Mittwoch, 21. November 2007
1977
Bob Marley, Donna Summer
Die erste Ausgabe der Zeitschrift «Emma» von Alice Schwarzer erscheint, die unter anderem einen Artikel über die Schriftstellerin Virginia Woolf enthält, eine Schriftstellerin, die Frauen liebte. Auf dem Flughafen von Teneriffa/Spanien stossen ein amerikanischer und ein niederländischer Jumbo-Jet zusammen; dabei kommen 575 Passagiere ums Leben, nur 70 können gerettet werden. Generalbundesanwalt Siegfried Buback wird zusammen mit seinem Fahrer in Karlsruhe auf offener Straße von RAF-Terroristen erschossen. Die Täter bezeichnen in einem Bekennerschreiben Buback als «Akteur des Systems», der unter anderem die «Ermordung» Ulrike Meinhofs «inszeniert und geleitet» habe, und daher «hingerichtet» worden sei. Das Stuttgarter Oberlandesgericht verurteilt die Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe zu lebenslangen Haftstrafen. Der Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, wird in seiner Villa im Taunus bei einem Entführungsversuch von den Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt erschossen. Der inhaftierte Schwarzenführer Stephen Biko erliegt in Südafrika den Folgen von Folterungen und Misshandlungen von Seiten der Polizei. Palästinensische Terroristen entführen die Lufthansa-Maschine «Landshut» nach Mogadischu/Somalia und wollen damit die Forderung der Schleyer-Entführer nach der Entlassung inhaftierter RAF-Häftlinge unterstützen. Der 1973 aufgestellten Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes, GSG 9 (Grenzschutzgruppe 9), gelingt es, das entführte Flugzeug in Mogadischu zu stürmen und die Geiseln zu befreien. Am selben Tag begehen die Terroristen Baader, Ensslin und Raspe in Stuttgart-Stammheim Selbstmord (es kursieren aber wie immer in solchen Fällen auch bald schon Verschwörungstheorien, die davon ausgehen, dass die drei RAF-Terroristen ermordet worden seien).
Der am 5. September entführte Hanns Martin Schleyer wird im Kofferraum eines Autos in Mülhausen/Elsass tot aufgefunden. In der Bundesrepublik beginnt eine Grossfahndung nach 16 namentlich bekannten Terroristen, denen die Morde an Buback, Ponto und Schleyer vorgeworfen werden.
In der grössten Polizeiaktion der Geschichte Südafrikas werden mehrere oppositionelle Organisationen verboten und zahlreiche Schwarzenführer verhaftet. Der UNO-Sicherheitsrat beschliesst einstimmig ein unbefristetes Waffenembargo gegen Südafrika. Dadurch soll die Regierung in Pretoria zur Aufgabe ihrer Politik der Apartheid gezwungen werden. Die Schweiz, damals noch nicht Mitglied der UNO, umgeht dieses Embargo, indem vor allem in den Bereichen Rüstungsgüter und Nachrichtendienste Wirtschaftsunternehmen (Bührle, Autophon, Eidg. Pulverfabrik etc.), Behörden und Militärs das Aphartheidsregime in Südafrika in grossem Umfang tatkräftig unterstützen.
Im Radio hört man «Knowing Me, Knowing You» von den Abba, «Ma Baker» von Boney M. «Love is In the Air» von John Paul Young. Iggy Pop schafft den Durchbruch mit zwei von David Bowie produzierten Alben, von England aus gewinnt der Punk mit Sex Pistols, Rasierklingen, Sicherheitsnadeln und No Future auch auf dem Kontinent immer mehr an Boden, Giorgio Moroder produziert mit «I Feel Love» von Donna Summer, die zur Ikone der Schwulenszene wird, einen Megahit. Peter Tosh bringt das Reggae-Album «Legalize It» und Bob Marley die LP «Exodus» auf den Markt. Von den Pink Floyd, einer Lieblingsband von Felix, erscheint das Album «Animals».
