Freitag, 16. November 2007
Vom Hunger der Sinne
Idi Amin, Pol Pot, Barcelona, Cannabis; Said aus Tetuan, 1976
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1976
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Nach dem Tod Mao Tse-tungs rächt sich der chinesische Parteiapparat an der «Viererbande», die von Maos Witwe Tschiang Tschin angeführt wurde, indem er sie verhaften lässt. Dieser Dame werden nicht wenige der Gräueltaten während der Kulturrevolution (1966-1969) angelastet und wohl nicht ganz zu Unrecht nachgesagt. In Kambodscha installiert sich derweil das Schreckensregime eines anderen Verrückten namens Pol-Pot. Der Tod seines ebenfalls nicht zur Sanftmut und stillen Weisheit wie etwa Lao Tse neigenden Kollegen Mao trifft Pol Pot schwer, und er wird noch paranoider; Paranoia ist die Währung, mit der Diktatoren ihren Seelenfrieden bezahlen. Als Folge dieses Prozesses beschuldigt er sogar engste Mitarbeiter und Mitglieder der Partei der Sabotage. Es werden Säuberungsaktionen – Säuberungsaktionen, was für ein Wort! – durchgeführt, und jedes Parteimitglied, welches seiner Meinung nach versagt hat oder mit den Vietnamesen sympathisierte, wird verhaftet und getötet. Terror und Massenmorde nehmen immer mehr zu. Pol Pot wird übrigens noch bis 1998 leben, in hohem Alter noch eine Tochter bekommen und den liebenden Familienvater spielen.
Nach 44-jähriger Regierungszeit verlieren die Sozialdemokraten in Schweden die Regierungsmacht. Europaweit gehen polizeiliche Untersuchungen dem Lockheed-Bestechungsskandal nach. 1976 kann dem ehemaligen japanischen Ministerpräsidenten Kakuei Tanaka nachgewiesen werden, dass er vom Flugzeughersteller Lockheed drei Millionen US-Dollar erhalten hat, um sich für den Kauf von Lockheed Tristar durch die japanische Fluggesellschaft All Nippon Airways einzusetzen. Das Strafverfahren gegen den einflussreichen LDP-Politiker zieht sich jahrelang hin. Tanaka verstirbt im Jahr 1994, noch bevor das Urteil der letzten Instanz verkündet wurde.
Ein israelisches Kommandounternehmen befreit 1976 im ugandischen Entebbe 103 Geiseln aus der Gewalt palästinensischer Terroristen. Kidnapper hielten mit Hilfe der ugandischen Regierung Idi Amins ein Flugzeug der Air France gefangen, um die Freiheit von mehreren inhaftierten PLO-Mitgliedern zu erzwingen. Entebbe ist die ehemalige Hauptstadt Ugandas. Die Stadt hat etwa 63000 Einwohner und liegt 35 km von der heutigen Hauptstadt Kampala entfernt auf einer Halbinsel im Viktoriasee. Idi Amin Dada (geboren am 17. Mai 1928 als Idi Awo-Ongo Angoo in Koboko, Uganda; gestorben am 16. August 2003 in Dschidda, Saudi Arabien) war von 1971 bis 1979 ugandischer Diktator. Sein Geburtsdatum wird in anderen Quellen auch mit 1. Januar 1928 sowie auch mit den Geburtsjahren 1923, 1924 und 1925 angegeben. Ebenfalls nach anderen Quellen lautet sein richtiger Name Idi Amin Dada Oumee. Am 25. Januar 1971 ergreift Idi Amin in einem unblutigen Putsch die Macht. Der damalige Ministerpräsident Milton Obote nimmt gerade an einer Konferenz der Commonwealth-Staaten in Singapur teil. Im Westen wird der Putsch zunächst begrüsst. Grossbritannien und Israel erkennen den Machtwechsel sofort an. Nach wenigen Tagen verschwinden jedoch Intellektuelle, hohe Offiziere und Richter, das heisst, die verschwinden nicht selbst, sondern werden verschwunden. Ganze Dörfer, die Obote unterstützt haben, werden dem Erdboden gleichgemacht und die Bewohner niedergemetzelt. Damit wird Idi zum Sinnbild des brutalen afrikanischen Gewaltherrschers. Zwischen 100000 und 500000 Menschen fallen nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen seiner achtjährigen Gewaltherrschaft zum Opfer. Es wird gesagt, dass Idi Amin einige seiner Opfer auch verspeist hat – dafür gibt es aber keine stichhaltigen Beweise, sondern dieses Gerücht ist vielleicht vielmehr ein Indiz dafür, welche Bilder in den Köpfen von westlichen Medienmenschen über Afrika herumgeistern. Auch wird kolportiert, dass Idi Amin Leichen den Krokodilen im Nil zum Frass vorwerfen lässt, weil nicht schnell genug Gräber geschaufelt werden können. Das mag sogar stimmen, denn ein Unschuldlamm ist der Diktator bestimmt nicht gewesen. Um seine Wirtschaftsbeziehungen zu den arabischen Staaten zu verbessern, bricht Amin mit Israel und wird dessen erbitterter Gegner. Er verherrlicht die Gräueltaten der Nationalsozialisten an den Juden und weist Israelis aus, um an Rüstungsgelder aus Libyen zu kommen.
