Wenn man bei Google den Begriff «Glück» eingibt, liefert die Suchmaschine ca. 131 Millionen Links. 131 Millionen Wege allein zu deutschem Glück! Dass es so viele sind, rührt wahrscheinlich daher, dass das deutsche «Glück» sowohl das Glück in der Liebe als auch im Spiel meint, während im Englischen, sauber getrennt, «nur» 8 Millionen Pfade zu «Happiness» führen, aber 704 Millionen zu «Good Luck»; wie die meisten Sprachen ist hier das Englische präziser und unterscheidet zwischen Zufalls- und Lebensglück. Wie unterscheiden sich die beiden, wie hängen sie zusammen – und wie und wo findet man es, das Glück?
«The Pursuit of Happiness», die Suche nach dem Glück, ist sogar in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung festgeschrieben. Trotzdem: Glück ist und bleibt ein etwas wolkiger, schwammiger Begriff. Gewiss, die Sehnsucht danach ist beim Menschen ohne Zweifel da – so etwas wie Scham, sich diese Sehnsucht einzugestehen, aber offensichtlich auch. Man ist ja schliesslich erwachsen und macht sich keine Illusionen mehr. Bedeutet die Glückssehnsucht nicht, nach den Sternen zu greifen?
Wie auch immer: «Das Glück» ist ein Thema. Glücksforscher untersuchen stets von neuem die Glücksbefindlichkeit auf den Kontinenten und in den Ländern und stellen entsprechende «Hitparaden» auf. Sie finden dann zum Beispiel heraus, dass glückliche Menschen sich durch ein gesundes Selbstbewusstsein, Vorurteilsfreiheit und Intelligenz auszeichnen, dass sie mit anderen gut auskommen und ihr Leben im Griff haben. Doch haben sie ihr Leben im Griff, weil sie glücklich sind, oder sind sie glücklich, weil sie ihr Leben im Griff haben? Und hat nicht auch manch unglücklicher Mensch sein Leben im Griff?
Was ist das nun also – Glück? Bedeutet es, wie Epikur und Schopenhauer postulierten, negativ einfach die Abwesenheit von Schwierigkeiten, Schmerzen und Ungemach oder, etwas präziser ausgedrückt, die innere Freiheit von Mangel und Leid? Oder ist da doch mehr: Erfüllung, Sinn, erfülltes Leben, Erleuchtung gar und spirituelle Ekstase, gelebte Unio Mystica? Sicher ist: Glück lässt sich nicht so einfach definieren, weil es für jede und jeden von uns etwas anderes bedeutet, und nicht mal für jeden einzelnen von uns immer das gleiche. Natürlich gibt es die erwähnten Glücksforscher, die sich am Phänomen «Glück» mit soziologischem Begriffsbesteck zu schaffen machen, aber dieses von aussen definierte Glück zielt am Kern der Sache gewissermassen vorbei, weil sich das Glück eben gerade nicht von aussen beobachten lässt. Glück ist ein zutiefst subjektives Gefühl.
Soviel kann aber gesagt werden: Wenn einem Menschen die Bedürfnisbefriedigung auf einer elementaren Ebene verwehrt bleibt, ist es schwer, nach umfassenderen oder «höheren» Formen des Glücks zu streben. Die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow unterscheidet zwischen den physiologischen Bedürfnissen (Atmung, Schlaf, Nahrung, Wärme, Gesundheit, Wohnraum, Kleidung und Bewegung), den Sicherheitsbedürfnissen (Recht und Ordnung, Schutz vor Gefahren, Einkommen etc.), den sozialen Bedürfnissen (Familie, Freundeskreis, Partnerschaft, Liebe, Kommunikation etc.) und den Individualbedürfnissen (Status, Respekt, Anerkennung, Einfluss, Erfolg). Erst ganz an der Spitze der Pyramide finden wir das Bedürfnis der Selbstverwirklichung, der Individuation, aber auch der Entrückung, der Erleuchtung, der religiösen Erfüllung. Vielleicht könnte man die Stufen dieser Bedürfnispyramide als Stufen des Glücks definieren. Wobei sofort klar wird, wie fragil und instabil diese «Konstruktion» ist, droht doch jederzeit der «Sturz in der Tiefe» – sei es nun in Form einer Krankheit, eines Partnerschafts- oder eines Arbeitsplatzverlusts oder gar einer Naturkatastrophe oder eines Kriegs – Ereignisse, welche die Erfüllung auch der elementarsten Bedürfnisse in Frage stellen. Glück ist eben nichts, was sich vor irgendeinem Richterstuhl einklagen liesse – auch nicht vor dem Richterstuhl Gottes, wie uns zum Beispiel die Geschichte von Hiob auf eindrückliche Weise zeigt.
