Mittwoch, 23. Januar 2008
Ein Gattopardo in Stromboli
Strombolicchio, der kleine Herr Strombli, mit Regenbogen
Komisch, dieses Jahr sind Sommer und Herbst seitenverkehrt: so etwas wie Sommer erlebt Felix erst jetzt, hier, im Süden. Es geht ihm besser als im Sommer in Holland, wenn auch noch lange nicht wirklich gut. Allerdings ist die Situation nun auch eine ganz andere: Felix hat nämlich zusammen mit den Leuten aus seiner WG in Stromboli ein Haus gemietet, und jetzt findet das WG-Leben vor etwas veränderter Kulisse eben in Italien statt.
Felix sitzt auf der Terrasse des Ristorante Stromboli und trinkt ein Bier der Marke Wührer. Es windet ziemlich stark auf dieser Insel um diese Jahreszeit, es windet – wie in Holland –eigentlich immer, in unterschiedlicher Stärke und aus unterschiedlichen Richtungen, aber aus welcher Richtung der Wind auch kommt, er kommt vom Meer und hat einen salzigen Geschmack. Der Sand ist schwarz, die Häuser sind weiss. Felix badet gern im Meer, vor allem, wenn es hohe Wellen hat wie jetzt, Ende September. Auf dem Schiff liebt Felix hohe Wellen schon etwas weniger; man kann sich ans Schaukeln allerdings gewöhnen, dann schaukelt es auch noch, wenn man längst an Land ist und es eigentlich nicht mehr schaukelt. Es hat erstaunlich viele Schweizer hier, der Teufel weiss warum. Der Vermieter ihres Hauses ist ein komischer Kauz, dem Felix nicht so recht traut, Mafia kommt ihm in den Sinn, Bilder von sizilianischen Schlitzohren zucken durch sein Hirn, die sich aber schon Sekunden später in der grossen Vergessenheit aufgelöst hätten, würden wir sie hier nicht für die Nachwelt bewahren (allerdings stellt sich natürlich jeder unter sizilianischen Schlitzohren wieder etwas anderes vor). Felix fühlt sich antriebsschwach, ständig auf der Hut vor Panikmomenten und Angstlöchern, die sich aber trotzdem immer wieder unvermittelt vor ihm auftun: das erste Mal im Zug zwischen Rom und Neapel liess er sich von der Übermüdung überrumpeln und konnte sich nur noch dadurch retten, dass er sich in seinen inneren Pornofilm vertiefte: Geilheit als Reflex gegen die Angst. Dann, auf dem Schiff, die Angst vor dem Verschlungenwerden durch das Meer, dieses Sich-Ausgeliefert-Fühlen an die Macht der Elemente. Felix trinkt Whisky, um nicht seekrank zu werden, weil er denkt, es sei ihm lieber vom Saufen übel als vom Schaukeln – aber es wird ihm nicht übel, er kann bloss nicht schlafen vor Angst.
Dann die Angst vor dem Berg, dem Vulkan, der sich unberechenbar seinen kleinen Ausbrüchen hingibt, Ausbrüchen, die von irgendwoher kommen, aus Regionen, die dem Menschen versperrt sind (jawohl, wir stehen zu dieser Formulierung, auch wenn sie zugegebenermassen etwas pompös daherkommt, aber ein Vulkan und zumal der Stromboli ja wirklich etwas Pompöses und darf daher auch mit pompösen Worten beschrieben werden und schliesslich sind die Regionen, aus denen die Ausbrüche kommen, dem Menschen ja tatsächlich versperrt).
Felix weiss, dass seine Beeindruckbarkeit oftmals an Hysterie grenzt, um es noch zurückhaltend auszudrücken.
Auf dem Weg zum Vulkan hoch begegnen sie Hunderten von schwarzen Schlangen – ungiftigen Schlangen, wie anzunehmen und zu hoffen ist, auf jeden Fall wird der Weg beruhigenderweise nicht von blau angelaufenen Leichen gesäumt. Auf dem Stromboli oben fürchtet sich Felix davor, dass sein Herz plötzlich still stehen könnte – es hüpft ganz munter und chaotisch, als hätte es von Rhythmus keine Ahnung, sein Herz wird plötzlich so launenhaft wie der Berg unter ihm mit den drei Löchern, aus denen es dampft und grollt und aus welchen es jetzt spuckt und ejakuliert, erkaltete Lavabrocken, aber auch Staub und Asche, die sich in seinem Haar verfangen.
Das Herz von Felix steht nicht still. Seine Hände schreiben, wenn sein Hirn es so befiehlt. Seine unschuldigen, tierhaften Hände. Seine Füsse, von denen das Hirn am wenigsten eine Ahnung hat, weil sie sich so weit weg von der Kopfburg befinden. Und während Felix in die philosophische Betrachtung seiner Füsse versunken ist, wollen wir uns mal ein wenig den anderen WG-Mitbewohnerinnen und -bewohnern zuwenden. Sie haben andere Sorgen und Probleme. Eddie beispielsweise, der anders heisst, seit er in die Jüngerschaft des Bhagwans aufgenommen wurde, verspürt weniger die Angst als die Gier. Er ist süchtig nach jenem Glücksmoment, der sich ergibt, wenn man mit jemandem zusammenliegt, wenn man den Körper wirklich spürt, wenn man durch die Haut eines anderen eintaucht in den Kreislauf der Welt.
Die rothaarige Emma, die nur so heisst, aber nicht wirklich eine Feministin ist, sondern eher ein wenig der Typ des Hausmütterchens, kennt die Ängste von Felix auch nicht – das nehmen wir jedenfalls an oder verfügen es so kraft unserer gottähnlichen Autorenschaft. Emma, die nur diesen und keinen neuen indischen Namen hat, weil sie nicht zu den Anhängern des Bhagwans gehört, schreibt einen Liebesbrief, im schwankenden Licht der Laterne auf der Terrasse. Verliebte kennen keine Angst vor Vulkanen, im Gegenteil. Ernst, ja der Ernst, der uns im Verlauf dieses Berichts schon einige Male begegnet ist (Stichwort: Antonius) und inzwischen auch einen anderen Namen hat, liest in den Bekenntnissen des Augustin. Welche Sorgen und Probleme er hat, entzieht sich unseren Kenntnissen. Vielleicht ist er wie Augustin, der der Welt entsagt hat, über Sorgen und Probleme längst hinaus. Der Vulkan grollt. Sarah schneidet Tomaten. Auch Frosch, der nicht so heisst, sondern nur von allen so genannt wird, obwohl er gar nicht so aussieht, sondern ganz nett, wie Felix findet, aber eben, seufz, total hetero ist, liest ein Buch, allerdings nicht die Bekenntnisse des Augstin, es scheint etwas Spannendes zu sein, denn der Vulkan grollt schon wieder. Die Katze, ihr Adoptivbaby, ist so plötzlich verschwunden, wie sie ihnen zugelaufen ist, Felix fragt laut in die Runde: «Wo ist denn unser kleiner Panther, unser Gattopardo?» Er scheint sich ein neues vorübergehendes Domizil erobert zu haben mit seinem Charme. Wahrscheinlich hatte er genug von dem armseligen Frass, den er bei Felix und seinen Leuten bekommen hat.
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