1972 verweist er im Rahmen einer Afrikanisierungskampagne die Asiaten des Landes. Ausländische Unternehmen werden enteignet. Damit verliert Uganda, die «Perle Afrikas», seine Ober- und Mittelschicht und wird wirtschaftlich ruiniert. Idi Amin hält sich aber weiterhin an der Macht, da der Westen nach wie vor mit ihm Handel treibt und die Sowjetunion ihm Waffen liefert. 1975 wählt ihn die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) sogar zu ihrem Präsidenten (Idi Amin wird später übrigens zur Filmfigur, der Streifen kommt 2007 unter dem Titel «Der letzte König von Schottland» in die Kinos).
In Angola führt die im Norden bereits siegreiche kommunistische Befreiungsfront 1976 einen Vernichtungsfeldzug gegen ihre noch im Süden Widerstand leistenden Gegner; in Rhodesien und Südafrika erheben sich zur gleichen Zeit die Schwarzen gegen ihre weissen Unterdrücker. In Argentinien wird Isabel Perón entmachtet, und Jimmy Carter wird 39. Präsident der USA. Der 30-jährige König Carl XVI. Gustav von Schweden heiratet die 32jährige Deutsche Silvia Sommerlath, die er bei den Olympischen Spielen in München 1972 kennengelernt hat. Europa erlebt im Sommer eine Hitze- und Dürreperiode, weltweite Erdbebenkatastrophen töten Tausende, zum Beispiel im Februar in Guatemala, wo 23000 Menschen ums Leben kommen. In Montreal finden die Olympischen Sommerspiele mit 198 Disziplinen statt. Weil sich Neuseeland zu einer Rugby-Tournee im verfemten Südafrika aufhält, werden die Spiele von 22 Staaten Schwarzafrikas boykottiert. Eine Explosion in einer Chemiefabrik für Schädlingsbekämpfungsmittel beim italienischen Seveso setzt grosse Mengen giftiger Dioxingase frei, die nachhaltig die Orte Seveso und Manfredonia verseuchen. Bei San Francisco wird die kommerzielle Firma Genentech gegründet. In der Computertechnik wird der Nadeldrucker entwickelt. Steve Jobs, der den gleichen Jahrgang wie Felix – und übrigens auch Bill Gates – hat, gründet die Firma Apple. Die Concorde, die französisch-englische Gemeinschaftsentwicklung eines zivilen Überschallflugzeuges, nimmt den regelmässigen Linienverkehr auf den Transatlantikstrecken auf (deren Ende wird dann durch den Absturz einer Concorde am 25. Juli 2000 in Paris besiegelt). Elton John und Kiki Dee kommen mit «Don’t Go Breaking my Heart» in die Hitparade, Rod Stewart landet mit «Tonight’the Night» einen Hit und mit den Bay City Rollers, die mit «Saturday Night» einen Nummer-1-Hit landen, kommen die so genannten Boy Groups auf. Neben Mao Tse-tung sterben auch sein Rivale Tschou En-lai, der Physiker Werner Karl Heisenberg, der Philosoph Martin Heidegger, die Schriftstellerin Agatha Christie und der Komponist Benjamin Britten. 1976 erblicken neben ein paar Millionen anderen der portugiesische Fussballspieler Nuno Gomes, der spätere Premierminister der Republik Tschetschenien von Putins Gnaden, Ramsan Achmatowitsch Kadyrow, die russische Leichtathletin Tajana Romanowa Lebedewa und die österreichische Sporanistin Agnes Scheibelreiter das Licht der Welt.
Mittlerweile hat Felix seine siebzehnwöchige Rekrutenschule absolviert, als Telefonsoldat in Dübendorf und in der Innerschweiz. Das war zwar auch eine Reise in eine andere Welt – allerdings eine, deren Ende er herbeigesehnt hat. Man stelle sich den bewegungsgestörten Felix beim mobilen Telefonleitungsbau auf Bäumen und mit Steigeisen an Telfonstangen klebend vor. Sofort danach bricht er jedenfalls zu einer weiteren Marokko-Reise auf. Er reist im Liegewagen und von Genf an – im «Hispania-Express» – richtet er sein Abteil für die Nacht her (da zu diesem Zeitpunkt, weiss der Teufel warum, ganz offensichtlich nur wenige Reisende auf dieser Strecke unterwegs sind, hat Felix ein ganzes Abteil für sich allein). Nach unruhigem Schlaf zum Rattern der Räder auf dem Schienenstrang kommt er ziemlich früh am Morgen in Port Bou an. Sein Kopf dröhnt und er hat, wie nicht anders zu erwarten und wie es wohl jede und jeder ziemlich früh im Zug vor Port Bou hätte, eine unwiderstehliche Lust auf Kaffee. Er zündet sich eine Zigarette an und verbrennt sich dabei mit einem Streichholz den Finger. Er muss den Zug wechseln und den Zoll passieren. Dabei realisiert er, dass sein Portemonnaie mit etwa 250 Franken aus seiner Windjacke verschwunden ist – gestohlen oder ihm sonst wie abhanden gekommen. Nun, weg ist weg, und zwar endgültig. Folge: Für seine Reise bleiben ihm nur noch 300 Franken in Checks. Und wieder einmal ist ein weiterer Beweis für die Wahrheit der simplen Aussage, dass Reisen vor allem Ungemach mit sich bringt, erbracht. Der Bahnhof von Port Bou ist übrigens etwas unheimlich und überdies von Fledermäusen bevölkert.
