Montag, 17. März 2008
1988
Die UdSSR unterzeichnet in Genf den Rückzugsvertrag aus Afghanistan. Das Ende des Kommunismus beginnt in Ungarn, wo alle politisch wichtigen Posten von Reformpolitikern übernommen werden. Der immer blutiger gewordenen Erste Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran wird im August mit einem Waffenstillstand de facto unentschieden beendet. Zum neuen Präsidenten der USA wird George Bush (der Senior) gewählt. Mit einem Waffenstillstand zwischen den angolanischen Befreiungsarmeen, Kuba und Südafrika kommt der dreizehnjährige Bürgerkrieg in Angola zunächst zu einem Stillstand. Er flammt aber wenig später wieder auf.
Die Olympischen Spiele in Seoul bringen mit dem Sprinter Ben Johnson endlich an den Tag, dass gesundes Essen und hartes Training allein sehr oft nicht zum Erfolg im Spitzensport ausreichen. Boris Becker gewinnt als erster Deutscher das New Yorker Masters-Turnier, und Steffi Graf gewinnt den «Grand Slam» und obendrein olympisches Gold in Seoul. Forscher finden in einer israelischen Höhle fossile Reste eines Homo Sapiens einer überraschend modernen Form. Die Knochen sind offenbar 92000 alt. Erstmals wird ein Wirbeltier patentiert: Das US-Patent Nummer 47368666 wird für eine gentechnisch manipulierte Maus erteilt, deren genetischer Fingerabdruck mit dem des Muttertieres übereinstimmt. Der deutsche Hochgeschwindigkeitszug ICE stellt auf der Strecke Fulda-Würzburg mit 406 kmh einen neuen Rekord auf. Anlässlich des 70. Geburtstages des seit 24 Jahren inhaftierten Nelson Mandela findet im Londoner Wembley-Stadion ein Benefiz-Festival statt. 200 Millionen Menschen verfolgen das Spektakel am TV. Es stehen unter anderem George Michael, Peter Gabriel, die Simple Minds, Tracy Chapman, U2, Meat Loaf, Eurythmics, UB40, Bryan Adams, Joe Cocker, Whitney Houston, Miriam Makeba, Youssou N’Dour, Sting und Steve Wonder auf der Bühne.
Jetzt fährt der Zug in Utrecht ein. Die Holländer sind gelassene und manchmal ausgelassene Leutchen, freundliche Kinder des Südens, denen man hier im Norden immer wieder überrascht begegnet. Das nimmt Felix jedenfalls an. Holländische Bahnarbeiter stehen auf dem Bahnsteig und lachen und johlen dem Zug nach; der Schaffner geht pfeifend durch den Zugskorridor. Es ist neblig, milchig, regnet ein bisschen. Das Land der Holländer ist flach. Felix ist froh, dass es dieses Land gibt, und er hofft, dass es trotz aller möglichen und gar wahrscheinlichen Klimakatastrophen noch viele tausend Jahre lang nicht im Wasser versinken wird. Die holländischen Berge werden den Holländern bei einer Überschwemmung allerdings keine grosse Hilfe sein. Felix hört passenderweise in seinem Walkman gerade einen Song der neiderländischen Band The Nits mit folgendem Text: I was born in the valley of bricks/Where the river runs high above the rooftops/I was waiting for the cars coming home late at night/From the Dutch mountains. Felix sitzt jetzt im Zugsrestaurant. Er will, wenn die deutschen Zöllner kommen, sicher hinter einem Glas Bier versorgt sein. Auf der Hinfahrt wurde er schon total auseinander genommen (sieht Felix so staatsgefährdend aus oder einfach wie das personifizierte schlechte Gewissen?).
Inzwischen hat er den Zug gewechselt und sitzt jetzt im «Rheinpfeil». Er liest in einem Krimi («Kopps letzter Fall» von einem gewissen Christian Urech, einem Sonntagsmaler des Worts, erschienen im Verlag Rosa Winkel. Nein, wir müssen uns schon wieder korrigieren: Dieser Krimi wird ja erst in zehn Jahren auf den Buchmarkt geschmissen werden. Der Krimi, den Felix im Rheinpfeil liest, heisst «Ein Fall für Brandstätter»). Der Held, also der Detektiv oder Ermittler, ist schwul, sonst unterscheidet sich der Krimi nicht sehr von anderen Titeln dieser literarischen Gattung.
