Mittwoch, 12. August 2009

Traurige Jäger (8)

Als die beiden, Sanchon Pansa und Don Quichotte, wieder zu sich gekommen waren und es ihnen gelungen war, ihre Sinne zusammenzuraffen, gerieten sie sogleich nicht schlecht ins Staunen hinein. Das heisst, es blieb ihnen nicht viel Zeit zum Staunen, da, wie beim Übergang vom Traum ins Wachbewusstsein, die eine Normalität rasch von der anderen überdeckt wird und der Kipppunkt, an dem das Staunen ausgelöst wird, eben nur sehr kurz dauert. In der neuen Realität befanden sie sich in einem prachtvoll ausgestatteten Raum, vergleichbar mit der Fürstensuite eines Fünfsterne-Hotels (von einer solchn hatten sowohl Sancho Pansa wie auch Don Quichotte bisher eine Vorstellung nicht aus eigener Anschauung, sondern lediglich aus einschlägigen Spielfilmen und Soap-Operas am Fernsehen gewonnen). Sie befanden sich in einem grossen Raum, der farblich von Zartrosa bis Lachsig von Pastelltönen dominiert wurde. Den Raum, der fast schon ein Saal war, leuchteten grosszügig von der Decke hängende ausladende Kristalllüster aus. Sanchon fand sich auf einem Ruhebett oder einer Chaislongue halb liegen, halb sitzen. Er hielt, wie er erst jetzt bemerkte, ein kelchförmiges Glas in der Hand – ohne Zweifel eine Perle der Glasbläserkunst, wie er hätte bemerken können - , das mit einer goldfarbenen, perlenden Flüssigkeit gefüllt war und ihm gar angenehm in die Nase moussierte, so dass ihm gar nichts anderes übrig blieb, als zu niesen oder zu schlückeln. Vor diese Wahl gestellt, fiel ihm die Entscheidung nicht schwer, und er leerte das Glas mit einem einzigen, genussvollen Schluck bis auf den Grund: Mmh, Champagner, ein teurer Markenchampagner zweifellos, Sancho kannte sich da nicht aus, hatte bisher nur Cava oder Freixenet getrunken, dies aber mousste Moet & Chandon, Dom Perignon, Bollinger Special Cuvée Brut, Tattinger oder gar Roederer Cristal sein (Zahlungen der erwähnten Firmen bitte auf das Konto des Autors). Eine weitere Überraschung war, dass er sich in eine Uniform gesteckt fand, und zwar in eine Uniform, die selbst die Fantasieuniformen eines Oberst Muammar Abu Minyar al-Gaddafi weit in den Schatten stellte. Sancho hatte seinen Lebtag noch nie eine Uniform getragen. Er schaute an sich runter und sah gewichste Stiefel, schwarze Hosen mit breiten roten Längsstreifen, einen Uniformrock mit Achselpaletten und goldenen Knöpfen, ein breites Ordensband und zahlreiche Orden, die im Licht der Kristalllüster verführerisch blitzten. So, wie er auf dem Ruhebett halb lag, halb sass, erinnerte Sanchon wenn schon nicht von der Ausstaffierung, so doch vom gesamten Habitus her ein wenig an Peter Ustinoff als Nero in «Quo vadis?» (Quo vadis, was zu deutsch so viel heisst wie «wohin gehst du?», ist übrigens nicht nur ein gutes Motto für unsere Geschichte und eine echte Kern- und Lebrensfrage für die Weiterentwicklung ihrer Helden, sondern für das Leben der Menschen und der Menschheit überhaupt. Aber das nur nebenbei).