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Schuhputzer, Krankenschwestern und andere Señioritas
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Während der Fahrt nach Barcelona hadert Felix noch etwas mit seinem Schicksal und ist entsprechend unfreundlich mit sich selbst, indem er sich brummend und grummelnd mit Schimpfwörtern bedenkt, von denen «Idiot» noch das netteste ist. Um halb zwölf kommt er in Barcelona an. Dort sitzt er lange Zeit in einem grossen Park und schaut den Leuten zu, wie sie die Tauben füttern. Hin und wieder liest er recht lustlos in einem Buch (Günter Grass, «Katz und Maus»). Darin geht es, wie immer bei Grass, um die deutsche Vergangenheit und einen Schüler, Joachim Mahlke genannt, der einen enormen Adamsapfel hat, Maus genannt, und eben diese «Maus» will Katz nun fangen, deshalb der Titel des Buchs. Felix findet die Geschichte, wenn er ehrlich ist, ziemlich langweilig, wenn nicht sogar bescheuert, und auch nicht sonderlich gut geschrieben, aber er hat damals noch einen ziemlichen Respekt vor so genannter ernster Literatur – und erst recht vor deutscher ernster und seriöser Literatur, schliesslich will er Germanistik studieren. In einem kleinen Strassenrestaurant isst er eine Pizza und ärgert sich über einen jungen Typen, der an seiner Vespa herumspielt und die Luft verpestet. Am Nachmittag erlebt er weiteres Ungemach, nämlich eine leidige Schuhputzergeschichte in der Nähe des Hafens. Ein schmieriger älterer Typ spricht ihn an und will ihm eine gefälschte Uhr verkaufen. Während er auf Felix einspricht, macht sich ein Schuhputzer an seinen Treten zu schaffen, was Felix ausgesprochen peinlich ist und gegen den Strich geht. Aber wie ein Schaf lässt er es mit sich geschehen und wehrt sich (aus Höflichkeit?) nicht, sondern bezahlt schliesslich den unverschämten Preis von 250 Peseten für den kosmetischen Liebesdienst an seinen Schuhen. Gegen Abend gerät er nach langen, zufälligen, willkürlichen Wanderungen durch das Weichbild der Stadt an einen kleinen Strand, der nur von Einheimischen genutzt wird, ruht sich aus, schläft auch ein bisschen und betrachtet junge Burschen in engen Badehosen. Von der Stadt selbst gewinnt er logischerweise nur ein sehr bruchstückhaftes Bild. Er sitzt dann auch schon im Nachtzug nach Madrid, wo er bereits letzten Dezember war, wie wir wissen, damals aber nicht viel mehr als den Prado und dort den «Garten der Lüste» gesehen und sogar besucht (um nicht zu sagen: kurzfristig bevölkert) hat. Dieses Mal bummelt er ein bisschen, ohne touristischen Ehrgeiz, sondern wieder ganz ziellos, der Calle Antocha entlang zur Plaza Majer und weiter zur Plaza España, wo er sich eine Flasche Wein, Sardinen und Brot kauft und im Park tafelt wie König Juan Carlos. Dort klagt ihm ein kanadischer Freak sein Leid: er ist für fünf Monate in Sevilla hängen geblieben, hat sein Rückflugticket verkauft und sitzt nun mittel- und auch ziemlich ratlos auf dem Trockenen. Wie gesagt: Reisen bringt – früher oder später – Ungemach. Einige Jugendliche machen Musik und singen zur Gitarre. Alles in allem fühlt Felix sich in der schon fast hochsommerlichen Hitze nach dem Rotwein etwas schläfrig und nicht mehr sehr unternehmungslustig, und der Geschmack der in Öl eingelegten Sardinen erzeugt in seinem Gaumen ein etwas unangenehmes Echo.
Am Bahnhof mit den Zügen, die Richtung Süden fahren, trifft er einen Amerikaner und eine Neuseeländerin, die ebenfalls unterwegs nach Malaga sind. Der Ami ist klein, blond und naiv, sie der Typ Krankenschwester. Sie erkämpfen sich zu dritt einen Platz im vollgestopften Costa del Sol-Express und fahren die ganze Nacht durch – an Schlaf ist natürlich wieder einmal nicht zu denken. Reisen ist anstrengend, mühsam und bringt Ungemach.
Der Morgen in Malaga ist schön und jetzt, im Sommer, überaus warm. Die Neuseeländerin fährt gleich weiter nach Torremolinos, der Ami und Felix suchen und finden eine Pension, billig und schmutzig, mit tropfendem Wasserhahn und unappetitlicher Bettwäsche, und verschlafen den ganzen Nachmittag: Reisen ist wunderbar.
Am Abend essen sie etwas in der Stadt, Meerfrüchtesalat und Fisch, und der Ami, mit schläfrigen Augen träge auf der Jagd nach Abenteuern, lässt sich von einem Schuhputzer-Zuhälter zu einer Señiorita ver-führen und zahlt für das Schäferstündchen, das man wohl besser als Schäferminütchen bezeichnen sollte, da es kaum länger als sieben Minuten gedauert haben kann, 300 Peseten, also nur unwesentlich mehr als Felix seinem Schuhputzer in Barcelona. Sehr befriedigt von dem Service, der ihm geboten wurde, wirkt allerdings auch der Ami nicht.