Glück – ein Produkt des Belohnungssystems im Hirn?
Naturwissenschaftlich orientierte Geister vertreten freilich die Ansicht, das, was wir «Glück» nennen, sei lediglich die Folge einer Reihe von chemischen Vorgängen, eine Angelegenheit des Belohnungssystems, nach dem unser Gehirn offenbar funktioniert. Dieses aus vielfältig verzweigten Nervenverbindungen bestehende System lässt uns Gefühle wie Euphorie, Freude, Wohlbefinden, Motivation und Tatendrang empfinden, die sich ab und zu auch zu einem veritablen Glückssturm auswachsen können – vor allem, wenn wir uns frisch verliebt haben. Dabei spielen verschiedenste Neurotransmitter wie Dopamin oder körpereigene Opiate eine Rolle.
Was uns mit einem eher problematischen Aspekt des Phänomens «Glück» konfrontiert: Es lässt sich – zumindest temporär, aber welches Glückgefühl wäre das nicht – nämlich auch «künstlich» erzeugen. Schon Baudelaire kannte Drogen als «Transportmittel» auf dem Weg zu «künstlichen Paradiesen». Und weil diese Reisen so verlockend sind und das Glücksgefühl auf diese Weise so leicht zu haben ist, will man es natürlich immer wieder und will man immer mehr davon – eine unaufhörliche Spirale der Sucht beginnt sich zu drehen. Wie nicht nur die tragischen Beispiele von Stars wie Jimmy Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und in jüngerer Zeit Michael Jackson, Heath Ledger, Amy Winehouse und Whitney Houston zeigen, folgen dem künstlich erzeugten Glücksgefühl meist länger anhaltende «Unglücksphasen», muss der Aufenthalt in den künstlichen Paradiesen nicht selten mit dem tiefen Sturz in die Hölle der Verzweiflung und der Angst bezahlt werden – mit einem elementaren Unglücklichsein, wie es auch im klinischen Sinn als Depression auftritt.
Auch diesem Zustand des Unglücklichseins lässt sich freilich mit Eingriffen in das Neurotransmittersystem begegnen: Der grösste Leidensdruck schwindet dann. Wirkliches Glück wird aber durch die Abwesenheit von Unglücklichsein vielleicht doch nicht erreicht. Die Fähigkeit, Glück zu erleben, lässt sich durch eine medizinische Behandlung allein nicht herstellen.
Trotzdem ist die Glücksforschung ein wichtiger Zweig auch der Pharmaindustrie geworden. Wir kennen inzwischen über 2000 chemische Substanzen, die in unserm Gehirn darüber entscheiden, ob wir uns eher glücklich oder unglücklich gestimmt fühlen. Die Anzahl der Menschen, die tablettenabhängig sind, um ihre Stimmungen unter Kontrolle zu haben, nimmt weltweit zu. Das gilt auch für Kinder: 2009 gingen in der Schweiz beispielsweise rund 280’000 Packungen Ritalin über die Apothekertheke: 10 Prozent mehr als im Vorjahr, Tendenz: weiter steigend. Ritalin wird vor allem an Kinder abgegeben, die als hyperaktiv gelten.
