Freitag, 22. August 2008
Fünf Vorurteile und ihre Widerlegung
Vorurteil Nummer 1: Homosexualität ist widernatürlich
«Es ist schon in der Sache widersinnig, einer biologisch unnatürlichen Lebensform gleiche Rechte wie heterosexuellen Paaren zuzugestehen», führte EDU-Nationalrat Christian Waber als Argument gegen das Partnerschaftsgesetz an, das am 5. Juni 2005 in der Schweiz vom Volk angenommen wurde und es schwulen und lesbischen Paaren erlaubt, ihre Partnerschaft rechtlich zu schützen. Körperlich und seelisch seien Mann und Frau, dies die Argumentation kirchlich-fundamentalistischer Kreise, so geschaffen, dass sie der Ergänzung bedürfen, um den göttlichen Auftrag auszuführen, der da lautet: «Seit fruchtbar und mehret euch!» Diese doch eher archaisch und mythisch als wissenschaftlich anmutende Sicht geht davon aus – ähnlich wie Platon, der sagt, die Menschen seien ursprünglich kugelförmig gewesen und dann zu ihrem Unglück von einem übel wollenden Gott in zwei Halbkugeln geteilt worden –, dass die Menschen hälftig angelegt sind. Homosexuelle Beziehungen würden diese «natürliche Zuordnung» nicht haben und könnten deshalb die Aufgabe der Arterhaltung nicht erfüllen. Die gleichgeschlechtliche Liebe wird von diesen Kreisen als «naturwidrige Trieb-Verirrung» gebrandmarkt – etwa auf der Internetseite www.christus-kommt-bald.de.
Offenbar besteht die Hauptsorge der Leute, die solche Thesen vertreten, darin, dass die Menschheit aussterben könnte – und zwar nicht etwa wegen der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen durch Umweltverschmutzung, Klimawandel, Konsumwahn oder etwa wegen drohender Kriege welcher Art auch immer mit Massenvernichtungswaffen oder wegen Naturkatastrophen, sondern weil offenbar die Gefahr besteht, dass sich immer mehr Menschen dem «Laster» der Homosexualität zuwenden. Abgesehen davon, dass diese Behauptung nur schon deshalb absurd ist, weil niemand zur Homosexualität «verführt» werden kann, lässt diese Sicht auch völlig ausser Acht, dass die Bevölkerung auf dem ganzen Planeten immer noch rasant zunimmt und dass bei uns die Menschen aus ganz anderen Gründen immer «reproduktionsmüder» sind, etwa weil Kinder zunehmend zu einem Armutsrisiko werden.
Tatsache ist: Ein gewisser Teil der Menschheit ist in allen Kulturen und war durch alle Zeiten hindurch mehr oder weniger ausgeprägt «schwul» oder «lesbisch» – nämlich etwa 5 bis 10% der Bevölkerung, je nachdem, wo man die Grenze zieht bei den ohnehin fliessenden Übergängen zwischen den Begriffen «homosexuell», «bisexuell» und «heterosexuell». Möglich, dass die Homosexualität nicht als solche bezeichnet wurde oder wird und auch nicht schon immer als «selbstständige Lebensform» existierte – das Phänomen als solches ist ganz gewiss keine Erfindung der Neuzeit. Homosexualität kommt übrigens auch im Tierreich vor und ist weder ein Ausdruck der Dekadenz noch irgendeiner Triebverirrung, sondern – ganz natürlich! (Homosexuelles Verhalten ist bei männlichen wie auch bei weiblichen Tieren mittlerweile in Tausenden von Fällen que{e}r durch das gesamte Tierreich dokumentiert; man darf daher als gesichert voraussetzen, dass keine grössere Tiergruppe auf diesem Planeten existiert, in der Homosexualität nicht vorkäme.)
