Epilog
Tief unten schlängelt sich silbrig der Fluss. Links und rechts wachsen die Hügel, wachsen zu Bergen, zu gewaltigen bewaldeten Rücken und Buckeln, man sieht nur Wald, in hellerem Grün leuchten die Laubbäume, in dunklerem Grün dazwischengestreut die Tannen. Man sieht, da es Zeit nicht gibt, wie die Pflanzen sich mit kraftvollen Bewegungen der Sonne entgegen dehnen, man sieht nur Wald und das Schwimmen der Wolken am Horizont, ein Gewitter, das sich schwarz in den Himmel schiebt, tief unten das silbrige Band des Flusses und über den Hügeln die Sonne, die in ihrem Licht versinkt. Vögel gleiten durch die Luft, singen ihren Abendgesang. Sonst hört man nur den Wind, der auf Hohlkörpern seine Lieder spielt.
Aber mein Mund ist kein Auge, mein Mund ist nicht das Ohr. Der Zauber liegt nur ganz dünn wie goldener Staub auf meinen Gedanken und Worten, wenn ich beschreiben will, was das Wesen sieht und hört.
Das Wesen sitzt auf einem Felsvorsprung hoch oben über dem Fluss, sein Ohr ist offen und lauscht, es sitzt und schaut und lauscht die Ewigkeit des Moments, die absolute Gegenwart; sonst nichts. Es ist am Ziel seiner Träume angekommen; es ist am Ziel aller Träume angekommen, denke ich. Ich betrachte das Wesen nur ab und zu verstohlen aus den Augenwinkeln vom
Götzenhimmel der Sprache aus, denn ich fürchte mich vor seiner Schönheit, für die meine Worte zu dürr und zu kümmerlich sind.
Ich möchte es erlegen, das Wesen, wie ein Jäger sein Wild. Ich möchte es nicht verletzen oder vertreiben, denn ich weiss, es ist scheu. Ich möchte es beschützen, denn ich ahne, man wird es zerstören, wenn es nicht zu entwischen vermag.
Tief unten schlängelt sich silbrig der Fluss, und ich warte, bis die Dämmerung grösser geworden ist und ich mich im milderen Licht des Mondes näher an das Wesen heranwagen darf.
Jetzt sehe ich nur noch die Silhouette, die feine Linie des Profils, den zarten Umriss der Glieder. Ich weiss, dass es kein Mensch, sondern ein Engel ist.
Und ich bin sein Schatten.
Das Wesen wittert mich wie ein wildes Tier. Eine fast unmerkliche Bewegung, ein Schaudern geht durch seinen Körper.
Tief unten schlängelt sich silbrig der Fluss.
Montag, 3. Mai 2010
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