Samstag, 26. Januar 2008
Spanischer Herbst und seltsame Zustände
WG-Leben
Felix macht schon wieder WG-Ferien und ist dieses Mal mit der ganzen Gruppe, die auch in Bern zusammen- und manchmal auch aneinander vorbei lebt, in Spanien. Das Haus, das sie gemietet haben und das einem Engländer gehört, hat einen eigenen Swimming-pool, ist schön gelegen und luxuriös ausgestattet, wenigstens in den Augen von Felix, der natürlich keine Ahnung davon hat, wie zum Beispiel eine wirklich luxuriöse Villa aussieht, da er seine Vorstellungen vom Leben der Schönen und der Reichen aus Serien wie Dallas oder Denver Clan bezieht. Das Essen in der Kneipe, wohin man sich mit dem Taxi bringen lässt (das Gelände ist weitläufig), schmeckt gut. Saufen reichlich, weil billig, die Nächte kurz, die Tage lang, die Sonne ungewöhnlich heiss, sie brennt auf der Haut, in den Augen, in den Därmen, am Nachmittag, nach dem ersten und vor dem zweiten Cerveça, treiben die Männer Gymnastik: Bauchmuskeltraining ist angesagt, sie wollen ja schliesslich attraktiv sein, die einen für die Frauen und die anderen für die Jungs. Dazu aus dem Kassettenrecorder der passende Popsong: «I want Muscles» von Diana Ross. Wobei Felix ja eigentlich schon ein warmes, heisses Päckchen ist, ein Muskelpaketchen, er hat den ganzen Sommer über mit Schaufel und Pickel in der Sonne geschuftet. Archäologie. Römerzeugs ausgebuddelt, Ziegelfragmente vor allem, aber auch einige Münzen und Fibeln. Also Bauchmuskeltraining, obwohl Felix es gar nicht nötig hätte im Moment, dann Köpfler ins laue Wasser des Swimming Pools, in dem schon ein paar Melonen schwimmen, weiss der Teufel, wieso. Muss sie jemand reingeschmissen haben. Aber warum? Darüber nachzudenken hätte Felix jetzt Zeit. Er denkt aber trotzdem nicht darüber nach. Er hängt vielmehr auf seinem Schattenplätzchen rum und tut so, als würde er im mitgebrachten Chandler oder Glauser lesen, dabei denkt er an etwas Unanständiges und legt diskret den aufgeschlagenen Glauser auf seinen Schoss.
Felix schwankt hier in diesem heissen spanischen Herbst die ganze Zeit hin und her zwischen ziemlich extremer Lustigkeit und einer total extremen Traurigkeit, die weiss der Teufel woher kommt und sich eines Morgens, als er vom Brandy total verkatert erwacht (zwar ohne Kopfschmerzen, es ist ihm auch nicht schlecht, aber verkatert ist verkatert, wenn ihr wisst, was ich meine), buchstäblich oder vielmehr unbuchstäblich über ihn und schüttelt ihn während zweier Stunden so richtig durch – also nicht bloss so ein bisschen weinen, weil man, wie gesagt, etwas nah am Wasser gebaut hat –, ein Zustand, in den er seit seiner Kindheit nicht mehr geraten ist (er hat so einiges seit seiner Kindheit nicht mehr erlebt. Als Kind hatte Felix nämlich noch ganz andere Fähigkeiten als exzessives Weinen, zum Beispiel konnte er damals in seinem Innern vor dem Einschlafen aus dem Nichts heraus die schönste Musik entstehen lassen, nicht wie ein Komponist, sondern wie ein Zuhörer in einem Konzertsaal, nur, dass er eben keinen Konzertsaal und auch keine Musiker mit Instrumenten dazu brauchte. Später, als er in der Schule Blockflöte spielen lernen sollte, behauptete seine Lehrerin, Felix sei total unmusikalisch. Dabei war Felix einfach damals schon manuell extrem unbegabt, aber sicher nicht unmusikalisch, da müssen wir schon bitten!). Das mit der Traurigkeit hängt vielleicht sogar damit zusammen, dass Felix seit seiner Kindheit so viele Verbindungen (Fähigkeiten? Erfahrungsräume?) abhanden gekommen sind. An seiner momentanen Lebenssituation kann es eigentlich nicht liegen. Felix sollte glücklich sein, ist er doch frisch verliebt. Die Trauer ist grund-los, das heisst sie ist wie ein unendlich tiefer unterirdischer See, gewissermassen ein Meer aus Traurigkeit, das nicht von dieser Welt ist. Mare lacrimae, das Meer der Tränen. Die Trauer ist ein zugleich warmes, nasses und bitteres Glück. Felix ist vielleicht traurig, weil er verliebt ist.