Am Donnerstag, als Felix in Basel ankommt, so gegen sechs am Abend, ist er schon ein bisschen angesoffen vom vielen Bier im Zug. Er ist in einer gefährlichen, mutwilligen Stimmung. Stellt das Gepäck am Bahnhof ein und geht in die Stadt, um zu essen. Als man ihm in der «Hasenburg» erst keinen Platz geben will («Dies ist ein À-la-carte-Restaurant, Monsieur, und kein Ort für besoffene Penner, die nicht einen müden Franken in der Tasche haben»), wird Felix ziemlich böse. Dass der Kellner ein Holländer ist, macht die Sache auch nicht besser. Felix fragt ihn, ob er etwa schon bei der schweizerischen «Gastlichkeit» in die Schule gegangen sei, was der Kellner verwirrt bejaht. Das sei aber schade, meint Felix darauf nur noch und würdigt ihn anschliessend keines Blickes mehr. Das Essen ist aber gut (Kalbsnierchen und Nüdeli mit Salat, dazu zwei Dreier Dôle). Anschliessend geht Felix in die Schwulenbar, wo der Abend dann unheimlich rasch fortschreitet – substanzlos gewissermassen, geölt vom Bier. So gegen eins sitzt Felix mit einem Hurenbübchen im «Dupf» und will es engagieren. Daraufhin erklärt das Hurenbübchen des Langen und Breiten, dass es kein Hurenbübchen sei und eine lange Geschichte von einem Töffunfall und einem toten Freund und weiteren Schicksalsschlägen. Weil der Wunsch manchmal der Vater der Wahrnehmung ist, gefällt ihm das Hurenbüblein immer besser. Felix ist in letzter Zeit einfach ein bisschen gestört und hat nur noch das eine im Kopf. Schliesslich, das Lokal ist offiziell schon lange geschlossen und sie trinken «hinter geschlossenen Türen» weiter, was im Schweizerdeutschen als «Überhöckeln» bezeichnet wird, geht das Hurenbübchen, das keines ist, und lässt Felix einfach sitzen. Ja, da sitzt der überhöckelnde Felix nun, perplex – und verliebt! Besoffen bis unter den Kragen und verliebt über beide Ohren. Tatsächlich, Felix hat dieses Gefühl schon fast vergessen. Jetzt ist es machtvoll wieder da und pulsiert wie eine Droge in seinem Blut. Er holt seine Sachen aus dem inzwischen auch schon lange geschlossenen Bahnhof, es ist kompliziert und Felix entsinnt sich anderntags schwach an lange Verhandlungen mit einem Nachtwächter oder Bahnbediensteten oder Securitas, die er führen muss, ob er will oder nicht, weil er seinen Hausschlüssel im Gepäck hat, das sich im Schliessfach im geschlossenen Bahnhof befindet. Offenbar hat es geklappt und Felix ist doch noch an sein Gepäck und seinen Hausschlüssel gekommen, denn jetzt sehen wir ihn mit übergestülptem Walkman und baumelnder Reisetasche durch die nächtlichen Strassen Basels halb tanzen, halb taumeln. So tänzelt er zum «Happy Night», das noch offen hat und Felix denkt, Happy Night, das passt, obwohl es eine Hetero-Disco ist, aber darüber macht sich Felix in dem Zustand, in dem er sich befindet, weiss Gott keine Gedanken mehr, sondern vertieft sich voller Vorfreude in die Getränkekarte mit der Form einer Vinyl-Schallplatte und entscheidet sich dann für einen Tequila Sunrise. Und dann noch für einen. Sein Zustand ist, von aussen betrachtet, wirklich bedenklich, während er sich innerlich ganz passabel anfühlt. Inzwischen ist es vier Uhr und Felix macht sich irgendwie auf den Heimweg.
Anderntags erwacht Felix mit einem erstaunlichen Gefühl: natürlich ist er auch etwas benebelt vom Restalkohol, aber überstrahlt wird der Kater von einem tiefer gewordenen Gefühl der Verliebtheit. Verliebtheit in wen? Felix kann sich zunächst gar nicht entsinnen. Ach ja, das Hurenbübchen.
