Dass sich Richie in Robin verlieben würde, war weder wahrscheinlich noch vorhersehbar. Es widersprach im Gegenteil allem, was man von der Wirklichkeit – der wirklichen Wirklichkeit, aber auch der Wirklichkeit dieser Geschichte – zu erwarten bereit wäre. Richie war jung, ein erfolgreicher Sportler und Versicherungsbroker, er sah gut aus auf eine Weise, die seine Schönheit durch etwas Wildes, Dreckiges, ja Vulgäres zu einer sexuellen Verführungskraft steigerte, die kaum noch zu überbieten war. Richie war bei beiden Geschlechtern begehrt. Er hätte zahllose Affären haben können, aber das kam Richie überhaupt nicht in den Sinn; er war in Robin verliebt, und zwar ohne dass diese Liebe erwidert worden wäre. Robin hatte eine Stupsnase, Tränensäcke unter den Augen, kaum Haare auf dem Kopf und war exakt einen Meter 36 Zentimeter gross, also eher klein; schon fast kleinwüchsig. Ja, Richie hat sich in Robin verliebt, Sie haben schon richtig gehört. Nicht Robin in Richie, noch nicht oder nie.
Dass sich Robin in Richie verlieben würde, das könnten wir noch goutieren, das würde uns noch einleuchten, aber andersrum macht die Geschichte für die meisten Menschen einfach keinen Sinn. Es spricht gegen die Plausibilität, dass sich ein Schöner in einen Hässlichen, ein Grosser in einen Kleinen verliebt. Das kommt uns schon fast pervers vor. Oder zumindest leicht anrüchig. Aber es kommt vor. Lassen Sie sich das gesagt sein. Es kommt vor, und gar nicht mal so selten. Es kommt nicht häufig vor, zugegeben, aber immerhin, wie Sozialwissenschaftler wohl sagen würden, mit einer Wahrscheinlichkeit im statistisch relevanten Bereich.
Wenn Sie wüssten, was nicht alles vorkommt! Unglaublich, was da alles unter dem Deckel schlummert und wummert und wabert und sich windet, diese Schlangenbrut im Abgrund der Seele, da sind die Geschichten in den Boulevardblättern das reinste Nasenwasser dagegen. Und es sind meistens nicht mal die ganz schlimmen Sachen, die das Licht des Tages und des Bewusstseins scheuen; wie die grosse Mehrheit unter uns nicht die Bestimmung zum grossen Helden, Heilige oder Geistesriesen in dieses Erdenleben mitbringen, so sind auch die meisten nicht zum grossen Verbrecher oder Unhold geboren. Das, was wir unter dem Deckel verbergen, ist uns meist schlicht peinlich; oder wäre uns peinlich, wenn wir uns dessen bewusst wären.
So wäre es auch Richie peinlich gewesen, wenn es ihm bewusst gewesen wäre, dass er sich in Robin verliebt hatte, und dass er sich deshalb nicht auf die zahllosen Affären einliess, die er hätte haben können. Es war aber Richie nicht bewusst; nur dass er so ein komisches Zerren und Ziehen in der Magengegend spürte, wenn er Robin sah. Und dass er eben keine Lust hatte, sich auf die zahllosen Affären einzulassen, die ihm angetragen wurden. Richie begegnete Robin relativ oft; sie waren Nachbarn. Richie wohnte allein und seine Wohnung war infolgedessen eine Junggesellenwohnung; Robin, lebte mit seiner normal grossen – oder annähernd normal grossen, sie war etwa eins sechzig – Schwester zusammen. Diese Schwester, man ahnt es, war heimlich in Richie verliebt. Damit verdichtet sich das eng gesponnene Netz aus Tragik, das über dieser Geschichte liegt, noch einmal erheblich. Wir dürfen davon ausgehen, dass Robin Richie ebenfalls nicht grundsätzlich abgeneigt ist; aber er kommt sich durch jegliche Art von Zuwendung von Seiten Richies, sei diese nun positiver oder negativer Art, verhöhnt, ja verarscht vor. Also macht er sich abweisend, stachelig, widerborstig, was wiederum Richie verstört, der allmählich seinen wahren Gefühlen auf die Spur kommt. In einer aklhol- und tränenreichen Nacht gesteht er sich selber seine Liebe zu Robin ein. Er ist verzweifelt, dass sein Angebeteter nichts von ihm wissen will und, je mehr er um ihn wirbt, desto weniger von ihm wissen will. Schliesslich wirft er sich in einem Anfall von akuter Verzweiflung vor den Zug. Robin aber verbittert ob der Tatsache, dass niemals jemand ihn begehren, ihn lieben wird. Man darf davon ausgehen, dass ihn ein einsames Alter erwartet. Und Robin Schwester, die in dieser Geschichte nicht mal einen Namen hat? Die heiratet einen andern, von dem sie sich später wieder scheiden lässt; ihren Bruder verleugnet sie vor ihren Kindern, die alle mindestens einen Kopf grösser sind als sie.
Samstag, 13. Februar 2010
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