Als Sancho erwachte, ging es zwar schon gegen Abend, aber die Sonne schien noch immer und es war sehr heiss. Sancho verspürte in erster Linie Durst, und zwar einen ganz spezifischen Durst, nämlich den typischen Durst, den man so oft im Sommer nach einem herrlich kühlen Bier verspürt. Dieser Durst war so gross, dass Sancho beinahe in das sehnsüchtige Seufzen und Stöhnen seines Herrn eingestimmt hätte. Don Quichotte allerdings verlangte es nach allem anderen mehr als nach einem Bier, als Streiter Tobosos kannte er nur den Durst auf Bewährungsproben und auf Kampf. Zweitens verspürte Sancho, wenn er etwas genauer in sich forschte, einen vorerst leise, aber immer intensiver bohrenden Hunger. Also sprach Sancho zu seinem Herrn und Meister: «Ihr, der ihr ein Wesen von einem fremden Planeten seid, mögt ja über ein so irdisches Verlangen wie das nach einem kühlen Bier und nach einer einfachen Mahlzeit – zum Beispiel nach einem Stück Brot und einer kräftig gewürzten Chorizo-Wurst (ich gestehe, das Wasser läuft mir im Mund zusammen) oder einer währschaften Tortilla, wie sie bei uns auf dem Land vom Volk geschätzt wird, um nicht zu sprechen von einer Riesenplatte Paella mit oder meinetwegen, wenn auch ungern, ohne Meeresfrüchte, meilenweit erhaben sein: Ich bin und bleibe Mensch, und ein Mensch muss essen und trinken, oder trinken und essen, sonst kann er nicht denken und nicht handeln. Ich werde mich deshalb ins Dorf oder Städtchen zurück verfügen und meine notwendigsten Bedürfnisse zu befriedigen (denn Gott sei Dank ist in der Börse dieses rätselhafterweise am frühe Morgen schwimmenden älteren Herrn noch etwas Geld vorhanden), ferner die Lage auskundschaften und die Stärke der Feinde, sprich Cerebraner, erforschen. Da ich erstens allein und zweitens wie eine Frau gekleidet bin, Gott seis geklagt, wird niemand auf die Idee kommen, ich könnte Sancho, Assistent des Don Quichotte von Toboso, sein.»
Don Quichotte wunderte sich über diese lange Rede seines sonst nur im Anrufen der Heiligen so eloquenten Begleiters. Obwohl er ihm die Auskundschaftung der Cerebraner nicht so recht zutraute, liess er seinen durstigen und hungrigen Freund losziehen. Denn es war jetzt an der Zeit, einen Schlachtplan für die Nacht auszuhecken. Und Pläne konnte er am besten schmieden, wenn er allein war und seine Ruhe hatte.
Lufthunde, brummelte Sancho kopfschüttelnd, Lufthunde, während er mühsam auf sein Fahrrad kletterte. Mit stets wachsender Geschwindigkeit, denn dieses Mal ging es abwärts, näherte er sich dem Ort. Die Armeepräsenz auf den Strassen und Plätzen war geringer geworden, das supponierte Schlachtengetümmel hatte sich auf den Abend hin mehr ins freie Gelände und die Landschaft hinein verschoben in Form von Truppenbewegungen auf 20-, 50- oder gar 100-Kilometer-Märschen, Schiessübungen, Biwakierungen mit anschliessendem «Feindkontakt» etc., während im Dorf oder Städtchen, das als Ausgangspunkt der Aktionen und Kommandositz fungierte, sich nur noch einige Offiziere befanden, die Nachrichtenzentrale, die stehende Feldküche, das Lazarett und ein mit Stacheldraht umzäunter, schwer von Soldaten mit scharf geladenen Gewehren bewaffneter Maschinenpark, der einige Militärlastwagen, Jeeps, Artilleriegeschütze, Flabkanonen etc. enthielt, die in dieser Nacht vom Kriegsgeschehen ausgeschlossen sein sollten.
Sancho entschloss sich, das Gasthaus von heute morgen zu meiden, doch gab es in dem Ort als einem Garnisonsstädtchen viele andere Wirtschaften, denn Soldaten sind hungrige und vor allem durstige Gesellen. Heute allerdings, der Übung «Cerberus» wegen, herrschte die Zivilbevölkerung in den Lokalen vor, aber auch die Zivilbevölkerung war an diesem Abend sehr durstig, die Gartenwirtschaften waren voll und lärmig, und das Bier floss in Strömen. Es war einer jener närrischen Sommerabende, zwei Tage vor Vollmond, an denen selbst den ernsten und gesitteten Menschenschlag in diesem Land ein Hauch vin Übermut, der dann allerdings leicht in Mutwillen umschlägt, streift.
Sancho betrat also eine der zahlreichen Gartenwirtschaften des Städtchens und setzte sich still und bescheiden an einen Tisch, an dem schon zwei junge Burschen sassen, mit vollen Halblitergläsern Bier vor sich. Die beiden schienen schon einige dieser Humpen geleert zu haben, denn ihre Gesichter waren rot und schweissgläzend, ihre Augen unnatürlich blau, sie lachten viel und hieben sich gegenseitig die Hand auf die Schultern. As sie Sancho – im geblümten Rock und Frau Kummers ausladenden Sonnenhut auf dem Kopf – bewusst wahrnahmen, ging der Spass aber erst richtig los. Sancho schäumte und kochte innerlich vor Wut, bedachte dann aberm dass es erstens – zwei gegen einen – im Fall eines handfesten Streits einen ungleichen Kampf geben würde, dass er zweitens in einer wichtigen Mission unterwegs war und deshalb seine Tarnung auf keinen Fall aufgeben durfte, und dass er drittens immer noch Durst hatte und jetzt endlich ein kaltes Bier wollte.
Montag, 20. Juli 2009
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen