Freitag, 30. November 2007
Felix in Nöten
Die Nacht von Sonntag auf Montag verbringen Felix, Peter und Raymond zu dritt im Bett. Sie stehen erst am späten Nachmittag auf, und Raymond will nach Zürich, um Heroin einzukaufen. Felix ist der Gedanke daran zuwider, die Zürcher Szene, die er nicht kennt, ist ihm unheimlich, er versteht nicht, warum sie Raymond, der doch gesagt hat, er wolle mit dem Fixen aufhören, zu einem Gelegenheitskauf verhelfen sollen. Schliesslich drehen es Raymond und Peter so, dass sie ja bloss ins Zürcher Schwulenmilieu gehen wollten, um sich ein wenig zu amüsieren, und da willigt Felix ein. Dabei ist klar, dass es Raymond nur um den Schuss geht, und auch Peter ist offenbar ganz scharf auf einen Kick, obwohl Felix weiss, dass Peter kein Junkie ist.
Als sie aufbrechen, ist Raymonds «Onkel» wütend, denn er weiss genau, in welchem Pfeffer welcher Hase sitzt. Dieser «Onkel», nennen wir ihn Erich, ist ein etwa fünfzigjähriger, verbittert und höchst nervös wirkender Schwuler, der aus lauter Vernarrtheit den Fehler begangen hat, Raymond in seine Wohnung aufzunehmen. Jetzt hat Raymond sich in dieser Wohnung breitgemacht und Erich in ein kleines Kämmerchen verdrängt. Raymond nimmt in keinster Weise Rücksicht auf Erich, lässt ganze Nächte lang die Rolling Stones, Genesis, Yes, King Crimson, Mike Oldfield oder Gentle Giant auf Höchststufe laufen, nützt ihn aus, reisst ihn ab. Und Erich lässt sich das gefallen; gewiss, manchmal brüllt er herum, aber dieses Herumschreien ist reinste Hilflosigkeit. Erich lässt sich brutal ausnutzen, obwohl er Raymond, wie dieser stolz betont, schon seit zwei Jahren nicht mehr an die Wäsche darf. Das alles irritiert Felix schon ein bisschen, aber er verdrängt es, schliesslich ist Raymond ein Freund von Peter und Freunde von Peter kritisiert man nicht, wenn man Felix heisst.
Sie fahren also nach Zürich, doch bei ihrer Ankunft in der Stadt bemerken sie, dass sie nur wenig Geld bei sich haben – ausser Raymond, der im Besitz von etwa 150 Franken ist, die er natürlich von Erich bekommen hat. Erich, der beim Bund angestellt ist und nicht schlecht verdient, zahlt ja alles: Raymonds Drogen, die Gerichtskosten für Raymonds Freund, der im Knast sitzt etc. Raymond verschwindet in Zürich wie der geölte Blitz im «Shorts», einer hektischen Drogenbeiz, etwas perplex gefolgt von Peter und Felix. Raymond ist nicht zu bremsen. Schon ein paar Minuten später, nachdem sie ihn in der Menge verloren haben, taucht er wieder auf und verschwindet sofort auf dem WC, um den Stoff auszuprobieren und dann zu behaupten, er sei gelinkt worden – der Stoff sei schlecht. Jetzt stehen sie da: ohne Geld und ohne Benzin für die Rückfahrt und natürlich ohne sich im Geringsten amüsiert zu haben. Felix ist fürchterlich deprimiert. Sie setzen sich ins Kontiki im Niederdorf und halten Kriegsrat. Raymond hat eine «Glanzidee»: er kennt von früher her, als er noch in Zürich auf den Strich ging, als siebzehnjähriges Bürschchen, einen reichen oder doch zumindest einigermassen gutbetuchten Freier. Den ruft er jetzt an, und zu dritt machen sie sich auf, diesen zu besuchen. Sie nehmen Bus und Tram, um Benzin zu sparen; der Typ wohnt in Zürich-Seebach, also nicht gerade im Zentrum. Etwa fünfundvierzig Minuten später sind sie da. Der Herr hat bereits Besuch, auch einen professionellen