1977 sterben neben den schon Erwähnten und weltweit vielleicht 50 Millionen anderen sozusagen namenlosen Menschen der Philosoph Ernst Bloch, der deutsche Ex-Bundeskanzler Ludwig Erhard, Charlie Chaplin und «the King» Elvis Presley. 1977 ist aber auch das Geburtsjahr der kolumbianischen Popsängerin Shakira, des Schweizer Fussballspielers Hakan Yakin und von Victoria, der Kronprinzessin des Königreichs Schweden. Und von über 100 Millionen weiteren Erdenbürgern, von denen allerdings niemals irgendeine Öffentlichkeit irgendetwas erfahren wird. Die Weltbevölkerung beträgt 1977 etwas mehr als vier Milliarden Nasen (breite, spitze, adlerartige, griechische, römische, asiatische, operierte, rote, schwarze, gelbe, blaue...).
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Felix sitzt in Genf auf einem Mäuerchen und findet, das Leben sei schlechthin kaum zu ertragen – Felix fühlt sich einsam, weil er mit Leuten zusammen ist, die er nicht liebt, und mit Leuten nicht, die er liebt. Ausserdem schmollt er ein bisschen, weil er bei den Menschen, mit denen er momentan zusammen ist, nicht im Mittelpunkt stehen kann, weil nämlich die seine besondere Art der Originalität nicht zu schätzen wissen, jawoll.
Felix findet jetzt, dass es ein Fehler war, dieses Wochenende mit Max in die Camarque zu fahren: Er kann kaum mehr mit Max zusammen sein, ohne sich permanent über ihn zu nerven. Dabei ist Felix ja selbst schuld, dass er sich auf jemanden eingelassen hat, mit dem er überhaupt nicht zusammenpasst.
Da sitzt er also in der Sonne an einem Genferseequai und könnte losheulen vor Wut, Enttäuschung, Frustration. Max ist mit Philippe, seinem Spezi, einem Schnösel, einer schwulen Föhnfrisur, mit Huch! Und Hach! auf Promenade; Felix hielt es einfach nicht mehr aus mit diesen affektierten Tunten – und hielt es nicht mehr aus, ganz am Rand eine Statistenrolle zu spielen. Ausserdem hat er Kopfschmerzen und ganz generell schlechte Laune.
Aber wir wollen der Reihe nach erzählen. Donnerstagabend ist Felix an einer Sitzung der Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern, kurz HAB, er hat sich in diesem Verein einer Gesprächsgruppe angeschlossen, die sich einmal wöchentlich über Beziehungsprobleme, sexuelle Vorlieben und ganz allgemein über die persönlichen schwulen Befindlichkeiten austauscht, aber es läuft ziemlich schlecht für ihn. Schlecht heisst, dass Felix versucht, für einmal aus seinem Schneckenhaus aus Nettigkeit und Harmlosigkeit herauszukommen und nicht immer nur «lieb» zu sein, dass er versucht, über seine wahren Gefühle zu sprechen, aber das kommt dann prompt schief heraus, er stösst auf Unverständnis bei Hans, auf lüsterne Neugierde bei Patrick, auf Ablehnung bei Fritz und Franz, einem Paar, das man immer nur im Doppelpack wahrnehmen kann, und einzig Ernst oder Aschi scheint das, was Felix zu sagen haben glaubt, nachvollziehen zu können. Felix findet es gut, dass die Harmonie ihrer Gruppe einmal ein bisschen aufgebrochen wird, das sich gegenseitig verständnisvolle Auf-die-Schultern-Klopfen, aber dass dies auf seine Kosten geschieht, kommt ihm dann doch nicht gelegen, er findet es im Gegenteil total ungerecht, wie das Leben überhaupt und ganz generell.