Am Dienstagabend haben sie ausführlich Abschied gefeiert, das heisst, der Abend hat sich nicht allzu sehr von den vorherigen Abenden unterschieden. Sie lagen sich, lange nach Mitternacht und nachdem die letzte Flasche Brandy endgültig leer war, in den Armen wie entwurzelte Bäume, deren Astwerk sich nach dem Sturm unentwirrbar ineinander verfangen hat. Am Mittwochmorgen holt sie früh ein Taxi ab, das sie nach Gerona bringen soll. Sie, das ist nicht die ganze Gruppe, sondern bloss Felix und ein Begleiter, auf den wir später zurückkommen wollen. Felix freut sich auf seinen neuen Freund, ist ungeduldig. Seine neue Flamme ist nicht nur Bäcker, sondern auch Konditor und Confiseur, also ein süsser Wohltäter der Menschheit. Aber Felix liebt ihn natürlich nicht nur deswegen. Sein Freund ist jung und schön, ein wenig tuntig zwar, aber wen stört das, Felix jedenfalls nicht. Die weiche, glatte Haut des neuen Geliebten schmeckt ein wenig nach Honig, Kardamon und Anis. Wenn Felix an seinem Bäcker herumschnuppert, steigt eine Hitze in ihm hoch, die beim Schnuppern zum Beispiel an einem Apfelstrudel kaum in ihm hochsteigen würde. Doch das ist ein anderes Kapitel, ihre Liebe ist noch jung und wir hüten uns, davon zu plappern (wir wollen das Glück der beiden ja nicht verschreien).
Im Taxi geht es Felix noch einigermassen gut. Der Fahrer, der eher wie ein Kneipenwirt aussieht, und zwar wie einer, der selbst sein bester Kunde ist, lässt Flamenco-Musik laufen. Felix sitzt da und geniesst es, seinem knusperigen Bäcker und Törtchenmacher entgegenzufahren oder entgegen zu schweben. Im Bahnhof von Gerona dann, nach einem Kaffee und einem Tortilla-Sandwich, versucht Felix vom Fräulein Señorita an der Informaçion zu erfahren, auf welchem der insgesamt vielleicht zwölf Geleise denn der Talgo nach Genf kurz vor oder kurz nach elf wohl einzufahren beliebe oder geruhe. Felix stammelt etwas auf Spanisch und das energische spanische Fräulein mit leichtem Damenbart fragt ihn in barschem Ton, ob er Französisch könne. Felix bejaht und stammelt etwas in einer Sprache, die er für Französisch hält. Als Antwort bekommt Felix die folgenden Wörter ungefähr in dieser Reihenfolge an den Kopf geschleudert: Ojo del culo, idiota, cabròn, hijo de puta, mierda, maricon! Ja ob er denn nun Französisch könne oder nicht, herrscht ihn das cholerische Fräulein Señiorita oder wohl doch eher die Señora mit Damenbart, nachdem sie sich ein wenig beruhigt hat, auf Französisch an. Da fasst sich Felix ein Herz und sagt in höchster Not: El tren a Ginevra, da donde va? Und siehe da, nun wird er verstanden. Der Zug nach Genf fahre überhaupt nicht, bekommt er auf Französisch in triumphierendem Tonfall zur Antwort, jedenfalls nicht heute. Felix will wissen, warum, aber die unbarmherzige Señora hat sich längst schon endgültig von ihm abgewandt. Blöde Kuh, denkt er, aber eher erschrocken als empört, suchen wir das Gleis eben selber!