Jungen, der jedoch gerade entlassen wird, als unser Trio eintrifft. Mit allerlei Kniffen und Tricks presst Raymond dem Mann, der vom Typ her ein Buchalter sein könnte und in den mittleren Jahren ist, 150 Franken ab. Der Herr, dessen Appetit offenbar noch nicht ganz befriedigt ist, will als Gegenleistung Sex mit oder von Felix, was dieser einigermassen empört von sich weist. Auch Raymond und Peter reden ihm gut zu, aber Felix bleibt stur. Er ist nun doch einigermassen empört darüber, dass man ihm zumutet, auf diese Weise fremde Suppen auszulöffeln. Es ist ihm in diesem Moment auch ziemlich egal, für eine Zicke, eine Mimose oder ein doofes Rührmichnichtan gehalten zu werden. Trotzdem muss er beissenden Spott ertragen, besonders von dem Buchhalter-Typen, der die «Unschuld vom Land», als die Felix noch immer durchgeht, andererseits auch süss findet, was ihn umso mehr reizt. Schliesslich gibt der Herr aber doch auf und bietet seinen uneingeladenen Gästen sogar etwas zu essen an (Bohnen, Rippli, Kartoffeln und Salat); dann wird er jedoch noch einmal ernst und ruft wegen dem Darlehen – denn um ein solches handelt es sich bei der Geldtransaktion nach der Verweigerung einer Gegenleistung durch Felix nun ja – den Erich in Bern an, der für seinen «Schützling» wieder mal den Buckel krumm machen muss. Endlich fährt der Typ sie in die Stadt zurück.
Damit aber noch nicht genug der Unbill. Erneut steuert Raymond nämlich unaufhaltbar das «Shorts» an, um dieses Mal bessere Ware zu kaufen. Und zehn Minuten später stehen sie wieder mit nur noch vier oder fünf Franken in der Tasche da. Und dafür hätte er nun seinen Arsch hinhalten sollen, denkt Felix. Seine Laune wird immer besser. Wie war das noch mal mit dem Ausgehen und sich Amüsieren? Sie fahren auf der Autobahn Richtung Bern und tanken bei einer Raststätte für die letzten fünf Franken Benzin, in der verwegenen Hoffnung, dass diese Menge bis Bern reichen wird. Sie haben aber ausnahmsweise einmal Glück und stossen bei dieser Raststätte zufällig auf einen schwulen jungen Bekannten von Raymond, der am Ausgang der Raststätte Autostopp macht und nach Bern will und noch etwas Geld für etwas Benzin in der Tasche hat, so dass der Treibstoff jetzt reichen sollte. Im Auto rauchen sie wieder Haschisch, worauf es dem Jungen ziemlich schlecht wird. Sie fahren erst Raymond nach Hause, der schon wieder quengelig ist und auf den ein jetzt doch recht genervter Erich wartet. Peter verlangt von Raymond den versprochenen Kick, doch der behauptet mit der Gier der Süchtigen, den Rest des Heroins «verloren» zu haben. Es kommt zu einem kleinen, aber unschönen Wortgefecht zwischen den beiden. Gegen zwei in der früh fahren Peter und Felix nach diesem verpfuschten Ausflug endlich zu Peter an den Melchenbühlweg, wo dieser am Stadtrand in einem Bauernhaus ein Zimmer hat. Den Jungen müssen sie mitnehmen; er ist erst 18, und in dem Zustand, in dem er sich befindet, können sie ihn nicht zu Hause bei Muttern abliefern. Sie legen sich alle drei nieder, der Junge liegt in der Mitte, und obwohl sie müde sind und der Junge verladen ist, hebt Felix, der grausam eifersüchtig sein kann, doch immer wieder verstohlen das Augenlid, um zu sehen, ob Wolf mit dem Jüngling was anstellt. Tut er aber, soviel Felix mitbekommt, nicht. Sie schlafen bis acht, dann muss der Junge schleunigst ins Büro.
