Montag, 18. Februar 2008
Mit Jürg Randegger im portugiesischen Frühling
LisboaTram, zu kurz geraten, aber ausser Rand und Band
Mit dem Flugzeug hüpft man nur so von einer Welt in die andere. In der Nacht hat Felix schlecht geschlafen – noch in seinem Bett in der WG in Bern notabene, obwohl ihm das nun bereits eine Ewigkeit her zu sein scheint. Birgit bricht zwischen drei und fünf in der Früh ziemlich hörbar ebenfalls auf – auch in die Ferien, nach Spanien. Alles fährt weg, dem Frühling entgegen.
Hier ist es in der Tat bereits Frühling. Die Bäume zeigen die ersten grünen Blättchen. Es ist zwar noch nicht heiss, aber doch so warm, dass man jederzeit im Freien sitzen kann.
Lisboa, die schöne Lisa, die weisse Stadt auf den Hügeln, wird Felix wahrscheinlich gefallen, das zeichnet sich bereits ab. Er hat in einer dritt- oder viertklassigen Pension mit schiefem Boden das schönste und grösste Zimmer bekommen, für etwa zehn oder zwölf Franken pro Nacht.
Natürlich kann Felix kein Portugiesisch, aber er versteht vom Spanischen und vom Italienischen her doch das eine oder andere Wort. Wenn die Leute reden, ist das ein weicher, wohlklingender Singsang in seinen Ohren.
Felix hat gegessen und sitzt beim Kaffee mit Brandy. Er wird bedient wie ein Fürst (allerdings ist er, neben zwei alten Weiblein, auch der einzige Gast; rührend und etwas traurig warten all die weiss gedeckten Tische vergeblich auf hungrige und durstige zahlungskräftige Menschen). Das Essen war übrigens gut, auch der Wein schmeckte; nichts Ausserordentliches oder Exquisites, aber gut: mit rührender Sorgfalt, fast gastfreundlich, dargeboten. Obwohl die Laute dieser Sprache hier so weich sind, denkt Felix, rasen die Buschauffeure wie Bankräuber auf der Flucht durch die Strassen. Reizend sind die Trams: zu kurz geraten, aber ausser Rand und Band. Auf der Strasse fallen Felix Leute auf: unter anderem eine alte Frau, die vielleicht noch gar nicht so alt ist und einen anklagenden, weithin schallenden Monolog hält, den Felix natürlich nicht versteht.
Felix versucht, sich vorzustellen, wie diese Stadt vor vielleicht zweihundert Jahren fast untergehen musste, weil die Erde bebte, was den damals jungen Goethe in seine erste existentielle Krise stürzte. Goethe hätte, um hierher zu gelangen, monatelang reisen, in wanzenverseuchten Betten heruntergekommener Herbergen liegen und sich von Wegelagerern ausrauben lassen müssen. Und Felix fliegt in zweieinhalb Stunden hierher, über die Wolken, wie im Traum – verdammt, er kann es einfach nicht glauben!
Während Felix im Restaurant sitzt und schreibt, ohne sich im geringsten gestört oder missachtet zu fühlen, reden zwei Männer an der Bar in der weichen singenden Sprache und in der Küche singen die Frauen leise, schön.
Es ist der Abend des Auffahrtstages. Felix sitzt wieder in einer Beiz, wieder vor Wein, aber in einer anderen Beiz und vor anderem Wein. Am Fernsehen bringen sie die Leidensgeschichte Jesu, in der weichen portugiesischen Sprache. Felix bleibt davon nicht unberührt.
Am Nachmittag trinkt er nach einer Begehung der Stadt von Hügel zu Hügel mit zwei Portugiesen Wein. Sie sind der Meinung, Englisch mit ihm zu sprechen. Dass Felix sie trotzdem nicht versteht, ist eigentlich egal. Schliesslich haben sie etwas zu trinken und somit auch etwas zu lachen. Dann sieht Felix einen jungen Mann von hinten, mit schönen Beinen in kurzen Hosen, der eine irgendwie wilde Ausstrahlung hat. Felix verfolgt ihn und seinen Freund auf einen der Hügel, und plötzlich dreht sich der Wilde mit den schönen Beinen um. Seine Augen blitzen irgendwie drohend aus einem Gesicht, das von Narben und verheilten Brandwunden entstellt ist.