Vorurteil Nummer 2: Homosexualität ist eine Krankheit
Schwule Männer und lesbische Frauen unterscheiden sich weder in hormoneller noch anderer physischer Hinsicht von heterosexuellen Menschen. Trotzdem wurden Homosexuelle lange Zeit von der Wissenschaft und werden immer noch von christlich-fundamentalistischen und zum Teil von rechtskonservativen Kreisen als «krank» diffamiert, da sie die Lebens- und Arterhaltungsfunktionen «stören» würden (siehe Vorurteil 1). Entgegen neuerer Erkenntnisse behaupten sie zudem unverdrossen, Homosexualität sei eine erworbene Sexualneurose. Auf der schon oben erwähnten Internetseite www.christus-kommt-bald.de steht wörtlich folgende Aussage: «Alle Homos, die mit Neurose-Tests untersucht wurden, weisen eine ‹neurotische Emotionalität› auf. Sie leiden unter einer gespaltenen Persönlichkeit: einem erwachsenen Ich und einem unreifen, infantilen Ich, dem ‹psychischen Infantilismus› oder ‹Schizosexie›. Dieser Infantilismus ist unabhängig von Intelligenz und Begabung.» Solche und ähnlich abenteuerliche Theorien entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage und entlarven sich selbst als verkappte Homophobie.
Vorurteil Nummer 3: Homosexualität ist heilbar
Einmal ganz abgesehen davon, dass Homosexualität keine Krankheit ist und folglich auch nicht «geheilt» werden muss (siehe Vorurteil Nummer. 2), ist es auch gar nicht möglich, jemanden, der lesbisch oder schwul ist, «umzudrehen» und in eine oder einen Heterosexuellen zu «verwandeln», wie das früher auch von Ärzten und der Psychiatrie mit Tabletten, Hormonspritzen, Psychotherapien und sogar Elektroschocks oder operativen Eingriffen versucht wurde. Das ist reiner Unsinn! Mittlerweile sind glücklicherweise die meisten Ärzte und Ärztinnen zu der Einsicht gelangt, dass Homosexualität keine Krankheit ist. Die Weltgesundheitsorganisation hat folgerichtig die Homosexualität aus dem Register der Krankheiten gestrichen. Vor allem christlich-fundamentalistische Kreise, aber etwa auch die Scientologen stellen immer noch die Behauptung auf, schwule Männer und lesbische Frauen könnten durch Seelsorge, Gebet, Living Waters1 oder Gesprächstherapie – oder im Fall der Scientologen gar durch intensives Schwitzen – «geheilt» oder zumindest zu einem sexuell-abstinenten Leben geführt werden. Die «Behandlung» von Schwulen und Lesben mit dem Ziel, sie «umzudrehen», ist nichts anderes als eine – in sektenähnlichen Gemeinschaften in vielen Bereichen nicht unübliche – Gehirnwäsche, die sehr häufig bewirkt, dass der sich um «Besserung» bemühende homosexuelle Mensch – letztlich vergeblich – gegen seine eigene Natur und damit gegen sich selber ankämpft und daran zerbricht, denn Homosexualität ist untrennbar mit der Persönlichkeit eines Menschen verbunden. Derart «behandelte» Menschen laufen gerade durch die oft sehr brutalen «Therapieversuche» Gefahr, krank zu werden! Natürlich kann ein schwuler Mann seine – oder eine lesbische Frau ihre – Neigungen verleugnen und unterdrücken, vielleicht sogar heiraten und Kinder bekommen und bis an das Lebensende sein/ihr Geheimnis und seine/ihre wahre Persönlichkeit verstecken – was früher (vor dem Entstehen der Schwulenbewegung) auch oft der Fall war. Der Preis kann das lebenslange Unglück von ganzen Familien sein und bei den Betroffenen zu schweren psychischen Problemen führen.
Vorurteil Nummer 4: Homosexualität ist pervers
Was als sexuelle Perversion gilt, ist relativ. Verschiedene psychologische Schulen (Freud, Adler etc.) haben sie verschieden definiert, die Definition ist auch abhängig vom Zeitgeist (siehe auch Vorurteil Nummer 2). Heute spricht die Psychiatrie nicht mehr von sexuellen Perversionen, sondern von sexuellen Störungen und insbesondere von Störungen der sexuellen Präferenz (sog. Paraphilien). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die sexuelle Befriedigung an aussergewöhliche Bedingungen geknüpft ist (wie im Fetischismus, im Exihibitionismus, im Voyeurismus und im Sado-Masochismus). Diese Störungen treten gleichermassen bei «homosexuellen» und «heterosexuellen» Menschen auf. Therapiert werden Paraphilien vor allem bei hohem Leidensdruck der Betroffenen, sie sind allerdings schwierig zu behandeln. Zu verurteilen – auch strafrechtlich – sind sicherlich alle sexuellen Praktiken, die nicht auf gegenseitigem Einvernehmen beruhen oder ein Machtgefälle ausnützen. Solche Praktiken kommen ebenfalls sowohl im heterosexuellen wie im homosexuellen Kontext vor. Natürlich wird im Volksmund der Begriff pervers auch für alles verwendet, was man (höchst subjektiv!) als «nicht normal» empfindet. Die Homosexualität ist aber nur insofern nicht «normal», als (in allen Kulturen) lediglich eine Minderheit von 5-10% der Bevölkerung schwul oder lesbisch ist (siehe oben). Nur würde zum Beispiel ja auch niemand behaupten, die Rätoromanen in der Schweiz seien pervers – bloss, weil es sich dabei um eine kleine sprachliche Minderheit handelt und es folglich nicht «normal» ist, Rätoromanisch zu sprechen!
Vorurteil Nummer 5: Homosexualität ist sündig
Homosexualität und Religion ist in vielen Religionen ein Problemfeld; weil viele religiöse Gruppierungen Homosexualität (aber auch andere Formen der Sexualität wie zum Beispiel die Selbstbefriedigung) strikt ablehnen, meist unter Berufung auf heilige Texte, religiöse Schriften oder Traditionen, fühlen sich religiös geprägte Homosexuelle häufig in einen Gewissenskonflikt gedrängt.
In westlichen Ländern wird meist vorrangig mit der Familie, welche Homosexuelle nicht gründen könnten, argumentiert, da die herkömmliche Familie als ein wesentliches Lebensziel angesehen wird. Das anderswo häufig genannte Argument von der grundsätzlichen «Sündhaftigkeit» oder schlicht «Falschheit» von Homosexualität wird dagegen insbesondere in Europa von den Angehörigen der entsprechenden religiösen Gemeinschaften weniger akzeptiert.
In der Tat gibt es eine Reihe von Bibelstellen, die den Geschlechtsverkehr zwischen Männern bzw. zwischen Frauen verurteilen. Aber bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass diese Aussagen auf zeitgebundenen Vorstellungen beruhen und auf einem anderen Wissensstand über den Menschen und seine Sexualität. Zum Beispiel geht Paulus im Römerbrief (1,18 ff.) davon aus, dass Homosexualität frei wählbar sei und dass sie jederzeit auch wieder aufgegeben werden könne. In seiner Vorstellung ist jeder Mensch heterosexuell. Wir wissen heute, dass dem nicht so ist. Von einer homo- oder bisexuellen Persönlichkeitsprägung war Paulus noch nichts bekannt. Von Jesus gibt es keine Aussagen zur Homosexualität. Auf ihn jedoch beruft sich Paulus, wenn er zur Überwindung sinnlos gewordener Grenzen aufruft: «Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht mehr Sklaven und Freie, nicht mehr Mann und Frau, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus» (Gal. 3,28). Was man durchaus auch so interpretieren kann, dass Jesus keinen Unterschied zwischen Heterosexuellen und Homosexuellen gemacht sehen will. Diese Haltung würde sich jedenfalls weitaus besser mit dem neutestamentlichen Konzept der Selbst- und Nächstenliebe vertragen als die homophobe Haltung vieler kirchlicher Würdenträger. Daraus würde folgen: Homo- und Heterosexualität sind gleichwertige Varianten der Sexualität!
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