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Ein Geständnis und mehrere Begegnungen
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Nachdem Peter und Felix den Jungen mit dem Auto in die Stadt gebracht haben, legen sie sich nochmals ins Bett und schlafen bis am frühen Nachmittag, worauf Peter, der arbeitslos ist, seine Stempelangelegenheiten bereinigt. Dann sitzen sie im «Pyrénées», einer «Piri» genannten Szenekneipe am Kornhausplatz, Peter ist ruhig und etwas verstimmt über Felix, der in sein Büchlein schreibt, worauf ein Besoffener neben ihm lebhaftes Interesse für sein Geschreibsel bekundet und lesen will, was Felix da von sich gegeben hat. Und Felix, dieser Blödmann, zeigts ihm auch noch, worauf der Alki, über diesen «Vertrauensbeweis» entzückt, einen Redeschwall über Felix ergiesst, eine Suada über sein verpfuschtes Leben, als deren Kernpunkt sich nicht ganz überraschend der Umstand herausschält, dass ihn seine Frau verlassen hat, wobei man sich fragen kann, was hier wohl die Ursache und was die Folge war, das Verlassen die Ursache des Alkoholismus oder der Alkoholismus die Ursache des Verlassens. Felix hat sich jedenfalls Folgendes in sein Heft notiert, was jetzt von den geröteten Augen des Betrunkenen entziffert und von diesem vielleicht verstanden wird, vielleicht auch nicht: «Ich weiss nicht, warum, aber ich weiss, dass ich Peter sehr stark spüre, auch wenn er mich manchmal äusserst hart anfasst. Aber vielleicht ist gerade das ein Teil der Faszination, die er auf mich ausübt. Manchmal habe ich das Bedürfnis, mich ganz zu seinem Werkzeug zu machen, zugleich Peitsche in seiner Hand zu sein und der, der sich wollüstig unter den Peitschenhieben seines Peinigers windet. Ich muss von Peter hart angefasst und gedemütigt werden, nur schon deshalb, weil ich ein Idiot bin, dann aber auch, damit er mich anschliessend in seine Arme nimmt und mich streichelt und mir vergibt. Ich gerate vor ihm immer wieder in eine hilflose Passivität. Er löst etwas in mir aus, aber ich weiss nicht, was genau es ist, ich weiss nur, dass er mich leiden macht, machen muss, aber dass er mich dadurch endlich zu einem gewissen Fühlen bringen kann, zu einem Mich-Fallenlassen. Ich habe so viele Hemmungen in mir, so viele Barrieren, Winkelzüge, so viel Schmerz und Spannung in der Brust, dass es manchmal kaum zum Aushalten ist und ich nahe daran bin, mich umzubringen.
Die letzten Tage? Gut, ich war fast nie ‹klar›. Und da habe ich Gefühle und Sachverhalte in mir verspürt, die ich sonst verdrängen kann, die aber natürlich auch wieder gedämpft werden durch den Rausch. Ich konnte nicht kotzen, der Kloss blieb mir im Hals stecken. Ich konnte auch nicht den Ursprung dieser Gefühle erkennen. Ich spürte nur aus gewissen Anlässen heraus diese Schmerzen in mir aufsteigen: Eifersucht, Neid, Verlorensein, Verletztheit, Unsicherheit. Auch Angst, eine Angst, die nicht zu beschreiben ist, eben deshalb, weil ich ihren Grund nicht fassen kann.
Raymond hat mir zugleich Möglichkeiten und Konsequenzen gezeigt. Ich spürte, dass ich auch so ausflippen könnte und manchmal möchte wie er, dass ich manchmal ganz nah dran bin, dass dann ein wildes Freiheitsgefühl in mir hochlodert, das alle Normen niederzubrennen droht, das völlig rücksichtslos ist, hemmungslos egoistisch. Aber auch die Konsequenzen: aus der Welt herauszufallen und im kalten Nichts zu landen. Zu diesem Herausfallen habe ich den Mut nicht, die Unvernunft nicht. Ich zucke zurück vor dieser Gefahr.»