Es stellt sich schliesslich heraus, dass der Talgo nach Genf an diesem Tag tatsächlich nicht verkehrt, und auch kein anderer Zug: Streik in Frankreich! Im Land der Tricolore streitet man sich über die Ursache sich häufender Zugsunglücke. Menschliches Versagen der Lokführer oder Stationsbeamten, hat die Regierung festgestellt. Mangelnde Sicherheitsvorkehrungen, zu wenig Personal, meinen die Gewerkschaften. Und Felix sitzt – natürlich zusammen mit dem kleinen Araber und einigen anderen Passagieren – zwischen der Regierung von Frankreich, notabene einer, die sich sozialistisch nennt, und der französischen Eisenbahnergewerkschaft in der Tinte und weiss nicht wohin mit seiner brennenden Ungeduld. Da stehen sie nun auf dem Bahnsteig des Bahnhofs von Gerona wie bestellt und nicht abgeholt. Auf dem Bahnsteig von Gerona, wo auf der Bank vor Felix eine Frau sitzt. Eine Frau, die Felix kennt. Aus der geriatrischen Abteilung des Zieglerspitals in Bern, Hauptstadt der Schweiz, wo Felix eine Zeitlang als Hilfspfleger kotverschmierte Greisenärsche saubergemacht hat. Schon damals sass dieser Frau der Tod wie eine grosse garstige und natürlich schwarze Spinne im Gesicht. Sie hält ein Taschentuch vor den Mund gepresst und ihre Augen schauen angestrengt ins Leere. Da wird Felix unruhig, ein leichter Schwindel ist in seinem Kopf, sein Atem geht schleppend oder stockend, wie man will. Manchmal kann sich Felix einfach nicht von den Seelenzuständen anderer Leute abgrenzen, es ist dann, also würde er von diesen Seelen geradezu eingesogen.
Sie steigen nach einer geraumen Weile in einen Regionalzug, der sich zwar Rapido nennt, was, soviel Felix versteht, an sich «schnell» bedeutet, der aber nichtsdestotrotz bei jedem Fliegenschiss hält. Nein, Felix kann die Schönheiten der gemächlich vorbeiziehenden Natur nicht geniessen, die Berge, die kahlen Hügel, das Meer. Er will vorwärts, er ist auf der Flucht. Er hat den Tod gesehen, auf dem Gesicht der alten Frau. Er will heim, ins Vertraute, verschmelzen mit dem heissen kleinen Punkt.
Der Zug, in welchem Felix sitzt und in dem es Felix unwohl ist, weil er Atembeschwerden und Angstzustände hat, führt sie nach Port Bou an die französische Grenze. In Port Bou sind Felix vor zehn Jahren, in umgekehrter Richtung fahrend, dreihundert Franken gestohlen worden oder er hat sie da verloren. Jemand wird damals seine Freude daran gehabt haben. In der Bahnhofshalle von Port Bou leben übrigens – sagten wir es schon? – Fledermäuse. Schräge Gegend da oben oder da unten.
Auch das ist uns nicht neu: Zwischen Port Bou und Cerbère, Cerberus, liegt die Grenze.
Felix sitzt also im Zug und fühlt sich immer komischer, seine Seele ruht weniger als sie sich windet auf einem Nadelkissen oder Nadelbrett, aber nicht wie ein Fakir, sondern eher wie der Leidende auf dem Prokrustesbett, sein Körper ist schwach und sein Hirn ist wach, jedenfalls wacher, als es sonst ist, gleichzeitig hat er das Gefühl, nächstens in eine Ohnmacht zu fallen, Nachbarin, ihr Fläschchen. Hysterisch, denkt Felix, aber er kann es nicht ändern, und wir können es auch nicht.
