Donnerstag, 23. Juli 2009
Traurige Jäger (5)
Don Quichotte, der im Wald zurückgebliebene, hatte inzwischen viel nachgedacht und die Waffe, die er als Laserkanone erkannte, genauestens untersucht. Diese Waffe, sagte er sich, sieht zwar haargenau wie eine Pistole aus, aber das ist genauso Tranung, wie es bei den Fahrrädern, die eigentlich Lufthunde, bei den Maschinen, die Cerebraner und bei den Menschen, die in Wirklichkeit Toboser sind, der Fall ist. Das ist eben das Problem, dachte Don Quichotte. Einiges ist getarnt, anderes nicht. Einiges ist Sein, anderes bloss Schein. Und die Kunst, die den grossen Kämpfer auszeichnet, ist es, stets dasWahre vom Falschen unterscheiden zu können. Die Kunst, jeden Augenblick vollständig wach zu sein – Bewusstheit ist das ganze Geheimnis. Ein gewöhnlicher Mensch, ein Mensch wie Sancho, dachte Don Quichotte, wird dieses Geheimnis nie durchdringen. Menschen denken nur ans Fressen und Saufen und Vögeln, sie streiten sich über Kleinigkeiten und Nichtswürdigkeiten, sie hängen ihr Herz an Dinge, die vergänglich sind, sie suchen im Unbeständigen das Glück, sie sind eitel, selbstsüchtig, gefallsüchtig, machthungrig und dumm Wenn er, Don Quichotte, ihnen nun die Befreiung aus der Sklaverei der Cerebraner brachte, so hatten sie es eigentlich gar nicht verdient. Im Grunde, so schien es ihm, liebten die Menschen die Ketten dieser Sklaverei sogar. Aber ein Streiter Tobosos verlangt keine Dankbarkeit für seine Taten, denn ihm winkt höherer Lohn. Und Don Quichotte dachte einamal mehr an die Kugeln, die im Zwischending aus Wasser und Luft schwammen. Oder flogen.
Über diesen Gedanken war es fdämmrig geworden, schon fast Nacht. Sanchos Erkundungsgang schien sich in die Länge zu ziehen. Oder hatte sich dieser Tölpel etwa gar entlarven lassen und befand sich nun in der Hand der Feinde? Aber nein, das konnte nicht sein. Die Cerebraner waren bestimmt nicht an einem Sancho Pansa interessiert. Aber vielleicht wollten sie ja ihm, Don Quichotte von Toboso, eine Falle stellen? Sancho als Geisel behalten, ihn womöglich in eine Maschine verwandeln? Oder gar in einen Cerebraner?
Don Quichotte konnte nicht mehr länger warten. Er musste jetzt augenblicklich etwas tun, Freund Sancho befreien, die Cerebraner bekämpfen. Schon sass der tobosische Ritter auf seinem Lufthund und brauste davon. Kaum zehn Minuten später näherte er sich dem bewaffneten Maschinenpark der Armee. Er realisierte sofort, dass sich in diesem Park ein Cerebraner versteckt hielt. Don Quichotte stieg vom Rad und stellte den Lufthund an einen Baum. Robbte auf allen vieren dem Rand der Böschung zu, an deren Fuss der Maschinenpark lag. Sah die Fahrzeugem die Soldaten im Mondlicht stehen. Alles war ruhig und beinahe friedlich, einer der Soldaten hatte sich, obwohl das befehlswidrig war, den Helm vom Kopf genommen, ausserdem nahm er sich hie und da einen heimlichen Schluck zur Brust, worauf der Flachmann jeweils wieder in die dafür bestimmte Tasche des Kampfanzuges wanderte.
Doch Don Quichotte war ein zu erfahrener Kämpfer, um sich von dieser Idylle einlullen zu lassen. Sein und Schein, dachte er grimmig, Sein oder Nichtsein ist hier die Frage. Nach kurzer Observation wusste er, wo der Hund begraben respektive in welcher Gestalt sich der Feind verbarg. Es war das lausigste und am meisten verdreckte Exemplar unter all den Jeeps, die da herumstanden. Du bist erkannt, sagte Don Quichotte leise zu sich selbst zwischen den Zähnen hindurch, und wirst jetzt vernichtet.
Wobei er die Pistole aus dem Gurt zog und abdrückte. Er schoss ein-, zwei-, fünf-, zehnmal auf den vor Schreck erstarrrten Cerebraner, der von dem Überraschungsangriff des gewieften Strategen völlig überrumpelt wurde und, als eine Kugel in den Pneu eindrang, mit leisem Pfeifen in die Knie ging. Es gab ein wahres Stahlgewitter, dann gab es einen noch lauteren Knall, und der Jeep, am Benzintank getroffen, stand in hellen Flammen. Don Quichotte triumphierte in seinem Innern. Die erste Prüfung war bestanden.
Don Quichotte näherte sich dem Wagenpark. Er musste den Wache schiebenden Soldaten, die den Cerberaner für einen Jeep gehalten hatten, doch erklären, warum er geschossen hatte. Diese Soldaten, von denen es, wie man jetzt sehen konnte, nicht nur zwei, sondern drei, gar vier auf dem Platz gab, waren über den Angriff des Tobosers so erschrocken, dass sie mit totenbleichen Gesichtern und offenem Mund einfach dastanden, als sie die hagere, grosse Gestalt des Don Quichotte in den kummerschen Shorts und mit der Pistole in der hand auf sich zukommen sahen. Und dann ging alles sehr schnell. Unser edler Ritter, der die Arme geöffnet hatte, um den erstbesten der Soldaten zu umarmen, wurde mit einem brutalen Fausthieb, niedergestreckt, so dass seine Laserkanone in hohem Bogen in der Dunkelheit verschwand. Da lag er nun am Boden, unser Held, und die uniformierten Mannen standen mit ratlosen Gesichtern um ihn herum.