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On your left side you see Malaga in the dust
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Am Sonntag trifft Felix Ingo, genau um vier Uhr am Nachmittag in der Schalterhalle des Bahnhofs, wie abgemacht und ganz selbstverständlich. Ingo ist etwa zehn oder fünfzehn Jahre älter als Felix, kommt aus Basel und besitzt eine auf Verkaufsförderungsaktionen spezialisierte Werbeagentur, auf deren Konto zum Beispiel die Idee mit dem Schokoriegel als Heissluftballon geht. Ingo hat eine sonore tiefe Stimme und spricht, ein wenig das R rollend und Silben seltsam zusammenziehend, ein germanisch eingefärbtes Baseldeutsch. Kennen gelernt haben sich Felix und Ingo durch eine Kontaktanzeige. Sie sind zwar kein Paar geworden, aber doch einigermassen gute Freunde. Später, in den Achtzigerjahren, wenn Ingo für kurze Zeit der Chef von Felix sein wird, wird sich die Freundschaft allerdings rapide abkühlen, und dann werden sich die beiden ganz aus den Augen verlieren. Heute besitzt Ingo ein kleines Hotel bei Negombo in Sri Lanka. Vorher, am frühen Nachmittag, ist Felix mit der Lokalbahn in Torremolinos gewesen, einem Touristenort mit Riesenhotels und einer geballten Ladung an finnischen, bayrischen, englischen, französischen und amerikanischen Restaurants, Bars und Bierkellern. Bekannt wurde der Ort unter anderem durch das 1971 erschienene Buch «Die Kinder von Torremolinos» von James A. Michener, in dem das Leben junger Aussteiger beschrieben und die damalige Atmosphäre des jugendlichen hedonistischen Milieus eingefangen wird. Felix, der jugendlich-hedonistische Held dieses Buchs, der sich auch als alter Knacker noch als Hippie bezeichnen wird, allerdings als einer, der eher der hedonistisch-ekstatisch-anarchistisch-spirituellen als der ideologisch-asketisch-politischen Richtung angehört, hat am Strand gefaulenzt, sich von brechenden Wellen überschäumen lassen, einen Hamburger gegessen und vergeblich mit zwei frisch bekehrten kanadischen Jesus-Jüngern herumargumentiert. Und dann trifft er Ingo, sie trinken zusammen Kaffee und schwatzen, als hätten sie sich eben nur so getroffen. Sie schlendern zum Hafen hinunter, nehmen sich den äussersten Punkt eines Damms zum Ziel, lassen sich die Gischt ins Gesicht wehen, versuchen, mit einer Schnur, einem Stein und Kaugummi zu fischen und fangen auf diese Weise beinahe eine Krabbe. Später Dauerlauf um die imposante Stierkampfarena und durch das Gewirr der grossen Blocks und Hochhäuser neben dem Hafen am Meer, die alle immer wieder anders in Farbe und Form verschachtelt in der Gegend herumstehen. Sie steigen zur Burganlage hoch, zum Burglabyrinth über der Stadt, durch das alte, andalusische Quartier am Hügel. Oben haben sie einen atemberaubenden Ausblick auf Stadt und Meer und die untergehende Sonne, so was wirkt nur auf Postkarten und in Beschreibungen kitschig, in der Realität aber ist es ganz okay, oder eben viel mehr als okay. Rotviolett leuchtende Sträucher zwischen Ruinen, Kakteen, Fantasieblumen, die Felix nur deshalb so nennt, weil er sie nicht kennt, weder dem Namen noch dem Aussehen nach. Alles ist herrlich unrestauriert, ohne überflüssige Abschrankungen und Rasenbetretenverbotenschilder und historische Tafeln an dem historischen Gemäuer. Dafür hat es: Liebespaare, Kinder, streunende Hunde.
