Dienstag, 5. Mai 2009

Eines Abends im Büro - ein kurzer Spionageroman




Ich hatte buchstäblich den ganzen Nachmittag im Büro verbracht, als ich plötzlich einen stechenden Schmerz in der Kreuzgegend verspürte. Ich wollte mich vom Drehsessel erheben, um ein paar Übungen zu machen, den Körper durchzustrecken, die Wirbelsäule abzurollen, die Hände hinter den Kopf zu legen und gleichzeitig den Rumpf zu drehen, tief durchzuatmen. Ging nicht. Ich konnte nicht aufstehen, konnte nicht tief durchatmen, die Wohltat, die Wirbelsäule abzurollen, blieb mir versagt. Das Telefon läutete. Laut, unverschämt laut. Ich liess es läuten, angewiderten Gesichts. Vor meinem geistigen Auge entstanden, ich weiss nicht warum, seltsame Tiergestalten. Eine Giraffe mit einem Elefantenkopf zum Beispiel. Ein Elefant mit einem Giraffenkopf. Ich musste lachen.

Es klopfte an die Tür.

Das Lachen hatte mir gut getan. Fast fröhlich rief ich: «Herein!» Die Tür, so konnte ich auf meinem Bürostuhl sehen, öffnete sich langsam. Es trat zögerlich ein kleiner dicker Mann herein. Er war einer unserer Bundesräte, ich erkannte ihn sofort.

«Wer sind Sie?» fragte ich trotzdem spasseshalber. «Ich bin vom Tierschutzverein», antwortete er schüchtern, mit kaum vernehmbarer Stimme. «Ich suche einen Elefanten mit einem Giraffenkopf. Solcherlei Vieh fällt nämlich hierzulanden unters Patentgesetz. Nun, haben Sie so etwas gesehen?» Ich musste nachdenken. «Kann sein, kann aber auch nicht sein.» Ich wollte mich nicht festlegen. «Es kommt mir irgendwie so vor. Andererseits ist es aber auch ziemlich unwahrscheinlich, wie Sie zugeben müssen. Ich schaue in letzter Zeit einfach zuviel fern. Am besten fragen Sie gleich das Fernsehen.»

Ich musste irgendetwas Falsches gesagt haben. Der kleine dicke Bundesrat wurde plötzlich gross und noch dicker, und vor allem sein Hals und seine Ohren begannen in einem erstaunlichen Mass zu wachsen. «Ich glaube, ich muss Sie verhaften», sagte er mit nun nicht mehr ganz so schüchterner Stimme.

«Bitte», antwortete ich darauf, noch immer in ziemlich humoriger Stimmung, «wenn Sie das schaffen, dann sind Sie nicht nur Tierschützer und Bundesrat, sondern obendrein auch noch Chiropraktiker, Physiotherapeut oder sonst etwas in dieser Art. Ich habe nämlich, wie ich vermute, einen Hexenschuss.»
So kam es denn, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben frisch von der Arbeit weg von einem dicken Bundesrat mit langem langem Giraffenhals und grossen grossen Chabisblätterohren durch die Stadt gebuckelt wurde. Es war grossartig, von so einem Bundesrat durch das Gewühl der Grossstadt getragen zu werden. Ehrlich, Sie müssen es auch einmal ausprobieren. Wenn keiner bei Ihnen vorbeikommt, finden Sie einen im Regierungsgebäude, Bundeshaus genannt. Item. Die Leute machten uns respektvoll Platz und allenthalben hub ein Murmeln und Getuschel an. Ein eifriges Rätselraten: Ist ers? Ist ers nicht? Man berührte seine Ohren. Natürlich ist ers, man erkennt doch die markante Person des Bundesrates, der ein Flair für medienwirksame Auftritte hat. Im vollgestopften Tram überliess man uns sofort einen der raren Sitzplätze. Die Leute glotzten. Ich winkte ihnen zu – zugegebenermassen etwas burschikos –, worauf sie ihre Blicke unwillig abwandten. Ein Bundesrat, ein gestandener Mann mit Silber im lichten Haar, der einen so jungen und hübschen Burschen in kurzen Hosen wie mich auf dem Buckel herumträgt, man denke nur! Das ziemte sich einfach nicht, war geradezu unanständig. Ein halbbesoffener Penner wollte von meinem Eselchen einen Stutz für ein Bier.

Das brachte mich auf eine Idee. «Komm, wir gehen doch auch noch ein Bier trinken, bevor wir zum feierlichen Akt der Verhaftung schreiten», schlug ich meinem Bundesrat vor und zog ihn an den Schlampiohren, worauf er mich an der nächsten Haltestelle brav aus dem Tramwagen trug.

In der Kneipe, einem Lokal, in dem dauernd die wunderlichsten Dinge passieren, achtete kaum jemand auf unseren Auftritt. Es kam, wie es kommen musste: Mein Eselchen, das sich von den seelischen Strapazen der letzten Stunde erholen musste, lag bald genug unter dem Tisch. Der Bundesrat, gewohnt, 15 Stunden pro Tag am Schreibtisch zu sitzen, zu schuften, zu malochen, zu baggern, zu entscheiden, zu konferieren, hatte seit seiner Altherrenzeit in der Studentenverbindung nicht mehr so gewaltig viel gesoffen. Schon bald begann er, die wildesten Staatsgeheimnisse auszuplaudern. Ich glaubte ihm kein Wort. Zu unwahrscheinlich, zu haarsträubend und abstrus war, was er mir und den andern Süffeln in der Runde aufzutischen versuchte. Als wir ihn auslachten, wurde er so wütend, dass wir ihn mit einem dreistöckigen Bäziwasser beruhigen mussten, worauf er zu allem Überfluss auch noch versuchte, die Nationalhymne abzusingen.

Die Episode hatte Folgen und auch wieder nicht. Sie hatte den Magistraten so aus der Bahn geworfen, dass er vortan dem Bäziwasser treu ergeben blieb. An der Politik unserer Regierung hat das allerdings nicht viel geändert.

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