika Mann eingegangen war. Wie dem auch sei: in dieser Wohnung findet eine Party oder vielmehr ein Gelage, um nicht zu sagen eine Orgie statt, und sie trinken und essen und fallen dann übereinander her, das heisst vor allem Felix und Christian, der andere Typ, der mitgekommen ist, treiben es ziemlich bunt – dieser Wiener Christian ist aber auch so was von rattenscharf. Um halb fünf kommen sie auf die Idee, die durchgemachte Nacht mit einem Frühstück im Café Horwath zu beschliessen. Um sechs Uhr in der Früh kommt Felix doch noch für zwei Stunden ins Bett; um zehn Uhr will er sich wieder mit seinen Eltern treffen.
Heute war Felix mit seinen Eltern in Graz, es regnete zwar den ganzen Tag, aber Graz ist auch so nicht ohne Reiz, der Schlossberg in den Nebelfetzen, die alten Häuser unten in der Altstadt vom Wind zerzaust, das hat durchaus seinen poetischen Zauber. Kaum ist Felix zurück in Wien und in der WG, ruft Josef an, der sich genau so heftig in Felix verliebt zu haben scheint, wie dieser sich in Tuj verliebt hatte, in Tuj, der jetzt aber in München ist und irgendwie nicht mehr so sehr im Zentrum steht. Sie verplaudern zwei Stunden, mal poetisch, mal philosophisch, hauptsächlich aber dadaistisch, wenn wir mal so sagen wollen. Irgendwie sind die beiden auf dieser Ebene ganz schön auf derselben Wellenlänge. Am Abend darauf ist Schwulengruppe. Josef kommt schon um sechs Uhr, um Felix abzuholen, und da Felix gerade badet, darf Josef ihn einseifen und waschen. Später, nach der Gruppe, sind sie erst in der «Alten Lampe», dann bei Josef, wo sie zu viert den Gruppensex zelebrieren, der schliesslich aber erneut auf einen Zweiersex von Felix mit besagtem Christian hinausläuft. Auch wenn Felix nicht in Christian verliebt ist: Er spürts in jeder Faser seines Körpers, dass er ihn will (und zwar auffressen, ganz kannibalisch, mit Haut und mit Haar).
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Exzesse
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Anfang Mai begleitet Felix die Eltern, die in die Schweiz zurückfahren, zum Bahnhof, dann trifft er sich mit Josef, sie gehen auf den Flohmarkt, kaufen Schminke, fahren dann zu Helga, der Frau, mit der Josef zusammenlebt und die sie jetzt schminkt und ihnen ihre Kleider ausleiht. Felix sieht danach eher nuttig aus und Josef, der etwas stark gebaut ist, wie eine Puffmutter. So segeln sie Richtung «Treibhaus», Felix fühlt sich bald sehr euphorisch, es hat viele Leute da und vor allem viele knackige junge Männer und Felix ist enthemmt von Weisswein und Toquilone. Er küsst und bläst wahllos alle, die er kriegen kann, Heterosexuelle wie Schwule, und er kriegt an diesem Abend jeden, den er will, und er lässt sich von allen, die das wollen, begrapschen. Felix findet es einfach herrlich, sich diesem Schlampenfeeling hinzugeben. Irgendwann kauft er sich Gras und kifft mit blutjungen heterosexuellen oder auch nicht heterosexuellen Burschen, ist ja egal. Danach ist Felix so breit, dass er sich kaum mehr auf dem Stuhl halten kann. Ein Typ und ein Taxi nehmen ihn mit sich nach Hause und sie haben dann tatsächlich auch noch Sex (Felix und der Typ, aber ohne das Taxi natürlich). Für den narkotisierten Felix ist dieser Sex allerdings rein passiver Natur. Etwa um zehn Uhr kommt Josef, der manchmal wirklich wie eine Mutter zu Felix ist, und bringt ihm seine Alltagsklamotten; letzte Nacht war Josef aber ebenfalls zu besoffen, um auf Felix aufzupassen. Um halb elf werden sie von drei «Schwestern» zur Sonntagsfahrt durch den Wienerwald abgeholt, unter anderem von der schönen, zwischen mondän und proletenhaft hin- und herchangierenden Amanda, mit der Felix später schmust, weil er zurzeit einfach von allem und jedem nicht genug kriegen kann. Den Abend verbringt Felix erneut mit Josef, der an ihm klebt wie eine Klette, sie kiffen und führen wieder Gespräche, weiss Gott worüber und wie, bis früh am Morgen. Tuj ruft aus München an, er ist unglücklich und Felix gerät ins Schleudern, weil der junge Polizistensohn aus Bangkok ihn an seine Beteuerungen mahnt, Tuj zu unterstützen und ihm zu helfen. Schöne Worte sind rasch gesprochen und zudem billig. Felix, der sich in solchen Momenten noch mehr als üblich verabscheut, muss daraufhin sofort einen Joint rauchen.