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Tetuan, mit schwärmerischem Blick gesehen
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Am nächsten Morgen fahren sie mit dem Zug nach Algeciras, und das dauert wieder einmal. Mit diesem Verkehrsmittel müssen sie den Umweg über Bobadilla nehmen; auf der Fahrt Gebirgslandschaften, blumengeschmückte kleine Bahnhöfe. Mit dem Bus wäre es viel schneller gegangen, aber bekanntlich zählt ja beim Reisen der Weg oftmals viel mehr als das Ziel, und Ingo, der ein angefressener Hobbyfotograf ist, lichtet all die schmucken Bahnhöfchen mit Begeisterung ab. Um 15 Uhr kommen sie in Algeciras an und fahren am Abend mit der Fähre weiter nach Ceuta, wo gerade ein Wolkenbruch niedergeht; auf den wenigen Metern vom Hafen zur Busstation werden sie tropfnass. Ceuta ist eine spanische Stadt auf afrikanischem Boden und voller Soldaten und Polizisten (im nächsten Jahrhundert wird Ceuta vor allem dafür bekannt sein, dass Migranten aus schwarzafrikanischen Ländern versuchen werden, über Algerien und Marokko nach Ceuta und Melilla, eine weitere spanische Enklave in Nordafrika, und von da nach Spanien oder in andere EU-Länder einzureisen. Die EU heisst 1976 allerdings noch Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft EWG und Spanien wird sich ihr erst 1986 anschliessen). An der Busstation die ersten Marokkaner: buntbetuchte Beberfrauen mit zerfurchten, tätowierten Gesichtern; Männer und Knaben mit Zipfelmützen. Der Bus fährt bis zur Grenze; dort müssen sie durch den Zoll, dann in den marokkanischen Bus umsteigen. Die Passkontrolle: improvisierte Zollstelle in einem ausrangierten Kleinlaster, schreiende Beamte, die wenig und langsam arbeiteten, ob bewusst oder aus Unfähigkeit, ist nicht zu entscheiden – jedenfalls scheinen sie ihre Macht zu geniessen. Die wartende Menge im Regen, die Autoschlange. Sie warten etwa eine Stunde, Felix wird etwas ungeduldig und fühlt sich unbehaglich in seinen klatschnassen Kleidern, die ihm am Leib kleben. Vor ihnen in der Reihe steht ein alter Spanier, er hat sich einen riesigen Strohhut aufgesetzt gegen die schlagenden Tropfen, und um sich selbst und die Mitreisenden etwas aufzumuntern, schmettert er ein schneidiges Lied in den grauen Tag hinaus. Und schliesslich haben sie es ja dann doch geschafft und sitzen im Bus nach Tetuan, der letzten Station der vergangenen und nun also der ersten Station der jetzigen Reise von Felix in den Maghreb. Wieder die noch halbvertrauten arabischen Kehllaute im Ohr, wieder die dunklen, manchmal verschlossenen Gesichter mit den schönen Augen. Die Uhr zeigt etwa zweiundzwanzig Uhr, wir befinden uns im Juni und es ist so um den längsten Tag herum, Dämmerung mit seltsamen Farben und eine Fahrt dem Meer entlang.
Etwa eine Stunde später kommen sie in Tetuan an und checken im Hotel Marrakech ein, das Felix vom Vorjahr her in süsser Erinnerung ist. Aber das Personal hat gewechselt, es ist jetzt im Gegenteil eher unfreundlich. Die Hotelgesetze sind strenger geworden und man darf keine Marokkaner mehr aufs Zimmer nehmen, selbstredend eine Massnahme zum Schutz der Touristen und nicht zum Schutz der Keuschheit marokkanischer Jünglinge. Ingo und Felix sind hungrig und essen in einem Restaurant Auberginen- und Orangensalat mit deutlichen geruchlichen und geschmacklichen Sensationen von Orangen- oder Pomeranzenblütenwasser sowie ein herrliches Lamm-Tajine mit Couscous, und Felix tätigt bereits sein erstes Geschäft in Form eines Einkaufs von Kif. Sie rauchen sich im Hotelzimmer in Schlaf, wobei sie auch so schon todmüde sind. (Felix ist übrigens immer noch ein wenig eine Landpomeranze, aber nicht mehr so sehr wie damals in Paris.)
Am andern Morgen werden sie von einem intensiv krähenden Hahn unsanft aus orientalischen oder was für Träumen auch immer geweckt: der erste Tag in Tetuan. Gerüche nach stark öligem Gebäck, frischer Minze, feuchtem Stein, schweissigem Leder, Eseldung. In sanfter Monotonie umschmeichelt Berbermusik das Ohr. Männer spazieren Hand in Hand durch die Strassen und sprechen vielleicht über ein Geschäft oder auch über Fussball. Zwei begrüssen sich, küssen sich auf die Wangen, geben sich die Hände und legen sich dann die rechte Hand aufs Herz. Ein langgewandetes Mädchen stolziert vorüber, wirft ihnen einen langen, dunklen Blick zu. Mit den Augen sprechen, lächeln, mit den Augen antworten. Mit schwärmerischem Blick gesehen – und den haben unsere Reisenden ja zweifellos –, ist dies das Land der Süsse und Zärtlichkeit.
Sie trinken einen Tee und essen etwas Brot und lassen für vielleicht zwei Stunden ein Kapitel «Alltag in Tetuan» vor ihren Augen abrollen. Menschen kommen, Menschen gehen. Alle sind beschäftigt. Der bärtige Kerl, der ihnen gegenüber seinen mit vielerlei Kram voll gestopften Laden hat und unter einem zerfetzten Sonnenschirm auf einem ausrangierten Autositz hockt und werkt, dieser Kerl, der einen schmutzigen Turban ums langhaarige Haupt geschlungen hat, ist ein Künstler darin, mit einer Art Lötkolben allerlei Gebrauchsgegenstände zu flicken und aus «Abfall» neue herzustellen: Ein Mückengiftzerstäuber wird wieder gebrauchsfähig, aus einer Büchse macht er eine Mehlschaufel, aus Metallresten bastelt er ein Spielzeug für Kinder. Sie bummeln weiter und in die Arme von zwei Jünglingen hinein, die als Mohammed und «der Puertoricaner» kurz in die Annalen dieser Geschichte eingehen sollen. Mohammed hat ein Lausejungegesicht und lebhafte, intelligente Augen, kurzes struppiges Haar und ist eher hellhäutig. Er ist nie um Antworten verlegen, die stets von lebendigem Gebärdenspiel begleitet werden. Der dunkelhäutige «Puertoricaner» ist vielleicht sechzehn oder siebzehn, mit dunkel verschleiertem Blick unter der hohen Stirn. Auf dem Kopf trägt er stolz eine Art Indianerschlapphut. Er will sie in die Berge bringen und ihnen, ganz Geschäftsmann, ein paar Kilo Haschisch verkaufen.