Und nun, in diesen vier letzten Tagen, die über tausend Kilometer Autofahrt, was haben sie für einen Sinn gehabt? Felix will eigentlich nicht klagen, er ist, wie wir wissen, ja ganz geil aufs Reisen. Aber was für einen Sinn hat die Reiserei so, mit Max? Dieser Max ist ein derart mit allen Wassern gewaschenes, ja gestriegeltes Gesellschaftstier, um nicht zu sagen Waschweib, obwohl damit nichts gegen diese fleissigen und tapferen Frauen gesagt sein soll, die sich in der Hitze des Sommers und in der eisigen Kälte des Winters über ihr Wäsche beugen oder vielmehr früher einmal gebeugt haben werden – Felix findet diesen Max nur noch oberflächlich, feige, dabei langweilig, aber hysterisch und über alle Massen tuntig und unendlich affektiert. Felix hält diesen Max in diesem Moment überdies für den grössten Egoisten des Universums – nicht in materieller Hinsicht, da schlägt der maxsche Egoismus eher ins Gegenteil um, das hängt mit dem reichen Elternhaus von Max zusammen und mit der Tatsache, dass Max alles kaufen zu können glaubt, sein Egoismus geht eher in Richtung Eitelkeit, Gefallsucht und Dominanzstreben, ist also eher ein Egozentrismus, sozusagen ein Maxismus, und das klingt sprachlich wirklich nur rein zufällig wie Marxismus. Ja, Max will bestimmen, wohin der Karren zu laufen hat, und Max will im Mittelpunkt stehen – und es ist einfach nur lächerlich, wenn ein solcher Idiot wie Max im Mittelpunkt steht. Felix will, auf eine subtilere, introvertiertere Art, zwar auch im Mittelpunkt stehen. Das würde er aber niemals zugeben, nicht einmal vor sich selbst. Felix, der natürlich noch immer nicht über viel Geld verfügt, schwört sich, dass diese Reise, für die Max ihn schliesslich gebraucht und gewollt hat, wenigstens nicht auch noch in finanzieller Hinsicht zum Desaster für ihn werden soll. Dass Felix etwas an die Bezinkosten von Max zahlt, kann sich dieser ans Bein streichen, der Wichtigtuer. Das ist definitiv, darüber wird nicht mehr verhandelt.
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Unter den Bäumen des Südens
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Am Freitagnachmittag fahren sie also von Bern über Genf nach Lyon, wo sie bei Michèle und Jacqueline, die Max von einem Ferienjob in Frankreich her kennt, erstmals Station machen. Die Fahrt führt durch ein landschaftlich schönes Gebiet, aber sie kriechen hinter stinkenden Fünfachsern her, das schmälert das Reisevergnügen erheblich. Hinter Bellegarde trinken sie in einer Bar einen Kaffee – da fühlt sich Felix erst richtig auf Reisen. An den Tischen sitzen Algerier und Schwarze und spielen Domino mit den Franzosen.
Michèle teilt die Wohnung mit einem kleinen, starken, bärtigen Franzosen (natürlich mit einem Franzosen, wie sind hier ja schliesslich in Frankreich); bei ihrem Eintreffen hocken und liegen da eine ganze Menge Leute herum, dazwischen krabbelt ein Kind, eine kleine Katze namens Valentine reibt sich an ihren Beinen, französisches Geplauder wabert elegant und etwas hochnäsig durch den Raum und einer spielt Gitarre und fühlt sich wie Gilbert Bécaud und ein anderer wie Monsieur 100'000 Volt. Michèle hat fast weiss gefärbte, gelockte Haare, sie ist nicht hübsch, aber lebhaft und offenbar intelligent, intelligenter auf jeden Fall als Max, wie Felix boshaft feststellt (aber intelligenter als Max ist ja fast jeder). Sie hat lustige Augen. Ihre Kleider stammen nicht gerade aus einer Edelboutique, sie hat etwas Zigeunerhaftes und Natürliches an sich, das angenehm berührt in einer Welt von so viel maxscher Geschleckt- und Blasiertheit (was findet die denn bloss an Max, rätselt Felix. Na ja, vielleicht gar nichts, und sie versucht nur, nett zu sein).