Glück ist eine Gabe, aber auch eine Kunst
Angeborene Persönlichkeitsmerkmale legen den Grundstein für die Erlebnisfähigkeit eines Menschen. Diese Erlebnisfähigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, Glück überhaupt empfinden zu können, sie ist gewissermassen unser Sensorium für das Glück. Wer beispielsweise für die Schönheit der Natur kein Auge und kein Ohr und auch sonst keinen Sinn hat, ist unempfänglich für das Glück, das dem Naturempfinden innewohnt. Der Genuss von Speis und Trank hat nicht nur mit den Qualität von Nahrungsmitteln zu tun, sondern auch und vor allem mit unserer Genussfähigkeit. Im Verlauf unserer individuellen Geschichte kann die Umgebung und die Umwelt diese Fähigkeit zum Genuss und zum Glück verstärken oder abschwächen. Glück ist wohl eine Gabe, aber auch eine Kunst, die es zu erlernen gilt.
Glück leitet sich vom Erreichen bestimmter Ziele ab – oder vielmehr vom Weg, den wir zu diesem Ziel gehen. Ist das Ziel erst einmal erreicht, verliert es nämlich seine Fähigkeit, uns glücklich zu machen. Das spürt jeder Künstler in der Leere, die auf die Vollendung eines Werkes so sicher wie das Amen in der Kirche folgt und die sich erst dann wieder füllt, wenn ein nächstes Projekt in Angriff genommen wird. Unterwegs stellt sich dann das ein, was der ungarische Psychologe mit dem unaussprechbaren Namen mit dem Begriff «Flow» umschrieben hat: Schaffensrausch, Tätigkeitsrausch, Funktionslust, ein völliges Aufgehen im Tun oder eben – eine Art Glück, das Mihaly Csikszentmihalyi mit folgenden Begriffen umschreibt: Mühelosigkeit, unsere Sorgen um uns selbst verschwinden, unser Gefühl für Zeitabläufe ist verändert, Handlung und Bewusstsein verschmelzen. Flow, sagt der Psychologe, könne als Zustand beschrieben werden, in dem Aufmerksamkeit, Motivation und die Umgebung zu einer Art produktiver Harmonie verschmelzen. Die Bewältigung von Herausforderungen stärkt zudem das Selbstwertgefühl, sie lässt das Zutrauen in die eigenen Fähigkeit, auch andere Ziele zu erreichen, wachsen und ist damit eine Voraussetzung für Glück.
Glück ist also nicht daran gebunden, dass alle Wünsche erfüllt oder dass alle Ziele erreicht werden. Im Gegenteil. Bekannt ist das Märchen der Gebrüder Grimm vom Fischer und seiner Frau, deren Wünsche an den Butt immer massloser werden, so dass sie am Schluss alles wieder verlieren. Ähnlich wie beim Streben nach künstlichen Paradiesen mittels Drogen entwickelt sich aus der Gier nach immer Mehr eine Suchtspirale. So erweisen sich die Glücksversprechungen der Werbung, die als Motor für unserer quantitatives Wirtschaftswachstum dienen, letztlich als Phantom: Sie bringen den Einzelnen als Konsumenten nicht die ersehnte Befriedigung. Die Konzerne werden zwar reich, jedoch wird der Planet dabei zerstört.
Bekannt ist auch das Märchen vom «Hans im Glück». Hans erhält als Lohn für sieben Jahre Arbeit einen kopfgrossen Klumpen Gold. Diesen tauscht er gegen ein Pferd, das Pferd gegen eine Kuh, die Kuh gegen ein Schwein, das Schwein gegen eine Gans und die Gans gibt er für einen Schleifstein mitsamt einem einfachen Feldstein her. Er glaubt, jeweils richtig zu handeln, da man ihm einredet, ein gutes Geschäft zu machen. Zuletzt fallen ihm noch, als er trinken will, die beiden schweren Steine in einen Brunnen. So glücklich wie ich, ruft er nun aus‚ gibt es keinen Menschen unter der Sonne. Mit leichtem Herzen und frei von aller Last geht er fort, bis er daheim bei seiner Mutter angekommen ist. Er ist glücklich, die schweren Steine nicht mehr tragen zu müssen.