Abend. Sie sitzen mit dem Puertoricaner und dessen Freunden im oberen Stock eines Kaffeehauses am Hauptplatz vor der Medina, sie rauchen Kif und hören den Marokkanern zu, wie sie mit Hingabe stimmlich und rhythmisch die neuesten marokkanischen Schlager begleiten. Felix ist sehr stoned und geniesst jede Minute dieses Fests, als ob es die letzte wäre. Aber die letzte Minute wird für Felix noch lange nicht gekommen sein, wie dieses Buch beweist, und so begegnet Felix am nächsten Tag zum ersten Mal Said. Mohammed hat sie zu Abslams Boutique geführt, wo Said arbeitet: Ingo will einen Jellaba für seine Frau kaufen. Er macht Fotos mit seiner Sofortbildkamera, und damit ist der Kontakt schnell hergestellt: mit Abslam, dem etwa 35-jährigen Besitzer, mit Said, mit Mohammed dem zweiten oder auch fünftausendundsiebten, mit dem hübschen Schnabelschuhverkäufer von nebenan, mit noch anderen, deren Namen Felix sich nicht merken kann. Sie «diskutieren», sie blödeln herum, trinken den unvermeidlichen Münzentee und beschliessen dann, nach Capo Negro an den Strand zu fahren, um da Fussball zu spielen und sich einen Sonnenbrand zu holen. Said mit seiner sanften Stimme, den wunderbaren dunklen Augen und den schönen Händen zieht Felix sofort in seinen Bann, was Said natürlich bemerkt, denn auf dem Weg zur Busstation fragt er Felix: «You like me?». Das kann Felix nicht bestreiten, worauf Said ihm die Hand drückt und sie dann lange, wie es Felix scheinen will, nicht mehr loslässt. Später bittet er Felix inständig, ihn in die Schweiz einzuladen, er wird ihm sogar, als dieser wieder zu Hause ist, zwei-, dreimal einen Brief schreiben.
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Vom Hunger der Sinne
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Von Tetuan reisen unsere Freunde, der eher kleine und zwar nicht gerade als kräftig, so doch als griffig zu bezeichnende Felix mit seinen blonden Haaren und der fast zwei Meter grosse, massige, schnauzbärtige Ingo mit der eindruckvollen Nase und dem energischen gekerbten Kinn, nach Chefchaouen, einer kleinen Stadt im Rifgebirge, die am Berg klebt. Die Gassen der Medina sind steil und verwinkelt. Die Häuser sind – oft nur stellenweise – mit einer kühlen blauen Farbe bemalt. Ihr Ankunftstag ist ein Freitag, der Feiertag der Moslem, und es herrscht dementsprechend eine Atmosphäre der Musse im Ort. Die meisten Läden sind geschlossen. Schon am Bahnhof nimmt sie ein von ihnen so genanntes Rucksäckchen, einer der unvermeidbaren Guides, in Beschlag. Er führt sie zu einer Pension, in der es angenehm kühl ist. Zu dritt – zusammen mit einem ausgeflippten Psychologiestudenten aus Frankreich – logieren sie in einem Raum. Danach streifen sie durch das Städtchen, beklopfen das Pflaster mit ihren Schuhen und saugen die Bilder ein. In einem Park ausserhalb des Ortes, nah am Berg und dort, wo eine Quelle klar und frisch aus dem Felsen springt, sitzen sie wespenumschwirrt, trinken Tee und rauchen Zigaretten. Gegen Abend essen sie in einem angenehmen Restaurant an einem Platz, den Felix als mexikanisch empfindet, der Duft von Fleischspiesschen liegt in der Luft. Wie im Film, woher die Assoziation wohl auch kommt, teilt der mexikanische Platz Licht und Schatten messerscharf zwischen sich auf. Man erwartet, dass jeden Moment ein gackerndes Huhn dramatisch auftauchen und, die Stille zerstörend, vorübereilen müsse. Eine Frau, weiss und verschleiert, sitzt in einem Türrahmen und spart mit Bewegungen – in welchen Traum mag sie wohl eingesponnen sein?
Nachher gehen sie ins Hotel und legen sich aufs Bett. Ingo schläft auf dem Rücken ein und beginnt zu schnarchen, während Felix ein paar Pfeifen Kif raucht; als die Wirkung einsetzt, steht er auf, begibt sich ins Freie oder gibt sich vielmehr ins Freie hinein, es treibt ihn, was man den durch das Cannabis beflügelten Hunger seiner Sinne bezeichnen könnte – wer auch schon bekifft war, weiss wahrscheinlich, wovon ich spreche. Bekifftsein ist eine köstliche Stimulation von Körper und Geist, ein Gefühl, gleichzeitig schwer und leicht zu sein und die Befähigung, bis zum innersten Kern des Geschmacks eines Apfels vorzudringen, ein innerliches Gekitzeltsein in den Ohren, unter der Netzhaut, im Gaumen und unter der Haut. Auf dem Dorfplatz trifft Felix auf den verrückten Franzosen, der vor einem Café sitzt. Sie versuchen ein Gespräch; der Franzose jammert Felix etwas davon vor, wie er doch so gern mit dem «Volk» in Kontakt kommen und es psychologisch oder auch ethnopsychoanalytisch verstehen möchte und wie es bis jetzt einfach nicht so recht geklappt habe. Die Sätze des Psychologiestudenten verschieben sich drollig im Kopf von Felix, er findet das unheimlich lustig und macht den Franzosen auf irgendwelche Petitessen aufmerksam, was diesen, vielleicht auch aus sprachlichen Gründen, da die Französischkenntnisse von Felix nicht über jeden Zweifel erhaben sind, masslos verwirrt. Dann gehen sie zurück ins Hotel und rauchen mehr: Der Franzose spendiert Hasch, Felix steuert Kif bei. Später suchen sie beraucht und somit berauscht erneut das Freie, es zieht sie in das kleine Kino, das es im Ort gibt. Dort wird ein unglaublich komischer Film gezeigt, ein spanischer Streifen – oder doch eher ein Bollywoodstreifen? –, eine dramatische Liebesgeschichte jedenfalls mit Gesangseinlagen. Felix sucht vergeblich nach einem roten Faden in der Handlung, und manchmal, mitten in einem Lachanfall, ist er verstimmt.