Da Felix seinen eigenartigen Text dem Besoffenen gezeigt hat, muss er ihn nun wohl oder übel auch Peter zeigen. Und wahrscheinlich will er ihn Peter ja auch zeigen, obwohl er sich bewusst ist, dass der Inhalt zugegebenermassen etwas starken Tobak enthält und Peter wenig Freude daran haben wird. Der reagiert denn auch ziemlich lakonisch. So etwas habe er sich gedacht, brummt er nur, und diese Aussage hat vom Ton her etwas von einem vernichtenden Urteil. Sie kaufen bei Mutter Migros ein und fahren dann in den Vorort von Bern, wo Felix wohnt. Unterwegs meint Peter, es gehe ihm wirklich auf den Keks, wenn Felix so pseudointellektuell daherschwafle, das sei ja nicht zum Aushalten, er solle sich doch bitte einigermassen normal verhalten. Er, Peter, wisse gar nicht, wie Felix auf seine verqueren Ideen komme. Das seien doch alles Flausen, die Felix da in seinem Kopf habe. Ob er so was an der Uni lerne? Sie reden dann ein bisschen und kommen zu einer gewissen Verständigung, jedenfalls zu einem Dialog. Sie kochen in der Wohnung in Ostermundigen Spaghetti und trinken dazu eine Falsche Wein, schauen sich dann ein langweiliges Fernsehprogramm an und sind beide etwas müde und erschöpft. Dann fahren sie zu Peter und schlafen da im Bauernhaus am Stadtrand, und anderntags ist Peter wieder in Sachen Arbeitslosenversicherung beschäftigt. Felix begleitet ihn als dessen getreues Hündchen. Dann gehen sie zusammen in die schwule Gesprächsgruppe, zu der inzwischen auch Peter gestossen ist. Peter fühlt sich in dieser Gruppe aber natürlich ebenfalls als Aussenseiter und benimmt sich auch so, was sich manchmal in gewissen Unflätigkeiten äussert, die ihm von den anderen Gruppenmitgliedern aber verziehen werden, da er unzweifelhaft sehr sexy ist mit seinen sinnlichen Lippen und dem ruppigen Charme, der manchmal auch in Treuherzigkeit umschlagen kann. Heute allerdings fühlt Peter sich ausnahmsweise ganz wohl und benimmt sich recht manierlich.
Am Freitag ist Felix erstmals bei Peters Eltern. Den Vater, der offenbar überaus seltsam ist, bekommt Felix gar nicht zu Gesicht; er verstecke sich geradezu vor Besuch, erzählt Peter Felix, und sei überhaupt ein weicher, schlaffer, verbitterter alter Mann, der sich dreissig Jahre lang durch einen langweiligen Buchhalterjob gequält habe, obwohl er sich im Herzen eigentlich zum Dichter berufen fühle. Er sei ein Schwächling – also das pure Gegenteil von Peter und all das verkörpernd, was dieser verabscheut und verachtet. Felix spürt bei Peter hinter all dieser zur Schau gestellten Ablehnung des Vaters allerdings die Ambivalenz seiner Gefühle, die neben Verletztheit und Enttäuschung auch auf Bindung und Zuneigung schliessen lässt. Die Mutter dagegen, eine Deutsche, ist eine lebhafte, sportliche Frau, eine ehemalige Schauspielerin, die sicher einmal hübsch war und heute eine schöne reife Dame ist. Sie fasst Vertrauen zu Felix und bekundet ihm, während Peter laut singend unter der Dusche steht, ihre Sorge um den ungebärdigen Sohn. Dann will Peter, dass Felix geht, denn er muss Bewerbungen schreiben und braucht offensichtlich seine Ruhe.
Am späten Nachmittag ist Felix im «Piri», wo er mit einem Jungen namens Raeto ein mystisches Gespräch führt. Raeto ist ein sehr feiner, hübscher, sensibler Junge, der Felix gut gefällt, ein wenig seltsam und versponnen zwar, aber das zieht Felix ja gerade an. Der Junge behauptet, übersinnliche Fähigkeiten zu haben. Er sei siebzigprozentiger Bluter und habe, wegen Drogenkonsums, auch schon einige Zeit in der psychiatrischen Klinik verbracht. Jetzt glaubt er sich zum Schriftsteller berufen und schreibt Tag und Nacht, wenn er nicht im «Piri» sitzt und davon erzählt oder daheim auf dem Sofa beim Joint davon träumt. Daneben ist er auch ein Wahrsager. Behauptet er jedenfalls, und Felix kann es nicht nachprüfen, jedenfalls nicht sofort, weil die Prophezeiungen von Raeto weit in die Zukunft gehen und eher andeutungsweise formuliert sind. Es sitzt auch ein fideler Deutscher im «Piri», der gebrauchte Platten verkauft und das so gewonnene Geld dann umgehend in Bier umsetzt. Raeto kauft ihm eine Doppel-LP der «Nice» ab und lädt Felix dazu ein, sich dem Genuss dieser LP bei Raeto gemeinsam hinzugeben. Peter kommt vorbei, verschwindet aber gleich wieder, um sich im Kino zusammen mit Hansruedi den Film «Ziggy Sturdust» über David Bowie als Marsianer anzusehen. Felix begleitet Raeto in die WG, in der dieser mit seiner Freundin zusammen zwei Zimmer bewohnt. Felix hat trotzdem das Gefühl, dass Raeto ein bisschen schwul ist, durch die Art, wie er ihn ansieht und wie Felix ihn spürt. Seine Freundin ist zwar da, bleibt aber ganz im Hintergrund.
