Montag, 8. Dezember 2008
Der Teufel im Schatten der Türme
Am 6. November fliegt Felix mit Malaysian Airlines zunächst nach Kuala Lumpur, und es ist das erste Mal, dass er Business-Class fliegt. Es ist das erste Mal, dass er sich das leisten kann, da er, nachdem anfangs 2004 auch seine Mutter gestorben ist, von seinen Eltern etwas Geld geerbt hat. Er schenkt sich diese besondere Reise selbst zum fünfzigsten Geburtstag. Felix könnte sich durchaus an ein wenig Luxus gewöhnen. Natürlich ist die Langestreckenfliegerei auch in der Business-Class nicht das reinste Vergnügen, aber viel angenehmer als in der «Holzklasse» ist es natürlich schon, und das nicht in erster Linie wegen des aufmerksameren Service, des Champagners und des besseren Essens, sondern vor allem wegen der viel komfortableren Platzverhältnisse und einem Schalensitz, der sich waagrecht stellen und schon fast zum Bett umfunktionieren lässt. Der Flug verläuft auf diese Weise für Felix also relativ angenehm, auch wenn es, wie immer, etwas irritierend ist, am Nachmittag loszufliegen und elf Stunden später, wenn man so richtig müde ist, am Morgen am südostasiatischen Zielort, in diesem Fall in der malaysischen Metropole, anzukommen. Geschlafen hat Felix im Flugzeug nämlich trotz Schalensitz, einigen Drinks und einer geringen Dosis Beruhigungsmittel praktisch nicht; er leidet immer noch unter Flugangst.
Felix hat zwei Tage in der malaysischen Hauptstadt eingeplant und gönnt sich drei Übernachtungen im «Le Meridien». Eigentlich ist im Stopover-Arrangement der Transport vom Flughafen zum Hotel mit inbegriffen, aber natürlich gibt es im Flughafen von Kuala Lumpur niemanden, der Felix erwarten würde. Wenn er sich vorher informiert hätte, dann wüsste Felix, dass vom Flughafen seit 2002 eine moderne und sehr bequeme Schnellbahn, der KLIA Ekspres, ins Stadtzentrum fährt, und zwar in den Sentral-Bahnhof, den Hauptbahnhof, über welchem als einer der beiden Türme neben dem Hilton das Le Meridien in den blauen Tropenhimmel ragt. Da sich Felix aber nicht informiert hat, nimmt er nicht die Bahn, sondern ein Taxi, das von einem Chinesen gefahren wird, und lässt sich die rund 50 Kilometer durch palmenbestandene Haine zur Stadt chauffieren. Der Chinese erzählt Felix, dass nur etwas mehr als die Hälfte der Malaysier Malaien seien und dass es vor allem viele Chinesen, aber auch eine grosse Gruppe Inder im Land und in der Stadt gebe, drei Volksgruppen, die nicht immer friedlich zusammengelebt hätten. Und er will Felix zudem gleich allerhand zeigen und vermitteln und mit ihm abmachen und überhaupt eine wichtige Rolle im Leben von Felix spielen. Er gibt Felix seine Visitenkarte und Felix verspricht hoch und heilig, den Taxifahrer heute oder morgen abzurufen.
Das Hotel ist der Hammer. Vom Hauptbahnhof führt ein Lift direkt in die pompöse Eingangshalle mit riesigem Kronleuchter und dezenter Piano-Bar. Der kleine Herr Felix staunt wieder einmal mit offenem Mund. Sein Zimmer befindet sich im 28. Stock und bietet durch die imposante Fensterfront, die die ganze Wand einnimmt, einen atemberaubenden Rundblick auf die Skyline der erstaunlich grünen Stadt auf dem gegenüber liegenden Hügelzug, da, wo auch die Petronas-Doppeltürme stehen. Tief unter sich sieht Felix das langgestreckte Gebäude des Nationalmuseums und ein Gewimmel von Autostrassen. In der Nacht verwandelt sich diese Szenerie in ein funkelndes Lichtermeer. Es ist fast schade, ein Hotelzimmer wie dieses überhaupt zu verlassen. Vorerst ist Felix sowieso so müde, dass er sich ein wenig hinlegen will. Nicht lange, bloss so ein Stündchen...