Ob man sich selbst als glücklich bezeichnet, hängt überdies davon ab, mit wem man sich vergleicht oder eben nicht vergleicht. Das Problem dabei: man misst seine Situation fast immer an der Situation jener, die mehr haben. Der Banker vergleicht sich mit dem Boss der UBS und findet sein Gehalt von drei Millionen pro Jahr ziemlich mickerig. Natürlich sind 70’000 Schweizerfranken Währungsgewinn aus einem Dollarverkauf für den Notenbankchef nicht der Rede wert, während sie für den einfachen Bürger ein Jahreseinkommen bedeuten würden. So gesehen ist «Erfolg» ausgesprochen relativ und als Glückquelle deshalb denkbar ungeeignet, weil es ja immer jene gibt, die noch mehr haben. Ein Trost bei momentan fehlendem Glück mag sein, dass wir uns an weniger Einkommen, schlechtere Noten oder einen sozialen Abstieg meist genauso gewöhnen wie an neuen Reichtum und einen neu erreichten hohen Status. Wenn der aktuelle Zustand «normal» geworden ist, streben wir automatisch wieder nach erreichbarem neuem Glück.
In unseren westlichen Industriegesellschaften wird das Individuum oft vor die Gemeinschaft gestellt. Besitz, Macht und Prestige werden nicht selten höher bewertet als der soziale Zusammenhalt. Vom Standpunkt des Glücks aus sind diese Prioritäten jedoch falsch gesetzt. Wenn wir anderen dabei helfen, glücklicher zu sein, kommen wir nicht selten dem eigenen Glück näher. Geben sei seliger als Nehmen, heisst es auch im Neuen Testament. Das behauptet seit einiger Zeit auch die Wissenschaft. Eine gross angelegte US-Studie vom Institute for Social Research der University of Michigan konnte 2002 nicht nur zeigen, dass soziale Kontakte den Zeitpunkt der Sterblichkeit erheblich hinausschieben können, sondern auch, dass besonders die selbstlosen Menschen profitieren und sie sich darüber hinaus auch noch langfristig besser fühlen.
Das nationale Glück der Untertanen ist in Bhutan bereits seit über 30 Jahren das höchste Ziel der Monarchie im kleinen Land auf dem Dach der Welt. Mit ganz konkreten Folgen: Jede öffentliche Investition oder Gesetzesänderung muss auf den Prüfstand und kann erst umgesetzt werden, wenn klar ist, dass das Vorhaben für die Allgemeinheit von Nutzen ist. Es ist die Antithese zu materialistischem Streben. Das Glück, nicht der Reichtum des Einzelnen wird angestrebt.
Machen Religionen den Menschen glücklicher?
Glücksversprechungen sind nicht nur ein Kennzeichen von Werbung, sondern auch von Religionen und anderen Heilslehren. Die Kirchen leeren sich zwar, aber die Esoterik und die Ratgeberbranche boomen, und auch die Psychiater und Psychotherapeutinnen als illegitime Nachfolger der Priester und Pfarrer haben alle Hände voll zu tun. Wobei: Individuelles Glück kann durch eine religiöse Lebenshaltung durchaus begünstigt werden. Religiöse Menschen sind im Durchschnitt glücklicher als nicht religiöse. Untersuchungen belegen, dass sie leichter Lebenskrisen bewältigen, weniger häufig zu Suchtmitteln greifen und bei Erkrankungen zuversichtlicher auf den Heilungsprozess vertrauen. Religiöse Erziehung, die diesen Namen verdient, befähigt zum Leben, sie schenkt Vertrauen und lädt zur Liebe ein. Allerdings ist damit nicht ausgeschlossen, dass die Zuwendung zur Religion auch das Risiko beinhalten kann, unglücklicher zu werden. Davon können Organisationen wie Infosekta in der Schweiz, die sich mit sektenähnlichen Gruppierungen befassen, ein Lied singen: Solche Gruppierungen können eine ausgesprochen destruktive Wirkung auf ihre Mitglieder (und deren Angehörige) ausüben.