Und dann rauchen sie starken schwarzen Shit, gleich zwei oder drei Pfeifen in kurzer Zeit, und Felix wird high wie noch nie. Einen Moment lang glaubt Felix zu erblinden, aber nicht in die Schwärze der Nacht hinein, sondern in ein gleissendes weisses Licht. Nach einer Weile, die lang gewesen sein mag oder kurz, will Felix aufstehen und gehen, um Peter zu treffen, aber das geht nicht. Also bleibt er halt sitzen. Es ist egal, sie hören Musik, Raeto sitzt bloss da und stöhnt manchmal leise, während seine Freundin am Tisch ein Bild malt. Raeto schaut Felix rätselhaft an, und dieser gibt sich dem Blick des Jungen ganz hin, diesem sphinxhaften braunen Blick, der von einem halben kleinen Lächeln in den Mundwinkeln begleitet wird. Erst etwa vier Stunden später ist Felix wieder so weit, dass er sich der so genannten Realität da draussen stellen kann, ohne allzu grosse Verwirrung und ohne allzu heftiges Erstaunen. Er macht also den langen, langen Marsch vom Eigerplatz zum «Piri» zurück. Dort trifft er doch tatsächlich Peter und Hansruedi an, beide noch immer in die androgyne Welt von David Bowie eingesponnen – die Welt in diesem Bern ist zwar manchmal gigantisch im Rausch, aber dann doch wieder klein wie eine Wohnstube. Peter und Felix fahren heim ins Bauerhaus am Stadtrand mit den bimmelnden Kühen und Schafen auf der Weide vor dem Fenster, Felix könnte diesem Bimmeln und Grasen stundenlang zuhören, wenn er gekifft hat, ohne etwas anderes zu tun, was gibt es Schöneres als grasende Kühe und Schafe und den sommerlichen Geruch einer nächtlichen Wiese, aber Peter und Felix schmusen und küssen sich überdies und schlafen dabei ein. Einmal erwacht Felix, es ist etwa sieben Uhr am Morgen, und er ist noch immer stoned. Bimmelnde Kühe und Schafe, denkt er, die in der Nacht duftende Wiese, das kann doch jetzt, mitten im Winter, nicht gewesen sein!
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The sexiest Man alive
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Am Samstag macht Peter den Vorschlag, die Nacht in Genf zu verbringen. Raymond wird eingeladen, sie rauchen wieder, dann fahren sie los. Es ist kalt im Auto, die Strassen sind vereist, manchmal trübt stockdicker Nebel die Sicht. Wolf hat Augen wie die Nordsee im Novembersturm und ist vollkommen stoned, das Fahren bereitet ihm sichtbar Mühe. Felix macht sich fast in die Hosen vor Angst. Das Auto wird ausrutschen und sich überschlagen, denkt er, wir knallen gegen einen Baum oder eine Wand und werden zu Brei vermanscht, wir stürzen, uns überschlagend, einen steilen Abhang hinunter, wir überleben diese Fahrt nie. Er hat die Stimme seiner Mutter im Ohr, die ihn ein ganzes Leben zur Vorsicht gemahnt hat. Wider alle Wahrscheinlichkeit kommen sie etwa um 23 Uhr aber heil in Genf an. Zuerst steuern sie das «Hippocampe» an, ein Seepferdchen, das einen Teil der Genfer Schwulenszene schaukelt. Peter kennt sich aus, er hat ein Jahr lang in Genf gearbeitet, Peter kennt Leute hier. Raymond ist schlechter Laune, es kommt zu Spannungen zwischen ihm und Peter. Raymond wäre lieber nach Zürich gefahren, in Genf kennt er sich nicht aus und weiss nicht, wo es da Heroin zu kaufen gibt. Dann fahren sie über die Grenze nach Frankreich, in einen Schwulenclub namens «Galèche» oder so ähnlich. Der Club ist gross, teuer für jemanden wie Felix, sehr gut besucht, schliesslich ist Wochenende. Raymond, der Peter eins auswischen möchte, flirtet intensiv mit Felix. Das macht Peter aber gar nichts aus, im Gegenteil; er verschwindet, und zehn Minuten später sieht ihn Felix, wie er mit einem sehr hübschen, sehr jungen Kerl zusammensitzt, Händchen haltend, sich küssend. Das Adrenalin im Blut von Felix beginnt zu kochen. Felix hat einen metallenen Geschmack im Mund und ein flaues Gefühl im Magen. Was bildet sich dieser Kerl bloss ein? Erst reisst er sie fast in den Unfalltod auf der vereisten Autostrasse, dann glaubt er auch noch, vor seinen Augen einen Typen aufreissen zu müssen! Felix wendet sich Raymond