Alles, was einem Menschen üblicherweise Zuversicht und Vertrauen schenkt – das Bewusstsein, mit beiden Arschbacken, ja, mit den Arschbacken, meine Damen und Herren, fest auf dem Boden der so genannten Realität zu sitzen, fehlt Felix in diesem Moment ganz und gar. Er schwitzt kalt, seine Handflächen sind feucht. Er nimmt nur noch Seltsamkeiten wahr. Der Zug, die Leute im rumpelnden Zug, die vorbeigleitende Landschaft hinter dem Fenster, er selbst – alles verwandelt sich ganz und gar in Seltsamkeit, in etwas Fremdartiges, nie Gesehenes. Wenn alles Vertraute verschwindet, ist es wie Sterben. Dann gilt es Abschied nehmen, Freunde.
Cerbère, Cerberus, der dreiköpfige Höllenhund, Bruder der Sphinx, ans Mittelmeer gekettet, steht am Tor zu den anderen Welten und zeigt seine Zähne. «Da Herakles nicht wusste, was er mit dem Hund anfangen sollte, brachte er ihn dem Hades zurück.»
Cerberus bewacht das Reich des Hades, die Unterwelt, das Schattenreich, er sorgt dafür, dass die Toten nicht ins Reich der Lebendigen zurückkehren können.
Cèrbere ist der erste Ort auf französischer Seite nach der Grenze. Da kommen Felix und sein Begleiter um zwei Uhr am Nachmittag an. Das Wetter ist sommerlich-tropisch, obwohl schon Oktober. Trotz des Streiks soll ein Nachtzug nach Genf fahren, der Cerbère etwa um Mitternacht verlassen wird.
Na also! Alles halb so wild: in zehn Stunden geht es weiter!
Es ist jetzt an der Zeit, das Geheimnis zu lüften und der geneigten Leserschaft bekannt zu geben, wer denn der ominöse Begleiter an der Seite von Felix ist. Es handelt sich dabei um einen kleinen Araber oder Perser mittleren Alters, wie man sagt. Es ist ein alter Bekannter von Felix, ein Sonderling, mit dem dieser auch schon auf Reisen war, damals in einem roten Deux-chevaux namens Antonius. Wir kennen ihn alle unter dem Namen Ernst. Ein inzwischen rot gekleideter Araber, der sich auf dem Pfad der Erleuchtung des so genannten Bhagwans befindet und den es auf diesem Weg sogar nach Amerika, in die Vereinigten Heiligen Staaten von Amerika, verschlagen hat, ein Reich, in das der rote Araber so gar nicht passen will. Auch der kleine Araber gleitet am Himmel des Schicksals und weiss nicht, wohin es ihn verschlagen wird. Das Leben ist wirklich ein Abenteuer. Die Liebe ein anderer Himmel. Der Tod wird das letzte Abenteuer sein oder das erste. Und wir trinken von Lethe, dem Vergessen, dem süssen, süssen Vergessen. Es schmeckt nach Brandy, es hat den Geruch deiner Achselhöhlen. Es ist Fliegen, Gleiten, Jagen, es ist die heisse Sonne, der Wind, der dem Meer süsse Schauer über die Haut jagt. Die Ränder der Berge gegen den Horizont. Das Singen des Windes, der sich an einem Hohlkörper reibt. Der internationale Bahnhof von Cerbère, der auf halber Höhe mitten im Bild steht, der Zug von Port Bou, Spanien, entlässt immer mehr Ausländer, die eigentlich von Cerbère nichts wollen, die mit Cerbère nichts zu tun haben wollen, die nur weiter, heimzu wollen, in die warmen Kuschelbettchen und zu den gewohnten Schnullern, die die Schönheit von Cerbère nicht wahrhaben wollen oder wahrhaben können, diese grausame Schönheit des Höllentors, denn in Cerbère, diesem Übergang, wird gewartet. An den Tischchen in der näheren und weiteren Umgebung hocken in der Mehrzahl Schweizer und Schweizerinnen. Die schweizerische Jugend und auch die älteren Semester sitzen also wartend in Cerbère in einem Strassencafé und wundern sich, dass das Bier so teuer geworden ist. Man erzählt sich von dem, was war, und von dem, was sein wird, aber nie von dem, was ist.