Jetzt ist Felix betrunken, an diesem heiligen Abend, nicht schwer, aber doch, ein Zustand, der sich über Stunden hinweg aufgebaut hat. Er hat getrunken, wie die Portugiesen und mit den Portugiesen, die seine Brüder sind, obwohl sie nicht die gleiche Sprache sprechen und das Englisch der Portugiesen beim besten Willen kein Englisch ist und sie Felix für einen Engländer oder für einen Schweden halten. Von der Schweiz, einem Einwanderungsland für Portugiesen, wollen diese Portugiesen seltsamerweise noch nie etwas gehört haben.
Grenzkaff zu Spanien inmitten von Maulwurfshügeln (oder hat Gott hier ein paar Häufchen gemacht?)
Penamacor ist ein Grenzkaff, und die haben es ja bekanntlich in sich. Am Sonntag trifft Felix Arthur, seinen archäologischen Grabungskollegen, um ein Uhr auf dem Praçade Luis Camões, dem Dichterplatz. Sie haben sich da verabredet. Am Montag fahren sie mit Fähre und Bahn nach Setubal, wo zwei Deutsche mit Kind seit bald zwei Jahren in einer kleinen Werft oder eigentlich einfach am Strand an einem 26 Meter langen alten Kahn aus massivem Holz herumbasteln, mit welchem sie dereinst nach Brasilien segeln wollen. Felix beurteilt dieses Vorhaben angesichts des Zustandes, in dem sich das Schiff befindet, eher skeptisch, enthält sich aber diesbezüglich jeden Kommentars. Die kleine Familie ist ganz nett und Felix ist von dem dreijährigen Knaben, der geschickt die Leiter rauf- und runterklettert, die in den Bauch der Schiffes führt, schwer beeindruckt, obwohl er diesem Gekrabbel nicht ganz entspannt zusehen kann. Arthur würde gern länger bleiben (er hat ein Auge auf die Frau in der Familie geworfen, dieser Möchtegerncasanova), aber in der Nähe des Schiffs stinkt ganz grässlich eine Fabrik – das kann nicht gut sein für das Kind –, die Fungizide oder Herbizide oder sonst was Giftiges herstellt, auf jeden Fall schlägt Felix diese Dreckluft auf die Lungen und er kriegt Lufthunger. Nein, hier kann Felix unmöglich übernachten. Also fahren sie wieder zurück nach Lisboa.
Am Dienstag Zugfahrt nach Castello-Branco, am Mittwoch Busfahrt nach Penamacor, portugiesische Estremadura. Nur wenige Kilometer von hier, aber auf der anderen, der spanischen Seite der Grenze, wohnt ein alter Kumpel von Felix aus Bauarbeiterzeiten, Juan de la Cruz, mit seiner Familie. Den wollte Felix eigentlich besuchen – deshalb überhaupt die Reise nach Penamacor –, aber sie sehen dann doch von diesem Ausflug ab, weil Arthur eine grössere Menge Gras und Hasch mit sich führt, die er nicht über die Grenze hin- und hertragen mag.
Sie fahren stattdessen mit dem Taxi von Penamacor nach Mont Santo, einem etwa zwanzig Kilometer entfernten kleinen Dorf auf einem ebenso benannten Berg. Der Berg ist von riesigen runden Felsen geradezu übersät, die sich auf teilweise groteske Weise übereinander türmen. Die Häuser des Dorfes sind um diese Steine herum oder auf diese Steine gebaut. Oben auf dem Berg steht eine riesige Burgruine, die sehr alt sein muss. Es gibt auch Kapellen, Gräber etc. auf diesem Berg. Ein rätselhafter Ort mit einem fantastischen Ausblick auf das an sich topfebene Land, aus dem im Sonnenuntergang wie überdimensionierte Maulwurfshügel kleine Berge ragen.