Auch die höchste Form des Glücks, die Gipfelerfahrungen, von denen wir eingangs im Zusammenhang mit Maslow sprachen, haben mit Religion – oder besser, in einem übergeordneten Sinn, mit Spiritualität – zu tun. Erleuchtungsvorstellungen gibt es in allen Religionen: Im Islam verbinden sie sich insbesondere mit dem Sufismus, im Judentum mit der Kabbala. Im Buddhismus kennt man sie als Bodhi, im Zenbuddhismus als Satori, im Hinduismus als Samadhi, im Christentum als die Einswerdung der Unio Mystica. Als Erleuchtung bezeichnen wir gemeinhin eine umfassende Erfahrung, bei der das Alltagsbewusstsein überschritten und Einsicht in eine – wie auch immer geartete – universelle Wirklichkeit erlangt wird. Die Konzepte von «Erleuchtung», vor allem aber die Methoden, wie sie zustande kommt, sind von Tradition zu Tradition verschieden. Erleuchtung wird als spontan eingetretener Durchbruch (Satori) oder aber als aus eigener Kraft erlangtes Endergebnis eines Prozesses geistiger Übung und Entwicklung (Samadhi), als Vereinigung mit einem universalen Bewusstsein oder als eine durch göttliche Gnade erlangte Heiligmässigkeit verstanden. Ob dieses universale Bewusstsein als konkretes göttliches Wesen gedacht wird oder als Wirken einer allem zugrunde liegenden «Energie», hängt also vom jeweiligen Kontext ab. Im Christentum sind mystische Strömungen allerdings nicht unbestritten: Der Dominikanermönch und Mystiker Meister Eckhart (1260 – 1327) zum Beispiel wurde nach seinem Tod von der Kirche als Ketzer verteufelt und viele seiner Schriften gingen verloren.
So unterschiedlichen Religionen wie dem Christentum und dem Buddhismus wohnt freilich die Überzeugung inne, dass Glück im Diesseits weder erstrebenswert noch erreichbar sei. Die Vorstellung des irdischen Lebens als Jammertal, das sich nur im Hinblick auf ein Jenseits sinnvoll leben lässt, ist nicht nur dem Barock ein Begriff. Und der Buddhismus setzt Leben und Leiden sogar gleich, ein Zustand, der sich erst dadurch aufheben lässt, dass man alle Verhaftung an das Leben löst und ins Nirvana – ins «Nichts» – eingeht.
Eine andere Art von – wenn auch zukünftigem – Glück versprechen deshalb die Paradiesvorstellungen. Solche kennen wir vor allem aus dem Christentum, dem Judentum und dem Islam. Die Bibel schildert das Paradies eher abstrakt und vage. Die Erlösten befinden sich in der Nähe Gottes, leben in ewigem Frieden, erfreuen sich eines herrlichen Daseins und preisen Gott mit Lobliedern. Das Wort «Paradies» finden wir im Neuen Testament nur an drei Stellen. Die Offenbarung des Johannes spricht zum Beispiel «vom Baum des Lebens, der im Paradiese steht» – als Nahrung für jene, die getreu ausgehalten haben. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Formulierungen und Bildreden, die mit anderen Worten auf eine paradiesische Existenz im Himmel hinweisen. Dazu gehören u.a. nach die Aussagen von Jesus über das «Himmelreich» oder «Reich Gottes» und vor allem die Weissagungen der Offenbarung des Johannes, der vom «neuen Himmel und der neuen Erde» spricht und vom «himmlischen Jerusalem», einer neuen Stadt, die am Ende der Apokalypse auf der Erde entstehen wird.
Im Judentum spielen Paradiesvorstellungen keine so wichtige Rolle wie im Islam und im Christentum. Der Ort, an dem sich die Gerechten endloser Glückseligkeit erfreuen, wird «Garten Eden» genannt. Im Koran nimmt das Paradies (arabisch Djanna, «Garten») als Aufenthaltsort der Gläubigen nach der Auferstehung als Belohnung für gute Taten und gottesfürchtiges Leben eine zentrale Rolle ein. Die im Koran beschriebenen «Gärten des Paradieses» sind Quartier für alle, «die glauben und tun, was recht ist». Der «Garten der Unsterblichkeit» wird mit zahlreichen Details als Ort des Glücks und der sinnlichen Freuden (mit Flüssen aus Wasser, Milch, Honig und Wein) beschrieben. Die Paradiesjungfrauen, die in vollendeter Schönheit als Lohn für die Gläubigen bereitstehen, sind nach neuester Forschung allerdings umstritten.