Am Nachmittag geht er, um sich wieder etwas herzustellen, ins «Laguna» nach Weil am Rhein. Er schwimmt ein bisschen und lässt sich von allerorts gezielt hervorzischenden Wasserfontänen ganzköpermässig massieren. Umheimlich geil. Er ist anschliessend vollkommen durchgewalkt und komplett entspannt. Es ist März, Fischemonat, Wassermonat. Draussen vor dem Bad, während er auf den Bus zurück nach Basel wartet, hat Felix eine Erscheinung – kurzes Haar, grosse, abstehende Ohren, aufgeworfene, fleischige Lippen… Nein, von den Einzelheiten her kann man dieses Gesicht nicht fassen, es ist der frische, zarte, ordinäre, unschuldig-verdorbene Gesamteindruck, der dieses Gesicht so unwiderstehlich macht. Dazu lange Beine in engen Jeans, ein göttlich geformter Arsch, eckig-schlaksig-rund, Lederjacke, the sexiest young man alive. Sofort hat Felix eine Erektion. Er starrt den jungen Mann an. Ob der was bemerkt? Kumpel von ihm kommen, sie albern herum. Mädchen schlendern heran und warten ebenfalls auf den Bus. Es wird unbeholfen geschäkert. Die sexuellen Komponenten der schmähenden Gespräche sind zum Teil deftig: «Steck dir deinen Schwanz doch in den Mund», sagt eines der Mädchen zu dem Scharfen. Die grossen abstehenden Ohren sind einfach unwiderstehlich.
Am Abend wieder im Schwulenlokal. Das Hurenbübchen, in das Felix doch eben noch verliebt war, hat einen älteren Freier an der Angel und beachtet Felix gar nicht. Die Stimmung ist seltsam im Lokal, es hat nur wenige Gäste, aber die, die da sind, sind besoffen und verrückt. Die Zeit vergeht wieder irgendwie substanzlos und vom Bier geölt. Felix quatscht mit Leuten rum. Ein junger Araber hängt sich an ihn. Schliesslich kommt dieser einfach mit Felix nach Hause, obwohl Felix gar nichts von ihm will. Aber der junge Araber will etwas von Felix: nämlich, dass der ihm Kaffee aufbrüht, Spaghetti kocht, dass er ihm einen ruhigen Platz zum schlafen gibt, dass er sich mit ihm unterhält, dass er ihm Geld gibt, nicht viel, aber doch genug, denn schliesslich sei er, Mohammed oder Ali oder Said, ja auch ein Mensch, kurz: der junge Araber will, dass Felix Gastgeber ist. Gut, ist Felix eben Gastgeber, in Gottes oder Allahs Namen, Gastgeber und nicht Liebhaber. Der junge Mann, nennen wir ihn Ali, ist Tunesier, das erste Mal in Europa, er kann gar nicht begreifen, was so ein Schwulenlokal überhaupt ist, natürlich schlafen Männer mit Männern und Knaben mit Knaben, aber doch nur, weil sie nicht mit Mädchen schlafen können. Ficken lassen will Felix sich jedoch gewiss nicht von Ali, da hört die Gastfreundschaft aber auf.
Also schläft Ali im einen Zimmer und Felix im anderen. Ali erwacht erst um zwei Uhr nachmittags. Dann will Felix den Gast los sein. Ali bettelt noch einmal um etwas Geld, und Felix gibt ihm erst eine Zwanzigernote, und, nach einem kleinen Zögern und nach einem Blick in Alis bettelnde Augen, noch eine zweite. Dann geht Felix ins Kino: «Aus dem Leben Gorkis» («Unter fremden Menschen», ca. 1932). Warum Felix sich gerade diesen Film anschauen will? Wegen des Hauptdarstellers natürlich, dem Darsteller des Gorki als Knaben. Wunderschön. Der ganze Film ist sehr schön, voll von Charakterfiguren und russischem Pathos. Aber die Personen werden sehr lebendig gezeigt, wenn das der russische Realismus war, kann Felix nicht viel dagegen sagen.
