«Politik ist Verallgemeinern», erklärte mir Leo. «Literatur ist Differenzieren, und die beiden stehen zueinander nicht nur in einem reziproken Verhältnis – sondern in einem feindlichen Verhältnis. Für die Politik ist die Literatur dekadent, schlaff, unerheblich, langweilig, verschroben, fade, etwas, das weder Hand noch Fuss hat und das es eigentlich gar nicht zu geben braucht. Warum? Weil der Wunsch nach Differenzierung schon Literatur ist. Wie kann man Künstler sein und Nuancen ausser Acht lassen? Wie kann man Politiker sein und Nuancen beachten? Der Künstler sieht die Nuance als seine Aufgabe. Die Aufgabe besteht darin, nicht zu vereinfachen. Auch wenn man sich dazu entschliesst, so einfach wie möglich zu schreiben, etwa wie Hemingway, bleibt die Aufgabe, die Nuancen herauszuarbeiten, das Komplizierte aufzuhellen, die Widersprüche darzustellen. Und nicht, die Widersprüche wegzuwischen, die Widersprüche zu leugnen, sondern zu forschen, wo innerhalb der Widersprüche der gepeinigte Mensch zu finden ist. Man muss das Chaos mit einkalkulieren, man muss es zulassen. Man muss es zulassen. Sonst produziert man Propaganda, wenn nicht für eine politische Partei, eine politische Bewegung, dann stumpfsinnige Propaganda für das Leben selbst – für das Leben, wie es sich vielleicht selbst gern in der Öffentlichkeit dargestellt sehen möchte. (…)»
Philip Roth, in «Mein Mann, der Kommunist», übersetzt von Werner Schmitz, rororo Taschenbuch, Seite 275
Sonntag, 14. August 2011
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