Jacqueline, die zweite Bekannte von Max, ist sehr hübsch, mit langem blondem Haar und Model-Figur. In der Küche wird den beiden petits Suisses ein Imbiss serviert, Michèle und Jaqueline und Max palavern französisch über vergangene Zeiten, das heisst, vor allem das geölte Mundwerk von Max ist maschinengewehrartig am Schnattern, und Felix spricht in leichter Panik einem Cognac zu. Um etwa elf Uhr fahren sie zu sechst in die Innenstadt, schlendern durch die autofreie Zone und kehren in einem Jazzclub ein. Felix ist nun ganz zufrieden, weil die Musik spielt und er nicht dauernd das Geplapper von Max hören muss.
Felix versucht schon gar nicht mehr, charmant zu sein, Max stiehlt ihm die Show sowieso, Felix ist also, wie er ist, und pausenlos aufregen kann man sich schliesslich auch nicht. Sie fahren in die Wohnung zurück und Felix schlüpft in einen Schlafsack auf einer Matratze, die stinkt, weil wahrscheinlich die kleine Katze Valentine darauf gepinkelt hat, aber was solls, Felix ist müde, er schläft ein und träumt von Max, der ihm eine Standpauke hält, weil Felix sich mal wieder daneben benommen hat, weiss Gott wie und wann und warum.
Am anderen Tag fahren sie los, Richtung Süden, der Himmel ist wolkenlos, der Verkehr auf der Autobahn du Soleil schon etwas mehr als dicht, die beiden Französinnen unterhalten sich in perlenden Wortkaskaden auf den Rücksitzen, Max schwitzt am Steuer und Felix fährt mit seinen Augen über die Landschaft zu seiner Rechten und zu seiner Linken wie mit Pinseln und wird schläfrig durch die Hitze, im Radio läuft ein Stück aus dem neuen Album von Jean-Michel Jarre, Oxygène, es wird Nachmittag und sie sind in Aiguemorte, die Stadtmauer erinnert Felix an Tunesien oder Marokko, sie trinken gekühlten Rotwein unter den «Bäumen des Südens», die jungen französischen Kellner sind mehrheitlich hübsch. Dann montieren sie in Saint-Marie de la Mère auf dem Zeltplatz am Meer ihr Nylonhaus. Sie liegen ganz friedlich am Strand, bevor Felix von Max zu einem Gruppenausritt zu Pferd genötigt wird, womit es mit dem Frieden vorbei ist. Sie reiten durchs Wasser und übers Land, aber das Reiten ist nun mal gar nicht das Ding von Felix, während Max natürlich mit affektierter und eleganter Souveräniät auf seinem Rappen sitzt. Das Pferd von Felix ist zwar eine lahme, uralte Stute namens Claudine, aber wenn sie auf Trab kommt oder gar ein bisschen galoppieren will, schlägt der süsse Arsch von Felix eins zwei eins zwei im Sattel auf, und zwar gegen den Takt, so dass er abends einen blauen Hintern hat. Dann tut die alte Mähre wieder gar nichts und frisst Gras, die anderen Reiter sind schon längst ausser Sichtweite, und die Kommandos, die man Felix vor dem Ausritt beigebracht hat, prallen wirkungslos an Claudine ab. Gott sei Dank ist dann bald Abend und somit Zeit für die Aperitifs, denen sie in den Strassencafés gleich mehrfach und recht variantenreich zusprechen, mal sind die Getränke rot, dann wieder milchig weiss oder giftig grün, schmecken aber immer gut. Solches Tun ist schon mehr nach Felix Geschmack als das Reiten, und er wird richtig gut gelaunt und sogar ganz nachsichtig mit Max. Die untergehende Sonne färbt den Himmel purpurrot, jetzt ist eine Fischsuppe an der Reihe und die Stunde des Baguette und der Meerfrüchtchen angebrochen. Beim Verdauungsspaziergang kommen die fidelen Französinnen auf die Idee, die Disco zu besuchen. Eine solche befindet sich Gott sei Dank oder vielmehr üblerweise ganz in der Nähe des Zeltplatzes, also ist es vielleicht keine schlechte Idee, in diesem Etablissement tanzen zu gehen, weil man ja ohnehin nicht schlafen könnte bei dem Lärm. Gegen Morgen, als sie sich mit sturmen Birnen endlich schlafen legen, quaken dann nur noch die Frösche.