Damit ist der Eindruck, den dieser Film auf Felix gemacht hat, natürlich noch nicht vollständig beschrieben. Aber Felix kann und will das jetzt nicht auseinandernehmen und wir als gottgleiche Herren des Alphabets verweigern uns somit nur schon aus Solidarität mit unserem Protagonisten der Analyse ebenfalls, das heisst wir respektieren seine momentane Stimmung, und die ist so, dass Felix im Moment nur Gefühl ist, randvoll bis obenhinaus, sehnsüchtiges heftiges geiles Gefühl. Hungrig, durstig, schwabbelig bis ins innerste Mark der Knochen. Felix ist von Neptun besessen, da können auch wir nichts tun (das heisst, wir könnten schon, aber wir wollen nicht).
Kommt Felix raus aus dem Kino, steht da ein wunderschönes Menschenkind. Felix ist noch ganz benommen vom Film, seine Augen sind noch ganz weich von Tränen, denn, wir haben es schon betont und sagen es gern noch einmal, Felix hat nah am Wasser gebaut und im Kino erst recht. Ein wunderschönes Menschenkind also, ein Junge natürlich, etwa 18, ein Schüler, Gymnasiast, er hat langes Haar, das hinten zu einem Schwänzchen zusammengebunden ist, und ein gutes, wunderschönes Gesicht. Felix staunt ihn an, wie das neuerdings seine Art ist, bleibt einfach stehen und schaut ihn mit offenem Mund an. Ein Wunder, denkt Felix, zwar nicht gerade die Heilige Jungfrau von Fatima, aber doch eine veritable Erscheinung, schon wieder. «Warst du im Film?» wird Felix von der Erscheinung gefragt. «Äh, ja», antwortet Felix, der nicht jeden Tag von einer Erscheinung angesprochen wird, ganz verlegen. «Ist er schön?», fragt der Junge, und Felix fragt ganz verständnislos zurück: «Wer?» «Der Film natürlich», sagt der schöne Junge und lacht. Felix stottert, noch um eine Spur verlegener, etwas Bestätigendes, er weiss gar nicht, was er sagen soll und möchte doch so gern mit dem Jungen ein wenig plaudern. Ja, er wolle auch in den Film, eigentlich, aber er warte noch auf einen Freund und der komme jetzt einfach nicht, sagt der Junge. Es klingt ein wenig ärgerlich und vor allem eine Spur enttäuscht. Sie reden noch ein bisschen, Felix sagt etwas, das ihm gerade in den Sinn kommt, Unsinn wahrscheinlich, denn er kann jetzt nicht einfach so davon latschen in die sich samstäglich auf dem Konsumtrip befindliche Stadt. Und da erscheint plötzlich der Freund doch noch. Natürlich ist er ebenso schön wie der Gesprächspartner von Felix. Wie eine Sonne geht es in dessen Gesicht auf, die beiden Freunde umarmen und küssen sich. Er hat mir etwas über den Film erzählt, meint der Junge mit dem Schwänzchen, indem er die lebhafte Anteilnahme von Felix an diesem Geschehen kommentiert. Ja, also… dann viel Vergnügen, sagt Felix, sich verabschiedend. Die beiden lieben sich, Felix kann es sehen und er kann es verstehen, und es ist schön und wahr, dass sie sich lieben, und es wäre geradezu eine Schande, wenn sie sich nicht lieben würden. Felix geht durch die Stadt, zutiefst bewegt und aufgewühlt.