Natürlich bestimmte nicht nur die Sehnsucht nach dem Paradies, sondern vor allem auch die Furcht vor der Hölle lange Zeit das Leben der Menschen. Die Vorstellungen von der Hölle sind denn auch viel konkreter als die des Paradieses: Sie ist der «Pfuhl, der von Feuer und Schwefel brennt», in ihr werden die Seelen «Tag und Nacht gequält», und zwar bis in alle Ewigkeit. Wie konkret diese Höllenvorstellungen waren, kann man sich sehr gut vorstellen, wenn man sich den entsprechenden Teil auf dem Gemälde «Der Garten der Lüste» von Hieronymus Bosch betrachtet. Dabei waren Vorstellungen von der Hölle sehr oft von den höchst realen «Höllen» des Alltags im Diesseits inspiriert.
Heute sind es weniger die himmlischen als die irdischen Paradiese, die unsere Vorstellungen von Glück beflügeln. Sie lassen uns Jahr für Jahr während des Urlaubs Flugzeuge, Schiffe und Automobile besteigen, um uns auf die Suche nach unseren Sehnsuchtsorten zu machen, an welchen wir endlich das ultimative Glück finden sollen. Und wem die Verheissung des Glücks nicht vom Paradies aus winkt, der erwartet sie vielleicht von Utopia. Glück in diesem Sinn wäre eine ideale Gesellschaft, in der, zum Beispiel, die Ideale der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – verwirklicht wären. Oder eine Gesellschaft – eine Welt! – in der es wirklich «Wohlstand für alle» (Ludwig Ehrhard, 1957) gäbe. Oder eine Welt des ökologischen Gleichgewichts. Allerdings scheinen diese glückversprechenden Welten ebenso fern wie die Paradiese der Religionen.
Jeder seines Glückes Schmid?
Mit dem Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg brach in den westlichen Industriegesellschaften wieder einmal eine Aera ungezügelten Zukunftsoptimismus und Fortschrittsglaubens an. Doch auch sie löste ihre hohen Erwartungen und Glücksversprechungen nicht ein und der Fortschrittsglaube begann mit der 68-er-Bewegung und der Ölkrise endgültig und unwiderruflich zu bröckeln; der «Club of Rome» proklamierte die «Grenzen des Wachstums». Erich Fromm, der berühmte Philosoph und Soziologe, meint dazu: «Man muss sich die Tragweite dieser grossen Verheissungen und die fantastischen materiellen und geistigen Leistungen des Industriezeitalters vor Augen halten, um das Trauma zu verstehen, das entstand, als der Gesellschaft langsam klar wurde, dass sich ihre Träume nicht verwirklichen würden.»
Heute befinden wir uns – immer noch oder schon wieder – in einer Phase der Desillusionierung. Sie hat zunächst einmal einen schrankenlosen Egoismus und Zynismus hervorgebracht, der manchmal geradezu sozialdarwinistische Züge annimmt. Das Recht des Stärkeren gilt. Wer nicht glücklich ist, ist selber schuld. Die Glücksideologie der westlichen Industriegesellschaften verlangt von uns, zumindest glücklich zu wirken. Das Glücklichsein wird getragen wie ein teures Accessoire, es ist das Attribut jener, die es geschafft haben und die es noch schaffen werden. Wer unglücklich, traurig oder niedergeschlagen ist, macht etwas falsch und gehört verdienterweise auf die Verliererseite: selber schuld und Pech gehabt. All jene, die es nicht schaffen, sind selbst dafür verantwortlich und verdienen nicht unser Mitgefühl, sondern gehören auf die Anklagebank. Sie verkörpern das «Schwache», das es auszumerzen oder zumindest auszugrenzen gilt. «Sozialschmarotzer» und «Scheininvalide» sind Begriffe, die auf Menschen angewandt werden, die auf andere – den Sozialstaat, die Solidargemeinschaft – angewiesen sind, weil sie, so die Diffamierung, zu faul (oder zu blöd) sein sollen, für sich selbst sorgen zu können – etwa so wie heute in Griechenland, wo eine ganze Mittelschicht unter dem Spardruck der EU in die Proletarisierung und ins Prekariat – sprich in die Armut – gezwungen wird. Allerdings mehren sich nach der Bankenkrise die Anzeichen, dass auch dieses Zeitalter sich dem Ende zuneigt und einer hoffentlich etwas menschlicheren Sichtweise Platz machen muss – auch wenn natürlich immer die Gefahr besteht, dass gewiefte Politiker das bestehende Unbehagen auch weiterhin von den Profiteuren der stets weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich auf Sündenböcke, die ganz unten stehen (wie etwa Migranten oder anderweitig «Fremdartige»), umlenken.