Cerberus, der Höllenhund
Doch zurück zu Felix, der sich, in Cerbère angelangt, noch immer sehr unruhig fühlt. Immerhin ist er froh, raus zu sein aus dem klaustrophobischen Zug. Er will sich bewegen. Sie können, nach einem längeren Theater an einem Schliessfach, ihre Reisetaschen bei der Gepäckaufbewahrung, an einem Schalter mit der Bezeichnung «Bagages» bei einem Mann, der eigentlich streikt, gegen eine ziemlich hohe Gebühr in Verwahrung geben. Sie können sich sogar Couchette-Plätze im Nachtzug reservieren.
Aber es hilft alles nichts. Sie gehen in ein Restaurant am Häfchen essen. Felix bestellt Hühnchen mit Pommes-frites, er ist nicht hungrig, aber er denkt, dass es ihm, nachdem er etwas gegessen und getrunken hat, besser gehen wird. Doch das Gegenteil ist der Fall. Der leise Schwindel im Hirn verstärkt sich. Das Herz schlägt unvermindert schnell. Felix schwitzt und ringt um Atem. Er fühlt sich immer noch gleichzeitig müde und überwach. Das ohne Genuss verspeiste Hähnchen liegt beleidigt in seinem Magen. Er will an den Strand, der allerdings nicht sandig ist, sich hinlegen und ein wenig schlafen. Er legt sich in die Sonne. An Schlaf ist allerdings nicht zu denken. Es kommen ihm vielmehr die beiden Buben in den Sinn, Schweizerbuben, die er in Sant Antoni di Calonge am Strand beim Spielen beobachtet hat. Das heisst, eigentlich haben sie ja nicht gespielt, sie schienen sich im Gegenteil zu langweilen. Es war Unruhe in ihren Körpern. Diese Unruhe deutete auf das langsame oder auch plötzliche Erwachen neuer Sinne hin. Felix stellt sich nun diese Unruhe vor, das beruhigt ihn ein wenig, während er an einem anderen Strand liegt, in der Bucht von Cerbère, und auf Erlösung wartet, auf irgendeine Erlösung, er ist da nicht wählerisch, er nimmt jede. Die Eltern der schönen Buben hatten den ganzen Tag vor der Strandbar gesessen und gefressen und gesoffen und die dicken hässlichen Ehefrauen der dicken hässlichen Ehemänner hatten gesagt: Schön, sich auch einmal bedienen zu lassen. Aber die Buben waren noch wie junge Tiere.
Der Strand von St. Antoni di Calonge
Die Beruhigung ist nur eine oberflächliche. In tieferen Tiefen brodelt es noch immer ohne Rücksicht auf das Ruhebedürfnis von Felix. Jemand muss Felix einen Trip in einen Drink getan haben. Oder er leidet unter einem Flash-back. Zu so einer Hundsgemeinheit ist die Chemie seines Körpers durchaus fähig. Die Nerven mit Adrenalin geschmiert. Der kleine Araber entdeckt Kurt Furgler, den Bundespräsidenten der Confoederatio Helveticae, der inkognito in der Bucht von Cerbère badet, sich vor dem Sprung ins Wasser eine Zigarette anzündend, um sich Mut zu machen, und danach, um sich für den Mut zu belohnen. Geheimdienst überwacht ihn, den Bundespräsidenten mit dem verkniffenen Mund, diskret, der spanische, der französische natürlich, aber auch der amerikanische und sogar der chinesische. Ein kleiner struppiger Hund bellt mit bewundernswürdiger Penetranz alle Autos an, die vorbeifahren. Er wird nicht überfahren, obwohl er mitten auf der Strasse steht und nicht weichen will. Es ist Cerberus, der Höllenhund, getarnt als kläffender Strassenköter, denn wir befinden uns im zwanzigsten Jahrhundert. Dem Felix entgeht kein Detail. Er ist der Geheimdienst, der den Geheimdienst überwacht.