Als Felix wieder erwacht, ist es bereits später Nachmittag – Zeit für einen ersten Bummel durch die Stadt oder doch wenigstens durch die – meist indisch geprägten – Viertel, die nahe beim Hotel gelegen sind. Als es dunkel wird, kauft Felix in einem Wahrenhaus eine Flasche australischen Rotwein, mit der er später von seinem Hotelzimmer aus den Rundblick über die Stadt geniessen will und nimmt dann den gediegenen Service einer Freiluft-Swimmingpoolanlage mit Bars und tropischem Garten im zehnten Stock in Anspruch, der für die Gäste beider Hoteltürme, des Hilton und des Le Meridien, zugänglich ist und von ihnen benutzt werden kann. Felix schwimmt ein bisschen, trinkt an der Bar ein Bier und könnte sich für einmal so fühlen wie die Leute in den amerikanischen Filmen, die immer in solchen Hotels verkehren, aber Felix kommt sich vor allem ein bisschen komisch vor, in einem Zwischenzustand – nicht mehr zu Hause und noch nicht am Ziel angekommen –, der ihn diese Umgebung als ein bisschen irreal empfinden lässt.
Felix schläft dann, nach dem Genuss der Flasche Wein, trotz der Zeitverschiebung und obwohl er eben erst geschlafen hat, ziemlich rasch wieder ein und hat am anderen Tag, den er nicht allzu spät in Angriff nimmt, seinen Jetlag schon fast überwunden. Es gibt ein üppiges Frühstücksbuffet, an dem man es so oder so halten kann – deftig britisch oder nudelig-asiatisch –, mit überaus reizenden und zuvorkommenden Kellnern, die sogar Zeit für ein kleines Schwätzchen haben und alle Nase lang den Tee nachgiessen. Danach hat Felix sich für eine Stadtrundfahrt im Kleinbus angemeldet, an der neben ihm noch etwa fünf Personen aus anderen grossen Hotels der Stadt teilnehmen (ein Paar aus Syrien, mit dem Felix einige Worte wechselt, Japaner, ein paar britische Langnasen sind wohl auch dabei). Es ist bewölkt und ab und zu tröpfelt auch ein wenig Regen aus dem bleigrauen Himmel, dabei ist es drückend heiss, ein Klima wie in einer Waschküche, das einem um den Kopf geklatscht wird, wann immer man dem klimatisierten Kleinbus entsteigt. Sie besichtigen die Sehenswürdigkeiten KLs, wie die Stadt meist genannt wird: Die Petronas Towers, die auch bereits vor dem 11. September 2001 mit 452 Metern höchsten Zwillingstürme der Welt, ragen über einer der grössten Malls Malaysias, des Suria KLCC, in den Himmel. Der umgebende Stadtteil, «Goldenes Dreieck» genannt, bildet den kommerziellen Mittelpunkt der Stadt und ist darüber hinaus Zentrum eines reges Nachtleben – dies trotz streng islamischer Gesetzgebung in diesem Land. Auf dem Dataran Merdeka oder Merdeka Square, dem Platz der Unabhängigkeit, wurde am 31. August 1957, dem Unabhängigkeitstag, erstmals die malaiische Nationalflagge gehisst; zuvor war der grösste Teil Malaysias britische Kolonie gewesen. Der Kleinbus führt unsere kleine Touristengruppe zur Istana Negara, der Residenz des malayischen Königs, des repräsentativen Staatsoberhauptes, der alle fünf Jahre aus den Reihen der Herrscher der neun Sultanate nach dem Rotationsprinzip ausgewählt wird, und zu den Lake Gardens, einem 92 Hektar grossen Park in der Nähe des malaiischen Parlaments, der in früheren Zeiten einem britischen Kolonialvertreter gehörte. Innerhalb des Parks gibt es spezielle Areale für Schmetterlinge, Rotwild, Orchideen und Hibiscus sowie den grössten Vogelpark Südostasiens. Interessant ist auch der alte Bahnhof (Kuala Lumpur Railway Station) im viktorianischen Architekturstil, der 1911 fertig gestellt und im Jahr 2001 durch den neuen Hauptbahnhof (KL Sentral) abgelöst wurde, über den, wie erwähnt, das Meridien und das Hilton ragen. Aktuell dient der alte Bahnhof, ähnlich wie die Grand Central Station in New York, nur noch als Lokalbahnhof für den Nah- und Pendelverkehr. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist das hemmungslos pathetische Nationaldenkmal (Tugu Negara), das die Gefallenen des malaiischen Freiheitskampfes während der japanischen Besatzungszeit und des anschliessenden Notstands (von 1946 bis 1960) ehrt. Da in Kuala Lumpur, wie gesagt, viele Chinesen und Inder leben, gibt es in der Stadt eine grosse China Town mit einem Chinese Night Market, einen indischen Markt und einige interessante Hindutempel. Als koloniales Erbe findet sich in KL auch eine anglikanische Kathedrale, dominante Religion ist aber natürlich der Islam, weshalb Moscheen wie die Masjid Jamek oder die postmoderne Nationalmoschee (Masjid Negara) im Stadtbild von zentraler Bedeutung sind. Dem malayischen Nationalmuseum (Muzium Negara), das Felix von seinem Hotelzimmer aus tief unter sich winzig klein wie ein Merklin-Modellhaus sehen kann, statten sie ebenfalls einen Besuch ab.
Im Internet hat Felix recherchiert, dass Homosexualität in Malaysia eigentlich gesetzlich immer noch verboten ist. Es lassen sich im Netz aber trotzdem ein paar Lokale und Treffpunkte ausfindig machen, unter anderem ein Lokal mit «Massage-Boys». Felix fährt mit der Hochbahn ins Zentrum hinüber, aber irgendwie gelingt es ihm nicht, die Adresse mit diesem Laden zu finden. Als Felix dann so orientierungslos in der Gegend herumstoffelt, wird er von einem der unvermeidlichen Taxifahrer KLs angesprochen, dem Felix erklärt, was er sucht – aber offenbar nicht deutlich genug. Zwar bringt der Taxifahrer Felix an einen Ort, wo Mann sich massieren lassen kann, aber es sind ausschliesslich junge Mädchen zugegen, worauf Felix auf diesen Service dankend verzichtet und sich wieder dem Komfort seines Hotels hingibt.
Schliesslich soll Felix sich ja morgen auch mit seinem Liebsten, Aluk, treffen, mit dem er inzwischen seit über einem Jahr nach kantonalzürcherischem Recht verpartnert ist, wie das so schön heisst; Felix ist mit seinem Freund also quasi verheiratet, was einerseits damit zu tun hat, dass Aluk nun ganzjährig in der Schweiz leben darf, andererseits aber auch damit, dass Felix dies ganz altmodisch als partnerschaftliche Verpflichtung versteht.
Anderntags hat Felix noch einmal etwas Zeit für einen Stadtbummel, denn sein Weiterflug nach Bali ist erst auf 15 Uhr vorgesehen. Er treibt sich in gigantischen Konsumtempeln herum, deren eines den für ein Einkaufszentrum eigenartigen Namen Setan (Teufel) trägt, und möchte dann auf die Aussichtsplattform der Petronas-Türme, aber der Zugang zu ihr ist den ganzen Tag für Schulklassen reserviert. Dass das Einkaufszentrum quasi ein Konsumtempel ist, der dem Teufel gewidmet sein soll, hat seine fast biblische Folgerichtigkeit.
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1 Kommentar:
Wird die Geschichte weitergehen? Bin schon gespannt!
Adrian
http://literaturblog.ch
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