Die Gefahr des Glücks
Aber vielleicht ist das «Glück» – als Dauerzustand – für den Menschen ja gar nicht erstrebenswert. Teresa von Avila meinte, über erhörte Gebete seien mehr Tränen vergossen worden als über unerhörte. Paul Watzlawick entwarf mit dem Buch «Anleitung zum Unglücklichsein» ein radikales Gegenstück zu der – vor allem in den USA – weit verbreiteten Ratgeberliteratur rund um das Glück. Er zeigt auf, wie man sein Leben unerträglich gestalten kann. Glück, so Watzlawick, sei schlimmer als die Pest; nichts sei so schwer zu ertragen wie eine Reihe von guten Tagen. Sogar den Tieren gehe es nicht besser: Im Zoo seien sie vor Hunger, Gefahr und Krankheit geschützt – und würden so zu Neurotikern.
Um zu verhindern, dass die Menschen an ihrem Glück ersticken, liefert das Buch von Watzlawick einige wirkungsvolle Rezepte zum Unglücklichsein, die wir Ihnen am Schluss dieses Beitrags nicht vorenthalten wollen:
• Verherrlichen Sie die Vergangenheit («früher war alles besser»).
• Suchen Sie den verlorenen Schlüssel da, wo es Licht gibt und nicht da, wo sie ihn verloren haben.
• Verscheuchen Sie Elefanten: Ein Mann klatscht alle zehn Sekunden in die Hände. Nach dem Grund für dieses Verhalten befragt, erklärt er: «Um die Elefanten zu verscheuchen.» Auf die Bemerkung, dass es hier gar keine Elefanten gebe, antwortet er: «Na, also! Sehen Sie?»
• Wählen Sie auf keinen Fall das rote Hemd: Eine Mutter schenkt ihrem Sohn zwei Sporthemden. Wenn er eines der beiden anzieht, blickt sie ihn traurig an und sagt: «Das andere gefällt dir wohl nicht?»
• Seien Sie unbedingt spontan.
• Helfen Sie jemandem nur, wenn Sie ganz sicher sind, dass sie keine selbstsüchtigen Hintergedanken dabei haben.
• Beobachten Sie die anderen so lange, bis Sie sicher sein können, dass diese sich hinter Ihrem Rücken lustig über Sie machen.
• Treten Sie nie einem Club bei, der bereit ist, jemanden wie Sie aufzunehmen.
• Leihen Sie nie beim Nachbarn einen Hammer aus – denn dieser Rüpel könnte ihn Ihnen vielleicht verweigern. Watzlawick bezeichnet das als die «Konfrontation eines ahnungslosen Partners mit dem letzten Glied einer langen, komplizierten Kette von Fantasien, in denen er eine entscheidende, negative Rolle spielt.»
Wir haben es also tatsächlich selbst in der Hand, das Glück – bis zu einem gewissen bescheidenen Grad. Darüber hinaus gilt wahrscheinlich, was Ernest Hemingway einmal formuliert hat: «Glück ist eine gute Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis.» Oder, in den Worten Theodor Fontanes: «Das Glück ist kein Geschenk – nur ein Darlehen.» Sind wir uns dessen bewusst, dann ertragen wir womöglich nicht nur die unglücklichen, sondern auch die glücklichen Zeiten besser.
Mittwoch, 22. Februar 2012
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