Abends ist Felix in der Schwulengruppe im Treibhaus, wo es immer chaotischer wird, weil immer mehr Leute kommen und niemand sich für die Organisation zuständig fühlt; immerhin haben sich die ersten Arbeitsgruppen konstituiert. Später taucht Amanda-Franzi auf und will mit Felix ins «Hydepark», aber Felix will nicht, also rauscht die Diva wieder ab. Felix, Josef und Christian bleiben bis zwei Uhr im Treibhaus, zum Trinken, Reden, Weinen und Schmusen, dann machen Felix und Josef noch einen Abstecher für einen Absacker ins «Reiner», dann heim zu Josef respektive zu Helga, dessen Lebenspartnerin, einer vierfachen Mutter, die einiges älter als Josef ist und von der Josef, der Name-Dropper, behauptet, sie sei die Nichte des Malers Oskar Kokoschka, mit Felix schlafen will. Felix, der noch nie mit einer Frau geschlafen hat und der der Meinung ist, als «ewiger Student des Lebens» müsse er auch diese Erfahrung gemacht haben, willigt mit etwas mulmigem Gefühl ein und steigt zu der Frau ins Bett. Er kriegt aber keinen hoch, ob wegen des exzessiven Alkoholkonsums, wegen der Aufregung oder wegen beidem, sei dahingestellt, so dass er ihr schliesslich bloss die Muschi leckt, damit sie doch noch etwas davon hat.
Felix geht mit Franzi-Amanada aus. Sie sind zuerst im «Hydepark», wo sie ein wenig tanzen und herumknutschen. Auf dem Heimweg geraten sie in eine Polizeikontrolle, worauf Franzi völlig hysterisch reagiert, so dass Felix ihn später im Bett, wo sie immerhin ziemlich eng zusammenliegen, nicht auch nur mit den Fingerspitzen anfassen darf, ohne als Reaktion schrille und spitze Schreie auszulösen.
Martins Amerikanerin und das Kind, beide ursprünglich sitzengelassen, beide offensichtlich nicht gewillt, sich das bieten zu lassen, na ja, zumindest die Mutter nicht, sind schon seit ein paar Tagen in die WG an der Kreuzgasse eingezogen, und in der kleinen Wohnung herrscht das nackte Chaos. Das wiedervereinte Paar kommt mit der Situation überhaupt nicht zurecht und streitet pausenlos. Die Amerikanerin braucht Felix, um ihm ihr Leid zu klagen; das nackte, windellose Baby pisst währenddessen auf sein Bett. Um drei Uhr nachmittags trifft Josef mit einem Auto ein, und sie fahren mit der Amerikanerin und dem Kind in den Wienerwald. Um sieben sind Felix und Josef – ohne Amerikanerin und Kind – beim Ehepaar Franz und Rudi eingeladen, um sich einen von diesen selbst gedrehten, langweiligen Acht-Millimeter-Filmen anzuschauen. Amanda und Christian sind ebenfalls da und alle machen Felix den Hof, der das unglaublich geniesst. Franzi ist sauer, dass Felix mit dem Christian, und zieht ab. Felix und Christian gehen später ins «Treibhaus», wo sie sich Gras besorgen, dann holt Christian eine Flasche Wein bei sich und sie fahren zu Felix zum Rauchen und Trinken und Schmusen, bis sie irgendwann auf dem kleinen Bett ineinander verschlungen und verknotet einschlafen.
Felix ist beim behaarten Freiherrn auf eine Geburtstagsparty eingeladen. Von den vielen Anwesenden kennt er niemanden. Nachdem er reichlich dem Alkohol zugesprochen hat, um seine Befangenheit loszuwerden, kommt er mit einer älteren, aufgedonnerten Dame der «besseren» Wiener Gesellschaft ins Gespräch, sie ist mit ihrem langhaarigen jungen Freund gekommen und sie unterhalten sich über Sex, Drogen und die Gesellschaft im Allgemeinen. Später kommt Felix mit dem – neben dem Freiherrn – einzigen anderen Schwulen an der Party ins Gespräch, er ist ein reiches und verwöhntes Muttersöhnchen und erst 19. Obwohl er eine monumentale Gelangweiltheit an den Tag legt oder zur Schau stellt und sich vor Lebensüberdruss offenbar gerade noch so knapp auf den Beinen halten kann, nimmt er dann doch Felix mit zu sich in seine «Zweitwohung», wo dieser aber, da wieder einmal überalkoholisiert, unhöflicherweise sofort einschläft.
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