Und Felix geht, Walkman-Musik im Ohr. Sein Herz ist verdammt heiss, er fühlt sich wie ein katzenartiges Raubtier, Reisslust in sich. Erst will er ins «Sommercasino» an ein Konzert, findet das Konzertlokal aber nicht gleich, weil er es in der falschen Richtung sucht, dann zahlt Felix zwar den Eintritt für das Konzert, geht aber sofort wieder weg, weil ihm das Publikum nicht passt, zu brav für seine Stimmung, und zu saufen gibt es auch nichts. Also geht er in die alte Stadtgärtnerei, wo es wieder ausschliesslich schöne Jünglinge gibt, Felix könnte schwören, dass er an diesem Abend keinen einzigen hässlichen Jungen gesehen hat. Wo die wohl versteckt waren die ganze Zeit? Dann will Felix ins «Elle et Lui», denn er muss jetzt einfach seinen Hunger stillen, seinen Durst. Da ruft ihm Mohammed oder Ali, der Tunesier von gestern, etwas nach. Er will sich wieder an Felix hängen. Aber Felix will das nicht, jetzt nicht, er hat heute ein anderes Programm und lässt Ali energisch abblitzen. Er rollt ein bisschen mit den Augen und spielt den Verrückten, das reicht, um Ali davon zu scheuchen. Felix bestellt an der Bar, die nicht gar zu überfüllt ist, ein Bier. Und da sieht er ihn. Ja, das ist er, das ist genau der Richtige, um sein heisses Herz zu kühlen und seinen Heisshunger zu stillen. Felix starrt den jungen Mann an (da Felix kurzsichtig ist, weiss er nicht sicher, ob der andere seinen Blick erwidert). Aber heute hat Felix den Mut der Verzweiflung. Er geht einfach zu dem Jungen hin und fängt an, mit ihm zu quatschen. Der ist auch von Nahem betrachtet eine Augenweide und heisst wie Felix, also Felix. Er stammt aus Thun. Nein, ein Stricher ist er nicht, wie Felix meinte (wahrscheinlich ein Wunschgedanke, weil Felix nur Stricher allenfalls erreichbar scheinen). Felix, also der neue Felix, den wir eben erst kennengelernt haben, fährt, da in Thun nichts läuft, an den Wochenenden in die Städte: nach Bern natürlich, aber manchmal auch nach Zürich oder eben nach Basel wie heute. Da hat Felix, unser alter Felix, ja Glück gehabt. Der neue Felix ist ein grosser Kiffkopf und sagt, er sei auch schon im Knast gewesen «wegen des Haschs». Felix 2 erzählt Felix 1 die abenteuerlichen Momente seines Lebens. Er habe in Amsterdam bei einem Freund gelebt. Aber der, ein komplett durchgeknallter Typ, verrückt wie eine Scheisshausratte, wie Stephen King es ausdrücken würde, habe ihn immer zusammengeschlagen, weil er furchtbar eifersüchtig gewesen sei. Der junge Felix arbeitete in Zürich in Schwulenbars. Er war in Marokko, in Marrakesch, er erzählt von Marrakesch. Er erzählt Felix 1 noch andere Geschichten, von Nachtfahrten zwischen Amsterdam und Basel (Kiff-/Suff-/Geil-Orgien mit einem Amerikaner, der dann so viel Saft verspritzt habe, dass das ganze Abteil sozusagen unter Wasser gestanden sei). Auf jeden Fall findet Felix 2 den Felix 1 als Partner für eine Nacht offenbar durchaus akzeptabel, was Felix 1 ziemlich verblüfft. Für Felix 2 ist Felix 1 noch nicht zu alt. Er findet ihn sympathisch. Was Felix 1 nicht für möglich hielt, rückt in den Bereich der Möglichkeit: Felix 2 wird eine Nacht mit Felix 1 verbringen und dieser muss jenem dafür nicht einmal etwas bezahlen. Manchmal ereignen sich noch Zeichen und Wunder. Oder aber unser Felix hat einfach eine Wahrheit über sich herausgefunden. Nämlich, dass auch ein junger Mann ihn noch attraktiv finden kann. Und vor allem das: Wenn er stolpert, dann primär über seine eigenen Hasenfüsse. Einfach probieren, Knallkopf, manchmal klappts ja sogar!
Sie nehmen also das Taxi, der namensvetterende Kiffkopf oder kiffende Namensvetter von Felix und Felix. Es wird dann wieder fast vier Uhr, bis sie ins Bett kommen. Manchmal ist Felix fast ein halbes Jahr fast ununterbrochen fast «seriös», dann macht er gleich drei Nächte durch und treibt es in einer Woche mit drei verschiedenen Jungs (das ist nicht zum Lachen, schliesslich fand seine letzte Liebesnacht noch im letzten Jahr statt, als ihm das Schicksal ein Weihnachtsgeschenk in Form eines jungen zarthäutigen Laoten machte).