Das «portugiesischste Dorf Portugals»
Recherchen über das Dorf fördern die folgenden Informationen zutage: Der Legende nach widerstand die Bevölkerung dieses Bollwerks im zweiten Jahrhundert vor Christus sieben Jahre lang der römischen Belagerung, eine Tat, die das Dorf alljährlich am 3. Mai in der Festa das Cruzes (Fest der Kreuze) feiert. Im zwölften Jahrhundert schenkte Dom Alfonso Henriques den von den Mauren eroberten Ort dem Templerorden, dessen Portugiesischer Meister Gualdim Pais die Burg wieder aufbauen liess. In diesem kriegerischen Bollwerk wurden einst in ausgehöhlten Felsen die tapferen Ritter aus der Zeit der Christlichen Eroberungen beerdigt. Das Dorf entwickelte sich auf dem Abhang des Hügels unter Ausnutzung der Granitfelsen für die Wände der Häuser. Verschiedentlich dient gar ein einziger Block als Dach. Mit Familienwappen gezierte Herrenhäuser, manuelinische Tore, das Haus, in dem der Schriftsteller und Arzt Fernando Namora wohnte und praktizierte, der sich hier zu seinem Roman «Retalhos da Vida de um Médico» inspirieren liess, machen einen Gang durch die steilen Gassen noch interessanter. Besondere Beachtung verdient die Torre de Lucano (14. Jahrhundert), gekrönt von einem silbernen Hahn, eine Trophäe, die Monsanto bei einem Wettbewerb im Jahre 1938 erhielt, bei dem es zum «portugiesischsten Dorf Portugals» gekürt wurde. Der spätgotische, mit Stilelementen der Frührenaissance und der orientalischen Welt ergänzte manuelinische Stil geht übrigens auf König Manuel I. den Glücklichen zurück (also gewissermassen einen Namensvetter von Felix), der im 15./16. Jahrhundert lebte.
Der Tag nach dem Tag in Monsanto ist ein Wandertag in der Pampa. Sie sind an diesem Tag etwa acht oder neun Stunden lang zu Fuss unterwegs, allerdings nicht ganz freiwillig. Als Proviant haben sie etwas Wasser dabei und ein paar Joints. Also ist es auch ein Fastentag, wenn auch nicht unbedingt ein Tag der Abstinenz. Sie wollten ja eigentlich nur ein bisschen spazieren, sich in dieser Maulwurflandschaft, in der sie sich wie die Liliputaner vorkommen, etwas ergehen – vielleicht sind sie aber auch normal gross und dafür die Maulwurfhügel gigantisch, von denen die einen sich üppig bewachsen präsentieren, während die anderen fast kahl sind –, aber sie verirren sich bald, weil es in der portugiesischen Pampa natürlich keine angeschriebenen gelben Wanderwege gibt wie in der Schweiz. Und fragen können sie auch niemanden, da die Gegend verdammt dünn besiedelt ist – sie begegnen insgesamt gerade mal drei Nasen, nämlich solchen von Hirten oder Bauern, die ihren einsamen Geschäften nachgehen. Unsere beiden Freunde gehen also fast verloren in dieser Pampa, wandern mal hügelaufwärts, mal hügelabwärts und so fort, das ist zwar schön und gut, aber schliesslich bekommen sie dann doch irgendwann einmal Hunger und Durst, denn das Wasser ist natürlich längst alle und es will sich nirgendwo auch nur ansatzweise ein angeschriebenes Haus zeigen (das ist auch nicht so wie in der Schweiz, wo man alle paar Meter, zumal in katholischen Gegenden, auf ein Wirtshaus stösst). Sie bekommen – oder sagen wir mal: Felix bekommt, denn Toni ist ein unerschrockener, furchtloser, verwegener Heteromann – etwas den Bammel. Auch sind sie ziemlich müde, als unverhofft vor ihrem Blick der Hügel mit dem gelobten Städtchen Penamacor darauf auftaucht und von unseren Wandervögeln mit nicht geringer Euphorie begrüsst wird. Der erste Schluck Bier, den sie in der ersten Kneipe von Penamacor zu sich nehmen, ist einfach köstlich, eine wahre Offenbarung, und das übliche und üblich langweilige Menu, das sie beide gleich zweimal bestellen, zur nicht geringen Verwunderung des Personals, ein kulinarischer Traum. Hunger, sagt man ja, sei der beste Koch, und in der Tat, Felix hat kaum je etwas Besseres gegessen als an diesem Abend in Penamacor.
Vor dem Rückflug auf dem Flughafen in Lissabon Jürg Randegger, ein Mitglied des legendären Cabarets Rotstift, umringt von einer Gruppe von Fans, erzählt lautstark Witze; da weiss Felix, dass er wieder in der Schweiz ist.
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