Als dieser Morgen dann mit voller Kraft angebrochen ist, werden sie, kaum dass ihr Ohr das Kissen berührt hat, von der Sonne, die brutal auf das Zelt knallt, geweckt, und Felix wankt unausgeschlafen zum Strand, um sich mit einem Morgenbad zu erfrischen. Ferien im Zelt sind eigentlich, wie das Reiten, nicht so die Sache von Felix, der zur Bequemlichkeit neigt und am liebsten in einem Kingsize-Bett mit Seidenbettwäsche in einem Fünfsterne-Hotel aufwachen würde. Da er aber leider nicht als Prinz, sondern eher als Bettelknabe geboren ist, müssen solche Träume zwangsläufig Schäume bleiben. Die noch ofenwarmen, herrlich schmeckenden Croissants versöhnen ihn aber mit dem Tag. Dann sind sie wieder on the road – pardon: en route – , schliesslich handelt es sich hierbei nur um einen kurzen Pfingsturlaub, sie fahren nach Aiguemorte zurück und dann noch einmal ans Meer, nach Grau-du-roi, einem an sich malerischen Fischerort für Touristen und mit einem Strand in der Nähe, der sich über Kilometer erstreckt. Es hat einzelne Nacktbader da, aber der Strand ist erst spärlich bevölkert. Nach einem kurzen Nickerchen im Sand – der hellhäutige Felix holt sich bei dieser Gelegenheit einen kleinen Sonnenbrand, aber zur Zeit sind UV-Strahlen, Hautkrebs und schwarze Melanome noch kein Medienthema – fahren sie nach Port Camargue, einer Grau-du-roi gegenüber liegenden Hotelbunkerwüste, wo Max seine Ferienarbeitgeber von letztem Jahr begrüssen will. Port Camargue ist ein hässlicher, aus dem Boden gestampfter Retortenort. Max findet seine Bekannten und schwatzt und schwatzt und schwatzt, das dauert, Felix langweilt sich und leidet unter der prallen Sonne zwischen all dem Beton und wird wieder ungnädig mit Max, auch die Mädchen machen allmählich lange Gesichter, man könnte ja zumindest irgendwo einkehren, aber nein. Endlich findet die Show von Max – ohne Schlussapplaus – ein Ende, und sie fahren nach Grau-du-roi zurück, wo sie eine Pizza essen. Es ist inzwischen später Nachmittag und damit höchste Zeit, Richtung Norden zu fahren.
Nach einigen beschwerlichen, weil unklimatisiert heissen Stunden auf der Autobahn treffen sie in Valence ein, von wo aus die beiden Mädchen den Zug zurück nach Lyon nehmen. Felix und Max bleiben für eine Nacht im Ort, suchen den Camping und gehen dann zurück zum Bahnhofplatz, an dessen Peripherie sich diverse Bars befinden. Sie essen erst mal Hähnchen und Pommes-frites im Bahnhofsrestaurant. Am Nebentisch sitzt ein komisches älteres Ehepaar mit zwei weissen, kunstvoll frisierten Pudeln, die eine auffällige Ähnlichkeit mit ihren Besitzern aufweisen, irgendwie, und die permanent deren ganze Aufmerksamkeit beanspruchen; die beiden (nein, nicht die Pudel) haben je eine Flasche Wein vor sich stehen und tafeln ausgiebig, nicht ohne die Hunde an ihrem Mahl teilhaben zu lassen (Wein bekommen die Vierbeiner allerdings keinen).