Kurt Furgler, schweizerischer Bundesrat, cognito
Als federleichte Wölkchen sich vom Land gegen das Meer zu bewegen und sich alsbald in Luft auflösen, als sich der Himmel violett färbt und die elektrischen Lichter aufflammen, sitzen der kleine Araber und Felix auf der Terrasse eines Restaurants und in der Tiefe gischt das Meer gegen die schiefrigen, quer liegenden Felsen. Sie trinken Pernod oder Pastis. Im Innern des Restaurants entdeckt Felix Kurt Furgler wieder, aber auch James Bond, einen Wissenschaftler, einen Inder, eine Inderin, einen hübschen blonden Mann. Eine gefährliche Geschichte scheint sich anzubahnen, noch undurchschaubar. Felix raucht Zigaretten, obwohl lufthungrig. Er fürchtet sich, will sich aber nichts anmerken lassen. Der Wirt reibt sich die Hände, er freut sich sichtlich darüber, dass die Eisenbahner streiken, beschert es ihm doch das Geschäft des Jahrhunderts. Auch Felix und der kleine Araber gehen jetzt ins Innere des Restaurants. Bestellen sich das teuerste Essen, das es auf der Karte gibt, und einen Liter Wein. Aber Felix ist nur durstig. Schon den Fisch mag er nicht anrühren, er sieht einen Kadaver auf seinem Teller liegen, er will keine Leichen essen, er will lieber trinken, trinken beruhigt mich sonst immer, sagt Felix laut zum kleinen Araber, der sich genüsslich Fisch in den Mund schiebt und kaut. Felix säuft den Wein wie Wasser, wird aber nicht einmal ansatzweise betrunken. Er ist nun endgültig überzeugt davon, dass ihm der gegnerische Geheimdienst LSD in die Blutbahnen geschmuggelt hat. Er kann jetzt niemanden mehr anschauen, ohne das Entsetzliche zu bemerken, das bei jedem im Hintergrund lauert. Er kann keinen Schritt mehr gehen, ohne das dünne Eis unter seinen Füssen knirschen zu hören. Er kann nicht mehr am Tisch vor der Fischleiche sitzen, von welcher er keine zwei Bissen verspeist hat. Er muss aufstehen, ruckartig, und an die frische Luft rennen, den kleinen Araber perplex allein an seinem Tisch im Restaurant zurücklassend. Der Wind bläst auf Hohlkörpern Melodien aus der Unterwelt. Felix steht mit Augen gross wie Wagenräder am Meer, das jetzt pechschwarz ist mit weissen Schaumkronen. James Bond hat sich als James Bond verkleidet. Kurt Furgler ist auf Kurt Furgler geschminkt. Felix ist Felix, aber er würde gerne aus seiner Haut schlüpfen oder vielmehr aus seinem Hirn und bitte eine andere Rolle übernehmen. Er ist ein Spion wider Willen, einer, der eigentlich gar nichts wissen will. Nein, er will nichts wissen, nie mehr auch nur das Geringste wissen!
Schliesslich wagt er sich doch wieder zurück ins Restaurant, säuft weiteren Wein, der Wirt kann nicht verstehen, wie man seinen guten Fisch, Spezialität des Hauses, einfach stehen lassen kann. Bei diesem Wirt ist Felix endgültig unten durch, so viel ist schon mal klar. Felix beginnt zu reden, um nicht zu schweigen. Die Sprache, sagt er zum kleinen Araber, der schon immer wusste, das Felix ein bisschen plemplem ist oder sogar eine ganz gewaltige Meise hat, hätte dieser Felix nur auf ihn gehört, damals in Griechenland, die Sprache ist dem Menschen gegeben wie die Musik, das Symbolische ist wie eine gläserne Wand vor dem Abgrund.
Schliesslich sitzen oder vielmehr liegen sie im Nachtzug von Cerbère nach Genf. Und Felix fühlt das Jagen durch Raum und Zeit und weiss doch, dass er dem Unheimlichen nicht entrinnen kann, dem Sterben nicht, dem Geborenwerden nicht, dem Aufbruch ins Unbekannte nicht.
Ist die Angst nun ein Freund oder ein Feind?
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