Mit dem jüngeren Felix muss zuerst natürlich noch was gekifft werden. Felix hat schon länger nicht mehr gekifft, und nach all dem Bier fährt es ihm ziemlich ein. Das Gesicht seines Besuchers sieht immer wieder anders aus. Aber es ist in jeder Form, in der es sich zeigt, begehrenswert. Schliesslich muss Felix diese Lippen einfach zu küssen beginnen. Und das hört dann eine ganze Weile nicht mehr auf. Mit einem Kiffkopf kann man vielleicht nicht sehr gut analytische Gespräche führen, aber man kann gut mit ihm küssen und ausgezeichnet Liebe machen mit ihm. Kiffkörper sind innig und geniessen die langsame Steigerung der Lust. Sie lieben sich also schlangenhaft, indem sie Körper um Körper wickeln, während Felix den Schwanz am ganzen Körper von Felix reibt und sich gleichzeitig dessen Lippen, dessen Zunge mit unglaublichem kulinarischem Genuss gewissermassen einverleibt. Und wieder einmal lobt er sich sein schmales Prokustesbett, die arktischen Zimmertemperaturen in seiner Wohnung, denn es zwingt seinen Gast, dieses magere Bürschchen mit der seidenweichen, haarlosen Haut, ganz in seine Umschlingung hineinzugleiten. Kiffkörper werden nicht ungern so gewärmt.
Am Morgen resp. Mittag ist das Erwachen der beiden Felixe natürlich kein ganz taufrisches. Der Junge dreht sich noch vor dem ersten Kaffee einen Joint. Erzählt wieder Anekdoten aus seiner Lebensgeschichte, die ja noch nicht so lange dauert, was ihn zu gewissen Wiederholungen oder Variationen veranlasst oder vielmehr verführt (Kiffköpfe neigen zur Vergesslichkeit). Der ältere Felix kifft jetzt natürlich nicht mehr mit, Gott bewahre. Dann will der jüngere Felix, dass der ältere Felix ihm ein wenig die Stadt zeige. Es gibt ein paar vertraute Momente, obwohl ihnen mit der Zeit der Gesprächsstoff etwas ausgeht. Das hübsche Kiffköpfchen bekommt auch zunehmend rote Augen und schweigt berauscht vor sich hin. Nur ab und zu schaut er den älteren Felix mit einem rätselhaften Lächeln an, was diesen ganz nervös macht. Oder er murmelt etwas Unverständliches vor sich hin. Sie sitzen wieder im «Elle», im «Dupf». Der ältere Felix weiss nicht, ob dem jüngeren Felix an seiner Gesellschaft noch etwas liegt. Vorher hat der jüngere Felix noch gesagt, vielleicht prophylaktisch, dass er frei sein, dass er sich nicht binden wolle, dass er nicht an Freundschaft glaube, dass er keine Gefühle mehr in sich habe, die seien ihm ausgetrieben worden, dass er auch mit Frauen könnte, aber nicht wolle. Wenn er erzählt, ist er fröhlich und verwegen, er erinnert den älteren Felix dann an Peter. Aber meistens ist er scheu und ein bisschen verträumt. Sie sitzen am Tisch und der jüngere Felix ist stoned und der ältere Felix weiss nicht, was er tun soll, der jüngere Felix möchte vielleicht noch was ohne ihn unternehmen, er mag den jüngeren Felix, weiss aber nicht, ob der an einem weiteren Kontakt mit ihm interessiert ist, an manchen Anzeichen meint er ja, an anderen glaubt er nein, wir sehen uns jetzt ja sicher öfter, hat der jüngere Felix gesagt, ich will keine Beziehung mehr, hat er auch gesagt, ich will nur noch Abenteuer. Ach, schliesslich ist doch wieder alles ein wenig traurig und kompliziert. Der ältere Felix kann den jüngeren Felix auch nicht fragen, der ist jetzt viel zu verladen. Und verabschieden muss man sich ja doch irgendwann und irgendwie. Dass sie sich schliesslich mit einer Floskel und einem Handschlag ganz prosaisch voneinander trennen, tut dem älteren Felix ein bisschen weh. Er hätte ihm einen Kuss geben können oder wenigstens ein Küsschen, dem Retter seiner gequälten Seele, aber manchmal macht man in der einen Sekunde einen Fehler, den man in der nächsten Sekunde nicht mehr wiedergutmachen kann und überhaupt niemals mehr.
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