Dann sitzen Max und Felix vor einer der Bars und beobachten junge Burschen der internationalen oder multikulturellen Art, die ja bekanntlich besonders reizvoll sind. Felix treibt mit einem jungen Franzosen sein Augenspielchen, er kann das inzwischen ganz gut, und der junge Franzose macht erstaunlicherweise mit, setzt sich schliesslich an einen Tisch gegenüber und schaut Felix lange und vielsagend in die Augen. Felix hätte ihn ansprechen wollen, traut sich aber mal wieder nicht, und ausserdem ist da, wie wir wissen, auch noch Max. Schliesslich nehmen sie gemeinsam einen schlanken, dunklen Boy ins Visier. Als sie aufstehen und drei-, viermal an der Bar vorbeischlendern, vor der das fleischgewordene Versprechen von Sex und Erotik sitzt, steht dieses auf und steigt zu einem älteren Algerier ins Auto. Das Auto fährt in ihre Richtung und hält neben ihnen an. Der Traumboy schaut sie fragend an; Max und Felix schweigen verlegen, fühlen sich irgendwie ertappt – es ist fast schon komisch. Nach einer peinlichen Pause werden sie ins Auto gebeten und steigen auch willig ein, sich gewissermassen auf eine Carte blanche einlassend. Was sie wollten, werden sie gefragt, ob sie in eine Diskothek tanzen gehen wollten? Der Eintritt koste 50 Franc pro Person und sie als arme Einwanderer aus dem Maghreb hätten keinen Sous in der Tasche, weshalb sie bitte gerne eingeladen werden möchten. Nun haben Max und Felix leider auch nur noch wenig französisches Geld dabei, da sie Frankreich ja morgen gegen Mittag verlassen wollen. Nichtsdestotrotz fährt der Algerier jetzt los, und unser Paar sitzt gewissermassen in der Patsche. Sie fahren schweigend durch Vororte und durch ein Wäldchen und halten schliesslich vor einer ziemlich abgelegenen Diskothek, aber Felix und Max können es nicht ändern: ihr Geld reicht nicht für den Eintritt für alle, und die Zeit des Plastikgeldes ist, zumindest für das gemeine Volk, zu dem Max dann doch auch wieder ein bisschen gehört, noch nicht angebrochen. Es gibt ein kurzes Hin und Her, aber schliesslich werden sie trotz allgemeiner Verstimmung doch mit dem Auto zurück nach Valence gefahren. Es ist zwar nichts aus dem erhofften Sexabenteuer geworden, aber immerhin sind sie heil aus der Sache herausgekommen. Max ist für den Moment nicht mehr ganz so selbstbewusst wie sonst und die beiden schämen sich ein wenig voreinander, bevor sie ins Zelt kriechen, um vor der Rückreise noch einige Stunden zu schlafen. Diese führt sie über Grenoble, Aix-les-Bain (wo sich eines der schönsten Casinos Frankreichs befinden soll, das aber Max und Felix nicht mal von aussen sehen) und Annecy quer durch Savoyen nach Genf, wo Max den bereits erwähnten Kollegen Huchundhach! trifft und Felix sich schmollend auf ein Quaimäuerchen am See setzt.
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Dass die Beziehung zwischen Max und Felix nach dieser Pfingstreise nicht mehr lange hält, wird nach deren Schilderung niemanden allzu sehr überraschen. Wenig später verliebt sich Felix zudem in Peter, dem er an einem heissen Sommertag während eines Picknicks an den Ufern der Aare begegnet, und dieses Mal nimmt es ihm den Ärmel richtig herein. Felix arbeitet zurzeit als Buffetbursche im Restaurant Drei Eidgenossen, im Volksmund «Zu den sechs Arschbacken» geheissen. Das ist nicht gerade ein Nobellokal oder ein In-Place, dafür ein Biotop aus Huren, Zuhältern, Säufern, Schwätzern, Herumtreibern und scharfen jungen Rockern in schwarzen Lederhosen, für Felix wiederum eine Reise in eine andere Welt. Mit Peter ist Felix mehrere Jahre zusammen – allerdings mit Unterbrüchen – und gemeinsam unternehmen sie einige kleinere und grössere Reisen. Peter ist ein Halbwilder, ein Abenteurer, Draufgänger, Glücksritter und Herzensbrecher, er ist denkbar anders als Felix, aber das macht ihn wohl gerade so anziehend für ihn.
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