Noch bevor der Film zu Ende ist, gehen sie zurück ins Hotel und legen sich aufs Bett. Ingo ist verschwunden, ist noch nicht oder viel mehr nicht mehr da, was Felix plötzlich Anlass zur Beunruhigung ist. Nach einer Weile, die lang sein mag oder nicht, schlägt jemand mit einem grossen Eisenklopfer ans Tor der Pension, die um Mitternacht geschlossen wurde. Felix fühlt sich aus unerfindlichen Gründen plötzlich sehr alarmiert. Er springt aus dem Bett und läuft zur Tür, die er aber nicht zu öffnen imstande ist, was ihn noch mehr in Panik versetzt. Wie ein Verrückter saust er nun im ganzen Hotel herum, hastet durch Gänge und gerät in Zimmer, die Pension erscheint plötzlich unendlich verwinkelt und so gross wie Kafkas Schloss, Felix hat keine Ahnung mehr, wo sich sein Zimmer befindet, er hat das Gefühl, sich in einem Labyrinth zu verlieren. Irgendwie findet er dann aber doch in sein Zimmer zurück, Ingo ist inzwischen ebenfalls eingetrudelt, Felix legt sich beruhigt ins Bett und schläft augenblicklich ein, um in Träumen erneut dem Faden der Ariadne zu folgen und den Ausgang aus dem Labyrinth zu suchen und dann trotzdem Minotaurus zu begegnen, einem Wesen, halb beängstigend, halb erregend, wenn er sich aufbäumt wie ein scheu gewordenes Pferd und dabei seinen satyrhaft erigierten Penis zeigt.
(In Chefchaouen vollendete übrigens Paul Bowles, ein Lieblingsschriftsteller von Felix, seinen Tanger-Roman «So mag er fallen», der 1952 erschien. Bevor Marokko 1956 die Unabhängigkeit erlangte, hatte Tanger den Status einer internationalen Zone. Die Stadt war Eldorado für Schmuggler, Geldwechsler, Spione, Spekulanten, Rauschgift- und Mädchenhändler, für Lebenskünstler und Extravagante aller Couleurs, aber auch für Künstler und Literaten, die dort billig leben wollten; Paul Bowles, geboren 1910 in Jamaica, Long Island, gestorben 1999 in Tanger, verbrachte über ein halbes Jahrhundert als Schriftsteller und Komponist in der Stadt. Den nach einer mörderischen Zeile aus Shakespeares «Macbeth» betitelten Roman «Let It Come Down» begann er im Dezember 1949 auf einem polnischen Frachter, der von Antwerpen nach Colombo, Ceylon, dem späteren Sri Lanka, fuhr; die Idee kam ihm, als er die Strasse von Gibraltar passierte und die Lichter der Stadt seiner Sehnsucht vorübertreiben sah. In Indien arbeitete der Autor, der mit seinem Erstlingsroman «The Sheltering Sky» – 1949, deutsch «Himmel über der Wüste» – einen Welterfolg gelandet hatte, weiter am Manuskript, auch unterwegs dann in Marokko, Algerien und Spanien. Fertig wurde der Roman, wie gesagt, in Chefchaouen: «Hier, in der vollkommenen Stille der Bergnächte, vollendete ich, was ich gehofft hatte, schaffen zu können, als ich den entscheidenden Punkt des Buches erreichte. Ich liess mich treiben und das Kapitel ‹Eine andere Art der Stille› sich völlig von selbst entwickeln, ohne es mit dem Bewusstsein irgendwohin lenken zu wollen», schrieb Bowles im Nachwort. Vielleicht war es diese Fähigkeit zur Intuition, sein Vertrauen in die unbewussten Kräfte, das Bowles mitunter zu einem literarischen Meister der Grausamkeit werden liess, wie am Ende dieses Romans, der die Geschichte von Nelson Dyar erzählt, einem Antihelden und Nobody, wie unser Felix einer ist. Bowles hat ihn als «Mann ohne Eigenschaften» konzipiert, als «Persönlichkeit, die sich nur über die jeweilige Situation, in der sie sich befindet, definiert». Dyar verschlägt es nach Tanger, wo er der blutjungen Prostituierten Hadija verfällt, bei einem als Reisebüro getarnten dubiosen Unternehmen anheuert und sich in der bizarren Gesellschaft der Expatriierten verliert. Er stiehlt bei einem Wechselgeschäft einen grösseren Geldbetrag und setzt sich mit seinem arabischen Begleiter Thami in die spanische Zone Marokkos ab. Von der starken Haschischkonfitüre Majoun völlig depersonalisiert, tötet er den schlafenden Thami, indem er ihm mit einem Hammer einen Nagel ins Ohr schlägt. «Let It Come Down» war kein solcher Erfolg beschieden wie «The Sheltering Sky». Doch in den fünfziger Jahren war es vor allem dieses Buch, das die Beatniks nach Tanger lockte.)