zu und tut so, als würde er mit diesem herumknutschen und Peter auch nicht einmal mit dem Arsch anschauen – was etwa so glaubwürdig ist wie ein fluchendes Kaninchen. Raymond wittert nun seinerseits eine Chance, an Felix heranzukommen oder vielmehr Felix und Peter auseinanderzubringen. Er beginnt über Peter zu fluchen und ihn schlecht zu machen. Er, Raymond, sei doch viel besser für Felix als dieser brutale Machosack. Felix ist eifersüchtig wegen Peter respektive auf dieses Schnuckelchen, das Peter sich geangelt hat, und Raymond merkt das und ist eifersüchtig auf diese Eifersucht. (So sieht es jedenfalls bei oberflächlicher Betrachtung aus. Wahrscheinlicher ist, dass Raymond auf Felix eifersüchtig ist, weil Felix der Freund von Peter ist und er, Raymond, ja schliesslich auch einmal etwas mit Peter hatte und immer noch auf Peter steht. Alle stehen auf Peter, the sexiest man alive: Boys, Girls, Männer, Frauen. Gott hat Peter die Gabe der Bisexualität gegeben, so dass dieser mit seinem ihm ebenfalls von Gott geschenkten grossen, herrlich geformten Schwanz alle beglücken kann.) Felix, der nicht ganz so weit denkt, er ist ja noch jung und immer noch etwas naiv, vermutet Berechnung: Aha, denkt Felix, Peter weiss, dass Raymond auf mich steht, und jetzt denkt er, die zwei sollen nur machen, dann bin ich frei und kann tun, was ich will. Raymond und Felix ziehen sich in einen anderen Raum zurück und trinken frustriert heftig Gin, Raymond stets beschäftigt, Felix auf seine Seite zu ziehen. Das ekelt Felix aber mit der Zeit immer mehr an. Raymond sagt: Komm, wir gehen, ohne Peter, wir können ja ein Taxi und dann den Zug nehmen. Er sagt: Wenn Peter dich nicht suchen kommt, dann liebt er dich nicht. Felix sagt: Ja, ich glaube auch, dass Peter mich nicht mehr liebt, aber ich liebe eben ihn. Das hört Raymond natürlich gar nicht gern und wird immer saurer. Peter sucht sie schliesslich nach objektiv gar nicht so langer Zeit dann doch und ist seinerseits verstimmt. Was seid ihr denn für Huschen, versteckt euch, um zu schmollen! Der Typ, mit dem sie ihn gesehen hätten, sei eine Affäre von früher, als er in Genf gearbeitet habe, der sei heute mit seinem Freund da und sie hätten sich nur mal eben wiedergesehen, so what? Der Typ sei bloss ein Betthäschen und nicht weiter interessant. Ja, natürlich, er habe mal mit dem süssen Kleinen zusammengewohnt und dieser habe ihn sogar heiraten wollen, aber ihn, Peter, habe das nur gelangweilt und er habe ihn rausgeschmissen. Er sehe zwar gut aus, zugegeben, sei aber etwas hohl in der Birne, wie Felix, dessen Eifersucht ja krankhaft sei. Peter spuckt fast aus vor Ekel. Warum sie sich überhaupt zurückgezogen hätten? Er habe sie bekannt machen wollen. Der Kleine habe gesagt, Felix und Raymond seien ein ganz reizender Anblick (Peter ist ein bisschen ein Voyeur und hat Felix auch schon aufgefordert, mit Raymond Sex zu machen, er wolle zuschauen und sich dabei einen runterholen. Hat aber nicht geklappt, Felix war zu nervös). Raymond quengelt, er will nach Hause, und Peter nennt ihn einen Egoisten. So pflegen halt alle ihre eigene Ichbesessenheit und werfen sie sich gegenseitig vor. Raymond und Peter, die Diva und der Macker, sind jetzt wirklich sauer aufeinander, während Felix Gott sei dank etwas aus der Schusslinie geraten ist, die Spannung aber dennoch nicht gerade als wohltuend empfindet. Es wird halt wieder kein sonderlich gelungener Abend. Schliesslich fahren sie nach Genf zurück, es ist jetzt vier Uhr in der Früh. Sie essen im «Bagdad», das schon oder immer noch geöffnet hat, Spaghetti. Dann fahren sie schweigend los, die Strassen sind natürlich immer noch vereist, aber Felix ist inzwischen zu müde, um ängstlich zu sein, zurück nach Bern, wo sie ungefähr um sieben Uhr ankommen. Das heisst, sie fahren zu Raymond oder vielmehr zu Erich. Dort schlafen Peter und Felix auf einer Matratze im Wohnzimmer, während Raymond sich schmollend in sein Kämmerchen zurückzieht, um zwei Zehner-Valium zu spicken.