Don Quichotte sass _ wie immer recht würdevoll – in einem lachsfarbenen Sessel mit zierlich geschwungenen Beinen und wäre eine zum Lachen reizende Figur gewesen, wenn ihm in dieser neuen Aufmachung nicht etwas Unheimlich angehaftet wäre. Auch er war vornehmlich schwarz gekleidet, allerdings nicht militärisch, sondern zivil in einem Anzug, der ihm viel zu weit um die mageren Glieder schlotterte. Ferner trug er ein weisses Hemd, dazu eine schwarze Krawatte und eine auffällige Krawattenadel mit einem blauen T auf gelbem Grund. Seine Schuhe waren zwar keine Stiefel, aber ebenfalls blitzblank gewichst. Von den Kufthunden war übrigens nichts mehr zu sehen, die hatten sich offenbar in Luft aufgelöst. Dafür lagen zwei Leoparden faul wie grosase Katzen auf dem kostbaren Teppich herum. Jetzt klopfte es an der Tür, und es trat ein ein ebenfalls Schwarzuniformierter herein, der jetzt die Haken zusammenschlug, den Arm samt Hand und ausgestreckten Fingern so heftig vom Körper wegschleuderte, das es in den Gelenken knackte, und schnarrte und knarrte: «Führer, das Bad in der Menge ist angerichtet. Bitte untertänigst, sich auf den Balkon zu begeben!» Sancho seufzte und stöhnte, lustvoll und angewidert, und quälte sich vom Ruhebett oder der Chaislogue auf die blankgewichsten Stiefel, während Don Quichotte noch immer schweigend auf seinem lachsfarbenen Sessel sass und kerzengerade fanatisch ins Leere schaute. Inzwischen hatte der schwarzuniformierte Schnarrer und Knarrer mit den knackenden Gelenken Sancho in einen knöchellangen Ledermantel hineingeholfen. Draussen hörte man von weit weg und tief unten die Menge und das Volk den Namen Sanchos skandieren. Der Kammerdiener oder persönliche Adjutant öffnete die Flügeltüren des Balkons. Sancho räusperte sich, straffte den Rücken, warf sein Gesicht in Falten und marschierte langsam auf den Balkon hinaus. Wie eine Erlösung ergoss sich die Spannung der Menge da unten in einem Schrei, der langsam gen Himmel fuhr, als Sancho seine Hand zum Führergruss erhob. Er schloss die Augen. Der Ausdruck seines Gesichts war reine Verzückung, doch das konnte aus der Distanz natürlich niemand erkennen. Dies dauerte einige Minuten, die gar nicht verstreichen und in die Vergangenheit verschwinden wollten. Dann riss sich Sancho aus seiner Trance heraus, machte kehrt, verschwand vom Balkon, löste sich auf wie eine Fata Morgana. Die Menge wand sich wie in peinigendem Schmerz.. Sancho hingegen warf sich erschöpft und befriedigt auf die Chaislongue. Das Tagwerk war getan. Der Adjutant eilte mit einem Kelch voll perlender, prickelnder goldfarbener Flüssigkeit herbei. Der Führer dachte flüchtig daran, dass es bald an der Zeit sei, sich in die privaten Gemächer zurück zu ziehen, um mit seinen fetten Weibern eine wüste Orgie zu feiern. Das Bad in der Menge erzeugte in ihm immer eine gewisse geschlechtliche Erregung. Er stellte sich vor, wie ihn die Frauen mit ihren grossen dicken Brüsten ganz bedeckten, auf dass er herzhaft und mit grossem Appetit in sie hineinbeissen konnte. Aber er konnte sich nicht lange bei solchen süssen Gedanken aufhalten. Der Adjutant sagte nämlich höflich, aber mit einer gewissen Bestimmtheit: «Exzellenz, Führer und Majestät, Herr von und zu Bockfuss ist jetzt bereit zum Rapport.» «Was!» brauste Sancho da auf, «wer ist dieser Bockfuss, dass er es wagt, meine Ruhe zu stören?! Siehst du denn nicht, du Hund, dass ich in Gedanken versunken bin? Die Nacht ist tief, und tiefer als der Tag gedacht. Merk dir das! Verstanden?!»

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