Am nächsten Morgen nehmen sie den Bus nach Fez, der um halb zehn fährt. Unterwegs werden sie von grimmig wirkenden Polizisten angehalten. Es werden nur die Ausländer, die sich im Bus befinden, auseinander genommen. Diese müssen die Pässe zeigen und werden gefragt, ob sie Hasch dabeihaben, was natürlich niemand freiwillig zugeben würde. Felix kommt ins Schwitzen, denn er hat bestimmt noch etwa 10 Gramm Kif in seiner Hosentasche, was zwar nicht viel ist, aber sag das mal einem, der sich vor Angst fast in die Hosen macht. Der Beamte, der sich mit Felix beschäftigt, bemerkt natürlich sofort den Stress von Felix und tastet ihn sorgfältig ab. Doch nichts geschieht: Entweder hat der Polizist das bisschen Kiff in der felixschen Hosentasche nicht bemerkt, oder, wahrscheinlicher, es interessieren ihn nur grössere Mengen und dickere Fische. Der Polizist befiehlt Felix, auszusteigen, denn er spielt mit dem Gedanken, dessen Gepäck zu durchsuchen, das sich aber gut verschnürt auf dem Dach des Busses befindet. Nun, Felix könnte das eigentlich egal sein, weil im Rucksack keine Drogen sind. Andererseits, wenn der Bulle sich die Mühe schon gemacht hat und er unbedingt Hasch oder Kif im Gepäck von Felix finden will – wer könnte ihn daran hindern, zu behaupten, er habe da ein Kilo oder mehr von dem Stoff entdeckt? Um Felix dann in einen dieser grässlichen marokkanischen Knäste zu werfen und ein Lösegeld, genannt Bakschisch, für ihn zu verlangen? Felix schwitzt Blut und hat sehr, sehr weiche Knie. Nie, nie wieder werde ich etwas Verbotenes tun, denkt er, und schickt ein Stossgebet gen Himmel. Aber dann stinkt dem Bullen der ganze Aufwand doch und er lässt den Bus gnädigerweise weiterfahren. (Anbau und Genuss von Cannabis sind in Marokko nicht verboten, jedoch der Handel. Wer mit den Drogenbaronen im Zentrum des Hasch-Imperiums, dem Rif-Gebirge, Geschäfte machen will, muss allerdings schon mehr als ein paar Kilo bestellen. Die gesamte Region lebt vom Anbau der Droge, aber das grosse Geld verdienen nur wenige Landbesitzer. Die langjährige Duldung des Drogenanbaus im Rif-Gebirge durch den marokkanischen König ist in einer Besonderheit dieser Region begründet. Die dort lebenden Berberstämme halten traditionell wenig von der Zentralgewalt, und jedes gewaltsame Eingreifen könnte zu einem Bürgerkrieg führen. Ausserdem regiert kein kluger König gegen die Traditionen seines Volkes, und Kifrauchen gehört nun mal in Marokko zu den Traditionen des Volkes, und diese Traditionen sind älter als ein paar läppische, von den Amerikanern oder wem auch immer diktierte Gesetze.) (Eine weitereVolkstradition liegt dem oben erwähnten Begriff Bakschisch zugrunde, das zumindest sprachlich einige Gemeinsamkeiten mit dem Wort «Haschisch» aufweist. Wir zitieren wörtlich aus Wikipedia: «Das Wort Bakshish bzw. Bakschisch kommt aus dem Persischen und bedeutet so viel wie Gabe oder Geschenk. Es ist im islamischen Kulturkreis im ursprünglichen Sinn eine Art Almosen. Die Tradition, bei zahlreichen Anlässen ein Bakshish zu geben oder zu erwarten, hängt mit der islamischen Grundregel zusammen, Notleidenden zu helfen. Das schliesst finanzielle Unterstützung ein. Die Religion erwartet von reichen Gläubigen, dass sie einen Teil ihres Vermögens bzw. Einkommens an Ärmere weitergeben. Touristen geben ein Bakschisch in islamischen Ländern im Allgemeinen im Sinne von Trinkgeld für Dienstleistungen oder Gefälligkeiten. In den Augen der Einheimischen ist jeder Tourist wohlhabend. Der Begriff Bakshish ist in Indien übernommen worden, obwohl es sich um einen anderen Kulturkreis handelt. Sowohl hier als auch in arabischen Ländern ist es üblich, durch die Gabe von Bakshish Verwaltungsvorgänge zu beschleunigen oder einen besonderen Gefallen zu erhalten. Im deutschsprachigen Raum ist Bakschisch umgangssprachlich ein Ausdruck für Schmiergeld. Im Türkischen wird die Bezeichnung «Bahşiş» lediglich für Trinkgeld angewendet. Nützlich, dieses Internetlexikon, nicht?)
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