Sie erwachen erst am Sonntagabend. Raymond will Pizza backen, aber Peter ist dafür, zu gehen, er findet die Stimmung ungemütlich. Raymond will, dass wenigstens Felix bleibt, aber Felix hat endgültig genug von diesen Dreiecksspielchen. Also essen Peter und Felix ihre Pizza im «Aarbergerhof». Und es kommt zu einer langen Diskussion. Felix versucht, Peter zu erklären, warum er eifersüchtig war und wieso ihn die Nacht in Genf so gestresst hat. Peter sagt, er gebe ja zu, dass das Ganze unglücklich gelaufen sei, aber er sei nun mal nicht der Typ, der sich seine Lust bei nur einer Person holen könne. Nein, Monogamie sei nicht sein Ding. Aber Felix sei seine Liebe und alles andere sei nicht ernst gemeint. Er wolle, dass sie ihre Seitensprünge nicht im Versteckten machen müssten. Ja gut, sagt Felix, für den sich diese Frage eher theoretisch stellt, da er viel zu sehr auf Peter fixiert ist, um an Seitensprünge zu denken, dafür sei er ja auch nicht, nur schon aus grundsätzlichen Überlegungen und aus politischen Gründen, aber er wolle wenigstens nicht unbedingt dabei sein, wenn Peter mit anderen flirte oder gar schlafe, weil Felix, wenn er mit Peter zusammen sei, sich ganz von ihm ausgefüllt fühle. Peter hört das einerseits gern, andererseits ungern. So wogt die Argumentiererei hin und her, bis sie genug von dem Gerede haben und ins Kino gehen, um sich den neusten «Star Wars»- Streifen reinzuziehen (es ist der erste der sechs Star-Wars-Filme mit dem Titel «A New Hope», aber, und jetzt wird es kompliziert, der vierte der ganzen Reihe, weil die Folgen 1 bis 3 erst in den späten Neunzigerjahren resp. den Jahren 2002 und 2005 in die Kinos kommen werden). Sie verbringen die Nacht bei Peter, und Felix darf ein bisschen mit dem Peter von Gott geschenkten, so herrlich grossen und herrlich geformten Ding spielen, so dass er eigentlich ganz glücklich ist, als ihn am nächsten Morgen, einem Montag, der Alltag wieder hat.
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Im nächsten Sommer wohnt Felix nicht mehr in Ostermundigen in der müffelnden Wohnung mit seinem Bruder zusammen, sondern für kurze Zeit in einem Zimmer im achten Stock des Studentenwohnheims in Bümpliz am Westrand von Bern. Da hat er zwar eine herrliche Aussicht ins Grüne, aber auch ziemlich neurotische Mitbewohner, die des Nachts vor dem Kühlschrank Wache schieben oder vielmehr sitzen, damit ihnen niemand ihre Cervelats klaut. Peter hat sich mal wieder aus dem Staub gemacht, wahrscheinlich überführt er einen Mercedes in den Nahen Osten oder so was und ist im Moment kein aktuelles Thema. Felix wird von Ernst, einem Mitglied der Schwulen-Gesprächsgruppe, dazu eingeladen, ihn auf eine Reise nach und durch Griechenland zu begleiten.
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