Der Korporal war, wie sich dies gehört, der erste, der seine Fassung wiedererlangte. Mit befehlsgewohnter Stimme schickte er einen seiner Soldaten in die «Krone». Wo er seinen vorgesetzten Offizier vermutete, der um diese Zeit meist selbst schon einen in der Krone hatte. Dann führte er dem Delinquenten, der aus einer offenbar nur schwachen Ohnmacht – Toboser sind hart im Nehmen – wieder halbwegs zum Bewusstsein gefunden hatte, zu einer ersten Vernehmung persönlich ins Wachquertier. Zwar war der Korporal für einen Moment geneigt zu glauben, dass das soeben sattgefundene Ereignis zum Manöver gehöre. Inszentiert, um die Effizienz des Wachdienstes zu testen. Aber dafür schien ihm das Vorgehen des langen Dünnen denn doch zu radikal. Zudem war der da ein allzu komischer Vogel, um reguläres Mitglied der Truppen zu sein. Nein, kam der Korporal in seinem Gedankengang zum Schluss, dieser Delinquent war echt. Unerhört so was.
«Wie heissen Sie?» fragte er Don Quichotte deshalb streng, «Name, Vorname, Adresse, Beruf, Alter, AHV-Nummer und so weiter, aber ein bisschen plötzlich!» Der Korporal hätte sich jetzt gerne von aussen gesehen. Er war bestimmt. Er hatte die Situation im Griff. Er war grossartig! Hoffentlich sahen die anderen das auch so.
Don Quichotte, den der rüde Ton und die schlechten Umgangsformen des Unteroffiziers ein bissschen irritierten, setzte eine womöglich noch würdevollere Miene auf. «Wer ich bin, junger Mann, kann ich Ihnen nicht sagen, denn das ist vorläufig noch geheim. Nur so viel: Ich habe eine Mission zu erfüllen, eine sehr wichtige Mission. Und: wir bekämpfen einen gemeinsamen Feind. Soviel muss vorläufig genügen.»
Der Unteroffizier rieb sich innerlich die Hände vor Vergmügen. Er war jetzt überzeugt davon, einen gefährlichen Spion oder Terroristen verhaftet zu haben. Erstens der dunklen Andeutungen des Fremden wegen, zweitens, weil dieser ein Deutsch mit eindeutig fremdländischem Akzent sprach. Er steckte den Delinquenten also ohne weitere Diskussionen in die Arrestzelle, um in näherer Zukunft das Erscheinen seines vorgesetzten Offiziers und in etwas fernerer Zukunft seine Beförderung abzuwarten.
Etwas später traf der diensthabende Offizier tatsächlich ein. Verärgert zwar, weil manihn mitten aus dem schönsten Jassen und von einem ausgezeichneten kühlen Rosé weggeholt hatte, aber auch alarmiert von den haarsträubenden Neuigkeiten des Soldaten. Dass jemand ohne Erlaubnis und Anweisung von höherer Stelle einen Armeejeep in Brand schoss, das war in seiner Militärkarriere bisher noch nie vorgekommen. Er hatte schon jetzt das Gefühl, dass das eine Sache sei, die seine Kompetenz übersteige.
Don Quichotte sass inzwischen auf der Pritsche im Arrestlokal, innerlich ruhig, denn er fühlte sich gut, da er ja wusste, was wirklich los war. Am liebsten hätte er ein Lied vor sich hingeträllert, und zwar ein tobosisches, aber in Toboso gab es leider keine Lieder. Bei Bewohnern eines Luft-Wasser-Gemisches kann sich nun mal keine Gesangskultur entwickeln. Dann öffnete sich die Tür. Davor oder dahinter stand der Offizierm gross und breit, mit hinter den Ordonanzhgurt gklemmten Daumen. «Gut, dass Sie da sind», sagte Don Quichotte, «ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen.» Der Offizier war perplex. «Erlauben Sie mal! Sie haben hier nur zu reden, wenn man Sie fragt! Sie haben eine Schweinerei angerichtet, eine Riesenschweinerei, und…» Aber Don Quichotte liess ihn nicht weiterreden. «Wir habenjetzt keine Zeit, uns mit solchem Firlefans aufzuhalten, mein Herr. Dire Lage ist ernst. Die Cerebraner sind daran, die Erde zu unterjochen, und sie…» Der Offizier horchte auf. «Wovon sprechen Sie eigentlich?» fragte er argwöhnisch. «Von der Operation Cerberus natürlich! Sie ahnen ja nicht, was der vermeintliche Jeep in Wirklichkeit…» Aber der Offizier hatte nur den Namen Cerberus gehört. So wusste dieser lange Kerl also, wie ihre streng geheime Gesamtverteidigungsübung hiess! Verdächtig, höchst verdächtig! «Wache verdoppeln!» befahl er dem Korporal. Dann machte er sich auf den Rückweg zum Hotel Sonne. Erst wurde einem Offizier die Ordonanzpistole entwendet, dann ein Jeep in Brand geschossen, des weiteren kannte der Terrorist den geheimen Namen der Gesamtverteidigungsübung, und schlussendlich wurde auch noch der Rosé warm. Das schlug doch dem Fass den Boden aus, aber wirklich!
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